BFH Beschluss v. - XI B 19/11

Beschränkung des Streitgegenstandes einer Klage; Festsetzungsverjährung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3AO § 174 Abs. 4AO § 174 Abs. 5AO § 359AO § 360 Abs. 4AO § 169

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, als „Tankstellenverwalterin” und die Beigeladene, die Gesellschafter-Geschäftsführerin der Klägerin, als „Mitverpflichtete” schlossen mit der X einen Tankstellenvertrag über den Erwerb und Betrieb einer Tankstelle. Nach dem Erwerb des Tankstellengrundstücks durch die Beigeladene leistete die X u.a. Zahlungen über 1.060.000 DM („Zinszuschuss”) und 70.000 DM („Nutzungsentgelt”) jeweils zuzüglich Umsatzsteuer. Entsprechende Umsätze für das Streitjahr 1999 erklärten weder die Klägerin noch die Beigeladene.

2 Nachdem der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) die streitbefangenen Umsätze zunächst bei der Klägerin erfasst hatte, rechnete er —nach einer für das Streitjahr allein bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung— die Umsätze der Beigeladenen zu und setzte dieser gegenüber die Umsatzsteuer 1999 mit Änderungsbescheid vom fest. Zu dem Einspruchsverfahren der Beigeladenen zog das FA die Klägerin hinzu. Es erließ die von der Klägerin angefochtene Einspruchsentscheidung vom , mit der die Umsatzsteuer gegenüber der Beigeladenen wieder auf den vor Ergehen des Änderungsbescheids festgesetzten Betrag herabgesetzt wurde, und führte zur Begründung aus, die Zahlungen der X seien im Rahmen eines Leistungsaustauschs mit der Klägerin und nicht eines solchen mit der Beigeladenen erfolgt; die steuerlichen Folgerungen aus dem dargelegten Sachverhalt seien bei der Klägerin zu ziehen. Dies ist mit Bescheid vom geschehen.

3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin mit dem Antrag, die Einspruchsentscheidung vom (gegenüber der Beigeladenen) aufzuheben, ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, das FA habe mit der Einspruchsentscheidung zu Recht die Umsatzsteuer 1999 gegenüber der Beigeladenen unter Minderung der Bemessungsgrundlage um 1.060.000 DM und 70.000 DM herabgesetzt. Dem Ansatz der betreffenden Umsätze im Änderungsbescheid vom habe der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegengestanden. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1999 der Beigeladenen sei die Festsetzungsverjährung bereits mit Ablauf des Jahres 2005 eingetreten. Eine Verlängerung der Festsetzungsfrist aufgrund leichtfertiger Steuerverkürzung scheitere daran, dass die Beigeladene eine Steuer nicht verkürzt habe, da die Zahlungen der X kein Entgelt für von der Beigeladenen erbrachte Leistungen, sondern vielmehr Entgelt für solche der Klägerin darstellten.

4 Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision. Sie macht geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—), zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO), zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) und wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen.

5 II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Soweit die Klägerin Zulassungsgründe den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt hat, liegen diese nicht vor.

6 1. Die Klägerin hat die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung sowie des Erfordernisses der Fortbildung des Rechts nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form geltend gemacht.

7 a) Der Zulassungsgrund des Erfordernisses der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) stellt einen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) dar, für dessen Darlegung somit zumindest dieselben Anforderungen gelten. Infolgedessen muss auch zur Begründung einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO gestützten Nichtzulassungsbeschwerde eine bestimmte Rechtsfrage herausgestellt werden, die für den Rechtsstreit erheblich sein kann, und begründet werden, warum diese Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom I B 186/04, BFH/NV 2005, 1620; vom III B 192/10, BFH/NV 2011, 2043). Vorliegend hat die Klägerin keine klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert, die für die Entscheidung des Streitfalles erheblich sein kann.

8 b) Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob gegenüber einem Dritten (hier: gegenüber der Klägerin) ein Steuerbescheid nach § 174 Abs. 4 und 5 der Abgabenordnung (AO) noch ergehen darf, wenn die Festsetzungsfrist für einen Steuerbescheid gegen den Steuerpflichtigen (hier: der Beigeladenen) bei Erlass des nach § 174 Abs. 4 und 5 AO maßgeblichen Steuerbescheids gegen den Steuerpflichtigen abgelaufen war, nicht jedoch die Festsetzungsfrist für einen Steuerbescheid gegen den Dritten bei Erlass des Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 und 5 AO gegen den Steuerpflichtigen, ist in diesem Verfahren nicht klärbar. Denn Streitgegenstand dieses Verfahrens ist nicht der im Besteuerungsverfahren der Klägerin gegen diese ergangene Umsatzsteuerbescheid 1999 vom , sondern allein die Festsetzung der Umsatzsteuer 1999 gegen die Beigeladene.

9 Durch die Hinzuziehung zum Einspruchsverfahren der Beigeladenen kann die Klägerin dieselben Rechte geltend machen wie die Beigeladene, die den Einspruch eingelegt hat (vgl. § 360 Abs. 4 AO). Gegen die ihr als Hinzugezogene bekannt gegebene Einspruchsentscheidung (vgl. § 366, § 359 Nr. 2 AO) konnte die Klägerin Klage erheben, wobei ihre rechtlichen Interessen nur in den Grenzen des durch die Beigeladene als Einspruchsführerin gesteckten Einspruchsgegenstands Berücksichtigung finden können (vgl. , BFHE 195, 486, BStBl II 2001, 747, unter I.2.).

10 c) Die weitere von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob die Frage der Festsetzungsverjährung des gegen den Steuerpflichtigen (hier: die Beigeladene) erlassenen Steuerbescheids im Rechtsbehelfsverfahren gegen diesen Bescheid zu klären oder —sofern dieser Bescheid nur durch den Dritten (hier: die Klägerin) angefochten wird— im Folgeverfahren, das der Dritte gegen den gegen ihn nach § 174 Abs. 4 und 5 AO erlassenen Steuerbescheid führt, ist bereits durch die Rechtsprechung des BFH geklärt (vgl. Urteil vom V R 81/07, BFHE 225, 193, BStBl II 2010, 109, unter II.2.b).

11 Die Klägerin selbst führt mit ihrer Beschwerdebegründungsschrift aus, der BFH habe mit der genannten Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt, dass die Frage der Festsetzungsverjährung gegenüber dem Steuerpflichtigen bereits im Ausgangsverfahren zu prüfen und zu berücksichtigen ist. In jenem Verfahren, in dem ebenfalls der zum Einspruchsverfahren hinzugezogene Kläger gegen die Einspruchsentscheidung geklagt hatte, hat der BFH die Frage der Festsetzungsverjährung geprüft und entschieden, dass das dortige FA im Ergebnis zu Recht mit Einspruchsentscheidung die gegen den Steuerpflichtigen ergangenen Aufhebungsbescheide aufgehoben habe, da diese Bescheide aufgrund der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung rechtswidrig gewesen seien.

12 2. Die Revision ist nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.

13 a) Das FG hat keinen von dem BFH-Urteil in BFHE 225, 193, BStBl II 2010, 109 oder dem (BFHE 191, 198, BStBl II 2000, 330) abweichenden Rechtssatz aufgestellt dergestalt, wie ihn die Klägerin in dieser Allgemeinheit mit „Trotz Eintritt der Festsetzungsverjährung bei Erlass des Bescheides ist dieser auf Klage des Dritten (§ 174 Abs. 5 AO) hin nicht aufzuheben” oder mit „Ist ein Steuerbescheid materiell-rechtlich rechtmäßig, so darf er auch noch nach und trotz Eintritt der Festsetzungsverjährung bei seinem Erlass ergehen” formuliert.

14 aa) Im Streitfall hat das FG die von der Klägerin angefochtene Einspruchsentscheidung, mit der gegenüber der Beigeladenen die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung einer um 1.060.000 DM und 70.000 DM geminderten Bemessungsgrundlage festgesetzt wurde, mit der Begründung bestätigt, dass dem Ansatz dieser Umsätze im gegenüber der Beigeladenen ergangenen Änderungsbescheid vom bereits der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegengestanden habe. Damit erlangte die vor Ablauf der Festsetzungsfrist zuletzt gegen die Beigeladene durch Bescheid vom festgesetzte Steuer wieder Geltung.

15 Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften, die dem Rechtsfrieden gegenüber dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung Vorrang einräumen; der mit den Verjährungsvorschriften bezweckte Rechtsfriede gebietet nur, dass die vor Ablauf der Festsetzungsfrist festgesetzte Steuer nicht mehr geändert werden darf (vgl. , BFHE 165, 438, BStBl II 1992, 52, unter 2.d). Dem wurde im Streitfall entsprochen.

16 bb) Danach kommt es vorliegend nicht mehr darauf an, ob die Klägerin an einer isolierten Aufhebung der Einspruchsentscheidung ein Rechtsschutzinteresse haben konnte, damit diese sodann —ansonsten inhaltsgleich— vom FA mit dem Tenor erlassen werde, der Änderungsbescheid vom werde aufgehoben. Denn bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen kann die Finanzbehörde nach § 174 Abs. 4 und 5 AO gegenüber Dritten die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen, wenn sie an dem Verfahren des Steuerpflichtigen beteiligt waren, gleich ob dieses zur Aufhebung oder zur Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids führte.

17 b) Aus vorstehend unter II.2.a aa dargestellten Gründen ist auch der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers, d.h. eines Rechtsfehlers von erheblichem Gewicht, der deshalb geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. dazu z.B. Senatsbeschluss vom XI B 27/10, BFH/NV 2011, 645), nicht gegeben.

18 3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel, das FG habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO), liegt nicht vor.

19 Der Vortrag der Klägerin, sie sei nachweislich davon ausgegangen, dass allein die Frage der Festsetzungsverjährung entscheidungserheblich sei, wohingegen das FG sein Urteil auf materiell-rechtliche Gesichtspunkte gestützt habe, vermag einen Verfahrensmangel vorliegend nicht zu begründen.

20 Denn das FG ist mit der Klägerin gerade davon ausgegangen, dass hinsichtlich der Umsatzsteuer der Beigeladenen für das Streitjahr Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Vorfrage hierfür war, ob sich die Festsetzungsfrist gegenüber der Beigeladenen aufgrund leichtfertiger Verkürzung der Steuer (§ 169 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AO) verlängert hatte, was das FG mit der Begründung verneinte, dass nicht die Beigeladene, sondern die Klägerin den Steuertatbestand erfüllt habe. Dies entspricht im Übrigen dem Vortrag der Klägerin im Klageschriftsatz vom , wonach die betreffenden Umsätze gerade nicht von der Beigeladenen der Umsatzsteuer zu unterwerfen gewesen seien. Die Klägerin hatte hinreichend Gelegenheit, zu der den materiellen Kern des Rechtsstreits bildenden und in der von ihr angefochtenen Einspruchsentscheidung vom ausführlich erörterten materiellen Rechtsfrage der Leistungsbeziehungen zwischen der X mit entweder der Klägerin oder der Beigeladenen Stellung zu nehmen; sie hat dies mit Schriftsatz vom unter Vorlage weiterer Unterlagen auch getan.

21 Aus dem Umstand, dass in dem zwei Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung von ihrem Prozessbevollmächtigten mit dem Berichterstatter des FG geführten Telefonat ausschließlich die —vom Berichterstatter unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresses für die vorliegende Klage aufgeworfene, vorrangige— Frage erörtert worden ist, ob die Klägerin Einspruch gegen den ihr gegenüber ergangenen (auf § 174 AO gestützten) Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für 1999 vom eingelegt hat, konnte die Klägerin nicht schließen, dass die dargelegte materielle Frage der Leistungsbeziehungen bei der Entscheidung des Rechtsstreits keine Rolle mehr spielen würde.

22 Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe in der mündlichen Verhandlung vom beantragt, die Verhandlung zu vertagen, sofern das Gericht seine Entscheidung auf die materiell-rechtliche Rechtslage stützen wolle, was auch protokolliert worden sei, trifft dies nicht zu. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung hat der Prozessvertreter der Klägerin lediglich darauf hingewiesen, dass „die Frage einer Leistungsbeziehung zwischen der Beigeladenen und der Klägerin bisher nicht hinreichend erörtert” worden sei, und beantragt, die Verhandlung zu vertagen, falls der Senat „hierauf eine Entscheidung stützen” wolle. Wieso die Frage einer Leistungsbeziehung zwischen der Klägerin und der Beigeladenen für die Frage relevant war, ob die X in einer Leistungsbeziehung zu der Klägerin oder zu der Beigeladenen stand, und was sie insofern noch vortragen wollte, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausweislich des Protokolls nicht dargelegt.

Fundstelle(n):
BAAAE-19913