Berichtigung nach § 107 Abs. 1 FGO, wenn statt eines Urteils ein Gerichtsbescheid zugestellt wird
Gesetze: FGO § 90a Abs. 2, FGO § 90a Abs. 3, FGO § 94, FGO § 107 Abs. 1, ZPO § 160 Abs. 3, ZPO § 165
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Die nicht postulationsfähige Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb vor dem Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren. In diesem Verfahren führte der zuständige Einzelrichter am eine mündliche Verhandlung durch, an der die Klägerin nicht teilnahm. Die Verhandlung wurde mit dem Beschluss geschlossen, dass die Entscheidung am Schluss der Sitzung verkündet werde. Im Protokoll über die mündliche Verhandlung ist vermerkt: „Nach Beratung des Gerichts wurde um 10:25 das folgende Urteil verkündet: Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens”.
2 Im Anschluss hieran setzte der Einzelrichter unter dem Datum vom einen Gerichtsbescheid mit dem vorstehend genannten Tenor ab. Nach der Rechtsmittelbelehrung konnte innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt werden. Dieser Gerichtsbescheid wurde der Klägerin am zugestellt. Hierauf beantragte sie am beim FG mündliche Verhandlung.
3 Bereits am hatte das FG den vorstehend genannten Gerichtsbescheid dahingehend berichtigt, „dass die Bezeichnung der Entscheidung als Gerichtsbescheid durch die Bezeichnung Urteil ersetzt wird und dass der 1. Senat aufgrund der mündlichen Verhandlung vom durch Richter am Finanzgericht X als Einzelrichter für Recht erkannt hat.” Zudem wurde die Rechtsmittelbelehrung „Antrag auf mündliche Verhandlung” dahingehend berichtigt, dass die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden konnte. Die hierfür geltenden Voraussetzungen hat das FG in dem Berichtigungsbeschluss im Einzelnen ausgeführt. Die den Berichtigungsbeschluss selbst betreffende Rechtsmittelbelehrung weist darauf hin, dass der Beschluss innerhalb von zwei Wochen angefochten werden könne.
4 Am wurde der Klägerin der Berichtigungsbeschluss zugestellt. Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin wandte sich hierauf mit Telefax vom an das FG. In diesem führte der Rechtsanwalt unter Hinweis auf das Aktenzeichen des beim FG in der Streitsache anhängigen Verfahrens aus, er lege das erforderliche Rechtsmittel ein. Ihm sei nicht bekannt, ob und wann welche Entscheidungen ergangen und welche Rechtsmittel hiergegen möglich seien. Vorsorglich stelle er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dem Telefax-Schreiben war ein an den Rechtsanwalt gerichtetes Schreiben der Klägerin vom beigefügt. In diesem führt die Klägerin aus, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) habe gegen sie zu Unrecht eine Steuerschuld festgesetzt. Der Rechtsanwalt solle sie vor dem FG vertreten. Allerdings laufe die Beschwerdefrist mit Ablauf des heutigen Tags ab. Mit einem nachfolgenden ebenfalls per Telefax eingereichten Schreiben vom legte der Rechtsanwalt namens der Klägerin gegen den Beschluss vom beim FG Beschwerde ein und beantragte, die Revision zuzulassen. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
5 Mit dem beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereichten Schriftsatz vom macht die Klägerin geltend, der Berichtigungsbeschluss sei rechtswidrig. Da sie Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt habe, gelte der Gerichtsbescheid als nicht ergangen. Er wirke deshalb nicht mehr als Urteil und könne daher nicht nach § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) berichtigt werden. Das FG könne den durch mündliche Verhandlung zu überprüfenden Gerichtsbescheid nicht in ein Urteil umwandeln. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung gehe einem Berichtigungsverfahren vor. Diese Möglichkeit habe das FG der Klägerin genommen, weil es ohne gesetzliche Grundlage einen Berichtigungsbeschluss erlassen habe. Damit sei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gegeben, auf dem das Urteil beruhe, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich bei der erneuten mündlichen Verhandlung durch ergänzenden Sachvortrag die Entscheidungsgrundlage geändert hätte.
6 Die Klägerin beantragt,
den Rechtsstreit zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die mündliche Verhandlung anberaumen kann;
hilfsweise für den Fall, dass dem vorstehenden Antrag nicht stattgegeben wird, das Beschwerdeverfahren durchzuführen mit dem Antrag, die Revision zuzulassen.
7 Das FA hat sich zu dem klägerischen Begehren nicht geäußert.
8 II. Das Begehren der Klägerin hat insgesamt keinen Erfolg. Ihrem Antrag, den Rechtsstreit an das FG zwecks Erledigung des gegen den Gerichtsbescheid vom gerichteten Antrags auf mündliche Verhandlung zurückzuverweisen, kann nicht entsprochen werden (unten 2.). Auch der hilfsweise von ihr eingelegten Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision ist nicht zu entsprechen (unten 3.).
9 1. Das klägerische Begehren kann nicht als eine gegen den Berichtigungsbeschluss nach § 107 FGO gerichtete Beschwerde i.S. des § 128 Abs. 1 FGO ausgelegt werden. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat zunächst mit ihrem am um 10.19 h an das FG übersandten Schreiben lediglich das „erforderliche Rechtsmittel” eingelegt, ohne darzutun, gegen welche gerichtliche Entscheidung des FG sich dieses Rechtsmittel richten soll. Am gleichen Tag hat der Klägervertreter mit dem um 17.47 h an das FG übersandten Schreiben klargestellt, dass sich das Rechtsmittel gegen den Beschluss vom richtet. Beantragt wurde jedoch nicht die Änderung oder Aufhebung des Berichtigungsbeschlusses vom , sondern die Zulassung der Revision. Da die Erklärung von einem Angehörigen der rechtsberatenden Berufe stammt, kann die erhobene Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 1 FGO) nicht in eine gegen den Berichtigungsbeschluss gerichtete Beschwerde gemäß § 128 FGO umgedeutet werden (vgl. zur Auslegung von Verfahrenserklärungen, die von Angehörigen von rechts- und steuerberatenden Berufen abgegeben werden , BFH/NV 2005, 1861, und , BFH/NV 2006, 1800).
10 2. Dem klägerischen Antrag, den Rechtsstreit zwecks Durchführung einer mündlichen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen, kann nicht entsprochen werden.
11 a) Das klägerische Begehren beruht auf der Annahme, es sei vom FG eine mündliche Verhandlung durchzuführen, weil die Klägerin rechtzeitig nach Zustellung des ihr gegenüber ergangenen Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung beantragt habe (§ 90a Abs. 2 Satz 1 FGO). Wegen der in diesem Fall gegebenen Rechtsfolge des § 90a Abs. 3 Halbsatz 2 FGO, wonach der Gerichtsbescheid nicht als ergangen gelte, gehe der Berichtigungsbeschluss des FG ins Leere und sei damit gegenstandslos.
12 b) Diese Rechtsauffassung teilt der beschließende Senat nicht. Ergeht in einem Finanzrechtsstreit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ein Urteil, dann wird dieses als solches mit der Verkündung gemäß § 104 Abs. 1 FGO und nicht erst mit der Zustellung wirksam und bindend (, BFHE 203, 523, BStBl II 2004, 89). Weicht die später zugestellte schriftliche Urteilsfassung von der verkündeten Entscheidung ab, dann ist die schriftliche Fassung im Falle des Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit gemäß § 107 Abs. 1 FGO zu berichtigen (, BFH/NV 2009, 937).
13 Nichts anderes kann gelten, wenn den Beteiligten statt des verkündeten Urteils in der schriftlichen Fassung ein Gerichtsbescheid i.S. des § 90a Abs. 1 FGO zugestellt wird. In einem solchen Fall ist eine Berichtigung gemäß § 107 Abs. 1 FGO durchzuführen, denn diese Vorschrift erfasst grundsätzlich auch Gerichtsbescheide (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 107 FGO Rz 1). Ein solcher Berichtigungsbeschluss ist unabhängig davon zulässig, ob vor Ergehen eines solchen Berichtigungsbeschlusses oder —wie im Streitfall— erst danach, aber noch vor dessen Zustellung gegen den schriftlich zugestellten Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist.
14 c) Ein Berichtigungsverfahren nach § 107 Abs. 1 FGO dient der Beseitigung von Schreib- und Rechenfehlern und von ähnlichen mechanischen Versehen. Dementsprechend muss es sich um einen Irrtum in der Erklärung handeln; ein Fehler in der gerichtlichen Willensbildung muss ausgeschlossen sein (Brandt in Beermann/Gosch, FGO, § 107 Rz 5, m.w.N. aus der ständigen Rechtsprechung des BFH).
15 Liegt ein solches mechanisches Versehen i.S. des § 107 FGO vor, dann ist die Berichtigung weder antrags- noch fristgebunden; die Unrichtigkeit ist vielmehr jederzeit vom Gericht zu berichtigen. Sie kann von Amts wegen sowie nach Einlegung von Rechtsmitteln und auch nach Eintritt der Rechtskraft vorgenommen werden (vgl. Senatsbeschluss vom X B 164/90, BFH/NV 1992, 120). Auch steht der Berichtigung nicht entgegen, dass gegen die zu berichtigende gerichtliche Entscheidung ein Rechtsmittel eingelegt worden ist und infolge der durchzuführenden Berichtigung der Erfolg des Rechtsmittels entfallen kann (, BFH/NV 1986, 167). Dementsprechend kann durch einen Antrag auf mündliche Verhandlung i.S. des § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO eine erforderliche Berichtigung nach § 107 FGO nicht gehindert werden.
16 d) Durch diese Auslegung wird entgegen der klägerischen Auffassung die Möglichkeit eines Beteiligten auf Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung nicht in unzulässiger Weise beschränkt. Zwar hat eine Berichtigung zur Folge, dass der Berichtigungsbeschluss auf die Zeit des Wirksamwerdens der gerichtlichen Entscheidung, hier also auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung, zurückwirkt.
17 Auch hat die Durchführung eines Berichtigungsverfahrens grundsätzlich keinen Einfluss auf den Lauf der für das (berichtigte) Urteil geltenden Rechtsmittelfrist (Brandis in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 107 FGO Rz 7, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Anders ist es hingegen dann, wenn sich erst auf Grund der berichtigten Entscheidung die zutreffende Grundlage für das weitere Handeln der Beteiligten ergibt (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1955, 989, und , BFH/NV 1997, 48). Dies ist bei der hier zu beurteilenden Konstellation der Fall: Denn erst auf Grund des Berichtigungsbeschlusses werden die Verfahrensbeteiligten darüber belehrt, dass das (berichtigte) Urteil mittels der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden kann. Der Lauf der Rechtsmittelfrist beginnt mithin erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses (BGH-Beschluss in NJW 1955, 989; vgl. auch Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 55 FGO Rz 38).
18 e) Im Streitfall hat ein Versehen i.S. des § 107 Abs. 1 FGO vorgelegen. Auf Grund der Beweiskraft des Protokolls über die mündliche Verhandlung (§ 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nrn. 6 und 7 und § 165 der Zivilprozessordnung) steht fest, dass der Einzelrichter des FG am im Streitfall ein klageabweisendes Urteil verkündet hat. Es ist daher offensichtlich, dass der nachfolgend schriftlich abgefasste Gerichtsbescheid auf einem eindeutigen Versehen und damit auf einer offenbaren Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO beruht. Dass der Fehler nicht allein aus der zu berichtigenden gerichtlichen Entscheidung, sondern erst mittels Heranziehung des Protokolls feststellbar ist, spielt keine Rolle (vgl. dazu auch , BFH/NV 2004, 67).
19 3. Die von der Klägerin hilfsweise eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Frage, ob die Darlegungsanforderungen des § 116 FGO beachtet worden sind, scheitert die Beschwerde daran, dass der von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht gegeben ist. Wie oben (unter 2.) ausgeführt, konnte das FG ungeachtet des von der Klägerin gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung den Berichtigungsbeschluss erlassen. In der fehlenden Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung liegt daher kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör.
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 392 Nr. 3
WAAAE-26230