BAG Urteil v. - 10 AZR 716/11

Vorabeiterzulage - Bemessungsgrundlage - keine Berücksichtigung von Entgelterhöhungen

Gesetze: § 17 Abs 9 S 1 TVÜ-L vom , § 15 Abs 1 TV-L, § 15 Abs 1 ProtErkl TV-L

Instanzenzug: ArbG Chemnitz Az: 8 Ca 442/09 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 5 Sa 554/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob die an den Kläger gezahlte Vorarbeiterzulage seit dem Jahr 2008 prozentual entsprechend den Steigerungen des Grundentgelts zu erhöhen war.

2Der Kläger ist beim Beklagten in der Abteilung Verwaltung der Polizeidirektion C als Kraftfahrer/Wagenpfleger/Bote beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts für Arbeiter an den MTArb (MTArb-O) vom und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweiligen Fassung. Mit Schreiben vom wurde der Kläger mit Wirkung zum zum Vorarbeiter bestellt. Gemäß § 1 des Tarifvertrags über das Lohngruppenverzeichnis der Länder zum MTArb-O (TV Lohngruppen-O-TdL) vom iVm. § 3 Abs. 1 des Tarifvertrags über das Lohngruppenverzeichnis der Länder zum MTArb (TV Lohngruppen-TdL) erhielt der Kläger deshalb eine sog. Vorarbeiterzulage in Höhe von 12 % des Monatstabellenlohns der Lohngruppe 4, das waren zuletzt 211,98 Euro brutto.

Die Vorschrift lautet, soweit von Interesse:

4Am trat der den MTArb-O ablösende Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom in Kraft.

§ 2 Abs. 1 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-L) vom lautet:

6In der Anlage 1 TVÜ-L Teil A wird als durch den TV-L bzw. TVÜ-L ersetzter Tarifvertrag ua. der MTArb-O genannt. In der Anlage 1 TVÜ-L Teil B wird als ersetzter Tarifvertrag auch der Tarifvertrag über das Lohngruppenverzeichnis der Länder zum MTArb-O (TV Lohngruppen-O-TdL) vom genannt.

§ 2 Abs. 6 TVÜ-L lautet:

8In der Anlage 2 zum TVÜ-L ist die „Zuordnung der Vergütungs- und Lohngruppen zu den Entgeltgruppen für am / vorhandene Beschäftigte für die Überleitung (Länder)“ geregelt. Der Entgeltgruppe 4 sind die Lohngruppen 4a, 4 mit ausstehendem Aufstieg nach 4a, 4 nach Aufstieg aus 3 und 3 mit ausstehendem Aufstieg nach 4 und 4a zugeordnet, der Entgeltgruppe 5 ua. die Lohngruppe 4 mit ausstehendem Aufstieg nach 5 und 5a.

9Nach § 17 Abs. 5 Satz 2 TVÜ-L wurden die nach altem Tarifrecht den Arbeitnehmern zustehenden Vergütungsgruppenzulagen weitgehend abgeschafft.

In § 17 Abs. 9 Satz 1 TVÜ-L heißt es:

Im Oktober 2006 betrug der Grundlohn des Klägers nach der Lohntabelle 1.924,64 Euro brutto. Im Jahr 2008 wurden die Entgelte der Beschäftigten in den neuen Bundesländern für die Entgeltgruppen 1 bis 9 an die Entgelthöhen in den alten Bundesländern angeglichen. § 15 Abs. 1 TV-L und die dazu vereinbarte Protokollerklärung lauten:

12Dementsprechend stieg das Tabellenentgelt des Klägers ab Januar 2008 auf 2.081,00 Euro brutto. Ab Mai 2008 erfolgte eine weitere Erhöhung auf 2.145,00 Euro brutto. Die Vorarbeiterzulage wurde nicht erhöht; sie verblieb auf der sich aus § 1 TV Lohngruppen-O-TdL iVm. § 3 Abs. 1 TV Lohngruppen-TdL ergebenden Höhe.

13Mit Schreiben vom verlangte der Kläger eine Erhöhung der Vorarbeiterzulage mit Wirkung zum entsprechend der Erhöhung des Tabellenentgelts.

14Der Kläger hat die Auffassung vertreten, mit der Erhöhung des Tabellenentgelts sei auch die Bemessungsgrundlage für die Zulage gestiegen. Er habe nunmehr Anspruch auf eine Vorarbeiterzulage auf der Grundlage des erhöhten Monatstabellenentgelts der Entgeltgruppe 4 Stufe 4. § 17 Abs. 9 TVÜ-L regele eine dynamische Fortgeltung.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

16Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch darauf, ab die Vorarbeiterzulage auf der Grundlage des Tabellenentgelts gezahlt zu erhalten. § 17 Abs. 9 Satz 1 TVÜ-L habe die nach § 1 TV Lohngruppen-O-TdL iVm. § 3 Abs. 1 TV Lohngruppen-TdL zu gewährende Vorarbeiterzulage in der Höhe festgeschrieben, die sie bei Inkrafttreten des TV-L und des TVÜ-L am gehabt habe. Eine Dynamisierung sei in § 17 Abs. 9 Satz 1 TVÜ-L nicht vorgesehen.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

Gründe

18Die Revision hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

19I. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die verlangten Zahlungen.

201. Grundlage des Anspruchs auf die Vorarbeiterzulage ist § 1 TV Lohngruppen-O-TdL iVm. § 3 Abs. 1 TV Lohngruppen-TdL. Danach beträgt die Höhe der Zulage 12 % der sich aus der Lohngruppe 4 ergebenden Vergütung. Dieser Betrag ist von dem Beklagten bezahlt worden. Er beläuft sich auf 211,98 Euro brutto. Darüber streiten die Parteien nicht.

212. Entgegen der Auffassung des Klägers folgt aus § 17 Abs. 9 TVÜ-L nicht, dass die Bemessungsgrundlage seit dem das Entgelt nach der Entgeltgruppe 4 wäre. Das ergibt die Auslegung von § 17 Abs. 9 TVÜ-L.

22a) Bereits der Wortlaut der Vorschrift, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl.  - Rn. 14, ZTR 2011, 676), spricht für dieses Ergebnis. Danach gelten „die bisherigen Regelungen“ für Vorarbeiterinnen und Vorarbeiter weiter. Irgendeine Einschränkung in dem Sinne, dass die bisherigen Regelungen nur sinngemäß oder nur dem Grunde nach weitergelten sollten, enthält die Vorschrift nicht. Vielmehr gelten bei wörtlichem Verständnis die „bisherigen Regelungen“ mit genau dem Inhalt weiter, den sie bei Inkrafttreten von § 17 Abs. 9 TVÜ-L hatten. Daraus folgt, dass, soweit tarifliche Ansprüche betroffen sind, diese Ansprüche erhalten bleiben, und zwar in dem Umfang, den sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regelung hatten. Aus der Gesamtmenge der durch das neue Tarifrecht beseitigten Ansprüche sollte ein genau umrissener Teil „herausgeschnitten“ werden und in Geltung bleiben.

23b) Auch der tarifliche Regelungszusammenhang zeigt, dass § 17 Abs. 9 TVÜ-L lediglich den Besitzstand festhalten, nicht aber eine alte Regelung dauerhaft und dynamisch in einen neuen Zusammenhang integrieren will. Die tarifliche Neuregelung zum war von dem Bestreben gekennzeichnet, einen großen Teil der in ihrer Gesamtheit unübersichtlich gewordenen Zulagen abzuschaffen und ein einfacheres Entgeltsystem einzuführen. Ausdruck dieser Absicht ist zB § 17 Abs. 5 TVÜ-L. Davon wäre an sich auch die Regelung in § 1 TV Lohngruppen-O-TdL iVm. § 3 Abs. 1 TV Lohngruppen-TdL betroffen gewesen, dessen Außerkrafttreten ausdrücklich angeordnet ist (Anlage 1 TVÜ-L Teil B). Insoweit macht § 17 Abs. 9 TVÜ-L eine Ausnahme, die im Zusammenhang mit dem Umstand zu sehen ist, dass sich die Tarifvertragsparteien nicht abschließend auf ein neues Entgeltsystem einigen konnten. Damit im Einklang steht, dass die Tarifvertragsparteien in § 17 Abs. 9 TVÜ-L darauf verzichtet haben, die bisherige Vorarbeiterzulage in das neue Entgeltsystem einzupassen. Hinsichtlich einer dauerhaften und dynamischen Zulage hätte es nahegelegen, eine eigene Anspruchsgrundlage im TV-L zu schaffen, anstatt lediglich die Fortgeltung einer Vorschrift aus einem Tarifvertrag zu verabreden, der seinerseits durch den TV-L ersetzt werden sollte. Offensichtlich gingen die Tarifvertragsparteien davon aus, dass alsbald eine Entgeltordnung mit einer Neuregelung der Vorarbeitervergütung geschaffen wäre, die dann die Fortgeltungsvorschrift überflüssig machen würde. Dazu passt es, die „bisherigen Regelungen“ in ihrer Höhe nicht sogleich zu dynamisieren, sondern bis zum Inkrafttreten anderweitiger Vorschriften lediglich den Besitzstand zu wahren. Dementsprechend haben die Tarifvertragsparteien für § 17 TVÜ-L in § 30 Abs. 4 TVÜ-L ein besonderes Kündigungsrecht vorgesehen und eine Nachwirkung ausgeschlossen.

c) Dass § 17 Abs. 9 TVÜ-L keine Dynamisierung der Vorarbeiterzulage anordnet, ergibt sich auch aus dem Änderungstarifvertrag Nr. 3 zum TVÜ-L vom , durch den nach § 17 Abs. 9 TVÜ-L eine Protokollerklärung eingefügt wurde, die eine Erhöhung der Vorarbeiterzulage ausdrücklich bestimmt. Die Protokollerklärung lautet:

25Dieses Zusatzes hätte es nicht bedurft, wenn § 17 Abs. 9 TVÜ-L die Erhöhung bereits ohne die Protokollerklärung vorsähe. Das wird durch den Umstand bestätigt, dass § 17 Abs. 9 Satz 1 TVÜ-Bund eine dem § 17 Abs. 9 Satz 1 TVÜ-L entsprechende Regelung enthält und die Zulage hier durch die Änderung der Protokollerklärung zu Absatz 9 mit dem Änderungstarifvertrag Nr. 3 zum TVÜ-Bund vom dynamisiert wurde (vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz - 8 Sa 554/09 - Rn. 29, ZTR 2011, 217).

26d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 6 TVÜ-L. Denn § 2 Abs. 6 TVÜ-L bezieht sich allein auf die nach § 2 Abs. 5 TVÜ-L fortgeltenden Vorschriften, zu denen die Regelung über die Vorarbeiterzulage im TV Lohngruppen-O-TdL nicht gehört. Es handelt sich um eine Auffangvorschrift für die Fälle des § 2 Abs. 5 TVÜ-L (B/B/M/S/Winter BeckOK TVÜ-Länder § 2 Rn. 12). Ihr Zweck ist auch nicht, Vergütungsansprüche zu schaffen, die nach den anwendbaren Tarifnormen nicht bestehen. Die Vorschrift soll vielmehr die redaktionelle Einpassung weitergeltender Vorschriften des alten Tarifrechts in den TV-L erleichtern. Im Fall des § 17 Abs. 9 TVÜ-L besteht keine solche Anpassungsnotwendigkeit. Wie bei sonstigen statischen Verweisungen gilt die bisherige Tarifnorm weiter. Sie hat einen leicht zu ermittelnden Inhalt. Irgendeiner sprachlichen Bearbeitung bedurfte es nicht.

27e) Es mag sein, dass die Tarifvertragsparteien bei Einführung der Regelung des § 17 Abs. 9 TVÜ-L davon ausgingen, die Vorarbeiterzulage werde alsbald eine Neuregelung erfahren. Es mag auch sein, dass sie, wenn sie gewusst hätten, dass eine solche Neuregelung einstweilen nicht zustande käme, eine Dynamisierung der bisherigen Zulage entsprechend dem Tabellenentgelt nach § 15 TV-L vereinbart hätten. Entscheidend ist aber, dass die Tarifvorschriften eine solche Regelung nicht enthalten, obschon die Tarifvertragsparteien die Frage der Vorarbeiterzulage erkennbar als regelungsbedürftig angesehen haben. Den Tarifvertragsparteien war demnach bekannt, dass sich die Frage der Dynamisierung der Vorarbeiterzulage je nach Dauer der Verhandlungen über die neue Entgeltordnung würde stellen können. Die Regelung mag daher lückenhaft gewesen sein. Derartige bewusste Regelungslücken in Tarifverträgen sind jedoch von den Arbeitsgerichten hinzunehmen. Ihre Ausfüllung wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie. Hierdurch würden entgegen dem Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifvertragliche Regelungen geschaffen (st. Rspr., vgl. zB - AP BAT § 23b Nr. 6; - 4 AZR 457/83 - BAGE 8, 307).

28f) Der Anspruch folgt auch nicht aus der Protokollerklärung zu § 15 Abs. 1 TV-L. Hiernach waren Tabellenentgelte und sonstige Entgeltbestandteile im TV-L sowie in den den TV-L ergänzenden Tarifverträgen und Tarifvertragsregelungen im Tarifgebiet Ost ab von 92,5 vH auf 100 vH anzuheben. Zwar betrug die dem Kläger ab gezahlte Vorarbeiterzulage nicht 100 vH der Vorarbeiterzulage West. Das ändert allerdings nichts daran, dass § 17 Abs. 9 TVÜ-L lediglich den bei Inkrafttreten des neuen Tarifrechts am bestehenden Besitzstand, nicht aber spätere Verbesserungen sichert, auch wenn diese späteren Verbesserungen nicht auf allgemeinen Erhöhungen der Grundvergütung, sondern auf der Anpassung nach der Protokollerklärung zu § 15 Abs. 1 TV-L beruhen. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem nicht im Wege. Zwar wäre eine dauerhafte Aufrechterhaltung zweier unterschiedlich bemessener Entgelte in Ost und West im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG problematisch (vgl. für die Beamtenbesoldung:  - BVerfGE 107, 218). Indes handelt es sich hier nicht um einen Dauerzustand, sondern um ein vorübergehendes Anpassungsdefizit, das inzwischen beseitigt ist. Durch die am in Kraft getretene Entgeltordnung zum TV-L (vgl. dort Nr. 8 der Vorbemerkungen zu Teil III) ist inzwischen eine einheitliche Höhe der Zulage gewährleistet.

II. Die Kosten des Revisionsverfahrens fallen dem Kläger nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
UAAAE-26997