Beginn der Festsetzungsfrist i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO; Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anzeige nach § 19 Abs. 4 GrEStG
Leitsatz
1. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass die Festsetzungsfrist schon beginnt, bevor die Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren hat. Der Steuerpflichtige soll nicht durch einen Verstoß gegen seine Anzeigepflicht die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Zeit zur Prüfung des Steuerfalls verkürzen können.
2. Die Festsetzungsfrist i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt auch dann mit der Abgabe der Steuererklärung bzw. Anzeige, wenn diese teilweise unvollständig oder unrichtig ist. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft. Ob eine unvollständige Anzeige die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beendet, ist entsprechend dem Normzweck dieser Vorschrift danach zu beurteilen, ob insoweit die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wurde.
3. Den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Anzeige genügt auch eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts adressierte Anzeige, die sich nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts richtet. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist.
Gesetze: AO § 169 Abs. 2, AO § 170 Abs. 1, AO § 170 Abs. 2, FVG § 17 Abs. 2, GrEStG § 19, GrEStG § 20
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr Vater (V) waren zu jeweils 50 % an einer GmbH beteiligt, zu deren Vermögen ein bebautes Grundstück in N gehörte. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom übertrug V seine Geschäftsanteile im Wege der Schenkung auf die Klägerin. Mit Schreiben vom zeigten die Klägerin und V die Übertragung der Geschäftsanteile gegenüber dem Finanzamt N an. In dem Schreiben, dem zwei Anlagen beigefügt waren, wurde das der GmbH gehörende Grundstück in N lediglich mit seiner postalischen Adresse bezeichnet und ausgeführt, es handele sich bei der Übertragung der Geschäftsanteile „... um eine Schenkung unter Lebenden, wie in § 3 Abs. 6 des Grunderwerbsteuer-Gesetzes ausgedrückt, denn die Gesellschaft hat Hausbesitz ...”.
2 Am richtete das Finanzamt N eine Kontrollmitteilung an das seinerzeit für die Grunderwerbsteuer zuständige Finanzamt X und versah sie mit dem Vermerk „Grunderwerbsteuerstelle”.
3 Mit Bescheid vom setzte das zwischenzeitlich für die Grunderwerbsteuer zuständig gewordene Finanzamt Z gegen die Klägerin für die durch den Anteilserwerb verwirklichte Anteilsvereinigung (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes in der hier maßgeblichen Fassung —GrEStG—) Grunderwerbsteuer fest. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
4 Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, der Steuerfestsetzung stehe Festsetzungsverjährung entgegen. Die Festsetzungsfrist habe mit Ablauf des Jahres 2000 begonnen und mit Ablauf des Jahres 2004 geendet. Eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) scheide aus, weil die Klägerin mit dem Schreiben vom ihrer Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG in einer den Anforderungen des § 19 Abs. 3 und 4 GrEStG genügenden Weise nachgekommen sei. Es sei unschädlich, dass die Anzeige den inhaltlichen Anforderungen des § 20 GrEStG nicht in vollem Umfang genügt habe. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1085 veröffentlicht.
5 Mit der Revision rügt der Beklagte und Revisionskläger —das nach Zuständigkeitswechsel nunmehr zuständige Finanzamt (FA)— die Verletzung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sowie des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 20 GrEStG. Das Schreiben der Klägerin vom habe, weil es nicht an das zuständige Finanzamt gerichtet worden sei und auch nicht den inhaltlichen Anforderungen des § 20 GrEStG genügt habe, den Lauf der Festsetzungsfrist nicht in Gang gesetzt.
6 Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der mit Erlass des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids geltend gemachte Steueranspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen ist und seine Festsetzung deshalb unzulässig war.
9 1. Die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Abweichend hiervon bestimmt § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO u.a. für Fälle, in denen eine Anzeige zu erstatten ist, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten auf die Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres.
10 a) § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO soll verhindern, dass die Festsetzungsfrist schon beginnt, bevor die Finanzbehörde etwas vom Entstehen des Steueranspruchs erfahren hat. Der Steuerpflichtige soll nicht durch einen Verstoß gegen seine Anzeigepflicht die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Zeit zur Prüfung des Steuerfalls verkürzen können (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780; vom II B 26/04, BFH/NV 2005, 7, jeweils m.w.N.).
11 b) § 19 GrEStG begründet eine gesetzliche Anzeigepflicht i.S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GrEStG müssen Steuerschuldner Anzeige erstatten über schuldrechtliche Geschäfte, die auf die Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile einer Gesellschaft gerichtet sind, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein Grundstück gehört. Die Anzeige ist gemäß § 19 Abs. 4 Satz 1 GrEStG an das für die Besteuerung zuständige Finanzamt zu richten. Ist über den anzeigepflichtigen Vorgang eine privatschriftliche Urkunde aufgenommen worden, so ist nach § 19 Abs. 4 Satz 2 GrEStG der Anzeige eine Abschrift der Urkunde beizufügen. Gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 GrEStG ist die Anzeige eine Steuererklärung im Sinne der AO. Sie ist nach § 19 Abs. 5 Satz 2 GrEStG schriftlich abzugeben. Die nach § 19 GrEStG zu erstattende Anzeige muss den in § 20 GrEStG vorgeschriebenen Inhalt haben und insbesondere das Grundstück nach Grundbuch, Kataster, Straße und Hausnummer bezeichnen sowie die Größe des Grundstücks und bei bebauten Grundstücken die Art der Bebauung sowie den Namen der Urkundsperson angeben (§ 20 Abs. 1 Nrn. 2, 3 und 6 GrEStG).
12 c) Die Festsetzungsfrist i.S. von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt auch dann mit der Abgabe der Steuererklärung bzw. Anzeige, wenn diese teilweise unvollständig oder unrichtig ist (, BFH/NV 2009, 1970, m.w.N.). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Erklärung derart lückenhaft ist, dass dies praktisch auf das Nichteinreichen der Erklärung hinausläuft. Ob eine unvollständige Anzeige die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beendet, ist entsprechend dem Normzweck dieser Vorschrift danach zu beurteilen, ob insoweit die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wurde (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1970).
13 2. Im Streitfall begann die Festsetzungsfrist für die Grunderwerbsteuer gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Jahres 2000. Der Anlauf der Festsetzungsfrist war nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO gehemmt.
14 a) Das FG hat zutreffend angenommen, dass der Anlauf der Festsetzungsfrist nicht deshalb gehemmt war, weil die Anzeige der Klägerin nicht an das seinerzeit für die Grunderwerbsteuer zuständige Finanzamt X gerichtet worden war.
15 aa) Nach der Rechtsprechung des , BFH/NV 2009, 1832, m.w.N.; vom II R 55/06, BFH/NV 2008, 1876) wird die Anzeigepflicht zwar nur durch die Übermittlung der Anzeige an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts erfüllt. Jedoch genügt den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Anzeige auch eine nicht ausdrücklich an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts adressierte Anzeige, die sich nach ihrem Inhalt eindeutig an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts richtet. Dazu ist erforderlich, dass die Anzeige als eine solche nach dem GrEStG gekennzeichnet ist und ihrem Inhalt nach ohne weitere Sachprüfung —insbesondere ohne dass es insoweit einer näheren Aufklärung über den Anlass der Anzeige und ihre grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz bedürfte— an die Grunderwerbsteuerstelle weiterzuleiten ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2009, 1832).
16 bb) Entgegen der Ansicht des FG ist zwar die Anzeige vom nicht schon deshalb ordnungsgemäß, weil das Finanzamt N aufgrund § 17 Abs. 1 Satz 1 GrEStG als zuständig anzusehen war. Das FG übersieht insoweit, dass § 17 Abs. 1 Satz 1 GrEStG allein die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts betrifft. Die für die Grunderwerbsteuer maßgebende sachliche Zuständigkeit eines Finanzamts ergibt sich jedoch erst aus der Regelung des § 17 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Finanzverwaltung und den darauf beruhenden (landesgesetzlichen) Zuständigkeitsverordnungen (vgl. Urteil des Hessischen , nicht veröffentlicht; Viskorf in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 17. Aufl., § 17 Rz 15 f.).
17 Eine Anlaufhemmung ist jedoch deshalb nicht eingetreten, weil dem Inhalt der Anzeige —insbesondere dem Hinweis auf § 3 Nr. 6 GrEStG und der Bezeichnung des Grundstücks der GmbH mit seiner postalischen Adresse— ohne weitere Sachprüfung eindeutig entnommen werden konnte, dass sich diese an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts richtete. In diesem Sinne hat auch das Finanzamt N den Anzeigeinhalt verstanden und dementsprechend unmittelbar nach Eingang der Anzeige eine Mitteilung an das seinerzeit zuständige Finanzamt X gerichtet und ausdrücklich mit dem Vermerk „Grunderwerbsteuerstelle” versehen.
18 b) Auch der Inhalt der Anzeige vom steht dem Beginn der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2000 nicht entgegen. Der Anzeige lässt sich im Zusammenhang mit den beigefügten Anlagen entnehmen, dass die angezeigte Übertragung der Anteile in der Person der Klägerin zu einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG führte. Die in der Anzeige enthaltene Bezeichnung des Grundbesitzes der GmbH nach Straße und Hausnummer ermöglichte es dem zuständigen Finanzamt, unverzüglich in das Besteuerungsverfahren einzutreten. Dem steht nicht entgegen, dass die Anzeige nicht die nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG erforderlichen Angaben zur Größe und zur Art der Bebauung des der GmbH gehörenden Grundstücks enthielt. Auch ohne diese Angaben war das Grundstück zweifelsfrei zu bestimmen. Die dem Finanzamt zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit wurde durch die fehlenden Angaben nicht verkürzt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 1579 Nr. 10
HFR 2012 S. 1135 Nr. 11
StBW 2012 S. 821 Nr. 18
NAAAE-15716