Strafzumessung bei Kindesmissbrauch: Strafschärfende Berücksichtigung eines 5 Jahre nach der Tat liegenden Verhaltens des Angeklagten
Gesetze: § 46 StGB, § 176a Abs 1 Nr 1 StGB vom
Instanzenzug: LG Landshut Az: 4 KLs 20 Js 8469/10 Urteil
Gründe
1Der 76 Jahre alte Angeklagte ist der Stiefgroßvater der jetzt 21 Jahre alten R. P. . Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen dem und dem vollzog der Angeklagte an der damals etwa neun Jahre alten R. in deren Kinderzimmer im Anwesen der Eltern den vaginalen Geschlechtsverkehr.
2Das Landgericht hat den Angeklagten deshalb mit Urteil vom wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, wobei das Verfahren wegen weiterer sieben Fälle, jeweils angeklagt als schwerer sexueller Missbrauch desselben Kindes, gemäß § 154 Abs. 1 und 2 StPO eingestellt worden ist.
31. Die Revision des Angeklagten hat im Ergebnis keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
42. Die Festsetzung der Freiheitsstrafe auf drei Jahre und neun Monate hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand.
5a) Der Beschwerdeführer hat allerdings zu Recht beanstandet, dass das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten "- wenn auch nur eingeschränkt - straferschwerend berücksichtigt" hat, "dass der Angeklagte in einem weiteren Fall mit R. P. den vaginalen Geschlechtsverkehr kurz nach ihrem 14. Geburtstag vollzogen hat, auch wenn insoweit zu seinen Gunsten davon ausgegangen wurde, dass er dabei keinen Straftatbestand erfüllt hat." Die Strafkammer hat damit ein etwa fünf Jahre nach der abgeurteilten Tat liegendes Verhalten des Angeklagten strafschärfend herangezogen, obgleich sie dieses Verhalten gleichzeitig als nicht strafbar beurteilt hat. Ein nach der Straftat liegendes Verhalten des Angeklagten darf aber in der Regel nur dann berücksichtigt werden, wenn es Schlüsse auf den Unrechtsgehalt der Tat zulässt oder Einblick in die innere Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt (, NStZ 1985, 545). Solches liegt bei einem Verhalten, welches Jahre nach der abgeurteilten Tat liegt, nicht ohne Weiteres vor und ist vorliegend auch nicht ersichtlich.
6b) Dieser Rechtsfehler erfordert indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverweisung der Sache, da die verhängte Freiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren und neun Monaten trotz dieses Strafzumessungsfehlers angemessen ist (§ 354 Abs. 1a Satz 1 StPO).
7aa) Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen ( 3 StR 3905, NStZ 2005, 465).
8bb) Für die Beurteilung der Angemessenheit ist hier vom Strafrahmen des § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB (idF des 6. Strafrechtsreformgesetzes, gültig vom bis ) auszugehen, der Freiheitsstrafe von einem bis 15 Jahren vorsieht. Die Annahme eines minder schweren Falles liegt angesichts des außergewöhnlich schweren Tatbildes und unter Berücksichtigung des Alters des Tatopfers fern.
9cc) Die Tatschuld wird durch die bereits vom Landgericht zutreffend festgestellten Umstände wie das Alter des Kindes, die erheblichen psychischen Folgen für das Tatopfer, welche erheblich über das durchschnittliche Erscheinungsbild eines schweren sexuellen Missbrauchs hinausreichen und u.a. Anlass für einen Selbstmordversuch des Opfers waren, die Ausnutzung des besonderen Näheverhältnisses sowie den Umstand, dass der Angeklagte auch in weiteren sieben Fällen, welche nach § 154 StPO eingestellt wurden, bei denen dasselbe Kind zum Opfer eines sexuellen Missbrauchs gemacht wurde, maßgeblich geprägt.
10Auch unter Berücksichtigung der von der Strafkammer strafmildernd angestellten Erwägungen, wie das fortgeschrittene Alter des Angeklagten und der damit verbundenen erhöhten Haftempfindlichkeit ist wegen der genannten tatprägenden Umstände die vom Landgericht ausgesprochene Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten i.S.v. § 354 Abs. 1a StPO angemessen.
Wahl Rothfuß Graf
Radtke Zeng
Fundstelle(n):
IAAAE-39462