BGH Beschluss v. - VIII ZR 157/12

Räumungsprozess nach Kündigung eines Wohnraummietvertrages: Klageänderung in der Berufungsinstanz bei "ohnehin" zugrunde zu legenden Tatsachen

Gesetze: § 543 BGB, § 529 Abs 1 Nr 1 Halbs 2 ZPO, § 531 ZPO, § 533 Nr 2 ZPO

Instanzenzug: LG Duisburg Az: 13 S 27/12vorgehend AG Mülheim Az: 23 C 1522/11

Gründe

I.

1Die Parteien streiten um die Räumung von Wohnraum, den die Beklagten im Jahr 2009 von der Klägerin angemietet hatten. Der Beklagte zu 2 erklärte mit einem - nicht unterzeichneten - Schreiben vom für beide Beklagte die Kündigung des Mietverhältnisses und ist inzwischen ausgezogen. Die Beklagten zahlten seit Januar 2011 keine Miete mehr; sie berufen sich darauf, dass die Miete wegen diverser Mängel um 60 % gemindert sei und ihnen im Übrigen ein Zurückbehaltungsrecht zustehe.

2Die von der Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom gegenüber beiden Beklagten erklärte fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs wurde von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 mangels Beifügung einer Vollmacht mit Faxschreiben vom zurückgewiesen. Mit Schreiben vom an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 kündigte die Klägerin ein weiteres Mal. Nach Abweisung der Räumungsklage durch das Amtsgericht hat die Klägerin mit einem an beide Beklagte gerichteten Schreiben vom das Mietverhältnis erneut wegen Zahlungsverzugs gekündigt. Das Landgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

II.

3Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für die Revisionsinstanz von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

4Das Amtsgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Das mit beiden Beklagten abgeschlossene Mietverhältnis habe nur von beiden oder beiden gegenüber gekündigt werden können. Die Kündigung des Beklagten zu 2 vom sei schon mangels Bevollmächtigung durch die Beklagte zu 1 unwirksam. Die von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärte Kündigung vom sei unwirksam, weil ihr eine Vollmacht nicht beigelegen habe und die Kündigung aus diesem Grund von der Prozessbevollmächtigten der Beklagten unverzüglich zurückgewiesen worden sei. Die Kündigung vom sei unwirksam, weil sie nicht gegenüber beiden Mietern erklärt worden sei. Sie sei nämlich ausschließlich an die Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 gerichtet gewesen, die den Beklagten zu 2 nicht vertreten habe.

5Die Kündigung vom könne als neues Angriffsmittel nach §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt werden, weil der Klägerin insoweit Nachlässigkeit zur Last falle. Es sei eine Selbstverständlichkeit gewesen, dass es auf diese einfachen formalen Gesichtspunkte der Kündigung gegenüber mehreren Mietern ankomme, so dass die Klägerin ohne weiteres eine formal ordnungsgemäße Kündigung während des erstinstanzlichen Verfahrens hätte aussprechen können.

III.

6Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist der Beschwerdewert nach § 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO erreicht. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht.

7Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), indem sie die Kündigung der Klägerin vom in offensichtlich verfahrensfehlerhafter Weise unberücksichtigt lässt.

8Das Berufungsgericht meint, dass es sich bei der Kündigung vom um ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO handele. Damit verkennt es, dass die Klägerin mit dieser Kündigung einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt hat, nämlich ein Räumungsbegehren, das auf diese erneute Kündigung gestützt ist. Die darin liegende Klageänderung beurteilt sich nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO, sondern nach § 533 ZPO.

9Die Voraussetzungen der letztgenannten Vorschrift liegen aber - offensichtlich - vor, weil die Klageänderung sachdienlich und auf Tatsachen gestützt ist, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat.

10Die Parteien haben in ihren Schriftsätzen von Beginn des Rechtsstreits an um die (materielle) Berechtigung der Klägerin zur Kündigung wegen Zahlungsverzugs gestritten, insbesondere darum, ob die Beklagten, die unstreitig seit Januar 2011 keine Miete mehr gezahlt haben, insoweit in Zahlungsverzug geraten sind oder ob die Miete wegen der von ihnen gerügten Mängel gemindert ist und ihnen im Übrigen ein Zurückbehaltungsrecht zusteht; zu diesen Streitpunkten haben beide Parteien bereits erstinstanzlich umfangreich vorgetragen.

11Zu den Tatsachen, auf die gemäß § 533 Nr. 2 ZPO eine Klageänderung gestützt werden kann, weil sie das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat, gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch solche, die bereits in erster Instanz vorgetragen waren, von dem erstinstanzlichen Gericht aber als unerheblich beurteilt worden sind und deshalb im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden haben. Kommt es aus der allein maßgeblichen objektiven Sicht des Berufungsgerichts aufgrund der Klageänderung auf diese Tatsachen an, bestehen erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten (, BGHZ 158, 295, 309 f.; vom - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16; vom - II ZR 35/10, WM 2012, 1692 Rn. 29; vom - VIII ZR 109/11, NJW 2012, 2663 Rn. 16). So liegt es hier bezüglich des Streits der Parteien über die miteinander zusammenhängenden Fragen der Mietminderung, des Zurückbehaltungsrechts und des Zahlungsverzuges. Jedenfalls mit der neuerlichen Kündigung vom hat die Klägerin gegenüber beiden Beklagten eine formell ordnungsgemäße Kündigung ausgesprochen, so dass es nunmehr auf die materiellen Kündigungsgründe und in diesem Zusammenhang auf die von den Beklagten schon erstinstanzlich behaupteten Mietmängel ankommt. Hieraus ergibt sich zugleich die Sachdienlichkeit der Klageänderung, denn die Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom ist geeignet, den gesamten Streitstoff der Parteien zu erledigen.

Ball                                     Dr. Milger                                 Dr. Achilles

               Dr. Schneider                                Dr. Fetzer

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Fundstelle(n):
LAAAE-26105