Erschließungsbeitrag; Gewerbegrundstück
Gesetze: § 127 Abs 2 BauGB, § 131 BauGB, § 130 Abs 2 BauGB
Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 5 A 893/11 Urteil
Gründe
1Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
21. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
3Die Beschwerde bezeichnet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:
"1. Welche Mindestanforderungen hinsichtlich der Fahrbahnbreite und der durchgehenden tatsächlichen Befahrbarkeit mit Lkw von 40 t bzw. 16 t oder 12 t sind an eine einheitliche Erschließungsstraße im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bei einer für den öffentlichen Straßenverkehr gewidmeten Straße hinsichtlich der Fahrbahn unter Berücksichtigung der Ermächtigung des § 132 Nr. 1 BauGB zu stellen, wenn ein durch wirksamen Bebauungsplan ausgewiesenes Gewerbegrundstück erschlossen werden soll, welches - wegen einer vorhandenen Erschließung - bereits seit Jahren intensiv genutzt und insbesondere regelmäßig von Schwerlastverkehr angefahren wird?
2. Führt eine Änderung der Befahrbarkeit mit Lkw von 40 t bzw. 16 t oder 12 t ab einer bestimmten Stelle einer sich in ihren Merkmalen verändernden und abknickenden Straße zu der Rechtsfolge des Vorliegens zweier Erschließungsanlagen im Sinne des § 130 Abs. 2 S. 1 BauGB, wenn ein durch wirksamen Bebauungsplan ausgewiesenes Gewerbegrundstück erschlossen werden soll, welches - wegen einer vorhandenen Erschließung - bereits intensiv genutzt und insbesondere regelmäßig aus einer anderen Richtung von Schwerlastverkehr angefahren wird?
3. Ist § 130 Abs. 2 S. 1 BauGB - im Falle der Verneinung der 2. Frage - so zu verstehen, dass bei nur abschnittsweiser Befahrbarkeit für Lkw 40 t bzw. 16 t oder 12 t zur Erschließung von einem durch wirksamen Bebauungsplan ausgewiesenen Gewerbegrundstück für die Abrechnung Abschnitte gebildet werden müssen, zumindest wenn andernfalls der Anteil an den Gesamtkosten für das gemeinsame Abrechnungsgebiet beider Straßenteile von dem Gewerbegrundstückseigentümer zu 40 % getragen werden müsste, obwohl der Schwerlastverkehr die Straße nicht durchgehend befahren kann?"
4Diese Fragen bedürfen keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie lassen sich - soweit sie einer generalisierenden Beantwortung zugänglich sind - ohne Weiteres auf der Grundlage des Gesetzes und bereits vorliegender Rechtsprechung beantworten.
51. Mit der ersten Frage möchte die Beschwerde geklärt wissen, ob eine Anbaustraße eine Erschließungsfunktion für ein Gewerbegrundstück auch dann hat, wenn sie nicht "in ihrer gesamten Länge den vom Erschließungsgrundstück verursachten Quell- und Zielverkehr aufnehmen und weiterleiten" kann (Beschwerdebegründung S. 5 unten). Ob ein Grundstück durch eine Anbaustraße erschlossen wird, hängt ausschlaggebend davon ab, welche Anforderungen das Bebauungsrecht um der Bebaubarkeit willen an die verkehrliche Erreichbarkeit eines Grundstücks stellt (stRspr; vgl. BVerwG 8 C 77.86 - BVerwGE 78, 237 <240 f.> und vom - BVerwG 8 C 59.89 - BVerwGE 88, 70 <72>). Danach ist im Grundsatz erforderlich, dass an ein Grundstück über eine öffentliche Straße mit Kraftfahrzeugen u.a. der Polizei und des Rettungswesens sowie der Ver- und Entsorgung herangefahren werden kann ( BVerwG 4 C 48.81 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 228 S. 136 <137>). Grundstücke in Gewerbegebieten sind darüber hinaus in der Regel nur erschlossen, wenn die Anbaustraße die Möglichkeit des Herauffahrens mit Lastkraftwagen eröffnet (Urteile vom a.a.O. und vom a.a.O.; BVerwG 11 B 10.00 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 112). Ob die Anbaustraße die Möglichkeit des Heran- und Herauffahrens an das Grundstück über ihre volle Länge bzw. aus jeder Richtung ermöglicht, ist für die Frage der Bebaubarkeit unerheblich, soweit die Anbaustraße überhaupt in der Lage ist, den durch eine nach dem Bebauungsplan oder der Umgebungsbebauung zulässige Bebauung hervorgerufenen Verkehr aufzunehmen (vgl. zum Ganzen auch Quaas, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 127 Rn. 14). Das ist hier der Fall. Bereits das Teilstück der Straße "In der Herbig" vor dem Grundstück des Klägers vermittelt nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs dem Grundstück des Klägers aufgrund seiner Breite und seines Ausbaus die bebauungsrechtlich erforderliche Erschließung und damit einen die Erhebung eines Erschließungsbeitrags rechtfertigenden Vorteil.
6Mit ihrer zweiten Frage, ob eine Änderung der Befahrbarkeit für den Schwerlastverkehr im Verlauf der Straße für den unvoreingenommenen Beobachter zu der Annahme führen kann, es handele sich um zwei verschiedene Erschließungsanlagen, zeigt die Beschwerde ebenfalls keinen einer generalisierenden Aussage zugänglichen Klärungsbedarf auf. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind für die Beantwortung der Frage, wo eine selbständige Erschließungsanlage beginnt und endet, maßgebend die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie z.B. durch die Straßenführung, Straßenbreite und Straßenausstattung geprägt werden und sich im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen (stRspr; zuletzt BVerwG 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 16). Ebenso ist geklärt, dass dies lediglich die Regel bezeichnet und Raum lässt für eine abweichende Beurteilung im Einzelfall. Eine nach den tatsächlichen Verhältnissen einheitliche Straße kann daher in erschließungsbeitragsrechtlich unterschiedlich zu behandelnde Erschließungsanlagen zerfallen ( BVerwG 8 C 32.95 - BVerwGE 102, 294 <298>). Das ist etwa der Fall, wenn sich Teilstrecken einer Verkehrsanlage in ihrer Erschließungsfunktion wesentlich voneinander unterscheiden ( BVerwG 8 C 33.94 - Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 81 S. 24 <25 f.>). Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung, ob eine eingeschränkte Befahrbarkeit eines Teils einer Anbaustraße für Lkw zur Annahme einer selbständigen Erschließungsanlage führt, aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu treffen und einer generalisierenden Aussage nicht zugänglich.
7Die dritte Frage lässt sich ebenfalls beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Die Abschnittsbildung nach § 130 Abs. 2 BauGB soll es der Gemeinde ermöglichen, wenn sie nur einen Abschnitt der Erschließungsanlage ausbaut, die Aufwendungen hierfür alsbald durch Beiträge zu decken und nicht die Herstellung der gesamten Anlage abwarten zu müssen. Die Abrechnung nach Abschnitten ist mithin dazu bestimmt, einer frühzeitigen Finanzierung entstandener Aufwendungen (Ausbau- und Grunderwerbskosten) zu dienen. In diesem Sinne ist die Abschnittsbildung - wie die Kostenspaltung, die Vorausleistung und die Ablösung - ein Vorfinanzierungsinstitut (vgl. BVerwG 8 C 30.94 - BVerwGE 101, 225 <233>). Ob die jeweilige Gemeinde von der Möglichkeit einer frühzeitigen Refinanzierung Gebrauch macht, steht in ihrem Ermessen. Ausgehend vom Finanzierungszweck der Abschnittsbildung lässt sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob sich das Ermessen der Gemeinde, die Erschließungsanlage in Abschnitte aufzuteilen und abzurechnen, deshalb verdichten kann, weil für einen Beitragspflichtigen nur ein Teil der Erschließungsanlage einen Vorteil vermittelt, ohne Weiteres verneinend beantworten.
82. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Abweichung von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen.
9Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht weiche dadurch konkludent vom BVerwG 8 C 17.94 - (BVerwGE 101, 12 <16> = Buchholz 406.11 § 124 BauGB Nr. 5 S. 4) ab, dass es "bewusst" die Zufahrtsmöglichkeit für Lkw, die durch eine erhöhte Straßenbreite erkennbar sei, als mögliches Kriterium für das Vorliegen einer Erschließungsanlage "negiere". Eine Divergenz besteht jedoch insoweit nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Grundsätze zur Beantwortung der Frage, ob eine oder mehrere Erschließungsanlagen vorliegen, zutreffend erkannt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Wenn die Beschwerde meint, das Gericht stelle sich gegen diese Rechtsprechung, indem es die erkennbaren Breitenunterschiede und Unterschiede in den Zufahrtsmöglichkeiten zweier Teilstücke der Straße "In der Herbig" nicht als Merkmal für das Vorliegen zweier selbständiger Erschließungsanlagen ansehe, wendet sie sich in Wahrheit gegen die Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts, was die Zulassung der Divergenz nicht begründen kann.
10Soweit die Beschwerde außerdem geltend macht, das Berufungsgericht weiche dadurch von der Rechtsprechung des BVerwG 8 C 4.81 - BVerwGE 64, 186 <196>) ab, dass es die im Bauprogramm der Gemeinde enthaltene Forderung nach getrennten Geh- und Fahrwegen als erfüllt ansehe, obwohl es gleichzeitig die der Höhe nach nicht abgesetzten Gehwege als Teil der Fahrbahn berücksichtige, kann sie schon deswegen keinen Erfolg haben, weil der dem Berufungsgericht zugeschriebene Rechtssatz für dessen Entscheidung nicht selbständig tragend gewesen ist. Das Berufungsgericht hat eine Befahrbarkeit des westlichen Teils der Straße "In der Herbig" durch schwere Lkw für die Erschließung des Grundstücks des Klägers nicht als erforderlich angesehen und ist nur ergänzend ("Zudem") auf die befahrbare Straßenbreite eingegangen. Aus diesem Grund vermag auch die von der Beschwerde "hilfsweise" für grundsätzlich klärungsbedürftig erachtete Frage, ob ein Gehweg zur Fahrbahn gehört, wenn er zwar nicht der Höhe nach, sondern auf andere Weise abgrenzt ist, die Zulassung der Revision nicht zu begründen; sie würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen.
113. Verfahrensmängel, die zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnten, ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
12Als Verstoß gegen ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) rügt die Beschwerde, dass der Verwaltungsgerichtshof zwei Beweisanträge des Klägers zur Befahrbarkeit der Straße "In der Herbig" durch Lkw mit mehr als 12 t Gesamtgewicht und besonderen Ausmaßen als nicht entscheidungserheblich abgelehnt hat. Mit dieser Rüge wendet sich die Beschwerde der Sache nach gegen die materiellrechtliche Beurteilung des Verwaltungsgerichtshofs, wie sie im Übrigen selbst einräumt. Solche Rügen sind aber nicht geeignet, die verfahrensfehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags aufzuzeigen. Denn die Pflicht zur Sachaufklärung und mithin auch die Pflicht zur Erhebung von Beweisen bezieht sich von vornherein nur auf solche Umstände, auf die es nach der eigenen materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts, die es seinem Urteil zugrunde legt, ankommt; ob diese seine Auffassung zutrifft, ist keine Frage des Verfahrensrechts, sondern des materiellen Rechts (vgl. etwa BVerwG 6 B 2.04 - juris Rn. 11 m.w.N.).
Fundstelle(n):
SAAAE-27948