Instanzenzug:
Gründe
I.
1 Die Klägerin nimmt die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns (im Folgenden: Zedent) auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V. 4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.
2 Der Zedent zeichnete nach vorheriger Beratung durch eine Mitarbeiterin der Beklagten am eine Beteiligung an V 4 im Nennwert von 25.000 € zuzüglich Agio in Höhe von 1.250 € wobei ein Anteil in Höhe von 45,5% der Beteiligungssumme an V 4 durch ein endfälliges Darlehen der H. finanziert wurde.
3 Nach dem Inhalt des Verkaufsprospektes sollten 8,9% der Zeichnungssumme sowie das jeweilige Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte ausweislich der Prospekte ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von mindestens 8,5% der jeweiligen Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Zedenten im Beratungsgespräch offengelegt wurde.
4 Die Klägerin verlangt mit ihrer Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler die Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe von 14.875 € und die Erstattung von 791 € an das Finanzamt gezahlter Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.295,51 €, jeweils nebst Zinsen. Ferner begehrt sie die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten mit der Rücknahme der Beteiligung sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des durch den Erwerb der Beteiligungen entstandenen oder noch entstehenden Schadens und zur Zahlung des Betrages, der zur Ablösung des vom Zedenten aufgenommenen Darlehens erforderlich ist.
5 Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Die Berufungen beider Parteien hiergegen sind ganz überwiegend erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten konkludent ein Beratungsvertrag zustande gekommen sei, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, den Zedenten darauf hinzuweisen, dass sie von der V. AG aufklärungspflichtige Rückvergütungen in Höhe von mindestens 8,5% des Zeichnungskapitals erhalten habe. Diese Verpflichtung habe die Beklagte schuldhaft verletzt. Für die Klägerin streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens des Zedenten, die die Beklagte nicht widerlegt habe.
II.
6 Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom - XI ZR 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
7 1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Zedenten über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Zedenten über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 24 f. mwN).
8 2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Zedent hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).
10 3. Entgegen der Rechtsansicht der Nichtzulassungsbeschwerde bedurfte es auch keiner Erörterung durch das Berufungsgericht, ob von dieser Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin nur dann auszugehen ist, wenn der Zedent bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt, er sich also nicht in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Wie der erkennende Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und eingehend begründet hat, ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungskonfliktes mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr dafür, wie sich der Anleger bei gehöriger Aufklärung verhalten hätte, nicht zu vereinbaren, weshalb die Beweislastumkehr bereits bei einer - wie hier - feststehenden Aufklärungspflichtverletzung eingreift (Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 30 ff. mwN).
11 4. Das angegriffene Urteil verletzt jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
12 a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006, 1007). Die Vorschrift gebietet außerdem die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge, gewährt allerdings keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt (BVerfG, WM 2012, 492, 493 mwN). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt dabei eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus, das heißt, im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.; BVerfG, NJW 2000, 131; Senatsbeschluss vom - XI ZR 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).
13 b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
14 aa) Die Beklagte hat mit ihren Schriftsätzen vom und vom vorgetragen, dass für den Zedenten bei seinem Anlageentschluss allein die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen sowie das Sicherungskonzept der Schuldübernahme relevant, andere Aspekte jedoch bedeutungslos gewesen seien. Diese für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände habe der Zedent der Mitarbeiterin der Beklagten im Vertriebsgespräch mitgeteilt. Zum Nachweis dieser Behauptungen hat sich die Beklagte auf das Zeugnis des Zedenten sowie das ihrer Mitarbeiterin S. berufen.
15 bb) Dieser unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten zum Motiv des Zedenten, sich an V 4 zu beteiligen, ist erheblich (vgl. Senatsurteil vom XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 52 ff.). Das Berufungsgericht hat sich damit nicht befasst, sondern im Hinblick auf das Urteil des OLG Frankfurt/Main vom (OLGR Frankfurt 2009, 828 ff.) lediglich die Frage erörtert, ob der Zedent verpflichtet war, sich nach etwaigen Vergütungen der Beklagten zu erkundigen. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. nur Senatsurteil vom - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 17 mwN) nicht der Fall. Die Tatsache, dass ein Anleger nicht von sich aus dazu verpflichtet ist, nach möglichen Vergütungen der ihn beratenden Bank durch Dritte zu fragen, sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich der Anleger im Falle einer ungefragten Offenlegung der vereinnahmten Rückvergütungen durch die Bank verhalten hätte. Dass das Berufungsgericht demgegenüber den Vortrag der Beklagten zum Nichteingreifen der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens völlig übergangen hat, lässt sich nach den Umständen des Falles nur damit erklären, dass es dieses Vorbringen der Beklagten bei seiner Entscheidung überhaupt nicht erwogen hat.
16 5. Die unterlassene Vernehmung des Zedenten sowie der Anlageberaterin als Zeugen für diese Behauptungen verletzt den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, denn das Berufungsurteil beruht auf dieser Verletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Die Gehörsverletzung führt nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Zulassung der Revision, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (, BGHZ 154, 288, 296 f.), und rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache.
17 6. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zusammen mit den vorgetragenen Indizien (Senatsurteil vom XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 42 ff.) zu würdigen haben. Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitätsvermutung in Bezug auf verheimlichte Rückvergütungen als widerlegt ansehen, wird es sich auch mit den von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen durch unter anderem unrichtige Angaben der Anlageberater der Beklagten über durch Kapitalgarantien verschiedener Banken sichergestellte 100%ige Geldrückflüsse auseinanderzusetzen haben (vgl. Henning, WM 2012, 153 ff.; auch Senatsbeschluss vom XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
FAAAE-35954