BGH Beschluss v. - XII ZB 47/10

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Einzelanweisung bezüglich Korrektur der fehlerhaften Adressierung einer Rechtsmittelschrift

Leitsatz

Zur nicht beachteten Einzelweisung eines Rechtsanwalts an seine Angestellte, die Adressierung einer Rechtsmittelschrift an das Rechtsmittelgericht zu korrigieren.

Gesetze: § 233 ZPO

Instanzenzug: Az: I-7 U 84/09vorgehend Az: 3 O 24/09

Gründe

I.

1Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung rückständiger Miete in Anspruch genommen; der Beklagte hat widerklagend Rückzahlung einer Kaution sowie erbrachter Mietzahlungen begehrt. Das die Klage abweisende und der Widerklage im Wesentlichen stattgebende Urteil des Landgerichts ist der Klägerin zu Händen ihres erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden. Die an das Landgericht gerichtete Berufung der Klägerin ist dort per Fax am eingegangen. Nach Weiterleitung durch das Landgericht ist die Berufung am bei dem Oberlandesgericht eingegangen.

2Mit Schriftsatz vom hat der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Niederlegung des Mandats mitgeteilt. Am Montag, dem , hat er beantragt, die Berufungsbegründungsfrist zu verlängern. Mit Schriftsatz vom haben sich andere Rechtsanwälte für die Klägerin bestellt. Am hat der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Berufungsschrift sei entgegen seiner Bestimmung unzutreffend adressiert worden. Bei Unterzeichnung der Berufungsschrift habe er bemerkt, dass das Landgericht als Adressat der Berufung eingefügt worden sei. Daraufhin habe er die seit Jahren als zuverlässig bekannte Büroleiterin damit beauftragt, die Anschrift zu korrigieren. Diese Korrektur sei irrtümlich unterblieben. Zur Glaubhaftmachung sind die Angaben anwaltlich versichert worden.

3Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

51. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Die Berufung sei nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO bei dem Oberlandesgericht eingegangen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist sei unbegründet. Dabei könne dahinstehen, ob der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte nach der Anzeige der Mandatsniederlegung und der Bestellung der neuen Prozessbevollmächtigten überhaupt noch als handlungsbefugt für die Klägerin habe gelten können. Denn der Begründung des Antrags lasse sich nicht entnehmen, dass die Klägerin ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten an der Wahrung der Berufungsfrist gehindert gewesen sei. Zwar sei er der Verpflichtung nachgekommen, sich bei Unterzeichnung der Berufungsschrift davon zu überzeugen, dass der Schriftsatz richtig adressiert sei. Nach Feststellung des Fehlers habe er seiner Mitarbeiterin die Anweisung erteilt, die Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren. Bei einer nur mündlich erteilten Anweisung, die einen wichtigen Vorgang betreffe, müssten aber ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass sie nicht in Vergessenheit gerate und unterbleibe. Vor dem Hintergrund, dass entgegen der Anweisung eine unzutreffende Adressierung vorgenommen worden sei, habe hierzu in besonderem Maß Anlass bestanden. Deshalb treffe den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden, das die Klägerin sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.

62. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Es fehlt indessen an den besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 574 Abs. 2 ZPO, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und verletzt die Klägerin auch nicht in ihren Verfahrensgrundrechten.

7a) Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt hat. Die Berufung ist aufgrund der falschen Adressierung erst nach Ablauf der Berufungsfrist von einem Monat (§ 517 ZPO) bei dem Oberlandesgericht eingegangen.

8b) Das Berufungsgericht hat auch das Wiedereinsetzungsgesuch zu Recht zurückgewiesen.

9aa) Die Prüfung der notwendigen Formalien für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist Aufgabe des Rechtsmittelführers. Ihm obliegt es deswegen auch, dafür Sorge zu tragen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 165/11 - FamRZ 2012, 623 Rn. 28; vom - XII ZB 468/10 FamRZ 2011, 1389 Rn. 8 und - VersR 1992, 1023 f.). Entgegen diesen Anforderungen hat der Klägervertreter das Rechtsmittel nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Landgericht gesandt, weshalb es verspätet bei dem zuständigen Oberlandesgericht eingegangen ist.

10bb) Ein Rechtsanwalt darf allerdings grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Deshalb ist er im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 165/11 - FamRZ 2012, 623 Rn. 29; vom - XII ZB 64/09 - FamRZ 2010, 1067 Rn. 11 und vom - XII ZB 154/09 - VersR 2011, 89 Rn. 16; - VersR 1996, 779).

11Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört aber zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 165/11 - FamRZ 2012, 623 Rn. 30; BGH Beschlüsse vom - IVa ZB 8/86 - VersR 1986, 1209 und vom - I ZB 2/82 - VersR 1982, 769 f.). Die Aufgabe darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 165/11 - FamRZ 2012, 623 Rn. 30 und vom - XII ZB 298/11 - FamRZ 2012, 621 Rn. 11; - VersR 1993, 1381 f.).

12Auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift darf der Rechtsanwalt aber einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss ( - FamRZ 2009, 109 Rn. 9 f.). Wird die Anweisung nur mündlich erteilt, müssen allerdings ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Erledigung in Vergessenheit gerät (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 165/11 - FamRZ 2012, 623 Rn. 31; vom - XII ZB 150/08 - FamRZ 2009, 1132, Rn. 19; vom - XII ZB 102/08 - FamRZ 2009, 217 Rn. 14 und vom - XII ZB 190/07 - FuR 2008, 344 Rn. 12 ff.). Auch in diesem Fall genügt die klare und präzise Anweisung, die Erledigung sofort vorzunehmen, insbesondere wenn zudem eine weitere allgemeine Büroanweisung bestand, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen auszuführen. Die Gefahr, dass eine solche sofort auszuführende Weisung sogleich vergessen oder aus sonstigen Gründen nicht befolgt wird, macht eine nachträgliche Kontrolle ihrer Ausführung dann nicht erforderlich (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 150/08 - FamRZ 2009, 1132 Rn. 20 und vom - XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 14 f. mwN; - NJW 2009, 1083 Rn.16).

13cc) Solche zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen hat die Klägerin mit ihrem Wiedereinsetzungsgesuch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Ihre Ausführungen beschränken sich darauf, dass die Büroleiterin mit der Korrektur der fehlerhaften Adressierung beauftragt worden sei. Nach diesem Sachvortrag kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Weisung nur mündlich erteilt worden war und die Absicherung ihrer Ausführung zusätzlicher Vorkehrungen bedurfte. Die vorgenannten Sorgfaltsanforderungen galten im vorliegenden Fall erst recht, weil die zunächst erteilte Anweisung, die Berufungsschrift an das Oberlandesgericht zu adressieren, bereits nicht befolgt worden war.

14dd) Die mit Schriftsatz vom gegenüber dem Berufungsgericht nachgeholten und mit einer eidesstattlichen Versicherung der Büroleiterin versehenen neuen Angaben der Klägerin sind nicht zu berücksichtigen. Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Wird - wie im vorliegenden Fall - geltend gemacht, dass die Fristversäumnis auf dem Versehen eines Büroangestellten beruht, so hat die Partei alle Umstände darzulegen und glaubhaft zu machen, die ein Organisations- oder sonstiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen. Dabei können allerdings erkennbar unklare oder ungenaue Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, auch über die Frist nach §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO hinaus erläutert oder vervollständigt werden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 150/08 - FamRZ 2009, 1132 Rn. 24; BGH Beschlüsse vom - IX ZB 71/03 - FamRZ 2004, 1552 und vom - VI ZB 28/01 - BGH-Report 2002, 434).

15Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Die Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch sind - abgesehen von dem genauen Inhalt der erteilten Anweisung - vollständig und klar. Dass darin zusätzliche Sicherungsvorkehrungen nicht angegeben worden sind, lässt für sich genommen noch keine Ergänzungs- oder Erläuterungsbedürftigkeit des Vorbringens erkennen. Wenn der geschilderte Ablauf innerhalb der Kanzleiorganisation der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die zu stellenden Sorgfaltsanforderungen nicht vollständig erfüllte, ergibt sich daraus noch nicht, dass dem Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin ergänzungsbedürftig erscheinen musste. Eine Erläuterungs- oder Ergänzungsbedürftigkeit wäre etwa dann erkennbar gewesen, wenn bestimmte durch Anweisung festgelegte Arbeitsroutinen beschrieben wären, aus denen sich sowohl eine sorgfaltsgemäße als auch eine sorgfaltswidrige Ausführung ergeben kann. In diesen Fällen darf das Gericht nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die sorgfaltswidrige Alternative nicht entkräftet worden sei, und muss auf eine Aufklärung hinwirken (vgl. BGH Beschlüsse vom - IX ZB 71/03 - FamRZ 2004, 1552 mwN und vom - VI ZB 28/01 - BGH-Report 2002, 434 und Senatsbeschluss vom -XII ZB 150/08 - FamRZ 2009, 1132 Rn. 25). Es würde aber die Hinweispflicht überspannen, wenn das Berufungsgericht den Antragsteller eines Wiedereinsetzungsgesuchs über Lücken in den von ihm dargelegten Sicherungsvorkehrungen aufzuklären hätte. Das Berufungsgericht kann vielmehr im Zweifel davon ausgehen, dass der Antragsteller seiner aus § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergebenden Verpflichtung zur vollständigen Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen auch nachgekommen ist.

Dose                       Weber-Monecke                                    Klinkhammer

            Schilling                                   Nedden-Boeger

Fundstelle(n):
DB 2013 S. 2799 Nr. 49
DB 2013 S. 9 Nr. 28
NJW-RR 2013 S. 1393 Nr. 22
ZAAAE-39854