Keine Wiedereinsetzung bei Fehleingabe in den elektronischen Fristenkalender
Leitsatz
Bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Organisationsverschulden anzunehmen, wenn ein Prozessbevollmächtigter, der den rechts- und steuerberatenden Berufen angehört, einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet und die dort vorgenommenen Eintragungen nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker kontrolliert werden.
Gesetze: FGO § 56 Abs. 1, FGO § 56 Abs. 2, FGO § 62 Abs. 2, FGO § 120 Abs. 2, FGO § 155, GewStG § 8 Nr. 1 Buchstabe e, ZPO § 85 Abs. 2
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG. Sie hat ein Hotel angepachtet und an eine GmbH weiter verpachtet. Die Pachtaufwendungen der Klägerin betrugen im Streitjahr (2008) 911.750 €, die von ihr erzielten Pachterlöse 1.178.410 €.
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) rechnete bei der Ermittlung des Gewerbeertrags der Klägerin die Pachtaufwendungen dem Gewinn anteilig nach § 8 Nr. 1 Buchst. e des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) hinzu. Dadurch verminderte sich der auf den 31. Dezember des Streitjahrs festzustellende vortragsfähige Gewerbeverlust der Klägerin.
3 Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage. Sie machte geltend, der Tatbestand des § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG sei nicht erfüllt, da sie das angemietete Objekt nicht selbst nutze, sondern weiter vermiete. Außerdem begegne die Hinzurechnung systematischen Bedenken und führe zu einer steuerlichen Gesamtbelastung, die verfassungswidrig sei.
4 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Zwar führe die Hinzurechnung zu einer Doppelbelastung beim Verpächter und der Klägerin als Pächterin. Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen werde jedoch nicht überschritten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 2100 veröffentlicht. Es wurde der Klägerin am zugestellt.
5 Dagegen legte die Klägerin am Revision ein. Mit Schreiben vom wies der Vorsitzende des beschließenden Senats die Klägerin darauf hin, dass die Revision nicht innerhalb der nach § 120 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgeschriebenen, im Streitfall am abgelaufenen Frist begründet wurde.
6 Daraufhin beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Frist und begründete die Revision. Das Schreiben ging am beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
7 Die Klägerin trägt vor, das angefochtene Urteil sei am zugestellt worden und habe nach Eingang den üblichen Postweg gemäß beigefügter Ablaufbeschreibung durchlaufen. Die Frist zur Einlegung der Revision sei vom Sekretariat korrekt erfasst und für den notiert worden, wie durch einen Ausdruck des Fristenbuchs bestätigt werde. Die Revision sei fristgerecht mit Schreiben vom eingelegt worden. Da das Sekretariat nicht wissen könne, ob Revision eingelegt werde und ob diese ggf. zeitgleich begründet werde, sei dort nur die Frist zur Einlegung der Revision zu erfassen. Der mandatsverantwortliche Partner sei selbst dafür verantwortlich, die Frist für die Revisionsbegründung im Programm Outlook zu notieren, da bei Erfassung eines Posteingangs die Erfassung einer zweiten „Nachfrist” programmbedingt nicht möglich sei.
8 Vorliegend sei dementsprechend verfahren worden, jedoch habe der Unterzeichner als mandatsverantwortlicher Partner die Frist zur Begründung der Revision versehentlich mit einem Zahlendreher eingegeben, so dass sie nicht für den , sondern für den notiert worden sei. Wegen des hohen Arbeitsaufkommens sei ihm dieser Fehler nicht aufgefallen. Dies werde durch eine eidesstattliche Versicherung des Unterzeichners glaubhaft gemacht.
9 In der Sache hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest, nach der sie nicht unter § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG falle, weil diese Norm sich ausweislich der Gesetzesbegründung nicht auf die An- und Weitervermietung von Immobilien bezöge, bei der lediglich eine Nutzungsberechtigung erworben und an den endgültigen Mieter überlassen werde. In jedem Fall führe die Anwendung der Hinzurechnungsvorschrift aber zu einem Verfassungsverstoß.
10 Die Klägerin beantragt sinngemäß, wegen der am abgelaufenen Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, das FG-Urteil aufzuheben und den angefochtenen Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass der gewerbesteuerliche Verlustvortrag auf 243.341 € festgestellt wird.
11 Das FA beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung abzulehnen und die Revision als unzulässig zu verwerfen.
12 Die Fristenkontrolle im Wege der elektronischen Datenverarbeitung erfordere im Hinblick auf die spezifischen Fehlermöglichkeiten bei der Eingabe der Datensätze spezielle Kontrollmaßnahmen, um fehlerhafte Eingaben rechtzeitig zu korrigieren (, Neue Juristische Wochenschrift 1995, 1756). Derartige Maßnahmen ließen sich den Darlegungen des Prozessbevollmächtigten nicht entnehmen. Hinzu komme, dass dieser sich zu der betreffenden Zeit mit dem Fall befasst habe, wie aus einem am Tag des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist erstellten Schreiben hervorgehe, in dem auf das anhängige Revisionsverfahren verwiesen und das Urteilsdatum genannt werde. Im Übrigen hätte die korrekte Eintragung des allein nicht ausgereicht. Üblich sei die Eintragung einer Vorfrist, da die Zeit für die Erstellung und Absendung einer Revisionsbegründung am letzten Tag der Frist äußerst knapp bemessen wäre.
13 Die Klägerin erwidert darauf, es sei nicht lebensfremd, wenn anlässlich eines Schriftsatzes, der inhaltlich lediglich ein Standardanschreiben zur Übersendung der Steuererklärungen an die Mandantschaft enthalte, keine weiteren Nachforschungen oder Überlegungen hinsichtlich des anhängigen Revisionsverfahrens angestellt würden. Da es sich um ein von qualifizierten Mitarbeitern vorbereitetes Routineschreiben gehandelt habe, sei das Datum eher zufällig und dem Arbeitsablauf im Büro geschuldet. Hinsichtlich der vom FA für erforderlich gehaltenen Vorfrist sei anzumerken, dass technisch betrachtet die Frist im Outlook-Kalender eingetragen und dabei in einem Arbeitsgang über die Erinnerungsfunktion gedanklich die Vorfrist fixiert werde. Es würden also nicht zwei gesonderte Fristen erfasst, sondern in einem einheitlichen Vorgang eine Frist mit einer Erinnerung eingetragen. Wenn die Frist in das falsche Jahr eingetragen werde, sei damit auch die korrespondierend einzutragende Vorfrist automatisch im falschen Jahr eingetragen.
14 II. Die Revision ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht begründet wurde. Sie war daher durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).
15 1. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die vom FG zugelassene Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Frist kann nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.
16 2. Vorliegend ist die Begründung der Revision verspätet beim BFH eingegangen, wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Das angefochtene Urteil, das die Revision zugelassen hat, wurde am zugestellt. Die Begründungsfrist ist am abgelaufen. Die Revisionsbegründung ist jedoch erst —nach Hinweis des Vorsitzenden auf den Fristablauf— am beim BFH eingegangen.
17 3. Wiedereinsetzung wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision war nicht zu gewähren.
18 a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zu seiner Begründung sind glaubhaft zu machen und die versäumte Rechtshandlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 56 Abs. 2 FGO). Jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (u.a. , BFH/NV 2011, 613, m.w.N.). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zuzurechnen.
19 b) Angehörige der rechts- und steuerberatenden Berufe müssen für eine zuverlässige Fristenkontrolle sorgen und die Organisation des Bürobetriebs so gestalten, dass Fristversäumnisse vermieden werden (u.a. , BFH/NV 2011, 1909, m.w.N.). Wird —wie im Streitfall— Wiedereinsetzung wegen eines entschuldbaren Büroversehens begehrt, muss substantiiert und schlüssig vorgetragen werden, dass kein Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte alle Vorkehrungen getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind (u.a. , BFH/NV 2012, 440).
20 c) Bei einer elektronischen Fristenkontrolle gelten keine geringeren Anforderungen (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1909). Dementsprechend ist ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Organisationsverschulden anzunehmen, wenn ein Prozessbevollmächtigter, der den rechts- und steuerberatenden Berufen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO) angehört, einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet und die dort vorgenommenen Eintragungen nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker kontrolliert werden (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungsreport Zivilrecht 2006, 500; , BFH/NV 2002, 44, jeweils m.w.N.).
21 d) Danach hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der zu den Berufsträgern i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO gehört, die Frist zur Begründung der Revision nicht ohne Verschulden versäumt. Er hat nach seinen eigenen Angaben versehentlich eine falsche Frist in den elektronischen Kalender eingegeben, in welchem er den Ablauf der Frist zur Begründung der Revision notiert hat. Eine Überprüfung der Eingaben in diesen elektronischen Fristenkalender, die geeignet wäre, insbesondere bei hoher Arbeitsbelastung auftretende Fehleingaben rechtzeitig zu korrigieren, war jedoch dem dargelegten organisatorischen Ablauf zufolge nicht vorgesehen. Wie sich den Angaben im Wiedereinsetzungsantrag entnehmen lässt, ist eine Kontrolle der Eingabe offenbar auch tatsächlich nicht erfolgt. Insbesondere ist auch ein Ausdruck der —fehlerhaft— eingegebenen Frist zu Kontrollzwecken unterblieben. Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist der Klägerin zuzurechnen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 1117 Nr. 7
DStR 2013 S. 14 Nr. 28
FAAAE-36806