BGH Beschluss v. - VIII ZB 64/12

Mietrechtsstreit: Anforderungen an eine Berufungsbegründungsschrift nach Verurteilung des gekündigten Wohnraummieters zur Räumung

Gesetze: § 246 Abs 1 ZPO, § 520 Abs 3 Nr 1 ZPO, § 520 Abs 3 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: LG Wiesbaden Az: 3 S 87/12 Beschlussvorgehend LG Wiesbaden Az: 3 S 87/12vorgehend AG Wiesbaden Az: 91 C 4853/11 (11)

Gründe

I.

1Die klagende Erbengemeinschaft nimmt den Beklagten, den Sohn der Erblasserin, nach einer Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB auf Räumung einer Mietwohnung in Anspruch. Die Erblasserin hatte die Kündigung darauf gestützt, dass sie durch das Mietverhältnis an einer Veräußerung ihrer Immobilie zu einem vertretbaren Preis gehindert sei und den Erlös zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts benötige. Kurz vor der Verkündung des der Klage stattgebenden Urteils des Amtsgerichts ist die - durch ihre Betreuerin anwaltlich vertretene - Erblasserin verstorben und vom Beklagten und dessen Schwestern beerbt worden.

2Nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am hat der Beklagte in einem an das Amtsgericht gerichteten Anwaltsschriftsatz vom unter anderem mitgeteilt, dass er das Urteil für nichtig halte, weil die Klägerin vor Erlass des Urteils verstorben und durch ihre drei Kinder beerbt worden sei; er beantrage "förmliche Bescheidung über die Nichtigkeit". Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom hat der Beklagte ferner - unter Bezugnahme auf "die Grundzüge vor § 50 ZPO Randnote 20 bei Baumbach/Lauterbach" - die Ansicht geäußert, dass die Klage "mangels Bestehen der Klagepartei" als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen. Ob das gleichwohl ergangene Sachurteil "wirkungslos" oder "nichtig" sei, sei für ihn nicht von Bedeutung, er wolle aber eine Berufung oder ein neues Verfahren aus Kostengründen vermeiden.

3Mit Anwaltsschriftsatz vom hat der Beklagte mit dem Antrag, das aufzuheben und die Klage abzuweisen, Berufung beim zuständigen Landgericht eingelegt. Dabei hat er Kopien der Schriftsätze vom 23. Juli und beigefügt und auf diese zur Begründung seines Rechtsmittels Bezug genommen. Mit Anwaltsschriftsatz vom , beim Berufungsgericht am eingegangen, hat er weiter vorgetragen, dass die Grundlage der ordentlichen Kündigung, die Sicherung des Lebensunterhalts der Mutter, mit deren Tod entfallen sei und der Amtsrichter das Urteil in Kenntnis des Todes der Mutter erlassen habe.

4Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 bis 4 ZPO entspreche, weil der Beklagte nicht dargelegt habe, woraus sich eine Rechtsverletzung des angefochtenen Urteils oder eine unrichtige oder unvollständige Tatsachenfeststellung ergebe. Die pauschale Bezugnahme auf Schriftsätze vor und nach der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils ersetze eine wenigstens im Ansatz nachvollziehbare Begründung nicht.

II.

51. Die nach Maßgabe des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß den nachstehenden Ausführungen eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

62. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung des Beklagten den gemäß § 520 Abs. 3 ZPO zu stellenden Anforderungen.

7Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die von dem Beklagten gestellten Berufungsanträge den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO genügen; denn sie lassen erkennen, in welchem Umfang der Beklagte eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.

8Von Rechtsirrtum beeinflusst ist hingegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung nenne keine Umstände, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergebe (§ 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Denn diese Anforderungen sind bereits dann gewahrt, wenn die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, und zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit die Umstände mitteilt, die das Urteil aus Sicht des Rechtsmittelführers in Frage stellen. Ob die von ihm erhobenen Rügen schlüssig oder auch nur vertretbar sind, ist ohne Belang (Senatsbeschlüsse vom - VIII ZB 13/10, WuM 2011, 48 Rn. 7, sowie vom - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580 unter II 3 b aa mwN; , BauR 2010, 248 Rn. 5).

9Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung gerecht. Denn der Beklagte hat darin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Klage nach seiner Rechtsauffassung als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen, weil die Sachurteilsvoraussetzungen wegen des Todes der ursprünglichen Klägerin nicht mehr vorgelegen hätten. Dass dies im Wesentlichen in dem in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Schriftsatz vom geschehen ist, ist unschädlich, denn es handelt sich nicht um eine - unzulässige - pauschale Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Sachvortrag; vielmehr hat der Beklagte in dem in Bezug genommenen Schriftsatz konkret ausgeführt, aus welchen Gründen seiner Auffassung nach ein Sachurteil nicht hätte ergehen dürfen. Ob die vom Beklagten zur Begründung seines Rechtsmittels vertretene Auffassung vertretbar ist (vgl. § 246 Abs. 1 ZPO), ist für die Zulässigkeit der Berufung - wie ausgeführt - ohne Bedeutung. Darüber hinaus hat der Beklagte seine Berufung damit begründet, dass mit dem Tod der Klägerin auch die Grundlage für die ordentliche Kündigung entfallen sei. Dies ist dahin zu verstehen, dass der Beklagte die Kündigung aus diesem Grund für unwirksam hält oder zumindest geltend macht, dass sich die Klägerseite nicht mehr auf sie berufen könne, so dass der Räumungsanspruch nicht (mehr) bestehe. Auch hierin liegt eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (noch) genügende Berufungsbegründung; auf die Schlüssigkeit der Ausführungen kommt es wiederum nicht an.

Ball                             Dr. Milger                                Dr. Hessel

           Dr. Achilles                           Dr. Schneider

Diese Entscheidung steht in Bezug zu


Fundstelle(n):
AAAAE-35600