BGH Beschluss v. - XI ZB 8/12

Instanzenzug:

Gründe

I.

1 Die Parteien streiten um die Kaufpreiszahlung aus einer Vielzahl von Wertpapiergeschäften, die sie nach ihren Darlegungen jeweils als Kommissionsgeschäft für ihre eigenen Kunden getätigt haben. Das zugestellt am , die Zahlungsklage der Klägerin gegen die Beklagte abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgemäß Berufung eingelegt.

2 Mit Verfügung vom verlängerte der Vorsitzende des Berufungssenats die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zum . Mit Schriftsatz vom beantragte die Klägerin im Einverständnis mit der Beklagten im Hinblick auf mehrere Parallelverfahren das Ruhen des Verfahrens. Nach einem Telefonat mit dem Vorsitzenden des Berufungssenats wiederholte die Klägerin mit Schriftsatz vom den Ruhensantrag und beantragte "vorsorglich" die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum . Mit Verfügung vom gab der Vorsitzende dem Verlängerungsantrag statt. Mit Beschluss vom ordnete das Berufungsgericht das Ruhen des Verfahrens an; einen Hinweis auf § 251 Satz 2 ZPO enthielt der Beschluss nicht. Abschriften der Verfügung und des Beschlusses wurden den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt. Am wies der Vorsitzende des Berufungssenats die Prozessbevollmächtigten der Klägerin telefonisch darauf hin, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sei, weil das Ruhen des Verfahrens keinen Einfluss auf den Ablauf der Frist habe. Mit Schriftsatz vom , beim Berufungsgericht eingegangen am , begründete die Klägerin die Berufung und beantragte vorsorglich gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

3 Mit dem angefochtenen Beschluss vom hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beschluss vom , mit dem das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden sei, habe gemäß § 251 Satz 2 ZPO auf den Lauf der Berufungsbegründungsfrist keinen Einfluss gehabt. Der Antrag der Klägerin auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens sei nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auszulegen gewesen. Der Antrag vom weise keinen Bezug zu einer weiteren, d.h. über die bereits bis zum gewährte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf. Der Antrag vom habe eine Fristverlängerung ausdrücklich nur bis zum umfasst, so dass für eine Auslegung des Antrags, die Fristverlängerung werde bis zum Zeitpunkt des (ungewissen) Endes des Ruhens des Verfahrens begehrt, kein Raum sei. Aufgrund dessen seien die Berufung der Klägerin infolge Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig und ihr Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen.

II.

4 Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 43, vom - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 223 und vom - XII ZB 191/02, BGHZ 155, 21, 22), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich.

5 1. Der Beschluss des Berufungsgerichts geht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung davon aus, dass die Frist zur Begründung der Berufung nicht eingehalten und deswegen die Berufung der Klägerin unzulässig ist. Das Berufungsgericht hat dabei entgegen der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Ansicht weder die für die Auslegung von Prozesserklärungen geltenden Regeln missachtet noch das Recht der Klägerin auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG, NJW 2003, 281) oder auf rechtliches Gehör verletzt.

6 a) Die Berufung der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht innerhalb der in § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO bestimmten Frist begründet worden ist. Die Anordnung des Ruhens des Verfahrens hat den Lauf dieser Frist nach § 251 Satz 2, § 233 ZPO nicht beeinflusst.

7 b) Der Verwerfung der Berufung steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht nicht über eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist entschieden hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IVb ZB 19/88, NJW-RR 1988, 581 und vom - VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931). Das Berufungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin keinen solchen Antrag gestellt hat. Insbesondere ist deren Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung auszulegen.

8 aa) Bei Auslegung einer Prozesserklärung darf eine Partei nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden, sondern es ist davon auszugehen, dass sie mit ihrer Prozesshandlung das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. , NJW-RR 2000, 1446, vom - VIII ZR 210/99, WM 2000, 1512, 1514 und vom - VI ZR 244/07, NJW 2009, 751 Rn. 11; Senatsbeschluss vom - XI ZB 15/09, NJW-RR 2010, 275 Rn. 9 mwN). Dabei bestimmen allerdings, was die Rechtsbeschwerde übersieht, nicht allein die tatsächlichen Interessen der erklärenden Partei das Verständnis der abgegebenen Erklärung. Vielmehr müssen sich diese aus den im Zeitpunkt der Erklärung äußerlich in Erscheinung tretenden Umständen ersehen lassen. Maßgebend ist unter Beachtung der durch die gewählte Formulierung gezogenen Auslegungsgrenzen der objektiv zum Ausdruck kommende Wille des Erklärenden (BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 38/05, NJW-RR 2006, 862 Rn. 13, vom - XII ZB 82/06, NJW 2007, 3640 Rn. 26 und vom - XI ZB 15/09, NJW-RR 2010, 275 Rn. 9 mwN).

9 bb) Nach diesen Grundsätzen eröffnet, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bereits der Wortlaut des Antrags der Klägerin und der Inhalt der beiden Schriftsätze vom und vom keinen Raum für eine Auslegung als doppelte Prozesserklärung, die sowohl auf die Anordnung des Ruhens des Verfahrens als auch auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gerichtet ist. Dagegen spricht bereits, dass der Schriftsatz vom lediglich einen Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens beinhaltet hat, während der Schriftsatz vom - nach einem Telefonat des Vorsitzenden des Berufungssenats mit den Prozessbevollmächtigten der Klägerin - neben dem erneut gestellten Antrag auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens zusätzlich einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist - wenn auch nur bis zum - enthalten hat. Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Antrag der Klägerin auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens in beiden Schriftsätzen nicht zugleich auch im Sinne einer doppelten Prozesserklärung einen weiteren Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist über den hinaus umfasst hat. Die von der Rechtsbeschwerde bevorzugte Auslegung, der Schriftsatz vom habe neben dem ausdrücklich gestellten - befristeten - Verlängerungsantrag daneben einen weiteren konkludent gestellten und zudem keinen festen Endtermin benennenden Antrag enthalten, ist fernliegend.

10 Dagegen spricht auch nicht, dass in dem Schriftsatz vom die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur "vorsorglich" beantragt worden ist. Ob damit die Zeit zwischen dem Ablauf der ersten Fristverlängerung am und der Entscheidung über den Ruhensantrag überbrückt werden sollte oder ob die Klägerin im Hinblick auf den Ausgang anhängiger Parallelverfahren noch abwarten wollte, ob die Berufung überhaupt durchgeführt wird, mag dahinstehen. Jedenfalls war - wie auch aus den sonstigen Umständen - für das Berufungsgericht nicht erkennbar, dass die Klägerin mit ihren Schriftsätzen vom und vom nicht nur die Anordnung des Ruhens des Verfahrens, sondern zudem eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist über den hinaus begehrte. Es mag zwar damals ein Interesse der Klägerin bestanden haben, aus Kostengründen zunächst von einer Begründung der Berufung abzusehen. Nachdem das Berufungsgericht die Berufungsbegründungsfrist mit Verfügung des Vorsitzenden vom antragsgemäß bis zum verlängert hatte, hat für die Klägerin indes nach Zugang des Ruhensbeschlusses im Hinblick auf § 251 Satz 2 ZPO Anlass bestanden, noch rechtzeitig einen erneuten Fristverlängerungsantrag zu stellen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Klägerin die Fristverlängerung und den Ruhensbeschluss mit derselben Post erhalten hat. Daraus musste sie den Schluss ziehen, dass das Berufungsgericht das Ruhen des Verfahrens unabhängig vom Lauf der Berufungsbegründungsfrist angeordnet hat.

11 cc) Das Berufungsgericht befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, so dass auch aus diesem Grund die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird ein Antrag auf Ruhen des Verfahrens für sich genommen nicht zugleich als Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist für eine Berufung aufgefasst (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 35/00, NJW-RR 2001, 572 und vom - XI ZB 15/09, NJW-RR 2010, 275 Rn. 12 mwN). Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht, das bei seiner Würdigung auch die Umstände des vorliegenden Falles bedacht hat, seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

12 2. Das Berufungsgericht hat auch rechtsfehlerfrei die von der Klägerin begehrte Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist abgelehnt.

13 Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht, anders als die Rechtsbeschwerde meint, auf einem schuldhaften Versehen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin (§ 85 Abs. 2 ZPO). Diese haben ersichtlich die Regelung des § 251 Satz 2 ZPO übersehen. Dass das Berufungsgericht darauf - etwa in dem Beschluss vom , mit dem das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden ist - nicht ausdrücklich hingewiesen hat, entschuldigt die Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht. Ein Rechtsanwalt muss die Gesetze, insbesondere die Bundesgesetze, kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (vgl. , NJW 1993, 2538, 2539 mwN). Im Hinblick auf die Regelung des § 251 Satz 2 ZPO gilt dies umso mehr, als das Ruhen des Verfahrens von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin selbst beantragt worden ist.

14 Es bedarf daher auch keiner Prüfung, ob das Berufungsgericht die Klägerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigten auf die Vorschrift des § 251 Satz 2 ZPO ausdrücklich hätte hinweisen müssen. Ein etwaiges Versäumnis des Berufungsgerichts wäre nicht geeignet, das Verschulden der Klägerin auszuräumen. Denn deren Prozessbevollmächtigte mussten - wie bereits dargelegt - die Rechtslage kennen oder sich diese Kenntnis rechtzeitig verschaffen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine irrige Rechtsauffassung vom Gericht veranlasst und hierdurch ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde (vgl. BVerfG, NJW 2004, 2887, 2888; , NJW 2011, 522 Rn. 30 ff. mwN; und VI ZB 2/96, NJW 1996, 1900, 1901). Für einen solchen Vertrauensschutz ist indes im vorliegenden Fall kein Raum. Dies wird von der Rechtsbeschwerde auch nicht geltend gemacht.

Fundstelle(n):
KAAAE-22430