BFH Urteil v. - VI R 16/11

Keine Anlaufhemmung in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG

Leitsatz

Im Fall einer Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008 kommt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung.

Gesetze: EStG § 46 Abs. 2 Nr. 8, EStG § 52 Abs. 55j Satz 2, AO § 169 Abs. 2 Nr. 2, AO § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) für das Jahr 2003 zur Einkommensteuer zu veranlagen ist.

2 Die Klägerin, die im Streitjahr (2003) ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte, reichte am eine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) ein. Das FA lehnte die Durchführung der Antragsveranlagung ab.

3 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1228 veröffentlichten Gründen statt.

4 Mit der hiergegen gerichteten Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

5 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6 Die Klägerin beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

7 II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die beantragte Veranlagung kommt wegen Festsetzungsverjährung nicht in Betracht.

8 Besteht das Einkommen —wie im Streitfall— nach § 46 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

9 a) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 (EStG n.F.) wird eine Einkommensteuer-Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Die —frühere zusätzliche— Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist entfallen.

10 § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. ist gemäß § 52 Abs. 55j Satz 4 EStG i.d.F. des Steuervereinfachungsgesetzes (StVereinfG) 2011 erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und —hier einschlägig— in Fällen, in denen am über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem bei den Finanzbehörden eingegangen ist (Urteil vom VI R 1/09, BFHE 227, 97, BStBl II 2010, 406).

11 b) Im Streitfall steht der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. i.V.m. § 52 Abs. 55j Satz 4 i.d.F. des StVereinfG 2011 jedoch der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen (vgl. , BFHE 223, 311, BStBl II 2011, 746; VI R 77/10, nicht veröffentlicht; VI R 86/10, BFH/NV 2011, 1515; vom VI R 17/11, BFH/NV 2012, 551).

12 Die Festsetzungsfrist für Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Die Einkommensteuer für 2003 verjährte demnach mit Ablauf des Jahres 2007. Nach den Feststellungen des FG hat die Klägerin den erforderlichen Antrag durch Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2003 aber (erst) im Jahre 2008 beim FA gestellt.

13 c) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war vorliegend nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen war.

14 Im Streitfall bestand, wie auch § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung deutlich macht (a.A. Tormöhlen in Korn, § 46 EStG Rz 35.1), keine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärung. Die Klägerin war gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. lediglich berechtigt, eine solche einzureichen. Ebenso wurde die Klägerin vom FA nicht zur Abgabe der einschlägigen Erklärung aufgefordert (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO). Im Fall einer Antragsveranlagung kommt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht zur Anwendung (Schmidt/Kulosa, EStG, 31. Aufl., § 46 Rz 34; Tillmann in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 46 EStG Rz 67; Paetsch in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 46 Rz 65 ff.; Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 170 AO Rz 24), da eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht aus § 25 Abs. 3 EStG abgeleitet werden kann.

15 d) Gleichheitsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht. Denn Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verlangt lediglich nach der Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestehen jedoch Sachunterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigen. Denn die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird (Urteil vom II R 54/05, BFHE 217, 393, BStBl II 2007, 954, m.w.N.).

16 e) Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom VI R 23/08 (BFH/NV 2009, 755) entschieden, dass der Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.F. für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch eine Verjährungsfrist nicht entgegensteht. Dies betraf allerdings den hier nicht gegebenen besonderen Fall, dass die Klage ohnehin auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom VI R 52/04, BFHE 215, 144, BStBl II 2007, 45) zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.F. erfolgreich gewesen wäre. Denn die negative Summe der Nebeneinkünfte hatte —anders als im streitigen Fall— dort den Betrag von 800 DM überstiegen. Der Senat hatte dabei insbesondere berücksichtigt, dass aufgrund seiner 2005 geänderten Rechtsprechung zu § 46 Abs. 2 EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend gewesen waren, ob Anträge und Klagen auf Durchführung der Einkommensteuer-Veranlagungen erfolgreich sein konnten.

17 Soweit der Senat im Beschluss vom VI R 46/05 (BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820) eine „regelmäßige” Festsetzungsfrist von sieben Jahren angenommen hat, hält er daran nicht mehr fest.

Fundstelle(n):
AO-StB 2013 S. 87 Nr. 3
BFH/NV 2013 S. 340 Nr. 3
HFR 2013 S. 227 Nr. 3
SAAAE-26253