BGH Beschluss v. - VIII ZR 273/11

Rechtzeitigkeit des Vorbringens innerhalb einer Instanz

Leitsatz

§ 282 Abs. 1 ZPO ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (Bestätigung von , NJW-RR 2005, 1007).

Gesetze: § 282 Abs 1 ZPO, § 296 Abs 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: 17 U 68/10vorgehend LG Mannheim Az: 11 O 145/09

Gründe

I.

1Die Klägerin erwarb am von der Beklagten zu 1 einen von der Beklagten zu 2 hergestellten Lkw R.       als Neufahrzeug. Die Klägerin macht Gewährleistungsansprüche wegen eines am an dem Lkw nach rund 85.000 Kilometer Laufleistung aufgetretenen irreparablen Motorschadens geltend. Die Parteien streiten darüber, ob der Wagen bei Gefahrübergang mangelhaft war.

2Das Landgericht hat hierzu ein im selbständigen Beweisverfahren erstelltes Sachverständigengutachten vom nebst Ergänzungsgutachten vom zu Beweiszwecken verwertet. Den im Termin zur mündlichen Verhandlung am gestellten Antrag der Klägerin, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Ergänzungsgutachtens zu laden, hat das Landgericht gemäß § 296 Abs. 2, § 282 Abs. 1 ZPO wegen Verspätung zurückgewiesen. Es hat die auf Zahlung von 25.283,45 € nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

II.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbeschwerde macht zu Recht geltend, dass die Klägerin durch die Zurückweisung ihres Antrags, den im selbständigen Beweisverfahren tätig gewordenen Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, und die Bestätigung dieser Entscheidung durch das Berufungsgericht in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt ist.

41. Die Zurückweisung des in der mündlichen Verhandlung vom gestellten Antrags, den Sachverständigen Dipl.-Ing. H.       zur mündlichen Erläuterung seines Ergänzungsgutachtens zu laden, durch das Landgericht findet entgegen der Auffassung der Vorinstanzen in § 296 Abs. 2 ZPO keine Stütze. Die Bestimmung setzt voraus, dass Angriffs- oder Verteidigungsmittel entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden. Dazu ist den Entscheidungen beider Vorinstanzen nichts zu entnehmen.

5Das Landgericht führt lediglich die Vorschrift des § 296 Abs. 2 ZPO an, ohne anzugeben, welche der beiden vorgenannten Alternativen einschlägig sein soll. Das Oberlandesgericht sieht eine grob nachlässige Verspätung des Antrags darin, dass die Klägerin den nach der Beweislage offenkundig notwendigen Antrag erst in der mündlichen Verhandlung vom gestellt hat, obgleich sie durch die im selbständigen Beweisverfahren am gesetzte Frist, zu dem Ergänzungsgutachten bis zum Stellung zu nehmen, angehalten gewesen sei, hierzu vorzutragen. Hierin erblickt das Berufungsgericht einen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die die Klägerin treffende Sorgfalts- und Prozessförderungspflicht nach § 282 Abs. 1 ZPO. Das ist nicht richtig.

6§ 282 Abs. 1 ZPO betrifft allein Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in der mündlichen Verhandlung vorgebracht werden. Die Vorschrift ist nur dann einschlägig, wenn innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden; ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann niemals nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein (, NJW-RR 2005, 1007 unter 2 b aa; MünchKommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 282 Rn. 8; jeweils mwN). § 282 Abs. 1 ZPO ist hiernach im Streitfall offenkundig nicht anwendbar. Zwar war dem Verhandlungstermin vom bereits ein Termin vor dem Landgericht vorausgegangen, der am stattfand. In diesem Termin ist jedoch wegen des noch ausstehenden Ergänzungsgutachtens im selbständigen Beweisverfahren auf übereinstimmenden Antrag der Parteien das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden. Die erste mündliche Verhandlung erster Instanz, in der die Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Ergänzungsgutachtens beantragt werden konnte, war somit die mündliche Verhandlung vom . Der dort gestellte Antrag kann daher nicht nach § 282 Abs. 1 ZPO verspätet sein.

7Der Umstand, dass der Klägerin im selbständigen Beweisverfahren eine Frist zur Stellungnahme zu dem Ergänzungsgutachten gesetzt worden war, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Fristwidrig verspätetes Vorbringen ist nicht Regelungsgegenstand des vom Berufungsgericht angewendeten Absatzes 1 des § 282 ZPO. Davon abgesehen sind auch die Präklusionsvoraussetzungen der zweiten Alternative des § 296 Abs. 2 ZPO (in Verbindung mit § 282 Abs. 2 ZPO) offenkundig nicht erfüllt. Die in § 282 Abs. 2 normierte Prozessförderungspflicht betrifft nur solche Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorherige Erkundigung keine Erklärung abgeben kann; das ist bei dem Antrag, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden, nicht der Fall.

8Ob der Antrag nach § 296 Abs. 1 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen, ist in den Rechtsmittelinstanzen nicht zu prüfen (, aaO unter 2 b bb; vom - IV ZR 56/05, BGHZ 166, 227 Rn. 12 ff.; jeweils mwN).

92. Bleibt wie im vorliegenden Fall ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei deswegen unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung der Präklusionsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, so ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt (vgl. , NJW-RR 2009, 332 Rn. 8; Urteil vom - XII ZR 148/07, NJW-RR 2010, 1508 Rn. 20).

103. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem der Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es die vom Landgericht verfahrensfehlerhaft abgelehnte Erläuterung des Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. H.    zugelassen hätte.

Ball                              Dr. Frellesen                              Dr. Hessel

            Dr. Achilles                              Dr. Schneider

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 3787 Nr. 52
NJW 2012 S. 8 Nr. 43
HAAAE-19775