BAG Urteil v. - 10 AZR 330/11

Tarifliche Sonderzahlung - Bemessungsgrundlage - Auslegung des TV Versorgungsbetriebe

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Oberhausen Az: 3 Ca 560/10 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 10 Sa 1376/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe einer tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 2009.

Die Klägerin ist für die Beklagte in Teilzeit als Hausmeisterin tätig gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 540,19 Euro. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung, der den Anspruch auf Sonderzahlung wie folgt regelt:

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall regelt der TV-V wie folgt:

4Die Klägerin war seit dem arbeitsunfähig erkrankt. Sie erhielt bis zum Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und daran anschließend bis zum den tarifvertraglichen Zuschuss zum Krankengeld. Die Beklagte hat die Kalendermonate, in denen sie einen Krankengeldzuschuss gezahlt hat, bei der Bemessung der tarifvertraglichen Sonderzahlung nicht berücksichtigt und lediglich anteilig für die Kalendermonate Januar und Februar 2009 eine Sonderzahlung in Höhe von 90,03 Euro brutto geleistet.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Anspruch habe sich nach § 16 Abs. 1 Satz 4 TV-V nicht für die Kalendermonate ermäßigt, in denen sie einen Krankengeldzuschuss bezogen habe.

Die Klägerin hat beantragt,

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nur Kalendermonate mit gesetzlicher Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall seien von der Kürzung der Sonderzahlung ausgenommen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

9Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat nach § 16 Abs. 1 TV-V einen Anspruch in Höhe von 10/12 der vollen Sonderzahlung für das Jahr 2009. Nach § 16 Abs. 1 Satz 4 TV-V hat sich der Anspruch nur für die Kalendermonate ermäßigt, in denen sie weder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch einen Krankengeldzuschuss bezogen hat.

10I. Der Anspruch ist nach § 16 Abs. 1 TV-V entstanden, da die Klägerin am in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden hat. Der volle Anspruch betrug nach § 16 Abs. 1 Satz 2 TV-V 540,19 Euro entsprechend dem Entgelt, das der Klägerin zugestanden hätte, wenn sie den ganzen Monat Oktober gearbeitet hätte (vgl. zur Berechnung Scheuring/Lang/Hoffmann § 16 TV Versorgungsbetriebe Rn. 1.2).

11II. Der volle Anspruch hat sich nach § 16 Abs. 1 Satz 4 TV-V nur für die Kalendermonate November und Dezember 2009 um je 1/12 ermäßigt, in denen die Klägerin weder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch einen Krankengeldzuschuss bezogen hat, nicht aber für die Monate März bis Oktober 2009, in denen die Beklagte den tarifvertraglichen Zuschuss zum Krankengeld gezahlt hat. Dies sind Zeiten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall iSv. § 16 Abs. 1 Satz 4 TV-V, die von der Kürzung ausgenommen sind. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

121. Der Wortlaut, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. zB  - Rn. 9, AP TVöD § 20 Nr. 2), ist nicht eindeutig. Denkbar ist, dass nur Kalendermonate mit gesetzlicher Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFZG von der Kürzung ausgenommen sind; der Klammerzusatz „(§ 13)“ spricht aber eher dafür, dass dies für alle Kalendermonate gilt, in denen der Arbeitgeber nach § 13 TV-V Leistungen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und daran anschließend Leistungen des Zuschusses zum Krankengeld erbringt.

132. Der tarifliche Gesamtzusammenhang des TV-V bestätigt dies. Die Überschriften der Tarifnormen geben das tarifliche Verständnis des nachfolgenden Regelungszusammenhangs wieder. Enthält eine Tarifnorm mehrere Regelungsgegenstände, so ergibt sich dies aus der Überschrift (§ 2 TV-V „Arbeitsvertrag, Probezeit“, § 15 TV-V „Sonderurlaub, Arbeitsbefreiung“). § 13 TV-V („Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“) regelt danach, was nach tariflichem Verständnis als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verstanden werden soll. Wegen des Klammerzusatzes „(§ 13)“ liegt es nahe, dieses tarifliche Verständnis auch der Kürzungsregel des § 16 Abs. 1 Satz 4 TV-V zugrunde zu legen (vgl. zu § 46 BMT-AW II:  - Zahlung eines Krankengeldzuschusses als „Bezug“, der nicht zu einer Kürzung einer tarifvertraglichen Zuwendung führt).

143. Verbleibende Zweifel beseitigt die Tarifgeschichte. Der TV-V hat als Spartentarifvertrag Arbeitnehmer aus dem BMT-G und dem BAT nach Maßgabe von § 1 Abs. 1 TV-V erstmalig in ein einheitliches Tarifrecht überführt (vgl. Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G § 1a Rn. 3.1); der TV-V ersetzt nach § 1a BMT-G und § 1a BAT in seinem Anwendungsbereich beide Tarifverträge. Für Arbeiter und Angestellte in kommunalen Versorgungsbetrieben konnte damit der BMT-G, der BAT oder der TV-V zur Anwendung kommen. Nach den Zuwendungstarifverträgen besteht der Anspruch auf eine Zuwendung unabhängig davon, ob der Angestellte oder Arbeiter im Zuwendungsjahr arbeitsunfähig erkrankt ist und ob er Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder einen Krankengeldzuschuss bezieht; auch nach Ablösung beider Tarifwerke unterbleibt nach § 20 Abs. 4 TVöD/TV-L eine Minderung des Anspruchs für Zeiten, in denen Krankengeldzuschuss gezahlt wird. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass der Anspruch auf Sonderzahlung nach § 16 TV-V in diesem Punkt grundlegend anders ausgestaltet ist als in den zunächst weiter geltenden Tarifwerken bzw. dem TVöD/TV-L, sind nicht erkennbar und hätten deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen. Dies ist unterblieben.

15III. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
CAAAE-20775