BGH Urteil v. - VI ZR 151/12

Prozessvoraussetzung der obligatorischen Streitschlichtung in Baden-Württemberg: Schlichtungsversuch nach Verweisung einer Sache wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit vom Landgericht an das Amtsgericht

Leitsatz

Die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW kann nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass sie generell auch die Fälle erfasst, in denen die Klage aufgrund einer unzutreffenden Ermittlung des Streitwerts zunächst vor dem Landgericht erhoben wird und dieses den Rechtsstreit wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verweist.

Gesetze: § 15a Abs 1 S 1 Nr 3 ZPOEG, § 281 Abs 1 ZPO, § 1 Abs 1 S 1 SchlichtG BW

Instanzenzug: Az: 3 S 91/11 Urteilvorgehend AG Böblingen Az: 3 C 1763/11

Tatbestand

1Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Mit der beim Landgericht erhobenen Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Unterlassung der Behauptung in Anspruch, sie habe ihm 40.000 € gestohlen oder unterschlagen. Den Streitwert hat sie in der Klage mit 10.000 € angegeben. Das Landgericht hat den Streitwert auf 2.000 € festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen. Auf den Verweisungsantrag der Klägerin hat das Landgericht den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen. Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin das gemäß § 15a EGZPO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW erforderliche Schlichtungsverfahren vor der Klageerhebung nicht durchgeführt habe. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klagantrag weiter.

Gründe

I.

2Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage unzulässig, weil entgegen § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW vor der Klageerhebung kein Schlichtungsverfahren stattgefunden habe. Von § 1 SchlG BW würden Klagen erfasst, die vor dem Amtsgericht erhoben würden. Der Anwendungsbereich der Bestimmung erstrecke sich aber auch auf solche Klagen, die richtigerweise vor dem Amtsgericht hätten erhoben werden müssen und nur aufgrund einer Höherbewertung des Streitwerts durch den Kläger vor dem Landgericht erhoben worden seien. Das mit § 15a EGZPO verfolgte Ziel werde nur erreicht, wenn die Bestimmung konsequent derart ausgelegt werde, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich den Weg zur Schlichtungsstelle beschreiten müssten. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation entspreche den Fällen einer subjektiven bzw. objektiven Klagehäufung, in denen der Bundesgerichtshof die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens für erforderlich gehalten habe. In jedem Einzelfall zu prüfen, ob missbräuchlich ein zu hoher Streitwert angenommen worden sei, um die Klage vor dem Landgericht erheben zu können, entspreche nicht dem Wortlaut und der Zielrichtung der gesetzlichen Regelung und würde zu einer nicht wünschenswerten prozessualen Rechtsunklarheit führen.

II.

3Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt das vorliegende Verfahren nicht in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW.

41. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SchlG BW ist die Erhebung der Klage vor den Amtsgerichten in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzungen der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden sind, erst zulässig, nachdem versucht worden ist, die Streitigkeit in einem Schlichtungsverfahren einvernehmlich beizulegen. Die Bestimmung enthält eine von Amts wegen zu prüfende, besondere Prozessvoraussetzung, die bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen muss (vgl. , BGHZ 161, 145, 147 ff.; vom - VI ZR 221/07, VersR 2009, 1288 Rn. 10; vom - VI ZR 111/09, VersR 2010, 1444 Rn. 9, 11, jeweils mwN).

52. Wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW an sich nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat die Klage nicht vor dem Amtsgericht, sondern - unter Zugrundelegung eines Streitwerts von 10.000 € - vor dem Landgericht erhoben. Dort hat sie ihre Klageschrift eingereicht; von dort ist die Klage dem Beklagten zugestellt worden (vgl. § 253 Abs. 1, § 271 Abs. 1 ZPO).

63. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW nicht erweiternd dahingehend ausgelegt werden, dass sie generell auch die Fälle erfasst, in denen die Klage aufgrund einer unzutreffenden Ermittlung des Streitwerts zunächst vor dem Landgericht erhoben wird und dieses den Rechtsstreit wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verweist. Ein derartiges Verständnis der Norm ist mit ihrem Wortlaut nicht vereinbar, berücksichtigt den Sinn und Zweck des § 281 ZPO nicht hinreichend und führt zu unerwünschten prozessualen Unklarheiten.

7a) Durch die Schaffung des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW hat der Landesgesetzgeber von der ihm in § 15a EGZPO eingeräumten Kompetenz Gebrauch gemacht, die Zulässigkeit der Klageerhebung in bestimmten bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten von der Durchführung eines Schlichtungsverfahrens abhängig zu machen. Ausweislich des klaren Wortlauts des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW und der Gesetzesbegründung hat er hierbei die Ermächtigung nicht voll ausgeschöpft, sondern sich ausdrücklich darauf beschränkt, eine - den allgemeinen Justizgewährungsanspruch der Rechtsuchenden einschränkende - zusätzliche Sachurteilsvoraussetzung in Form der obligatorischen Schlichtung nur für die Klagen anzuordnen, die vor den Amtsgerichten erhoben werden (vgl. LT-Drucks. 12/5033 S. 1, 17 f.; zur Beeinträchtigung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs durch Regelungen über die obligatorische Schlichtung: BVerfGK 10, 275). Die Möglichkeit, ein obligatorisches Schlichtungsverfahren auch für landgerichtliche Verfahren vorzusehen, hat der Landesgesetzgeber bewusst nicht wahrgenommen (LT-Drucks. 12/5033 S. 18).

8b) Eine danach beim Landgericht ohne vorherige Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zulässig erhobene Klage wird nicht nachträglich dadurch unzulässig, dass der Rechtsstreit vom Landgericht wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verwiesen wird (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 281 Rn. 15a; Zöller/Heßler, aaO, § 15a EGZPO Rn. 18; Prütting/Taxis, Außergerichtliche Streitschlichtung, 2003, Rn. 179; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 636 f.; Bitter, NJW 2005, 1235, 1239; Schilken, FS Ishikawa, 2001, S. 471, 473 in Fn. 15 zur Verweisung durch ein Gericht in einem Land ohne obligatorisches Schlichtungsverfahren in ein Land mit obligatorischem Schlichtungsverfahren; Hk-ZPO/Saenger, 5. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 2; Kothe/Anger, SchlG BW, 2001, § 1 Rn. 5; a.A. MünchKommZPO/Gruber, 3. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 5; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 22. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 12; Unberath, JR 2001, 355, 357). Denn die Verweisung gemäß § 281 ZPO erhält die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits; frühere Prozesshandlungen wirken wegen des Grundsatzes der Einheit des Verfahrens fort (vgl. Zöller/Heßler, aaO § 15a EGZPO Rn. 18; Stickelbrock, JZ 2002, 633, 636; Kothe/Anger, aaO). Eine andere Beurteilung führte dazu, dass die Bestimmung des § 281 ZPO in diesen Fällen ihres Sinns beraubt würde. Zweck dieser Regelung ist es, im Interesse der Prozessökonomie einer Verzögerung und Verteuerung der Verfahren durch Zuständigkeitsstreitigkeiten vorzubeugen und die Vorteile der Rechtshängigkeit zu sichern (vgl. IVb ARZ 8/88, FamRZ 1988, 943; MünchKommZPO/Prütting, 4. Aufl., § 281 Rn. 1; Bacher in BeckOK ZPO, § 281 Rn. 1, Stand: ; Saenger/Saenger, aaO, § 281 Rn. 1). Dieser Zweck würde verfehlt, wenn sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW auf die Fälle erstreckte, in denen der Rechtsstreit vom Landgericht gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verwiesen wird. Denn da das Schlichtungsverfahren der Klageerhebung vorausgehen muss und nicht nachgeholt werden kann (, aaO; vom - VI ZR 111/09, aaO, Rn. 9, jeweils mwN), müsste die Klage in diesen Fällen ausnahmslos als unzulässig abgewiesen werden.

9c) Hinzu kommt, dass der Rechtsuchende gerade in den in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SchlG BW geregelten Streitigkeiten im Vorfeld nicht immer klar erkennen kann, ob die Klage "richtigerweise beim Amtsgericht erhoben werden" muss. Denn in diesen Streitigkeiten ist das Klagebegehren häufig nicht auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme, sondern auf Duldung, Unterlassung oder Beseitigung gerichtet, so dass die Bewertung des für den Zuständigkeitsstreitwert gemäß § 3 ZPO maßgeblichen Interesses des Klägers (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 247/11, Grundeigentum 2012, 683; vom - V ZR 44/12, Grundeigentum 2013, 347) durch die Partei bzw. ihren Anwalt einerseits und das Gericht andererseits unterschiedlich ausfallen kann. Erfasste § 1 Abs. 1 Satz 1 SchlG BW auch vom Landgericht gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das Amtsgericht verwiesene Verfahren, so müsste der Rechtsuchende, um eine Abweisung seiner Klage als unzulässig sicher zu vermeiden, in allen Streitigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SchlG BW vor der Klageerhebung einen Einigungsversuch unternehmen, auch wenn aus seiner Sicht die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts gegeben ist. Eine derart umfassende Schlichtungspflicht war mit der Einführung des § 1 SchlG BW aber gerade nicht beabsichtigt (vgl. LT-Drucks. 12/5033 S. 1, 17 f.).

104. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn die Klage rechtsmissbräuchlich vor einem sachlich unzuständigen Gericht erhoben wurde (vgl. Bitter, NJW 2005, 1235, 1239), bedarf keiner Entscheidung. Für eine solche Annahme sind Anhaltspunkte weder ersichtlich noch dargetan.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
QAAAE-37861