Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist und die Wiedereinsetzungsfrist in einer Familiensache: Antragsablehnung bei nachgeholter Rechtsmittelschrift mit einer Blankounterschrift
Leitsatz
Erfährt das Rechtsmittelgericht aus der Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsantrags, dass die nachgeholte Rechtsmittelschrift mit einer Blankounterschrift versehen wurde, kann es ohne Hinweis an den Beteiligten regelmäßig nicht davon ausgehen, der Rechtsanwalt habe den Schriftsatz nicht vollständig geprüft und die Rechtsmittelschrift sei daher nicht formwirksam.
Gesetze: § 117 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 130 Nr 6 ZPO, § 233 ZPO, § 236 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 UF 106/11vorgehend AG Wildeshausen Az: 2 F 287/10 UE
Gründe
I.
1Der Antragsgegner ist durch Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - verpflichtet worden, an die Antragstellerin Trennungsunterhalt in wechselnder Höhe, ab Mai 2011 in Höhe von monatlich 350 € zu zahlen.
2Für die Rechtsmittelinstanz hat der Antragsgegner Verfahrenskostenhilfe beantragt, die ihm das bewilligt hat. Der Beschluss ist beim Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners am eingegangen, das Empfangsbekenntnis wie auch der Eingangsstempel lauten auf den . Der Antragsgegner hat sodann durch einen an das Oberlandesgericht gerichteten Schriftsatz vom Beschwerde eingelegt und diese sogleich begründet. Bei Eingang des VKH-Beschlusses wie auch bei Abfassung des Schriftsatzes, der beim Oberlandesgericht (erst) am eingegangen ist, befand sich der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners auf einer Urlaubsreise. Der Schriftsatz wurde von dessen Bürovorsteherin mit einer für diesen Zweck vorgehaltenen Blankounterschrift des Rechtsanwalts verbunden.
3Auf Hinweis des Oberlandesgerichts ist die Beschwerdeschrift, wiederum datierend vom , verbunden mit einem Wiedereinsetzungsantrag an das Amtsgericht versandt worden und dort am eingegangen.
4Der Antragsgegner beruft sich für die begehrte Wiedereinsetzung (in die Beschwerdefrist und die Wiedereinsetzungsfrist) darauf, dass seine zuverlässige Bürovorsteherin die Beschwerdeschrift wohl aus im alten Verfahrensrecht gewonnener Gewohnheit an das Oberlandesgericht statt an das Amtsgericht gesandt habe. Wäre die noch am bei der Post aufgegebene Beschwerdeschrift postalisch ordnungsgemäß befördert worden, habe das Oberlandesgericht diese fristwahrend an das Amtsgericht schicken können, so dass etwaige Sorgfaltsverstöße seines Verfahrensbevollmächtigten für die Fristversäumung nicht ursächlich sein könnten.
5Das Oberlandesgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
6Die Rechtsbeschwerde ist nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch sonst zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). In der Sache führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Oberlandesgericht.
71. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Frist des gemäß § 113 FamFG anwendbaren § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht gewahrt, weil bis zum Fristablauf "am" (berechnet aufgrund des Eingangs des Verfahrenskostenhilfe bewilligenden Beschlusses am ) kein Wiedereinsetzungsantrag und keine Beschwerdeschrift beim Amtsgericht eingegangen seien.
8Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist sei nicht zu bewilligen, da insoweit ein mangelndes Verschulden nicht dargelegt und glaubhaft gemacht worden sei. Denn der beim Oberlandesgericht eingegangene Schriftsatz sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet worden. Die Blankounterschrift genüge nicht den gesetzlichen Formvorschriften. Ein mittels einer solchen Unterschrift weisungsgemäß erstellter bestimmender Schriftsatz könne die gesetzlichen Formerfordernisse allenfalls dann erfüllen, wenn der Rechtsanwalt den Inhalt des Schriftsatzes so genau festgelegt habe, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen könne. Daran fehle es im vorliegenden Fall, da es sich um einen aufgrund fernmündlicher Anweisungen eigenständig im Büro gefertigten Schriftsatz handele, der in keiner Weise einer eigenen verantwortlichen Prüfung unterzogen worden sei. Dass die erste Seite des Schriftsatzes auch inhaltlich eigenständig von der Bürovorsteherin ausgestaltet worden sei, ergebe sich bereits aus dem eigenen Vortrag des Antragsgegners, nach dem dieser die eigenverantwortliche Einfügung des zuständigen Empfangsgerichts überlassen worden sei. Der Mangel der Unterschrift ergreife den gesamten Schriftsatz, möge dieser auch weitgehend mit der Begründung des Verfahrenskostenhilfeantrags übereinstimmen, und folglich auch die Einlegung der Beschwerde. Die Fristversäumung sei auch nicht unverschuldet, denn der Verfahrensbevollmächtigte, dessen Verschulden dem Antragsgegner zuzurechnen sei, habe für die Zeit seiner Urlaubsabwesenheit einen Vertreter bestellen müssen und die anwaltliche Tätigkeit schon wegen der hohen Fehleranfälligkeit bei Rechtsmitteln in Familiensachen nach vorgeschalteten Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht an eine Bürokraft delegieren dürfen.
9Das Verschulden sei auch ursächlich. Auch bei einer - im Fall der üblichen Postlaufzeit - vom Oberlandesgericht veranlassten Weiterleitung des Schriftsatzes an das Amtsgericht habe der Formmangel bestanden. Für einen Hinweis habe keine Veranlassung bestanden, weil der Formmangel erst aufgrund des Wiedereinsetzungsgesuchs erkennbar gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sei auch nicht erkennbar, wie der Verfahrensbevollmächtigte den Mangel innerhalb der am abgelaufenen Rechtsmittelfrist geheilt hätte, nachdem er sich erst am wieder in seinen Kanzleiräumen eingefunden habe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass auch beim Amtsgericht eine mit dem gleichen Formmangel behaftete Beschwerdeschrift eingereicht worden sei.
102. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
11Das Oberlandesgericht durfte nicht ohne weiteres von einer Formnichtigkeit der eingereichten Beschwerde ausgehen.
12a) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde allerdings darauf, dass der Verfahrenskostenhilfebeschluss nicht, wie vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners durch das Empfangsbekenntnis bescheinigt, bereits am (oder sogar früher), sondern erst eine Zeitlang nach dessen Rückkehr, nämlich am zugestellt worden sei, als dieser das Empfangsbekenntnis dem Oberlandesgericht per Fax übermittelt habe.
13Das Empfangsbekenntnis eines Anwalts erbringt, obgleich es lediglich eine Privaturkunde (§ 416 ZPO) darstellt, wie eine Zustellungsurkunde gemäß § 418 ZPO Beweis für die Entgegennahme des bezeichneten Schriftstücks als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme (§ 174 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 ZPO; vgl. BVerfG NJW 2001, 1563, 1564; - VersR 1997, 86). Zwar ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit eines Empfangsbekenntnisses zulässig. Dafür genügt die bloße Möglichkeit der Unrichtigkeit nicht, vielmehr muss jede Möglichkeit der Richtigkeit der Empfangsbestätigung ausgeschlossen werden (vgl. NJW 2009, 855 Rn. 8 sowie - VersR 2001, 1262, 1263 und vom - VIII ZR 114/05 - NJW 2006, 1206, 1207).
14Dass das Empfangsbekenntnis ein zu frühes Datum ausweise, hat der Antragsgegner überdies vor dem Oberlandesgericht nicht geltend gemacht. Sein Vortrag, dass er bis Anfang Oktober ortsabwesend gewesen und ihm der Verfahrenskostenhilfe bewilligende Beschluss des Oberlandesgerichts erst einige Zeit nach seiner Rückkehr vorgelegt worden sei, steht einem früheren Empfang nicht entgegen. Der Rechtsanwalt kann vielmehr den Empfang bereits für einen früheren Zeitpunkt bescheinigen, zu dem ihm das Schriftstück etwa telefonisch bekannt gegeben wurde.
15b) Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht indessen auf die Formunwirksamkeit des die Berufungseinlegung und die Berufungsbegründung enthaltenden Schriftsatzes abgestellt. Hierzu hätte es zumindest eines vorherigen Hinweises an den Antragsgegner bedurft, um ihm nach Art. 103 Abs. 1 GG ausreichend rechtliches Gehör zu gewähren.
16aa) Die Beschwerdeschrift war mit der Unterschrift des Rechtsanwalts versehen und entsprach demnach jedenfalls äußerlich der von § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 130 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Form. Mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift ist aus Gründen der Rechtssicherheit auch ohne einen darüber hinausgehenden Nachweis davon auszugehen, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für dessen Inhalt tragen will. Für ein Rechtsmittelgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat ( - NJW 2005, 2709 mwN).
17Dementsprechend ist auch eine Blankounterschrift grundsätzlich geeignet, die Form zu wahren. Der Bundesgerichtshof hat hierfür allerdings vorausgesetzt, dass der Rechtsanwalt den Inhalt des noch zu erstellenden Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen konnte ( - NJW 2005, 2709, 2710 sowie Beschluss vom - VI ZB 28/10 - FamRZ 2011, 558 Rn. 9). Diese Voraussetzung hat der Bundesgerichtshof verneint, wenn der Rechtsanwalt eine Berufungsbegründung unterschrieben hatte, die von einem Referendar noch zu ändern war, auch wenn die Änderungen vom Rechtsanwalt mit dem Referendar besprochen und stichwortartig fixiert worden waren ( - NJW 2005, 2709, 2710).
18bb) Auch bei einer Blankounterschrift ist aber nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der gesamte Inhalt des Schriftsatzes vom unterzeichnenden Rechtsanwalt so genau festgelegt ist, dass dieser den Inhalt des Schriftsatzes eigenverantwortlich geprüft hat. Denn allein die Blankounterschrift spricht noch nicht dafür, dass dem Rechtsanwalt der Inhalt des Schriftsatzes nicht bekannt ist. So kann ein Schriftsatz vom ortsabwesenden Rechtsanwalt telefonisch diktiert und anschließend - etwa anhand der Textdatei oder durch Übersendung per Telefax - überprüft worden sein. Auch kann durch eine telefonisch angeordnete Übernahme des Textes aus einem vorausgegangenen Schriftsatz - wie im vorliegenden Fall der Begründung des Verfahrenskostenhilfeantrags - sichergestellt sein, dass der gesamte Text vom unterzeichneten Rechtsanwalt verantwortet wird.
19Deshalb kann im Fall einer Blankounterschrift nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Unterschrift des Rechtsanwalts nicht den gesamten Inhalt als dessen eigene Ausarbeitung abdeckt. Vielmehr ist dem Antragsteller zunächst Gelegenheit zum ergänzenden Vortrag zu geben, bevor beurteilt werden kann, ob der Rechtsanwalt den gesamten Inhalt des bestimmenden Schriftsatzes kannte.
20cc) Im vorliegenden Fall bestand für das Oberlandesgericht ohne weitere Nachfrage kein hinreichender Anlass davon auszugehen, dass der Inhalt der Beschwerdeschrift nicht von der Unterschrift des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners gedeckt war. Vielmehr hat es selbst erwähnt, dass der Schriftsatz (jedenfalls) weitgehend mit der Begründung des Verfahrenskostenhilfeantrags übereinstimmte. Die Rechtsbeschwerde rügt des Weiteren zu Recht, dass das Oberlandesgericht, selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, dem Antragsgegner zumindest Gelegenheit hätte geben müssen, zu der Sachlage ergänzend Stellung zu nehmen. Denn für den Rechtsanwalt war die Formwirksamkeit der Beschwerdeschrift ersichtlich nicht zweifelhaft, zumal die beiden ihm vom Oberlandesgericht erteilten Hinweise andere Fragen betrafen. Ein entsprechender Hinweis war entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts schon deshalb nicht entbehrlich, weil der Antragsgegner nicht lediglich Gelegenheit erhalten sollte, eine versäumte Unterschrift nachzuholen, sondern zuvor auch das Zustandekommen der Beschwerdeschrift und deren inhaltliche Prüfung durch den Rechtsanwalt darzulegen und glaubhaft zu machen.
21Dass der Verfahrensbevollmächtigte seiner Bürovorsteherin die Adressierung der Beschwerdeschrift überließ und diese den Schriftsatz unzutreffend an das Oberlandesgericht statt an das Amtsgericht adressierte, steht dem nicht entgegen. Denn es kann bereits nicht ausgeschlossen werden, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz vollständig kannte und den Fehler der Adressierung des vorgefertigten Schriftsatzes lediglich nicht bemerkte (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 298/11 - FamRZ 2012, 621 Rn. 11 mwN). Dann würde es sich zwar um ein Anwaltsverschulden handeln, das aber durch die gebotene Weiterleitung des Schriftsatzes an das Amtsgericht für die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist nicht ursächlich geworden wäre.
22c) Ob auch das (erstmalige) Wiedereinsetzungsgesuch formgerecht ist, ist schließlich nicht entscheidungserheblich. Denn die Wiedereinsetzung kann im Fall der rechtzeitigen Nachholung der versäumten Beschwerdeeinlegung nach § 236 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO auch ohne Antrag gewährt werden. Das gilt für die Wiedereinsetzung sowohl in die Beschwerdefrist wie auch in die Wiedereinsetzungsfrist. Gründe für eine Ablehnung ergeben sich aus dem angefochtenen Beschluss nicht.
23d) Die angefochtene Entscheidung hat nicht aus anderen Gründen Bestand. Der verspätete Eingang des Schriftsatzes beim Amtsgericht führt noch nicht dazu, dass der Wiedereinsetzungsantrag bereits aus anderen Gründen zurückzuweisen ist. Denn das Oberlandesgericht hat insoweit die vom Antragsgegner dargelegte alsbaldige Absendung und daraus folgende verzögerte Postbeförderung unterstellt, so dass davon auszugehen ist, dass das Oberlandesgericht die Beschwerdeschrift bei regulärer Postbeförderung dem Amtsgericht noch rechtzeitig hätte übermitteln können. Auf die vom Oberlandesgericht vom Empfangsbekenntnis abweichend berechnete Wiedereinsetzungsfrist kommt es schließlich nicht entscheidend an.
243. Die vom Antragsgegner beantragte Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nicht auszusprechen, weil das Verfahren in der Hauptsache nicht in die Rechtsbeschwerdeinstanz gelangt ist. Eine entsprechende Anwendung der §§ 719, 707 ZPO ist nicht möglich. Insoweit verbleibt es bei der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, bei dem das Beschwerdeverfahren anhängig ist und dessen Entscheidung im Übrigen nicht anfechtbar ist.
Dose Klinkhammer Schilling
Günter Botur
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 3378 Nr. 46
FAAAE-20265