Instanzenzug:
Gründe
I.
1 Die Klägerin nimmt den Beklagten als ihren ehemaligen Steuerberater auf Herausgabe von Finanzbuchhaltungsdaten und -unterlagen in Anspruch. Widerklagend macht der Beklagte Vergütung für Buchhaltungstätigkeiten und für die Erstellung eines vorläufigen Jahresabschlusses in Höhe von insgesamt 1.953,98 € geltend.
2 Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt und die Widerklage als unzulässig abgewiesen, weil diese erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben worden sei. Den Gebührenstreitwert hat das Amtsgericht für das Verfahren bis zum Eingang der Widerklage auf 2.500 € und für die Zeit danach auf 4.453,98 € festgesetzt.
3 Die von dem Beklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil unbeschränkt eingelegte Berufung hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
4 Das Landgericht hat ausgeführt, der nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands von mehr als 600 € sei nicht erreicht. Die Beschwer für das Berufungsverfahren richte sich bei einer Verurteilung zur Herausgabe nach dem für die Herausgabe erforderlichen Aufwand. Der von dem Beklagten insoweit behauptete Aufwand für die Beschaffung und Installation der notwendigen Software (2.428 €) reduziere sich auf ein Fünftel (485,60 €), weil es vier weitere gleichgelagerte Verfahren gebe und der Aufwand nur einmal anfalle. Da die gleich gelagerten Verfahren bereits seit fast einem halben Jahr abgeschlossen seien, sei zudem davon auszugehen, dass der Beklagte den Aufwand bereits erledigt habe, "so dass nunmehr tatsächlich die Kosten dafür mit 0 € anzusetzen wären". Der weitere Aufwand für die Zusammenstellung der Buchhaltungsdaten und -unterlagen sei anhand der Angaben des Beklagten auf weit unter 600 € zu schätzen.
5 Auch die Widerklage verhelfe der Berufung nicht zum Erreichen des Beschwerdewerts, weil diese nach Schluss der mündlichen Verhandlung und deshalb in unzulässiger Weise erhoben worden sei. Über eine Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO habe die Kammer nicht entscheiden müssen.
III.
6 Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 574 Abs. 2, § 575 Abs. 1 und 2 ZPO) Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
7 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angegriffene Beschluss verletzt den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), der es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (, BGHZ 151, 221, 227 f; vom - VIII ZB 55/10, NJW 2011, 230 Rn. 10; vom - IV ZB 16/11, NJW 2012, 2041 Rn. 9; vom - VI ZB 12/12, VersR 2012, 1412 Rn. 5; vom - VI ZB 52/12, nv Rn. 4).
8 Eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Zugangs zu der (Berufungs-)Instanz kann auch in einem Fehler bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO liegen. Hierzu muss das Berufungsgericht die Grenzen des ihm bei der Bemessung zukommenden Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben (, NZM 2011, 488 Rn. 7 f; vom - V ZB 242/11, ZWE 2012, 334, 335). Ein solcher Fehler ist dem Berufungsgericht unterlaufen.
9 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Ermessensfehlerhaft hat das Berufungsgericht bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands die Widerklage unberücksichtigt gelassen.
10 a) Im Streitfall hat das Amtsgericht den Beklagten nicht nur antragsgemäß verurteilt, sondern auch dessen Widerklage abgewiesen. Beschwert ist der Beklagte deshalb in Höhe der Summe der Werte von Klage und Widerklage. Die für den Zuständigkeitswert geltende Regelung des § 5 Halbsatz 2 ZPO steht dem nicht entgegen (, NJW 1994, 3292; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 5 Rn. 2; Hk-ZPO/Bendtsen, 5. Aufl., § 5 Rn. 2; MünchKomm-ZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 5 Rn. 34). Auch sind die Gegenstände von Klage und Widerklage nicht wirtschaftlich identisch (vgl. hierzu aaO).
11 Der Wert der Widerklage kann auch nicht wegen des Umstands unberücksichtigt bleiben, dass sie erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht erhoben worden ist. Dies käme nur in Betracht, wenn das Amtsgericht von einer Entscheidung über die Widerklage abgesehen hätte (vgl. hierzu aaO Rn. 9, für den Fall einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgten Klageerweiterung). Unerheblich ist insoweit, ob das Amtsgericht unter den gegebenen Umständen über die Widerklage entscheiden durfte (vgl. dazu , NJW-RR 1992, 1085; Urteil vom - XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512, 2513). Das Amtsgericht hat über die Widerklage entschieden, und dies beschwert den Beklagten.
12 b) Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte die Beseitigung der gesamten durch das amtsgerichtliche Urteil vermittelten Beschwer. Der Wert des Beschwerdegegenstands bleibt deshalb nicht hinter der Beschwer zurück und liegt allein aufgrund der weiterverfolgten Widerklage weit oberhalb von 600 €. Es kann deshalb dahinstehen, ob dem Berufungsgericht auch bezüglich der Klageforderung Fehler bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands unterlaufen sind.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
TAAAE-39830