BGH Beschluss v. - EnVR 2/11

Instanzenzug:

Gründe

I.

1 Die Betroffene betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Mit Bescheid vom erhielt sie eine auf den Daten des Geschäftsjahres 2004 beruhende und später bis zum verlängerte Genehmigung der Entgelte für den Netzzugang gemäß § 23a EnWG. Für die Folgezeit wurde der Betroffenen die Teilnahme am vereinfachten Verfahren der Anreizregulierung gemäß § 24 ARegV genehmigt.

2 Mit Beschluss vom legte die Bundesnetzagentur die einzelnen Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2013 niedriger als von der Betroffenen begehrt fest. Sie begründete dies im Rahmen der Ermittlung des Ausgangsniveaus nach § 34 Abs. 3 ARegV unter anderem mit Kürzungen bei der Eigenkapitalverzinsung, bei der kalkulatorischen Gewerbesteuer und bei den Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie sowie mit der Einrechnung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors nach § 9 ARegV. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht den Beschluss mit Ausnahme der Ablehnung der - im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht weiterverfolgten - Anträge auf Anpassung der Erlösobergrenzen nach § 4 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ARegV und auf Gewährung eines pauschalierten Investitionszuschlags aufgehoben und die Bundesnetzagentur verpflichtet, die Erlösobergrenzen unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung neu zu bestimmen. Die weitergehende Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen.

3 Hiergegen richten sich die -vom Beschwerdegericht zugelassene -Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur und die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

II.

4 Die Rechtsbeschwerde der Bundesnetzagentur und die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen haben Erfolg.

5 1. Genereller sektoraler Produktivitätsfaktor (§ 9 ARegV)

6 a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Bundesnetzagentur habe bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen zu Unrecht den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9 ARegV berücksichtigt, obwohl es hierfür an einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung fehle. Insbesondere sei § 9 ARegV nicht von § 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 bzw. § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EnWG gedeckt.

7 b) Diese Beurteilung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hat die Bundesnetzagentur bei der Ermittlung der Erlösobergrenzen den generellen sektoralen Produktivitätsfaktor nach § 9 ARegV zu Recht berücksichtigt.

8 aa) Der Senat hat zwar mit Beschluss vom (EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 36 ff. - EnBW Regional AG) entschieden, dass § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EnWG i.V.m. § 21a Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 EnWG a.F. nicht dazu ermächtigt hat, einen generellen sektoralen Produktivitätsfaktor - wie in § 9 Abs. 1 ARegV a.F. vorgegeben - unter Berücksichtigung der Abweichung des netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts vom gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt zu ermitteln. Diese Rechtsprechung ist aber - wie der Senat mit Beschluss vom (EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 18 ff. - Gemeindewerke Schutterwald) im Einzelnen begründet hat - durch das Zweite Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften vom (BGBl. I S. 3034) gegenstandslos geworden, weil der Gesetzgeber darin mit § 21a Abs. 4 Satz 7, Abs. 6 Satz 2 Nr. 5 EnWG n.F. mit Rückwirkung zum eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Einbeziehung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors in die Erlösobergrenzen geschaffen und § 9 ARegV neu erlassen hat.

9 bb) Die konkrete Festlegung des generellen sektoralen Produktivitätsfaktors in § 9 Abs. 2 ARegV und dessen konkrete Berechnung durch die Bundesnetzagentur für die einzelnen Jahre der Regulierungsperiode sind - wie der Senat ebenfalls mit Beschluss vom (EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 26 ff. -Gemeindewerke Schutterwald) im Einzelnen begründet hat -ebenfalls nicht zu beanstanden.

10 2. Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenzen (§ 34 Abs. 3 ARegV)

11 Die Anschlussrechtsbeschwerde der Betroffenen hat ebenfalls Erfolg.

12 a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass die Bundesnetzagentur für die Bestimmung des Ausgangsniveaus der Erlösobergrenzen für die erste Regulierungsperiode das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten - bestandskräftigen - Entgeltgenehmigung zugrunde legen durfte. Dies ergebe sich aus § 34 Abs. 3 und § 6 Abs. 2 ARegV, wonach als Ausgangsniveau das Ergebnis der Kostenprüfung der letzten Genehmigung der Netzentgelte nach § 23a EnWG vor Beginn der Anreizregulierung heranzuziehen sei. Sinn und Zweck dieser Übergangsregelung sei es, eine erneute Kostenprüfung und den damit verbundenen Aufwand nach dem Inkrafttreten der Anreizregulierungsverordnung angesichts des engen zeitlichen Rahmens zu vermeiden. Aufgrund dessen sei für die von der Betroffenen begehrte Anpassung des Ergebnisses der in der letzten Entgeltgenehmigung vorgenommenen Kostenprüfung kein Raum. Dies gelte insbesondere auch für solche Kostenpositionen, die nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an sich korrekturbedürftig seien. Dementsprechend seien weder ein Risikozuschlag bei den Fremdkapitalzinsen vorzunehmen noch die kalkulatorische Gewerbesteuer anzupassen oder die von der Betroffenen geltend gemachten Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie zu berücksichtigen.

13 b) Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

14 Wie der Senat mit Beschluss vom (EnVR 13/10, N&R 2012, 94 Rn. 7 f. - PVU Energienetze GmbH) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach § 34 Abs. 3 ARegV die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung der Stromnetzentgeltverordnung zu berücksichtigen. Die unveränderte Übernahme des Ergebnisses der Kostenprüfung der letzten - bestandskräftigen - Entgeltgenehmigung ist rechtsfehlerhaft, soweit diese zu jener Rechtsprechung in Widerspruch steht.

15 aa) Aufgrund dessen hätte die Bundesnetzagentur bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen gemäß § 34 Abs. 3 ARegV in Bezug auf die Verzinsung des die zugelassene Eigenkapitalquote übersteigenden Anteils des Eigenkapitals (sog. EK II) bei den dafür maßgeblichen Fremdkapitalzinsen einen Risikozuschlag (siehe hierzu , WuW/E DE-R 2395 Rn. 54 ff. - Rheinhessische Energie) berücksichtigen müssen. Dies wird sie nachzuholen haben.

16 bb) Ebenso hätte die Bundesnetzagentur die kalkulatorische Gewerbesteuer anpassen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom - EnVR 48/10, RdE 2011, 308 Rn. 14 - EnBW Regional AG).

17 cc) Schließlich hätte die Bundesnetzagentur die von der Betroffenen geltend gemachten Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Jahr 2005 auf ihre sachliche Berechtigung prüfen müssen.

18 Nach der Rechtsprechung des Senats sind bei der Genehmigung der Netzentgelte auf der Grundlage von § 23a EnWG die Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie im Fall gesicherter Erkenntnisse auch mit Planwerten im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV in Ansatz zu bringen (vgl. Senatsbeschluss vom - KVR 36/07, RdE 2008, 337 Rn. 9 ff. - Stadtwerke Trier). Hat die Regulierungsbehörde im Rahmen der Kostenprüfung der letzten Genehmigung der Netzentgelte nach § 23a EnWG die Berücksichtigung solcher Plankosten - zu Unrecht - mit der Begründung abgelehnt, dass § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV von § 10 StromNEV verdrängt werde, darf sie das Ergebnis dieser Kostenprüfung nicht unverändert übernehmen, sondern muss bei der Ermittlung des Ausgangsniveaus zur Bestimmung der Erlösobergrenzen nach § 34 Abs. 3 ARegV die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV prüfen (vgl. Senatsbeschluss vom - EnVR 16/10, RdE 2012, 203 Rn. 12 - Gemeindewerke Schutterwald).

19 So liegt der Fall hier. In dem Bescheid vom hat die Bundesnetzagentur die Berücksichtigung der von der Betroffenen angemeldeten Plankosten für die Beschaffung von Verlustenergie mit dem Hinweis auf die Unanwendbarkeit des § 3 StromNEV abgelehnt und lediglich einen Mittelwert der Ist-Kosten des Jahres 2004 und der Beschaffungskosten des Jahres 2005 angesetzt (S. 6 f., 26 des Bescheids). In dem angefochtenen Beschluss vom hat die Bundesnetzagentur eine Berücksichtigung der von der Betroffenen erneut angemeldeten Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie wegen der Bestandskraft des Bescheids vom verneint und deshalb die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV, insbesondere das Vorliegen gesicherter Erkenntnisse, nicht geprüft. Hierzu hat auch das Beschwerdegericht keine Feststellungen getroffen. Aufgrund dessen ist für die Rechtsbeschwerdeinstanz von dem Vorbringen der Betroffenen auszugehen, die von ihr geltend gemachten Plankosten entsprächen sicheren Erkenntnissen im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 5 Halbsatz 2 StromNEV (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom - EnVR 6/08, RdE 2010, 25 Rn. 8 - Verteilnetzbetreiber Rhein-Main-Neckar). Soweit die Bundesnetzagentur das Vorliegen gesicherter Erkenntnisse in ihrer Beschwerdeerwiderung in Abrede stellt, kann sie damit im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht gehört werden, sondern muss dies im weiteren Verfahren prüfen.

III.

20 Der Senat verweist die Sache nicht an das Beschwerdegericht zurück. Die noch offenen Fragen des angefochtenen Bescheids vom können durch die Regulierungsbehörde in dem neu eröffneten Verwaltungsverfahren entschieden werden. Für die Neubescheidung ist der rechtliche Rahmen durch die Entscheidung des Senats vorgegeben.

IV.

21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 1 EnWG.

Fundstelle(n):
YAAAE-17704