PiR Nr. 8 vom Seite 1

Die bilanzielle Darstellung der wirklichen Verhältnisse

WP/StB Prof. Dr. Wolf-Dieter Hoffmann | Herausgeber | pir-redaktion@nwb.de

Herodot – gemeinhin als Vater der (abendländischen) Geschichtsschreibung tituliert – wollte mit seinem Werk die Ereignisse so darstellen und der Nachwelt hinterlassen, „wie es wirklich gewesen ist”. Genau das sehen die Regelgeber der Rechnungslegung alias Finanzinformation als ihre Aufgabe an. Die wirtschaftlichen Verhältnisse einer zur öffentlichen Darstellung verpflichteten Einheit sollen durch das Regelwerk true and fair view – wirklichkeitsgetreu – geformt sein. Oder in anderer Diktion gleichen Inhalts: Der Adressat der Berichterstattung soll objektiv über das Geschehen im Unternehmen/Konzern aufgeklärt werden.

Und damit wären wir beim Leitartikel dieser PiR-Ausgabe angekommen. Unser Autor Marijan Nemet hat sich den zweiten Entwurf zur Neufassung eines Leasing-Standards in Ablösung des gültigen IAS 17 vorgeknüpft. Der Auslöser des Projekts liegt – wie könnte es anders sein – in der mangelhaften Darstellung der Vermögens- und Finanzlage eines leasingnehmenden Unternehmens mit umfangreicher Leasingfinanzierung seines „eigentlichen” Sachanlagevermögens. Fast schon „klassisch” hallt der verzweifelte Ruf des vormaligen IASB-Chairman Sir David Tweedie: „Ich möchte einmal im Flugzeug einer Gesellschaft sitzen, die Flugzeuge in ihrem Vermögen bilanziell ausweist.” Offensichtlich flog er nie mit der Lufthansa, bei der tatsächlich im Sachanlagevermögen auch Flugzeuge enthalten sind, vermutlich aber bei weitem nicht alle selbstgenutzten Apparate.

Der Schlüssel zur Aufnahme in die Bilanz des Leasingnehmers liegt in der abstrakten Definition des asset . Darunter passt problemlos auch ein Nutzungsrecht an einem asset, das beim Leasinggeber bereits bilanziert ist. Mit einfacher Logik hat das nichts mehr zu tun, denn der eigentliche ökonomische Gehalt der Sache Flugzeug (oder anderer) liegt so gut wie ausschließlich im Recht auf Nutzung – worin sonst? Man wird sich an vieles Neues gewöhnen müssen, wenn tatsächlich dermaleinst ein neuer Leasing-Standard der Rechnungslegungswelt präsentiert wird. Ich denke z. B. an die bisherige Maxime der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte. Einen anderen besonders „leasingträchtigen” Aspekt stellt der Einfluss interessierter Kreise – Lobby genannt – auf den Standardisierungsprozess dar. Beispiel: Um die unerwünschten Volatilitäten der Ergebnisdarstellung im Zeitverlauf zu minimieren, müssen die Abschreibung zur Kompensation des sinkenden Zinsaufwands in einem der beiden Leasingtypen progressiv verlaufen. Auch in der Geschichtsschreibung wimmelt es von Klitterung interessierter Kreise. Oder soll man sich an den Eid des Hippokrates erinnern, der manchem Asklepiusjünger nicht gerade auf den Laib geschrieben scheint?

So wird man auch dannzumal im Neu-Standard zur Leasingbilanzierung vieles vorfinden, was nicht allzusehr der reinen Lehre des Einblicks in die wirklichen Verhältnisse dient. Nach HGB scheint hier die heile Welt zu herrschen. Der Leasingnehmer bucht periodisch Mietaufwand. Nach zigtausendfacher Bestätigung der Wirtschaftsprüferzunft vermittelt diese Buchungsweise den getreuen Einblick in die wirtschaftliche Situation des geprüften Unternehmens. Der Editor schwimmt beim Testieren hilflos in diesem Strom mit.

Beste Grüße

Wolf-Dieter Hoffmann

Fundstelle(n):
PiR 8/2013 Seite 1
NWB WAAAE-41766