BGH Beschluss v. - VIII ZB 25/12, VIII ZB 26/12

Gewährung rechtlichen Gehörs vor Verwerfung der Berufung

Gesetze: § 574 Abs 2 Nr 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: LG Arnsberg Az: I-3 S 108/11vorgehend AG Warstein Az: 3 C 146/11

Gründe

I.

1Die Klägerin hat gegen das Urteil des Amtsgerichts Warstein vom , ihr zugestellt am , am Berufung eingelegt. Nachdem sie am erfahren hatte, dass ihre Berufungsbegründung vom nicht beim Berufungsgericht eingegangen war, hat sie am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2Das Landgericht hat durch Beschluss vom den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Klägerin die versäumte Rechtshandlung (Berufungsbegründung) nicht innerhalb der "Antragsfrist von zwei Wochen" nachgeholt habe. Durch Beschluss vom gleichen Tag hat es die Berufung der Klägerin mangels Berufungsbegründung als unzulässig verworfen. Gegen beide Beschlüsse wendet sich die Klägerin im Wege der Rechtsbeschwerde, mit der sie - wie in einem weiteren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist - vorträgt, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung erneut am in einem gesonderten Umschlag per Post an das Berufungsgericht übersandt.

II.

31. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die angefochtenen Beschlüsse verletzen das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

42. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hätte den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin nicht wegen unterbliebener Nachholung der versäumten Prozesshandlung zurückweisen und die Berufung der Klägerin nicht verwerfen dürfen, ohne sie zunächst darauf hinzuweisen, dass eine Berufungsbegründung (auch) im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens nicht eingegangen war.

5a) Nach ständiger Rechtsprechung ist vor der Verwerfung einer Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist dem Berufungskläger rechtliches Gehör zu gewähren (BGH, Beschlüsse vom - X ZB 21/92, NJW 1994, 392; vom - XII ZB 80/05, NJW-RR 2006, 142 unter II 1; vom - XII ZB 162/06, NJW-RR 2008, 78 Rn. 6; vom - XII ZB 101/07, NJW-RR 2007, 1718 Rn. 7 f.; vom - XII ZB 168/08, NJW-RR 2010, 1075 Rn. 7; Musielak/Ball, ZPO, 9. Aufl., § 522 Rn. 4; MünchKommZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl., § 522 Rn. 4; Hk-ZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 522 Rn. 3; Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 522 Rn. 6, 13). Diese Pflicht wird - da eine ausdrückliche Normierung wie beispielsweise in § 522 Abs. 2 ZPO fehlt - unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG hergeleitet. Art. 103 Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern (vgl. BGH, Beschlüsse vom - X ZB 21/92, aaO; vom - XII ZB 162/06, aaO; vom - XII ZB 101/07, aaO Rn. 8; vom - XII ZB 168/08, aaO).

6Der angefochtene Beschluss beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Hätte das Berufungsgericht die Klägerin vor der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags und der Verwerfung der Berufung dazu angehört, dass eine Berufungsbegründung auch im Rahmen des Wiedereinsetzungsverfahrens nicht eingegangen war, hätte diese darlegen können, die Berufungsbegründung in einem gesonderten Umschlag am und somit rechtzeitig zur Post gegeben zu haben, wie sie dies in ihrem zweiten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom und in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung vorgebracht hat. Das Berufungsgericht hätte dann Gelegenheit gehabt, diesem Vorbringen nachzugehen und dessen Wahrheitsgehalt zu prüfen (vgl. , aaO Rn. 8).

7b) Ungeachtet dessen hat das Berufungsgericht ferner verkannt, dass die Wiedereinsetzungsfrist und damit korrespondierend die Frist zur Nachholung der versäumten Prozesshandlung (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) vorliegend gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat und nicht lediglich zwei Wochen betrug, da es sich um die Frist zur Begründung der Berufung handelte (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZB 16/08, juris Rn. 7). Die Frist lief daher bis zum (§ 222 Abs. 2 ZPO). Vor diesem Datum hätte das Berufungsgericht keine Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. , NJW 2011, 1363 Rn. 4) und infolgedessen auch keine Entscheidung über die Berufung (vgl. Musielak/Ball, aaO, § 522 Rn. 8) treffen dürfen.

83. Nach alledem können die angefochtenen Beschlüsse keinen Bestand haben. Sie sind daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).

Ball                                   Dr. Milger                               Dr. Achilles

             Dr. Schneider                               Dr. Fetzer

Fundstelle(n):
LAAAE-27035