Änderungskündigung - "überflüssiges" Änderungsangebot - Direktionsrecht
Gesetze: § 1 Abs 2 S 1 KSchG, § 2 S 1 KSchG, § 4 S 2 KSchG, § 1 Abs 5 S 1 KSchG, § 106 S 1 GewO, § 611 Abs 1 BGB, § 1 TVG
Instanzenzug: ArbG Oldenburg (Oldenburg) Az: 1 Ca 473/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 13 Sa 344/10 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung.
2Die Beklagte ist ein Unternehmen der Fleischwarenindustrie. Zur Mitte des Jahres 2009 beschäftigte sie etwa 220 Arbeitnehmer. Der 1966 geborene Kläger ist bei ihr seit September 1990 tätig. Er ist ausgebildeter Fleischer und war zuletzt in der „Materialvorbereitung“ eingesetzt. In dieser Abteilung wurden Schinken zerlegt. Gemäß den Vereinbarungen zu Nr. 1 seines Arbeitsvertrags ist er als „Fleischer“ eingestellt und verpflichtet „im Bedarfsfall auch eine andere, ihm zumutbare Arbeit im Betrieb zu übernehmen“. Darüber hinaus finden auf das Arbeitsverhältnis zumindest kraft vertraglicher Bezugnahme die zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) abgeschlossenen „Haus-Tarifverträge“ in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung. Laut Nr. 4 des Arbeitsvertrags wird das Arbeitsentgelt „nach der Lohngruppe I“ des Lohntarifvertrags (LTV) gezahlt.
3Im Jahr 2009 entschied die Beklagte, die Abteilung „Materialvorbereitung“ zum aus Kostengründen zu schließen und künftig die Materialien für die Schinkenproduktion von dritter Seite zuzukaufen. Am schloss sie mit dem Betriebsrat einen „Interessenausgleich und Sozialplan“ ab. Danach sollten elf der betroffenen Arbeitnehmer ein Angebot zur Weiterbeschäftigung in anderen Bereichen erhalten. Spätestens mit Wirkung zum sollten diese Mitarbeiter in die Lohngruppe III LTV „umgruppiert“ und auf dieser Basis vergütet werden. Die Versetzungen/Umgruppierungen sollten durch Änderungskündigung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Kalendermonats erfolgen. Für die Zeit ab November 2009 bis sieht der Sozialplan Ausgleichszahlungen vor.
Bereits ab setzte die Beklagte den Kläger im Bereich „Rohwurst“ ein, wobei sie ihm zunächst Vergütung nach der Lohngruppe I LTV fortzahlte. Mit Schreiben vom kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats und dessen Beteiligung nach § 99 BetrVG - „fristgemäß aus betriebsbedingten Gründen mit Wirkung zum “, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Zu der gleichzeitig angebotenen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ab heißt es in dem Schreiben:
Die im Kündigungszeitpunkt geltenden Bestimmungen des Lohntarifvertrags vom zur Eingruppierung lauten wie folgt:
6Der Kläger hat das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG angenommen und - fristgerecht - Änderungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Änderung der Arbeitsbedingungen sei sozial ungerechtfertigt. Der Einsatz im Bereich „Rohwurst“ rechtfertige die angestrebte Herabgruppierung nicht. Als ausgebildeter Fleischer sei er jedenfalls nach § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV in die Lohngruppe I eingruppiert. Im Übrigen fielen bei der Beklagten noch andere Tätigkeiten an, die nach der Lohngruppe I LTV zu vergüten seien.
Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, nach Schließung der „Materialvorbereitung“ beschäftige sie keine Arbeitnehmer mehr, die Facharbeitertätigkeiten im Sinne der Lohngruppe I LTV verrichteten. Soweit einzelne Arbeitnehmer weiterhin Vergütung nach dieser Lohngruppe bezögen, handele es sich um Mitarbeiter mit Führungsverantwortung. Bei den im Betrieb verbliebenen Tätigkeiten handele es sich - so ihre Auffassung - um Teilaufgaben aus dem Berufsbild eines Fleischers, die nach Lohngruppe III LTV zu vergüten seien. Das gelte auch dann, wenn die Tätigkeiten von einem ausgebildeten Fleischer verrichtet würden. § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV setze für eine Eingruppierung in die Lohngruppe I LTV eine Tätigkeit voraus, die im Wesentlichen dem Berufsbild eines ausgebildeten Fleischers entspreche. Das treffe auf die dem Kläger angebotene Tätigkeit im Bereich „Rohwurst“ nicht zu.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Gründe
10Die Revision ist unbegründet. Die Änderungsschutzklage ist begründet. Die dem Kläger mit der Kündigung vom angetragene und auf betriebliche Gründe gestützte Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.
11I. Die Klage ist nicht deshalb unbegründet, weil die Beklagte die von ihr angestrebten Änderungen, wie sie im Kündigungsschreiben vom aufgeführt sind, schon durch Ausübung ihres Direktionsrechts hätte herbeiführen können. Zwar könnte in einem solchen Fall eine Änderungsschutzklage, weil diese nach § 4 Satz 2 KSchG notwendigerweise auf die Feststellung der Sozialwidrigkeit unter Vorbehalt akzeptierter „neuer“ Vertragsbedingungen gerichtet ist, trotz der „Überflüssigkeit“ des Änderungsangebots keinen Erfolg haben (1). Die Beklagte konnte aber die von ihr gewünschten Änderungen gegenüber dem Kläger nicht sämtlich im Wege ihres Direktionsrechts durchsetzen (2). Wenn auch eine Versetzung des Klägers aus dem Bereich „Materialvorbereitung“ in den Bereich „Rohwurst“ als solche vom Weisungsrecht gedeckt war, weil die damit verbundene Änderung der Tätigkeit - anders als die Beklagte gemeint hat - nicht zum Verlust des Anspruchs auf eine Vergütung nach Lohngruppe I LTV führte (2a), so hat sich die Beklagte doch nicht - und zwar schon in Nr. 1 ihres Änderungsangebots vom nicht - darauf beschränkt, nur solche Vertragsbedingungen anzubieten, die ohnehin für das Arbeitsverhältnis galten. Sie hat dem Kläger vielmehr die vertragliche Begrenzung seiner bisher weit gefassten Tätigkeit als „Fleischer“ auf den deutlich engeren Tätigkeitsbereich zu verrichtender Aufgaben „im Bereich Rohwurst“ und damit auf einen bloßen Ausschnitt aus seinem bisher vertraglich geschuldeten Tätigkeitsfeld angesonnen. Ob das Änderungsangebot auch wegen der angestrebten „Herabgruppierung“ nicht „überflüssig“ war, kann dahinstehen (2b).
121. Die Begründetheit einer Änderungsschutzklage iSv. § 4 Satz 2 KSchG setzt voraus, dass in dem Zeitpunkt, zu welchem die Änderungskündigung wirksam wird, das Arbeitsverhältnis nicht ohnehin zu den Bedingungen besteht, die dem Arbeitnehmer mit der Kündigung angetragen wurden ( - Rn. 12; - 2 AZR 523/10 - Rn. 14, EzA KSchG § 2 Nr. 83; - 1 AZR 353/07 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 139 = EzA KSchG § 2 Nr. 72). Zielt eine Änderungskündigung ausschließlich auf die Herbeiführung von Arbeitsbedingungen, die ohnehin - sei es normativ, sei es auf vertraglicher Grundlage - für das Arbeitsverhältnis gelten, ist die Kündigung wegen der mit ihr einhergehenden Bestandsgefährdung zwar unverhältnismäßig. Streitgegenstand der Änderungsschutzklage ist aber nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen. Die Feststellung, dass die dem Arbeitnehmer mit der Änderungskündigung angetragenen neuen Arbeitsbedingungen nicht gelten, kann das Gericht nicht treffen, wenn sich das Arbeitsverhältnis bei Kündigungsausspruch bereits nach den fraglichen Bedingungen richtet (vgl. - Rn. 14; - 2 AZR 523/10 - aaO).
132. Ein in diesem Sinne „überflüssiges“ Änderungsangebot liegt nicht vor.
14a) Allerdings war die Beklagte nach Maßgabe des vereinbarten Tätigkeitsbereichs „Fleischer“ grundsätzlich berechtigt, den Kläger per Direktionsrecht (§ 106 Satz 1 GewO) aus dem Bereich „Materialvorbereitung“ in den Bereich „Rohwurst“ - wie bereits im Juli 2009 geschehen - zu „versetzen“.
15aa) Das Tätigkeitsbild des „Fleischers“ umfasst gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 13 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Fleischer in der einschlägigen Fassung vom (BGBl. I S. 898) die „Herstellung von Rohwurst“. Dazu zählt die dem Kläger im Zusammenhang mit der Änderungskündigung angetragene Tätigkeit.
16bb) Zu Unrecht meint die Beklagte, diese Tätigkeit sei der vertraglich vereinbarten Arbeitsaufgabe deshalb nicht gleichwertig, weil sie nur einen - vermeintlich unwesentlichen - Teilbereich aus dem Spektrum des Fleischerberufs abdecke. Die Gleichwertigkeit als typische Voraussetzung für die Übertragung einer anderweitigen „zumutbaren“ Arbeitsaufgabe mittels Direktionsrechts orientiert sich bei Anwendung eines tariflichen Vergütungssystems regelmäßig an diesem System (vgl. - Rn. 16, 25, EzA GewO § 106 Nr. 8; - 1 AZR 47/95 - zu II 2 b der Gründe, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 44 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 14; KR/Rost 9. Aufl. § 2 KSchG Rn. 62). Davon geht im Übrigen die Beklagte selbst aus. Auch sie versteht die bisherigen vertraglichen Festlegungen durchgängig so, dass sie eine Beschäftigung mit solchen im Betrieb anfallenden „Fleischertätigkeiten“ ermöglichten, die nach der Lohngruppe I LTV zu vergüten sind. Sie hat lediglich die Auffassung vertreten, diese Voraussetzung sei mit Blick auf die Arbeitsplätze, die nach Schließung der „Materialvorbereitung“ für eine Weiterbeschäftigung infrage gekommen seien, insbesondere die dem Kläger angetragene Beschäftigung im Bereich „Rohwurst“, nicht erfüllt. Zumindest Letzteres trifft bei richtiger Auslegung des einschlägigen Lohntarifvertrags vom nicht zu.
17(1) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln (zu den Kriterien vgl. - Rn. 40, BAGE 124, 240; - 4 AZR 433/03 - zu I 1 b aa der Gründe, BAGE 111, 204) und ist - wie auch die Auslegung von Gesetzen selbst - in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (vgl. - Rn. 28, EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 139).
18(2) Danach sind Arbeitnehmer, die eine Berufsausbildung als Fleischer erfolgreich abgeschlossen haben, bereits dann in die Lohngruppe I LTV eingruppiert, wenn sie eine dem Berufsbild des Fleischers zugehörige Teiltätigkeit verrichten. Das gilt unabhängig davon, ob die Tätigkeit, wenn sie von einem Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung durchgeführt wird, nach einer der Lohngruppen II bis IV LTV zu vergüten wäre. Die Tarifvertragsparteien veranschlagen - wie § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV verdeutlicht - die fachliche Qualifikation eines Arbeitnehmers stets höher, auch wenn er nur Teilaufgaben aus dem Berufsbild des Fleischers verrichtet.
19(a) Sind einem allgemein gefassten Tätigkeitsmerkmal einer Lohngruppe konkrete Richt-, Regel- oder Tätigkeitsbeispiele beigefügt, ist das Tätigkeitsmerkmal regelmäßig dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer eine den Beispielen entsprechende Tätigkeit ausübt ( - Rn. 20; - 4 ABR 99/08 - Rn. 30 mwN, BAGE 131, 36). Dies folgt zum einen aus den Grundsätzen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, denen die Tarifvertragsparteien bei Abfassung von Tarifnormen gerecht werden wollen. Zum anderen beruht dies auf dem Umstand, dass die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewisse häufig vorkommende und typische Aufgaben und Funktionen einer bestimmten Lohngruppe fest zuordnen können. Ob es sich dabei um eine den allgemeinen Merkmalen entsprechende Tätigkeit handelt, braucht in einem solchen Fall regelmäßig nicht mehr geprüft zu werden ( - Rn. 20; - 4 AZR 246/98 - zu 3 b der Gründe). Etwas anderes kann gelten, wenn sich aus dem Wortlaut oder dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt, dass die von den Tarifvertragsparteien genannten Beispielstätigkeiten nur der Erläuterung des abstrakten Tätigkeitsmerkmals dienen, allein aber nicht ausreichen sollen, dessen Anforderungen zu genügen ( - Rn. 17).
20(b) Hiervon ausgehend spricht einiges dafür, dass der Kläger schon wegen des dort aufgeführten Richtbeispiels „Fleischergeselle“ in die Lohngruppe I LTV eingruppiert ist. Dem steht § 3 Abs. 1 Satz 2 LTV nicht entgegen. Danach dienen die aufgeführten Tätigkeitsbeispiele der Erläuterung, stellen keinen abschließenden Katalog dar und begründen nur in Verbindung mit den Lohngruppenmerkmalen (Oberbegriffen) einen Anspruch auf eine entsprechende Eingruppierung. Mit diesen Formulierungen kommt nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Tätigkeitsbeispiele bei der Eingruppierung nicht selbständig anwendbar sein sollen, sondern stets noch eine umfassende Prüfung der abstrakten Lohngruppenmerkmale vorgenommen werden müsse. Zur Erfüllung des Richtbeispiels muss ein Fleischergeselle auch keine „Führungsverantwortung“ haben. Dies ergibt sich weder aus dem Beispiel selbst noch aus den allgemeinen Merkmalen der Lohngruppe I LTV.
21(c) Die Eingruppierung des Klägers in die Lohngruppe I LTV ergibt sich in jedem Fall aus § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV. Der Wortlaut der Bestimmung, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., zB - Rn. 15, NZA 2011, 1358; - 4 AZR 659/05 - BAGE 120, 269), sieht eine Eingruppierung von Arbeitnehmern mit einschlägiger abgeschlossener Berufsausbildung in die Lohngruppe I LTV vor, sofern sie dem Berufsbild entsprechend tätig sind. Die Tarifregelung setzt somit für die Eingruppierung eines Arbeitnehmers mit Berufsabschluss in diese Lohngruppe lediglich voraus, dass er „dem Berufsbild entsprechend tätig“ ist, ohne zusätzliche Anforderungen an die Schwierigkeit oder den Umfang der fraglichen Aufgaben zu stellen. Sie erfasst damit auch Teiltätigkeiten, sofern sie dem Ausbildungsberuf zuzurechnen sind. Lediglich fachfremde Arbeiten oder bloße Hilfstätigkeiten, die bei jeder beruflichen Tätigkeit anfallen und deshalb für diese nicht charakterisierend sind - etwa Reinigungs- oder vergleichbare Begleittätigkeiten - fallen nach dem Sprachgebrauch des Tarifvertrags aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift heraus.
22§ 3 Abs. 2 Satz 2 LTV macht auf diese Weise deutlich, dass es bei nachgewiesener Qualifikation für eine Einreihung in die Lohngruppe I LTV nicht noch zusätzlich auf eine bestimmte Qualität der „dem Berufsbild entsprechenden“ Tätigkeiten ankommt. Wollte man die Tarifregelung anders verstehen und - wie die Beklagte - zusätzlich verlangen, dass die fraglichen Aufgaben in ihrer Breite das „klassische Berufsbild“ abdecken und sich etwa durch das Merkmal der „Wesentlichkeit“ von den in den Lohngruppen II bis IV erfassten Teilaufgaben eines Facharbeiters unterscheiden, verbliebe für § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV kein eigenständiger Anwendungsbereich. Die Regelung liefe weitgehend leer.
23(d) Dem steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht entgegen, derzufolge im Regelfall eine Tätigkeit, die dem Beispiel einer niedrigeren Lohngruppe entspricht, nicht unter die abstrakten Tätigkeitsmerkmale einer höheren Lohngruppe subsumiert werden kann (vgl. - Rn. 32, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 46; - 4 AZR 87/91 - zu II 2 a der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 7 = EzA TVG § 4 Großhandel Nr. 2). Sie ist schon wegen des Ausnahmecharakters der Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV auf den Streitfall nicht übertragbar. Ebenso wenig besteht ein Widerspruch zur Auslegung einer Eingruppierungsregelung im Einzelhandel, die Gegenstand der Entscheidung des - 4 ABR 83/07 - Rn. 15 ff., AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 94) war. In die dortige Lohngruppe III LTV waren eingruppiert „Arbeitskräfte, die ihre Abschlussprüfung bestanden haben und in ihrem erlernten Beruf beschäftigt sind“. Soweit die Beklagte aus dieser Formulierung für die Auslegung von § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV abgeleitet hat, die Tätigkeit müsse „im Wesentlichen“ dem Berufsbild entsprechen und das Gepräge derjenigen einer Fachkraft haben, fehlt es schon nach dem Wortlaut an einer Vergleichbarkeit der Tarifbestimmungen. Überdies stehen beide Eingruppierungsregelungen in einem unterschiedlichen Gesamtzusammenhang. Die darin zum Ausdruck kommenden unterschiedlichen Bewertungen der Bedeutung einer abgeschlossenen Berufsausbildung durch die Tarifvertragsparteien sind zu respektieren. Sie könnten selbst bei größerer Übereinstimmung in der Formulierung der Eingruppierungsvoraussetzungen zu verschiedenen Ergebnissen führen.
24(e) Das Auslegungsergebnis wird durch die Tarifgeschichte gestützt.
25(aa) Der Lohntarifvertrag vom ist, was die Eingruppierungsregelungen anbelangt, gleichlautend mit dem hier einschlägigen. Die beiden Vorgängertarifverträge vom und (LTV-Alt), stimmen in den allgemeinen Eingruppierungsmerkmalen der Lohngruppe 1 LTV-Alt mit § 2 LTV vom überein. In die Lohngruppe 2 LTV-Alt waren „angelernte ArbeitnehmerInnen“ eingruppiert, soweit diese nach einer Einarbeitungszeit von 12 Monaten Teilaufgaben eines/r Facharbeiters/in ausführten. In die Lohngruppen 3 und 4 LTV-Alt waren „ungelernte ArbeitnehmerInnen“ eingruppiert, je nachdem ob sie „mit schweren Arbeiten“ oder „mit leichten Arbeiten“ betraut waren. Eine der Bestimmung des § 3 LTV vom vergleichbare Regelung enthielten die LTV-Alt nicht. Stattdessen hatten die Tarifvertragsparteien unter § 3 LTV-Alt eine Besitzstandsregelung getroffen, nach der „bisher gezahlte höhere Löhne und Leistungszulagen“ unberührt blieben. Die zeitlich weiter zurückliegenden Lohntarifverträge vom , vom und vom nennen in der Lohngruppe 1 keine allgemeinen Eingruppierungsmerkmale, sondern führen ausschließlich Berufsgruppen wie folgt an: „Gesellen, Handwerker und Kraftfahrer“. Hinsichtlich einer Eingruppierung in die Lohngruppen 2 bis 4 wurde - wie in den Tarifverträgen vom und - nach „angelernten“ und „ungelernten“ Arbeitnehmern unterschieden.
26(bb) Diese Entwicklung zeigt, dass die Tarifvertragsparteien seit jeher die fachliche Qualifikation der Arbeitnehmer in Form einer abgeschlossenen Berufsausbildung als gewichtigen Grund für eine Eingruppierung in die höchste Lohngruppe angesehen haben. Soweit sie diese Voraussetzung ab dem Jahr 2003 um einen Tätigkeitsbezug ergänzt haben, sollte dies für Arbeitnehmer mit abgeschlossener Berufsausbildung erkennbar nicht zu einer grundlegend anderen Bewertung führen. Dafür spricht die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen „angelernten“ und „ungelernten“ Arbeitnehmern im Übrigen. Mit dem Tarifvertrag vom wurden zwar die allgemeinen Eingruppierungsmerkmale der Lohngruppen II bis IV differenzierter ausgestaltet und auch diese um tätigkeitsbezogene Kriterien ergänzt. Zugleich haben die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV aber deutlich gemacht, dass sie an der Qualifikation als Differenzierungskriterium - mit gewissen Einschränkungen - festhalten. Dies kann bei objektiver Betrachtung nur so verstanden werden, dass sie ein „Abrutschen“ von Arbeitnehmern mit abgeschlossener Berufsausbildung in eine niedrigere Vergütungsgruppe jedenfalls dann ausschließen wollten, wenn diese nicht „fachfremd“, sondern mit Aufgaben beschäftigt sind, die Gegenstand der Berufsausbildung sind.
27(f) Die von der Beklagten vorgelegte - anderslautende - „Tarifauskunft“ des Verbands der Ernährungswirtschaft e.V. Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt vom ist unbeachtlich (vgl. - Rn. 32, BAGE 124, 110; zur Problematik ferner Creutzfeldt in FS Düwell 2011 S. 293 ff.) und vermag das Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Zum einen ist der Verband nicht Partei des im Streitfall einschlägigen Tarifvertrags und war nach eigenem Bekunden nicht in die Tarifverhandlungen eingebunden. Er ist also ohnehin kein „authentischer Interpret“. Zum anderen hat der in der Auskunft bekundete Wille der Beklagten, Tätigkeiten, die dem Berufsbild des Fleischers zwar entsprechen, aber als Tätigkeitsbeispiele bei den Lohngruppen II und III LTV aufgeführt sind, aus dem Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 2 LTV auszuklammern, in den Tarifnormen keinen genügenden Niederschlag gefunden. Dieser Wille kann deshalb bei der Auslegung keine Berücksichtigung finden (vgl. dazu - zu II 1 a der Gründe, NZA 2002, 815).
28(3) Nach allem sind ausgebildete Fleischer, die im Bereich „Rohwurst“ mit den dem Kläger zugewiesenen Tätigkeiten beschäftigt werden, in die Lohngruppe I LTV eingruppiert. Darauf, ob die Arbeitsaufgabe - wie von der Beklagten geltend gemacht - dem der Lohngruppe III zugeordneten Beispiel „Tätigkeiten in der Vorbereitung sowie Füllen und Einhängen von Wurst mit einem Stückgewicht von über 2,5 kg in Gestelle“ entspricht, kommt es nicht an.
29b) Obwohl es demnach keiner Änderung bestehender Vertragsregelungen bedurfte, um den Kläger, ggf. auch längerfristig, im Bereich „Rohwurst“ einzusetzen, liegt kein „überflüssiges“ Änderungsangebot vor. Die Erklärungen im Schreiben der Beklagten vom zielen nicht nur auf die Zuweisung einer anderen Arbeitsaufgabe im Rahmen der durch die bisherigen Vertragsregelungen eröffneten - weiten - Einsatzmöglichkeit in verschiedenen Arbeitsbereichen des Betriebs. Mit der in Nr. 1 des Änderungsangebots enthaltenen Regelung wollte die Beklagte vielmehr eine dauerhafte Begrenzung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Klägers auf den - deutlich engeren - Tätigkeitsbereich „Rohwurst“ erreichen. Schon dies geht - ohne dass es noch auf die gemäß Nr. 2 vorgesehene „Herabgruppierung“ ankäme - über das hinaus, was ein Arbeitgeber im Wege des Direktionsrechts einseitig durchzusetzen in der Lage ist.
30aa) Das Landesarbeitsgericht hat das mit der Änderungskündigung unterbreitete Änderungsangebot insoweit nicht ausgelegt. Der Senat kann die Auslegung - auch wenn es sich insgesamt um atypische Erklärungen handeln sollte - selbst vornehmen, weil der Sachverhalt vollständig festgestellt und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (vgl. - Rn. 24 mwN, BAGE 135, 255).
31bb) Gemäß Nr. 1 des Änderungsangebots sollte der Kläger „zukünftig im Bereich Rohwurst tätig sein“ und „alle damit im Zusammenhang stehenden Aufgaben verrichten“. Dem musste er als verständiger Erklärungsempfänger entnehmen, dass mit der Annahme des Angebots eine entsprechende Festlegung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit verbunden sein sollte. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass unter Nr. 2 des Änderungsangebots ausdrücklich von einem „neuen“ Tätigkeitsbereich die Rede ist.
32cc) Diesem Verständnis des Änderungsangebots steht der zuvor vereinbarte, im ursprünglichen Arbeitsvertrag der Parteien enthaltene Versetzungsvorbehalt nicht entgegen. Das dem Kläger unterbreitete Angebot lässt nicht erkennen, dass diese Regelung weiterhin Gültigkeit haben sollte. Das Angebot beschreibt den künftigen Einsatzbereich abschließend. Außerhalb der Kündigungserklärung liegende Umstände, die auf einen gegenteiligen Willen der Beklagten schließen ließen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
33II. Die dem Kläger mit der Änderungskündigung angetragene, einseitig nicht durchsetzbare Beschränkung des vertraglichen Aufgabenbereichs, ist sozialwidrig iSv. § 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG.
341. Bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung ist das Änderungsangebot des Arbeitgebers daran zu messen, ob dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG es bedingen und ob der Arbeitgeber sich darauf beschränkt hat, solche Vertragsänderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss (st. Rspr., - Rn. 29, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 147 = EzA KSchG § 2 Nr. 79; - 2 AZR 936/08 - Rn. 29, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 149, jeweils mwN). Im Rahmen des § 1 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 2 KSchG ist dabei zu prüfen, ob ein Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und ihm bei Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die am wenigsten beeinträchtigende Änderung angeboten wurde. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als es zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist ( - Rn. 51 ff. mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 57). Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat ( - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 144 = EzA KSchG § 2 Nr. 76; - 2 AZR 641/07 - Rn. 14, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 141).
352. Die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG greift im Streitfall nicht ein. Die Vorschrift ist zwar auf Änderungskündigungen anwendbar ( - Rn. 18 ff., BAGE 123, 160). Die Beklagte hat sich aber weder auf sie berufen, noch bietet der festgestellte Sachverhalt hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vorliegen. Fest steht auf der Grundlage des unstreitigen Parteivorbringens nur, dass am ein Interessenausgleich/Sozialplan geschlossen wurde. Soweit darin auf eine Liste mit den Namen der für eine Änderungskündigung vorgesehenen Arbeitnehmer Bezug genommen wird, ist nicht erkennbar, ob und wann eine solche Liste erstellt wurde und ob sie mit dem Interessenausgleich eine einheitliche Urkunde bildet (zu dieser Voraussetzung - Rn. 16, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 98 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 22; - 2 AZR 551/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 20 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 21). Soweit die Beklagte eine - weder von ihr selbst, noch vom Betriebsrat unterzeichnete - „Personalliste“ zur Gerichtsakte gereicht hat, in der die von einer Änderungskündigung betroffenen Arbeitnehmer namentlich aufgeführt sind, handelt es sich ihren eigenen Ausführungen zufolge um die „Anlage 1“ zur Anhörung des Betriebsrats. Anhaltspunkte dafür, dass diese oder eine gleichlautende Liste dem Interessenausgleich beigefügt und mit ihm im Kündigungszeitpunkt fest verbunden gewesen wäre, liegen nicht vor. Ob die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG erfüllt sind, kann offenbleiben.
363. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass ihre Organisationsentscheidung, die Schinkenzerlegung einzustellen und die Abteilung „Materialvorbereitung“ zu schließen, auf Dauer angelegt war. Weiter kann unterstellt werden, dass jedenfalls nach Ablauf der im Schreiben vom mitgeteilten Kündigungsfrist im Betrieb - abgesehen von den Arbeitsplätzen nicht vergleichbarer Führungskräfte - keine Tätigkeiten mehr verrichtet wurden, die iSv. § 2, § 3 Abs. 1 LTV die allgemeinen Eingruppierungsmerkmale der Lohngruppe I erfüllten. Dies berechtigte die Beklagte aber nicht, den bisher weit gefassten vertraglichen Aufgabenbereich des Klägers dauerhaft auf eine Beschäftigung im Bereich „Rohwurst“ zu begrenzen. Fallen aufgrund unternehmerischer Entscheidung bisher vom Arbeitnehmer verrichtete Arbeitsaufgaben ganz oder teilweise weg, liegt kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Änderung von Vertragsbedingungen iSv. § 2 Satz 1 KSchG vor, solange der Arbeitnehmer auf der bestehenden Vertragsgrundlage vollschichtig mit Aufgaben beschäftigt werden kann, die ihm in den durch § 106 Satz 1 GewO vorgegebenen Grenzen einseitig übertragen werden können. Das gilt schon deshalb, weil der Arbeitnehmer sonst Gefahr liefe, sich im Fall einer erneuten, im Kündigungszeitpunkt nicht absehbaren Veränderung des betrieblichen Leistungsspektrums bei der Sozialauswahl uU nicht mehr auf solche Tätigkeiten berufen zu können, die vormals unzweifelhaft zu seinem Aufgabengebiet zählten. Ein dringendes betriebliches Erfordernis, die vertraglich geschuldete Tätigkeit auf die noch im Betrieb anfallenden Arbeiten zu begrenzen, ist nicht erkennbar.
374. Fehlt es damit schon an der sozialen Rechtfertigung der angebotenen Tätigkeitsänderung, kommt es nicht mehr darauf an, ob der gemäß Nr. 2 des Änderungsangebots in Aussicht gestellten Absenkung der Vergütung auf die Lohngruppe III LTV konstitutive, dh. rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommen sollte - was bei normativer Bindung des Klägers tarifwidrig wäre - oder ob es sich lediglich um eine deklaratorische (Wissens-)Erklärung der Beklagten handelte. Insbesondere kann offenbleiben, welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn ein Arbeitgeber, der mit der Änderungskündigung in erster Linie eine Änderung der Tätigkeit anstrebt, sich bei Bindung an ein tarifliches Vergütungssystem über die tarifliche Eingruppierung der neuen Tätigkeit irrt und deshalb im Änderungsangebot eine unzutreffende Vergütungsgruppe anführt.
III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BB 2012 S. 2303 Nr. 37
BB 2012 S. 2505 Nr. 40
DB 2012 S. 2104 Nr. 37
BAAAE-16449