BAG Urteil v. - 6 AZR 5/12

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 2 Ca 862/10 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 1666/10 Versäumnisurteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 1666/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten noch über eine ordentliche betriebsbedingte Beendigungskündigung.

2Die Beklagte, eine Aktiengesellschaft nach griechischem Recht mit Sitz in Athen, ist eine ehemalige Fluggesellschaft, deren Hauptanteilseigner der griechische Staat ist. Sie unterhielt in Deutschland eine Niederlassung in F mit 36 Arbeitnehmern. Daneben waren weitere 33 Arbeitnehmer in den Stationen M, S, B und D tätig. An allen Standorten bestand ein Betriebsrat, zudem war ein Gesamtbetriebsrat gebildet.

3Zur Aufrechterhaltung des Flugbetriebs gewährte der griechische Staat der Beklagten in der Vergangenheit wiederholt Leistungen, was zur Einleitung mehrerer Verfahren wegen unionsrechtswidriger Beihilfen durch die Europäische Kommission führte. Im Jahr 2008 unterrichtete Griechenland die Europäische Kommission gemäß Art. 88 Abs. 3 EGV (jetzt: Art. 108 Abs. 3 AEUV) über Pläne, bestimmte Vermögenswerte ua. der Beklagten an die P S.A. zu verkaufen und im Anschluss die Beklagte zu liquidieren. Im September 2008 entschied daraufhin die Kommission, dass die gemeldete Maßnahme keine staatliche Beihilfe iSv. Art. 87 Abs. 1 EGV (jetzt: Art. 107 Abs. 1 AEUV) darstelle.

Im Anschluss verabschiedete der griechische Gesetzgeber mit Wirkung zum das Gesetz 3710/2008, mit dessen Artikel 40 in das Gesetz 3429/2005 Artikel 14 A neu hinzugefügt wurde. Art. 14 A lautet in der beglaubigten Übersetzung auszugsweise:

5Im Zuge der Umsetzung des der Europäischen Kommission vorgestellten Privatisierungsverfahrens stellte die Beklagte Ende September 2009 den Flugbetrieb weltweit ein. Anschließend nahm die P S.A. den Flugbetrieb in Griechenland auf, ohne Ziele von und nach Deutschland anzusteuern, und firmierte Anfang Oktober 2009 zur Ol Air S.A. um.

6Auf Antrag der Griechischen Republik vom unterstellte das Berufungsgericht Athen (Efeteio) mit Beschluss vom die Beklagte der Sonderliquidation nach Art. 14 A des Gesetzes 3429/2005 und setzte die E S.A., eine Aktiengesellschaft griechischen Rechts mit Sitz in Athen, als Liquidatorin ein. Bereits am war in der Zeitung der Regierung der Griechischen Republik (Band Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Bl. Nr. 3847) ein Protokoll des Verwaltungsrats der E S.A. veröffentlicht worden. Danach hatte dieser entschieden, dem Direktor T und dem geschäftsführenden Ratsmitglied Ma, mit der Möglichkeit, dass jeder getrennt handelt, die volle Verwaltungs- und Vertretungsmacht der Gesellschaft zu übertragen, für alle Fragen außer denjenigen, welche, nach dem Gesetz, eine kollektive Handlung des Verwaltungsrats erfordern. Im Rahmen ihrer Handlungsmacht sollten diese Mitglieder des Verwaltungsrats das Recht haben, unter Gewährung von diesbezüglichen notariellen Vollmachten oder Vollmachtsurkunden die Ausführung konkreter Aufträge zur Vertretung der Gesellschaft vor Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden oder gegenüber Dritten an Angestellte der Gesellschaft oder andere zu übertragen.

7Von August bis Dezember 2009 fanden in Deutschland zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat Interessenausgleichsverhandlungen vor der Einigungsstelle statt. Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich scheiterten, der Sozialplan vom erging als Spruch der Einigungsstelle.

8Die mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Klägerin war seit August 1970 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der O A S.A., als Customer Relations Superintendent in F beschäftigt.

Mit Schreiben vom leitete Rechtsanwalt G, der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, die Anhörung des Betriebsrats der Niederlassung F zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. In diesem Schreiben ist ua. ausgeführt:

Ebenfalls am erstattete die Beklagte bei der Agentur für Arbeit F eine Massenentlassungsanzeige zur Beendigung aller 36 Arbeitsverhältnisse. Mit Schreiben vom bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Massenentlassungsanzeige „vom der O S.A.“ und teilte mit:

Mit weiterem Schreiben vom teilte die Agentur für Arbeit darüber hinaus mit:

12Wegen fehlender Originalvollmacht rügte der Betriebsrat mit Schreiben vom die eingeleitete Betriebsratsanhörung nach § 174 BGB und teilte mit, er habe die beabsichtigte Kündigung nur hilfsweise behandelt und widerspreche der Kündigung.

Nach Erteilung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch Bescheid des zuständigen Landeswohlfahrtsverbands H vom kündigte Rechtsanwalt G „namens und in Vollmacht des Sonderliquidators“ das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom zum . Im Betreff dieses Schreibens ist angegeben:

14Dem Kündigungsschreiben war eine von Herrn Ma für die E S.A. unterzeichnete, auf Rechtsanwalt G lautende Originalvollmacht beigefügt. Ebenso kündigte Rechtsanwalt G die Arbeitsverhältnisse aller anderen Arbeitnehmer der Beklagten in Deutschland.

15Mit ihrer fristgerecht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. In der Klageschrift ist als Beklagte die „E S.A., gesetzlich vertreten durch den Geschäftsführer Herrn Ma … als Sonderliquidator über das Vermögen der Firma O S.A.“ angegeben. Der Klageschrift war eine Ablichtung des Kündigungsschreibens beigefügt.

16Soweit für die Revision von Bedeutung, hat die Klägerin erstmals in der Berufungsinstanz geltend gemacht, es liege keine ordnungsgemäße Anzeige iSd. § 17 KSchG vor. Der Agentur für Arbeit seien die Anhörungsschreiben an den Betriebsrat nicht übermittelt worden. Darüber hinaus sei ihr eine falsche Mitarbeiterzahl mitgeteilt worden. Auch die in B beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten hätten mitgeteilt werden müssen.

Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt

18Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag ua. damit begründet, sie habe die ihr nach § 17 KSchG obliegenden Pflichten erfüllt. Mit der Betriebsratsanhörung sei der Betriebsrat auch nach § 17 Abs. 2 KSchG informiert worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat im Termin vom durch Versäumnisurteil die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und dieses nach dem fristgerechten Einspruch der Klägerin aufrechterhalten. Es hat ua. angenommen, die Kündigung sei nicht gemäß § 17 KSchG iVm. § 134 BGB unwirksam. Zwar sei das Verfahren im Rahmen der Massenentlassungsanzeige fehlerhaft gewesen. Diese Fehler seien jedoch durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt der Agentur für Arbeit geheilt. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel in Bezug auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung weiter.

Gründe

20Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat den ihr nach § 17 KSchG obliegenden Pflichten in mehrfacher Weise nicht genügt. Sie hat kein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG mit dem dafür zuständigen Gesamtbetriebsrat durchgeführt. Zudem war der Massenentlassungsanzeige entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats beigefügt. Die Beklagte hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG vorgelegen haben, so dass die Beifügung der Stellungnahme entbehrlich gewesen wäre. Die Massenentlassungsanzeige war deshalb unwirksam. Diese Unwirksamkeit ist, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, durch die Schreiben der Agentur für Arbeit vom nicht geheilt worden. Die Kündigung der Beklagten vom ist deshalb unwirksam.

21A. Die deutschen Gerichte sind auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig. Der für die Anwendung der EuGVVO erforderliche Auslandsbezug (vgl. dazu  - [Lindner] Rn. 29, ZIP 2011, 2377) ergibt sich daraus, dass die Beklagte ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat (vgl.  - [Owusu] Rn. 26, Slg. 2005, I-1383). Das vorliegende Kündigungsschutzverfahren ist kein Annexverfahren iSd. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO), bei dem aufgrund der Bereichsausnahme in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b EuGVVO die internationale Zuständigkeit den Gerichten des Staats der Verfahrenseröffnung, hier also den griechischen Gerichten, zugeordnet wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das über das Vermögen der Beklagten mit Beschluss des Berufungsgerichts Athen vom eröffnete Sonderliquidationsverfahren nach Art. 14 A des Gesetzes 3429/2005 idF des Art. 40 des Gesetzes 3710/2008 (künftig: Sonderliquidationsverfahren) ein Insolvenzverfahren iSv. Art. 2 Buchst. a EuInsVO darstellt. Kündigungsschutzklagen gegen eine wie hier nach deutschem Recht erklärte Kündigung fehlt der spezifische Insolvenzbezug, um den für die Annahme eines Annexverfahrens erforderlichen engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren zu bejahen. Dies gilt auch dann, wenn die kurze Kündigungsfrist des § 113 InsO maßgeblich sein soll. Solche Klagen haben ihren Rechtsgrund nicht im Insolvenzrecht, sondern im Arbeitsrecht. Für solche Verfahren bestimmt sich die internationale Zuständigkeit deshalb nach der EuGVVO und nicht nach der EuInsVO (ausführlich  - Rn. 16 ff., ZIP 2012, 2312). Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich, wenn nicht gemäß Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO aus dem Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsorts, so jedenfalls aufgrund der rügelosen Einlassung der Beklagten aus Art. 24 EuGVVO.

22B. Die Beklagte als Schuldnerin ist, vertreten durch die E S.A. als Sonderliquidatorin, passivlegitimiert. Die Auswirkungen der Bestellung der E S.A. zur Liquidatorin über das Vermögen der Beklagten als Schuldnerin sowie ihre Befugnisse und ihre Rechtsstellung als Liquidatorin beurteilen sich unabhängig davon, ob das Sonderliquidationsverfahren ein Insolvenzverfahren iSv. Art. 2 Buchst. a EuInsVO darstellt, nach griechischem Recht. Einer Vorlage nach Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Klärung dieser Frage bedarf es darum nicht.

23I. Gemäß Art. 14 A Ziff. 4 Satz 1 des Gesetzes 3429/2005 hat die Sonderliquidation nicht die Auflösung des Schuldnerunternehmens zur Folge. Der Liquidator wird nicht Rechtsnachfolger des Unternehmens. Vielmehr werden gemäß Art. 14 A Ziff. 4 Satz 3 des Gesetzes 3429/2005 die Geschäfte dieses Unternehmens von dem Liquidator, der das Unternehmen vertritt, lediglich geführt. Anders als im deutschen Recht verbleibt damit die Arbeitgeberstellung bei dem Schuldnerunternehmen.

24II. Diese nach dem griechischen Recht vorliegende Rechtsstellung von Schuldnerunternehmen und Liquidator ist vorliegend maßgeblich.

251. Sollte das Sonderliquidationsverfahren nach Maßgabe der Art. 16 und Art. 17 EuInsVO anzuerkennen sein, weil für Griechenland das Sonderliquidationsverfahren im Anhang A zur EuInsVO und der Sonderliquidator im Anhang C aufgeführt sind (in diesem Sinne wohl Mankowski Anm. NZI 2011, 876, 877), wäre gemäß Art. 4 EuInsVO iVm. Art. 18 Abs. 1 EuInsVO für die Befugnisse der Beklagten als Schuldnerin und der E S.A. als Liquidatorin griechisches Recht maßgeblich (lex fori concursus).

262. Wäre das Sonderliquidationsverfahren vom closed-list-system der EuInsVO nicht erfasst und damit der Anwendungsbereich dieser Verordnung nicht eröffnet, bestimmten sich die Befugnisse von Schuldnerin und Liquidatorin gemäß § 335 InsO ebenfalls nach griechischem Recht.

27a) In diesem Fall käme eine Anerkennung dieses Verfahrens nach dem in den §§ 335 ff. InsO normierten deutschen autonomen Internationalen Insolvenzrecht in Betracht (vgl.  - Rn. 11, BGHZ 188, 177; Stephan in HK-InsO 6. Aufl. Vor §§ 335 ff. Rn. 18 ff.; HambKomm/Undritz 4. Aufl. Vorbemerkungen zu §§ 335 ff. InsO Rn. 15; Mankowski Anm. NZI 2011, 876, 877; ders. WM 2011, 1201, 1202). Die EuInsVO verdrängt das autonome nationale Recht außerhalb ihres Anwendungsbereichs nicht. Wird ein nationales Insolvenzverfahren von den Anhängen der EuInsVO nicht erfasst, verbleibt ein Spielraum, den das nationale Internationale Insolvenzrecht nutzen kann (Mankowski Anm. NZI 2011, 876, 877). Dies nimmt den Definitionen der EuInsVO als speziellerer Regelung des europäischen Internationalen Insolvenzrechts und deren Anhängen nicht die praktische Wirksamkeit (aA Cranshaw DZWIR 2012, 133, 134). Für die von ihren Anhängen nicht erfassten Verfahren reklamiert die EuInsVO keine Geltung und entfaltet daher keine Regelungssperre für das nationale autonome Internationale Insolvenzrecht. Insoweit gilt nichts anderes als für die Bereichsausnahmen des Art. 1 Abs. 2 EuInsVO (vgl. dazu MünchKommBGB/Kindler 5. Aufl. Bd. 11 Vor §§ 335 ff. InsO Rn. 3).

28b) Wäre das Sonderliquidationsverfahren nach § 343 InsO anzuerkennen, so bestimmten sich die Befugnisse von Schuldnerin und Liquidatorin gemäß § 335 InsO ebenfalls nach griechischem Recht als dem lex fori concursus (vgl. LSZ/Smid Internationales Insolvenzrecht 2. Aufl. InsO § 335 Rn. 8; MünchKommInsO/Reinhart 2. Aufl. § 335 Rn. 65).

29c) Sollte das Sonderliquidationsverfahren dagegen nicht als Insolvenzverfahren iSd. §§ 335 ff. InsO zu qualifizieren sein, so dass eine Anerkennung nach § 343 InsO ausschiede, wäre die gesellschaftsrechtliche Frage, wie die Beklagte als Schuldnerin (organschaftlich) vertreten ist, gleichwohl nach griechischem Recht zu beantworten. Das Gesellschaftsstatut richtet sich nach dem Gründungsstatut und damit für die in Griechenland gegründete Beklagte nach griechischem Recht. Nach allgemeiner Auffassung, die sich auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Sachen Centros ( - C-212/97 - Slg. 1999, I-1459), Überseering ( - C-208/00 - Slg. 2002, I-9919) und Inspire Art ( - C-167/01 - Slg. 2003, I-10155) stützt, richtet sich das Gesellschaftsstatut von Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind, nicht nach ihrem Verwaltungssitz, sondern nach ihrem Gründungsort, weil nur so die europarechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit gewährt werden kann (vgl.  - Rn. 22, BGHZ 190, 364).

30C. Die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung der Beklagten bestimmt sich nach deutschem Arbeitsrecht. Auch insoweit kann dahinstehen, ob das Sonderliquidationsverfahren der EuInsVO unterfällt, so dass auch zur Klärung der sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen keine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union erforderlich ist.

31I. Ist der Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet, ist gemäß Art. 10 EuInsVO für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats maßgeblich, das auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist (lex causae). Wäre das Sonderliquidationsverfahren nach § 343 InsO anzuerkennen, wäre gemäß § 337 InsO ebenfalls das Arbeitsvertragsstatut maßgeblich. Die Bestimmung des § 337 InsO ist Art. 10 EuInsVO nachgebildet (vgl. BT-Drucks. 15/16 S. 18). Das Recht des Staats, dem das Arbeitsverhältnis unterliegt, soll auch die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diese Rechtsbeziehung bestimmen (Braun/Tashiro InsO 5. Aufl. § 337 Rn. 3). Läge überhaupt kein anzuerkennendes Insolvenzverfahren vor, wäre nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts zu bestimmen, welches Recht Anwendung fände.

32II. In allen drei denkbaren Konstellationen ist nach den vorliegend noch maßgeblichen Art. 27, 30 und 34 EGBGB zu ermitteln, welches Recht Anwendung findet. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Feststellungen des Arbeitsgerichts angenommen, dass nach diesen Kollisionsregeln des Internationalen Privatrechts für das Arbeitsverhältnis der Parteien deutsches Arbeitsrecht maßgeblich ist. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich, und die Feststellung wird auch von keiner Partei angegriffen.

33D. Die Kündigung der Beklagten gilt nicht bereits nach § 7 Halbs. 1 KSchG als rechtswirksam. Die Klage, die sich gegen die „E S.A. … als Sonderliquidator über das Vermögen der Firma O S.A.“ richtete, hat die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt.

34I. Ist eine Parteibezeichnung nicht eindeutig, ist die Partei durch Auslegung zu ermitteln. Selbst bei äußerlich eindeutiger, aber offenkundig unrichtiger Bezeichnung ist grundsätzlich diejenige Person als Partei angesprochen, die erkennbar durch die Parteibezeichnung betroffen werden soll. Es kommt darauf an, welcher Sinn der von der klagenden Partei in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts beizulegen ist. Ergibt sich aus den gesamten Umständen, wer als beklagte Partei gemeint ist, kann das Rubrum unbedenklich „berichtigt“ werden. Das gilt vor allem dann, wenn der Klageschrift das Kündigungsschreiben beigefügt ist, aus dem sich ergibt, von wem die Kündigung erklärt ist. Entscheidend ist, dass die rechtliche Identität gewahrt bleibt. Bleibt die Partei nicht dieselbe, handelt es sich um eine Parteiänderung. Eine ungenaue oder erkennbar falsche Parteibezeichnung kann dagegen jederzeit von Amts wegen richtiggestellt werden. Dies kann auch noch durch das Revisionsgericht geschehen (vgl. für die st. Rspr. zuletzt  - Rn. 18 f. mwN).

35II. Nach diesen Grundsätzen ist die unrichtige Bezeichnung der Beklagten in der Klageschrift dahin auszulegen, dass sich die Klage von vornherein gegen die O S.A. unter Sonderliquidation, vertreten durch die Liquidatorin E S.A., gerichtet hat und mit ihr die Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt worden ist. Für die Beklagte war erkennbar, dass die Kündigungsschutzklage gegen sie erhoben werden sollte. Dafür spricht insbesondere das der Klageschrift beigefügte Kündigungsschreiben. Daraus ist ersichtlich, dass die Kündigung unter dem Betreff „O S.A. ./. … hier: Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ erfolgt ist und der Unterzeichner die E S.A. „als Sonderliquidator“ über das Vermögen der O S.A. vertritt. Damit konnten bei objektiver Würdigung keine berechtigten Zweifel bestehen, dass sich die Klage von Anfang an gegen die Beklagte und nicht gegen die E S.A., die die Kündigung nur als Vertreterin hat erklären lassen, richten sollte. Der Senat hat deshalb die ungenaue Parteibezeichnung richtiggestellt.

36E. Die Klage ist nicht unschlüssig, weil die Klägerin behauptet, ihr Arbeitsverhältnis sei im Wege eines Betriebsübergangs bereits Ende September 2009, also vor Zugang der Kündigung vom , auf die Ol S.A. übergegangen. Sie hat die Unwirksamkeit der Kündigung nicht allein aus dem von ihr angenommenen Betriebsübergang auf die Ol S.A. hergeleitet, sondern weitere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht. Sie hat sich damit das Vorbringen der Beklagten, es liege kein Betriebsübergang vor, stillschweigend hilfsweise zu eigen gemacht und ihre Klage auch hierauf gestützt. Damit ist die Klage jedenfalls nach dem Hilfsvorbringen schlüssig ( - Rn. 20, EzA BGB 2002 § 613a Nr. 132).

37F. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestand das zwischen der Klägerin und der Beklagten begründete Arbeitsverhältnis noch. Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis nicht auf die Ol S.A. übergegangen, weil das Arbeitsverhältnis der Klägerin keinem etwaig übergegangenen Betriebsteil zuzuordnen ist.

38G. Die Beklagte hat den ihr nach § 17 KSchG obliegenden Pflichten in mehrfacher Weise nicht genügt. Dies führt zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige und hat die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Darum kann dahinstehen, ob die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Unwirksamkeitsgründe vorliegen.

39I. Die am angezeigte Maßnahme war nach § 17 KSchG anzeigepflichtig. Alle in der Niederlassung F beschäftigten 36 Arbeitnehmer sollten entlassen werden. Damit war der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG überschritten. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

40II. Die Beklagte hat das nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderliche Konsultationsverfahren nicht durchgeführt.

411. Die Prüfung der Durchführung des Konsultationsverfahrens war dem Landesarbeitsgericht nicht verwehrt, obwohl die Klägerin nicht ausdrücklich Fehler der Beklagten bei der Durchführung des Konsultationsverfahrens gerügt, sondern nur geltend gemacht hatte, der Agentur für Arbeit seien „die Anhörungsschreiben an den Betriebsrat“ nicht übermittelt worden und ihr sei eine zu geringe Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer mitgeteilt worden.

42a) Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und gegebenenfalls beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 17 KSchG. Steht die Anzeigepflicht fest, trifft die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nach § 17 KSchG den Arbeitgeber, weil die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung ist. Der Arbeitgeber hat also grundsätzlich die Einhaltung der Voraussetzungen des § 17 KSchG darzulegen und zu beweisen. Der Umfang der jeweils erforderlichen Substantiierung des Vortrags ergibt sich nach den allgemeinen Regeln zur Verteilung der Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist ( - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 17 Nr. 39 = EzA KSchG § 17 Nr. 25;  - NJW 2011, 3291). Hat der Arbeitgeber substantiiert dargelegt, dass und mit welchem Inhalt er das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt und Massenentlassungsanzeige erstattet hat, darf sich der Arbeitnehmer demnach nicht darauf beschränken, die ordnungsgemäße Durchführung des Massenentlassungsverfahrens pauschal zu bestreiten. Er muss sich vielmehr vollständig über den vom Arbeitgeber vorgetragenen Sachverhalt erklären und im Einzelnen darlegen, welche Fehler des Verfahrens er rügen will. Er muss deutlich machen, welche Angaben er für zutreffend erachtet und welche nicht (vgl.  - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4; vgl. für das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG  - zu II 1 b der Gründe, AP ZPO § 138 Nr. 11 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 12; - 2 AZR 75/99 - zu II 2 der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179).

43b) Trägt jedoch der Arbeitgeber ohne Rüge des Arbeitnehmers zu dem von ihm durchgeführten Massenentlassungsverfahren vor und ist daraus eindeutig ersichtlich, dass den Anforderungen des § 17 KSchG nicht genügt ist, hat das Gericht derartige Unwirksamkeitsgründe von Amts wegen zu berücksichtigen. Gleiches gilt, wenn sich, wie im vorliegenden Fall, solche Unwirksamkeitsgründe aus vom Arbeitgeber in das Verfahren eingeführten Unterlagen eindeutig ergeben. Nach allgemeinen zivilprozessualen Regeln ist ein Klageantrag -  unter Beachtung des Streitgegenstands - unter allen aufgrund des Sachvortrags der Parteien in Betracht kommenden rechtlichen Gründen zu prüfen. Wenn sich aus dem Sachvortrag der Parteien ergibt, dass die Kündigung unter einem vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage erfassten rechtlichen Gesichtspunkt unwirksam ist, muss sich der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich darauf berufen, um im Rechtsstreit unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu obsiegen. Lediglich unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des rechtlichen Gehörs des Gegners kann vor einer entsprechenden Entscheidung ein Hinweis des Gerichts nach § 139 ZPO auf seine Rechtsauffassung geboten sein (vgl.  - Rn. 26 mwN, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4).

442. Nach diesen Grundsätzen musste das Landesarbeitsgericht berücksichtigen, dass die Beklagte kein Konsultationsverfahren mit dem zuständigen Gremium durchgeführt hatte.

45a) Die Beklagte hatte mit ihrer Klageerwiderung vorgetragen, eine Massenentlassungsanzeige am erstattet zu haben. Zugleich hatte sie die Betriebsratsanhörung vom selben Tag vorgelegt, aus der sich ersehen ließ, dass sie mit dieser ihre Pflichten nach § 17 Abs. 2 KSchG gegenüber dem örtlichen Betriebsrat erfüllen wollte, obwohl sich aus ihrem weiteren Vortrag ergab, dass sie zuvor mit dem Gesamtbetriebsrat Interessenausgleichsverhandlungen zur Stilllegung aller deutschen Betriebsstätten geführt hatte.

46b) Aus diesem unstreitigen Tatsachenvortrag der Beklagten ergaben sich eindeutige Verstöße gegen ihre Pflicht, den Betriebsrat gemäß § 17 Abs. 2 KSchG zu konsultieren.

47aa) Entgegen der im Revisionsverfahren von der Beklagten vertretenen Auffassung war das Konsultationsverfahren nicht entbehrlich, weil der Betrieb der Beklagten stillgelegt worden ist und alle Arbeitnehmer entlassen worden sind. Die Beklagte macht geltend, in einer solchen Situation habe die Arbeitnehmervertretung keine Möglichkeit, konstruktive Vorschläge zu unterbreiten, um die Massenentlassungen zu vermeiden oder auch nur zu beschränken. Die Milderung der Folgen der Massenentlassung erfolge durch den beschlossenen Sozialplan. Mit dieser Argumentation verkürzt die Beklagte den Zweck des Konsultationsverfahrens.

48(1) Die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung soll es dieser ermöglichen, konstruktive Vorschläge zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassungen zu unterbreiten ( - Rn. 60 mwN, ZIP 2012, 2412). Die Beratungen mit der Arbeitnehmervertretung müssen sich dabei nicht auf die Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen beziehen. Sie können auch die Möglichkeit betreffen, die Folgen solcher Entlassungen durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Dabei kann es sich insbesondere um Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulungen der entlassenen Arbeitnehmer handeln ( ua. - [Claes] Rn. 56, NZA 2011, 337).

49(2) Solche Beratungen, die vor allem auf die Zahlung von Abfindungen oder die Einrichtung einer Transfergesellschaft zielen, sind zwar auch Gegenstand der Sozialplanverhandlungen, insbesondere dann, wenn über einen Transfersozialplan verhandelt wird, der von der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 110 SGB III (bis zum § 216a SGB III) gefördert werden soll. Unabhängig davon handelt es sich dabei um unterschiedliche Verfahren, die nicht vollständig deckungsgleich sind. Auch bei einer geplanten Betriebsstilllegung muss deshalb bei Vorliegen der jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen nicht nur das Verfahren nach den §§ 111 ff. BetrVG, sondern auch das nach § 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt werden. Die verschiedenen Beteiligungsverfahren können lediglich, soweit die Pflichten nach den unterschiedlichen Verfahren übereinstimmen, miteinander verbunden und damit vom Arbeitgeber gleichzeitig erfüllt werden. Eine solche Verbindung verletzt keine unionsrechtlichen Vorgaben (vgl.  - Rn. 47 ff., ZIP 2012, 2412). Das Konsultationsverfahren ist nur dann entbehrlich, wenn kein Arbeitgeber mehr vorhanden ist, der als Ansprechpartner für Verhandlungen dienen könnte. Ein solcher Fall liegt bei der Stilllegung eines von einer natürlichen Person geführten Betriebs infolge des Tods des Arbeitgebers, der nach dem spanischen Recht die Beendigung der Arbeitsverträge zur Folge hat, vor ( - [Rodgríguez Mayor] Rn. 44, Slg. 2009, I-11621), nicht aber bei einer Betriebsstilllegung wie der von der Beklagten beabsichtigten.

50bb) Die Mitteilung im Betreff des an den örtlichen Betriebsrat in F gerichteten Schreibens vom im Verfahren nach § 102 BetrVG, dieses Anhörungsschreiben sei auch die Mitteilung iSv. § 17 Abs. 2 KSchG, genügte den an ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren zu stellenden Anforderungen nicht. Zwar hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, dass die Beklagte damit das Konsultationsverfahren einleiten wollte. Es hat aber zutreffend angenommen, dass damit den an ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren zu stellenden Anforderungen nicht genügt war.

51(1) Zum einen hätte das Konsultationsverfahren mit dem Gesamtbetriebsrat durchgeführt werden müssen. Für dieses Verfahren war der Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig, weil der geplante Personalabbau auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt werden sollte und mehrere Betriebe von der Betriebsänderung betroffen waren. Die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung soll es dieser, wie ausgeführt, ermöglichen, konstruktive Vorschläge zur Vermeidung oder Einschränkung der Massenentlassungen zu unterbreiten. Sind mehrere Betriebe von einer nach einem einheitlichen Unternehmenskonzept durchgeführten Betriebsänderung betroffen, kann nur durch eine Durchführung des Konsultationsverfahrens auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats den betriebsübergreifenden Zusammenhängen Rechnung getragen werden und eine gegebenenfalls betriebsübergreifende Lösung zur Vermeidung oder Einschränkung der geplanten Massenentlassungen bzw. einer sozialen Abmilderung der Folgen einer solchen Entlassung entwickelt werden (APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 74c mwN; Hützen ZInsO 2012, 1801, 1803). Erforderliche Kenntnisse des Gesamtbetriebsrats über die betrieblichen und regionalen Verhältnisse sind dadurch gewährleistet, dass jeder örtliche Betriebsrat mindestens ein Mitglied in den Gesamtbetriebsrat entsendet (vgl.  - Rn. 28, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 165 = EzA BetrVG 2001 § 26 Nr. 3).

52Dagegen war, wovon die Beklagte zutreffend ausgegangen ist, ungeachtet des betriebsübergreifenden Charakters der der Kündigung zugrunde liegenden Unternehmerentscheidung bei der Anhörung nach § 102 BetrVG der örtliche Betriebsrat zu beteiligen. Eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist bei personellen Einzelmaßnahmen wie einer Kündigung grundsätzlich nicht begründet. Sie kommt lediglich in Betracht, wenn ein Arbeitsverhältnis zugleich mehreren Betrieben des Unternehmens zuzuordnen ist ( - Rn. 31 mwN). Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor. Bereits wegen der auseinanderfallenden Zuständigkeiten von Gesamtbetriebsrat und örtlichem Betriebsrat war deshalb eine Verbindung der Verfahren nach § 102 BetrVG und § 17 Abs. 2 KSchG vorliegend nicht möglich.

53(2) Zudem wäre der Betriebsrat durch das Schreiben vom nicht rechtzeitig iSv. § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet worden. Dabei bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung darüber, ob die Konsultationen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vor Anzeige der Massenentlassungen abgeschlossen sein müssen (vgl. dazu  - Rn. 25 ff., AP GG Art. 101 Nr. 65 = EzA KSchG § 17 Nr. 21). Jedenfalls muss die Unterrichtung des Betriebsrats im Regelfall mindestens zwei Wochen vor der Massenentlassungsanzeige erfolgen. Dies folgt aus § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG. Erklärt der Betriebsrat allerdings das Konsultationsverfahren vor Ablauf von zwei Wochen nach seiner Unterrichtung für abgeschlossen, steht der Massenentlassungsanzeige das Erfordernis einer rechtzeitigen Unterrichtung nicht entgegen (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 32). An einer solchen Erklärung der zuständigen Arbeitnehmervertretung fehlt es.

54(a) Die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (MERL) stellt allerdings derartige Anforderungen an den Zeitpunkt der Unterrichtung nicht. Zwar entsteht die Verpflichtung zur Konsultation, sobald der Arbeitgeber erwägt, Massenentlassungen vorzunehmen, oder einen Plan für solche Entlassungen aufstellt. Art. 2 Abs. 3 Satz 1 MERL fordert aber lediglich eine rechtzeitige Unterrichtung „im Verlauf der Konsultationen“. Die Auskünfte müssen also nicht unbedingt schon zu Beginn der Konsultationen erteilt werden. Vielmehr reicht es aus, dass die erforderlichen Auskünfte im Verlauf des Verfahrens erteilt werden. Erforderlich ist lediglich, dass die einschlägigen Informationen bis zum Abschluss des Konsultationsverfahrens erteilt worden sind ( - [Akavan Erityisalojen Keskusliitto] Rn. 41, 52 f., Slg. 2009, I-8163). Dieser Prozess kann gegenüber dem Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat noch unmittelbar vor Schluss der Konsultation nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG schriftlich dokumentiert werden ( - Rn. 53, ZIP 2012, 2412).

55(b) § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG verlangt, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat „rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte erteilt“. Im Unterschied zur MERL fordern § 17 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 KSchG außerdem, dass der Betriebsrat eine Stellungnahme abgibt und diese der Anzeige beigefügt wird bzw. - bei Fehlen einer solchen Stellungnahme - der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor der Anzeige ordnungsgemäß unterrichtet hat, und den Stand der Beratungen darlegt. Will der Arbeitgeber nicht das Risiko eingehen, dass die Massenentlassungsanzeige bei Erstattung zum geplanten Zeitpunkt mangels Stellungnahme des Betriebsrats unwirksam ist und er die Massenentlassung deshalb erst später als beabsichtigt wirksam anzeigen kann, muss er nach dem nationalen Recht das Konsultationsverfahren deshalb grundsätzlich mindestens zwei Wochen vor dem Zeitpunkt einleiten, zu dem er die Massenentlassungsanzeige zu erstatten beabsichtigt (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 32; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 17 Rn. 60; KR/Weigand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 57; APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 71, 117; Fitting 26. Aufl. § 102 Rn. 134a). Leitet nämlich der Arbeitgeber das Konsultationsverfahren weniger als zwei Wochen vor der beabsichtigten Anzeige ein und gibt der Betriebsrat keine abschließende Stellungnahme ab oder genügt diese den gesetzlichen Anforderungen nicht (vgl. dazu  - Rn. 53, ZIP 2012, 1822), ist dem Arbeitgeber die Erstattung einer wirksamen Massenentlassungsanzeige unmöglich, weil die Voraussetzungen für eine Ersetzung der Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG jedenfalls noch nicht vorliegen. Nur dann, wenn der Betriebsrat bei einer solchen kurzfristigen Konsultation eine ausreichende und abschließende Stellungnahme abgegeben hat, kann der Arbeitgeber zum geplanten Zeitpunkt eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstatten. In diesem Fall muss die Stellungnahme des Betriebsrats erkennen lassen, dass er sich für ausreichend unterrichtet hält, keine (weiteren) Vorschläge unterbreiten kann oder will und die Zweiwochenfrist des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht ausschöpfen will (vgl.  - Rn. 60, ZIP 2012, 2412).

56(c) Die Beklagte hat das Konsultationsverfahren mit dem örtlichen Betriebsrat erst mit Schreiben vom eingeleitet und bereits am selben Tag Massenentlassungsanzeige erstattet. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Betriebsrat noch keine Stellungnahme abgegeben. Die Unterrichtung wäre deshalb nicht rechtzeitig erfolgt.

57c) § 6 KSchG steht der Prüfung der Einhaltung der Pflichten der Beklagten aus § 17 KSchG nicht entgegen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, das Arbeitsgericht habe seine Hinweispflicht nach § 6 Satz 2 KSchG verletzt. Es musste deshalb selbst prüfen, ob die Beklagte ihren Pflichten aus § 17 KSchG genügt hatte (vgl.  - Rn. 27 ff., EzA KSchG § 6 Nr. 3 für die auf § 6 KSchG verweisende Bestimmung des § 17 Satz 2 TzBfG).

58d) Das Landesarbeitsgericht war nicht verpflichtet, die Beklagte zur Wahrung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör darauf hinzuweisen, dass ihr eigener Tatsachenvortrag Verletzungen der Konsultationspflicht erkennen ließ. Die Beklagte hatte die § 17 KSchG betreffenden Rügen der Klägerin dahin verstanden, dass damit eine Verletzung der Konsultationspflicht gerügt werden sollte. Sie hat nämlich in der Berufungserwiderung inhaltlich zur Wahrung des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG vorgetragen.

59III. Die Beklagte ist außerdem ihrer Verpflichtung gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG, der Massenentlassungsanzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen, nicht nachgekommen. Auch dies ergibt sich aus den unstreitigen, von der Beklagten selbst vorgetragenen Tatsachen und ist daher auch ohne ausdrückliche Rüge der Klägerin von Amts wegen zu berücksichtigen.

60Die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG lagen nicht vor. Die Stellungnahme ist auch nicht nach § 125 Abs. 2 InsO ersetzt worden, weil kein Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen ist. Entgegen der von der Beklagten im Revisionsverfahren vertretenen Ansicht ersetzt ein Einigungsstellenverfahren, an dem der zuständige Gesamtbetriebsrat beteiligt worden ist und das zu einem Spruch der Einigungsstelle über einen Sozialplan geführt hat, die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG erforderliche Stellungnahme nicht. Die gesetzliche Fiktion des § 125 Abs. 2 InsO gilt nur für den Interessenausgleich mit Namensliste, nicht für den Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle.

61IV. Sowohl die Missachtung der Pflicht, ein Konsultationsverfahren durchzuführen, als auch der Verstoß gegen die Pflichten aus § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG führen zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.

621. Die Massenentlassungsanzeige ist bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte kein Konsultationsverfahren mit dem dafür zuständigen Gremium durchgeführt hat.

63a) Jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Fall das Konsultationsverfahren überhaupt nicht durchgeführt worden ist, führt die Verletzung der dem Arbeitgeber nach § 17 Abs. 2 KSchG obliegenden Pflichten zu einer Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (ErfK/Kiel 13. Aufl. § 17 KSchG Rn. 24; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 17 Rn. 56; KR/Weigand 10. Aufl. § 17 KSchG Rn. 63; HaKo/Pfeiffer 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 54; Backmeister in Backmeister/Trittin/Mayer KSchG 4. Aufl. § 17 Rn. 23; Schramm/Kuhnke NZA 2011, 1071, 1074; Reinhard RdA 2007, 207, 213; Hinrichs Kündigungsschutz und Arbeitnehmerbeteiligung bei Massenentlassungen S. 174; wohl auch Bader/Bram/Dörner/Suckow § 17 Rn. 82; unklar Niklas/Koehler NZA 2010, 913, 918, die annehmen, jedenfalls sei eine Missachtung nicht ohne Bedeutung; differenzierend APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff.).

64aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union besteht das Hauptziel der MERL darin, Massenentlassungen Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern und die Unterrichtung der zuständigen Behörde vorangehen zu lassen. Ausgehend von diesen Zielen hat der Gerichtshof den Arbeitnehmern ein kollektiv ausgestaltetes Recht auf Information und Konsultation im Vorfeld einer Massenentlassung zugebilligt und zur Wahrung dieses Rechts ein zumindest eingeschränktes Klagerecht der Arbeitnehmervertreter verlangt. Er hat damit der MERL und insbesondere der in deren Art. 2 geregelten Konsultationspflicht auch eine individualschützende Komponente, die zugunsten der Arbeitnehmer als Gemeinschaft ausgestaltet ist, zuerkannt (vgl.  - Rn. 82 mwN aus der Rechtsprechung des EuGH, ZIP 2012, 1822). Art. 2 MERL ist das Kernstück dieser Richtlinie (Wißmann RdA 1998, 221, 224).

65bb) Die Vorschrift des § 17 Abs. 2 KSchG, die Art. 2 MERL in das nationale Recht umsetzt, enthält somit ein eigenständiges, gleichwertig neben den in § 17 Abs. 3 KSchG geregelten Verpflichtungen gegenüber der Agentur für Arbeit stehendes Formerfordernis (Reinhard RdA 2007, 207, 213). Dies schließt die Annahme aus, die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Anzeige seien in § 17 Abs. 3 KSchG abschließend aufgezählt (anders noch die insoweit überholte Rechtsprechung des BAG vor der Entscheidung des  - [Junk] Slg. 2005, I-885, vgl. nur  - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 84, 267, sowie APS/Moll 4. Aufl. § 17 KSchG Rn. 76 ff., der § 17 Abs. 3 KSchG immer noch als gegenüber § 17 Abs. 2 KSchG unabhängige und selbstständige Wirksamkeitsvoraussetzung ansieht und deshalb annimmt, dass bei Beifügung einer Stellungnahme oder Glaubhaftmachung nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG die Anzeige auch dann wirksam sei, wenn in Wirklichkeit keine ordnungsgemäße Unterrichtung erfolgt sei). Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen, die Arbeitnehmervertretung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu unterrichten und sich mit ihr iSd. § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu beraten, überhaupt nicht nach, führt vielmehr auch dieser Fehler zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.

66b) Aus der von der Beklagten angezogenen Passage aus dem Urteil des Senats vom (- 6 AZR 407/10 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 6 Nr. 6 = EzA KSchG § 6 Nr. 4) folgt nichts anderes. Die Ausführungen des Senats beziehen sich ausschließlich auf die fehlende Unterrichtung über die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer. Der Senat hat insoweit offengelassen, ob eine solche Verletzung der Konsultationspflicht nachteilige Rechtsfolgen für den Arbeitgeber haben könne. Eine partiell in einem Nebenpunkt unvollständige Information nach § 17 Abs. 2 KSchG ist jedoch mit dem vorliegenden Fall, in dem es an einem Konsultationsverfahren gänzlich fehlt, nicht zu vergleichen.

672. Die Massenentlassungsanzeige ist auch deshalb unwirksam, weil ihr entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt war und auch die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG nicht erfüllt waren. Die Beifügung der Stellungnahme bzw. die Glaubhaftmachung der Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG sind Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Anzeige (vgl.  - Rn. 52, ZIP 2012, 1822). Soweit die Beklagte im Revisionsverfahren behauptet, die Agentur für Arbeit sei durch den Verstoß gegen § 17 Abs. 3 KSchG nicht in ihrer Prüfung beeinflusst worden, ob und welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sie einleiten könne und wolle, legt sie nicht dar, worauf sie diese Behauptung stützt. Die Stellungnahme soll gegenüber der Agentur für Arbeit ua. belegen, ob und welche Möglichkeiten nach Auffassung der zuständigen Arbeitnehmervertretung bestehen, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden oder deren Folgen zu mildern. Ferner soll eine ungünstige Stellungnahme des Betriebsrats der Agentur für Arbeit nicht vorenthalten werden (vgl.  - Rn. 22, EzA KSchG § 17 Nr. 25). Es bleibt damit Spekulation, ob und welche arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen die Agentur für Arbeit bei einer auf ein ordnungsgemäßes Konsultationsverfahren folgenden Stellungnahme des Gesamtbetriebsrats eingeleitet hätte. Jedenfalls darf ihr eine solche Prüfung nicht durch das Unterlassen des Konsultationsverfahrens, das zugleich das Fehlen jeglicher Stellungnahme zur Folge hat, abgeschnitten werden.

68V. Die Fehler, die der Beklagten bei der Erstattung der Massenentlassungsanzeige unterlaufen sind, sind nicht dadurch geheilt worden, dass die Arbeitsverwaltung diese Fehler nicht bemerkt, jedenfalls in den Schreiben vom nicht beanstandet hat.

691. Unabhängig davon, dass diese Schreiben mangels eines Regelungscharakters schon keine Verwaltungsakte waren (zu den Voraussetzungen eines Verwaltungsakts  - Rn. 65 ff., ZIP 2012, 1822), hinderte selbst ein bestandskräftiger Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG die Arbeitsgerichtsbarkeit nicht daran, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen.

70a) Ob die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erstattet ist, ist lediglich Vorfrage für einen Bescheid der Arbeitsverwaltung nach § 18 Abs. 1, § 20 KSchG, gehört nicht zum Regelungsinhalt eines solchen Verwaltungsakts und wird deshalb von dessen Bestandskraft nicht erfasst (ausführlich  - Rn. 25 ff., ZIP 2012, 2412; - 6 AZR 780/10 - Rn. 70 ff., ZIP 2012, 1822). Die Beteiligungspflichten des Ausschusses nach § 20 Abs. 3 KSchG und seine Verpflichtung gemäß § 20 Abs. 4 KSchG, das Interesse des Arbeitgebers, der zu entlassenden Arbeitnehmer, das öffentliche Interesse und die Lage des gesamten Arbeitsmarktes zu berücksichtigen, ändern daran nichts (aA wohl Ferme DB 2012, 2162, 2165). Diese Pflichten erstrecken sich nur auf die vom Ausschuss zu entscheidenden Fragen, also die Länge der Sperrfrist sowie den Zeitpunkt ihres Ablaufs und die Genehmigung, Entlassungen vor ihrem Ablauf vorzunehmen, nicht aber auf die inhaltliche Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige selbst.

71b) Darüber hinaus steht auch Art. 6 MERL der Annahme einer Heilungswirkung von Verwaltungsakten der Arbeitsverwaltung entgegen. Eine solche Auslegung der §§ 17 ff. KSchG führte zur Unterschreitung des von Art. 6 MERL geforderten Schutzniveaus und nähme den Anforderungen des § 17 KSchG ihre praktische Wirksamkeit (ausführlich  - Rn. 29, ZIP 2012, 2412; - 6 AZR 780/10 - Rn. 76 ff., ZIP 2012, 1822). Soweit dem entgegengehalten wird, die MERL entfalte keine unmittelbare Drittwirkung (Ferme DB 2012, 2162, 2165 f.), missversteht diese Argumentation Art. 6 MERL. Nach dieser Bestimmung sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten sind danach verpflichtet, Verfahren einzurichten, mit denen die Einhaltung der von der MERL vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Die nähere Ausgestaltung dieser teilharmonisierten Verfahren ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Verfahrensausgestaltung darf den Bestimmungen der Richtlinie jedoch nicht ihre praktische Wirksamkeit iSd. Effektivitäts- und Äquivalenzprinzips nehmen ( - Rn. 50, ZIP 2012, 2412 unter Bezug auf  - [Mono Car Styling] Rn. 33 ff., 38 ff. und 59 ff., Slg. 2009, I-6653). Die nationalen Gerichte sind Teil des Mitgliedstaats und daher gehalten, bei ihrer Auslegung nationalen Rechts, das wie § 17 KSchG Richtlinien der Europäischen Union umsetzt, das Gebot der Effektivität zu beachten (vgl. nur  - [Adeneler] Rn. 122, Slg. 2006, I-6057). Mit der Frage der mittelbaren oder unmittelbaren Wirkung von Richtlinien hat das nichts zu tun.

722. Entgegen der Auffassung der Beklagten und von Teilen des Schrifttums (Ferme DB 2012, 2162, 2165 f.) ist der Beklagten kein Vertrauensschutz vor den Folgen der Rechtsprechungsänderung zur Heilungswirkung von Bescheiden der Arbeitsverwaltung durch die Entscheidung des Senats vom (- 6 AZR 780/10 - ZIP 2012, 1822) zu gewähren. Es kann daher dahinstehen, ob die Gewährung von Vertrauensschutz durch die nationalen höchsten Gerichte im Hinblick auf die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung des § 17 KSchG, die neben verwaltungsverfahrensrechtlichen Gesichtspunkten des nationalen Rechts der Annahme einer Heilungswirkung von Bescheiden der Arbeitsverwaltung entgegensteht, überhaupt möglich wäre (vgl. dazu Koch SR 2012, 159, 166 ff.; Wißmann FS Bauer S. 1161, 1168).

73a) Die Beklagte hat die gesetzlichen Vorgaben in § 17 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG eindeutig missachtet. Darauf, dass die Arbeitsverwaltung selbst eine derart eindeutig gesetzwidrige Handhabung der Vorschriften zur Massenentlassung hinnehmen und ungeachtet ihrer Verpflichtung, im Wege der Amtsermittlung die Vollständigkeit der Anzeige zu ermitteln und bei Zweifeln an der Erfüllung der formellen Voraussetzungen beim Arbeitgeber rückzufragen ( - Rn. 27, EzA KSchG § 17 Nr. 25), insbesondere das Fehlen der Stellungnahme des Betriebsrats nicht beanstanden würde, konnte die Beklagte kein schutzwürdiges Vertrauen stützen.

74b) Unabhängig davon kommt die Gewährung von Vertrauensschutz hinsichtlich der Auslegung nationalen Rechts durch die nationale höchstrichterliche Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Betracht (zu den diesbezüglichen Anforderungen vgl.  - Rn. 85, BVerfGE 122, 248;  - Rn. 15 ff., EzA KSchG § 17 Nr. 19). Der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 17 KSchG im Allgemeinen und zur Heilungswirkung von Verwaltungsakten der Arbeitsverwaltung im Besonderen, die auf der Annahme eines rein arbeitsmarktpolitischen Zwecks des Verfahrens der Massenentlassungsanzeige beruhte, ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union seit seiner Entscheidung vom (- C-188/03 - [Junk] Slg. 2005, I-885) die Grundlage entzogen. Dies gilt auch für die letzte Entscheidung des - 8 AZR 273/08 - AP BGB § 613a Nr. 370 = EzA KSchG § 17 Nr. 20), wie der Senat bereits ausführlich dargelegt hat ( - Rn. 82, ZIP 2012, 1822). Die Beklagte durfte deshalb im Dezember 2009, also in dem Zeitpunkt, in dem die Massenentlassungsanzeige zu erstatten war, nicht mehr auf die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen. Auch wurden ihr nicht nachträglich durch eine Rechtsprechungsänderung Handlungspflichten auferlegt, die sie nun nicht mehr hätte erfüllen können. Vielmehr war es ihr ohne Weiteres möglich, den gesetzlichen Anforderungen des § 17 KSchG im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu genügen. Auf diese Anforderungen hätte sie sich deshalb einstellen müssen. Anlass, ihr Vertrauensschutz in den Fortbestand der Rechtsprechung zur Heilungswirkung von Bescheiden der Arbeitsverwaltung zu gewähren, bestand daher nicht.

75VI. Die fehlende Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG und das Fehlen einer Stellungnahme des Betriebsrats iSv. § 17 Abs. 3 Satz 2 bzw. Satz 3 KSchG führten nicht nur zur Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige. Diese Fehler haben auch die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge (ausführlich  -).

H. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 344 ZPO.

Fundstelle(n):
BB 2013 S. 1013 Nr. 17
BB 2013 S. 1150 Nr. 19
DB 2013 S. 941 Nr. 17
WAAAE-33601