Zwangsvollstreckungsverbot für den Gläubiger einer Forderung aus unerlaubter Handlung während der Wohlverhaltensphase
Leitsatz
Während der Dauer der Wohlverhaltensphase kann ein Insolvenzgläubiger von Ansprüchen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung auch in den Vorrechtsbereich für solche Forderungen nicht vollstrecken.
Gesetze: § 294 Abs 1 InsO, § 302 Nr 1 InsO, § 850f Abs 2 ZPO
Instanzenzug: Az: 5 T 373/11vorgehend Az: 33 M 289/11
Gründe
I.
1Die Beschwerdeführer sind Gläubiger in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das mit Beschluss vom in die Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens überführt worden ist. Sie haben eine ausgenommene Forderung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO angemeldet, wegen derer sie den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt haben, mit dem Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldner gepfändet werden sollten, soweit diese nicht an die Treuhänderin abgetreten worden sind. Nachdem das Vollstreckungsgericht zunächst den gemäß § 850f Abs. 2 ZPO monatlich pfändungsfreien Betrag mit Beschluss vom auf 700 € festgesetzt hatte, hat die Richterin auf Erinnerung des Schuldners den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufgehoben und den Antrag auf seinen Erlass zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubiger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihren Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit dem sie in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstrecken wollen, weiter.
II.
2Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (, ZInsO 2004, 391, 392; vom - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Die auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
31. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu Recht aufgehoben und den Antrag der Gläubiger zurückgewiesen, denn die Pfändung sei unzulässig, weil das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO uneingeschränkt für alle Insolvenzgläubiger gelte. Sämtliche Insolvenzgläubiger einschließlich der Unterhalts- und Deliktsgläubiger müssten in der Treuhandphase die gleichen Befriedigungsmöglichkeiten haben, eine Ausnahme von dem Vollstreckungsverbot komme deshalb nicht in Betracht. Der Rechtsgedanke des § 302 Nr. 1 InsO stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Aus der Vorschrift ergebe sich, dass eine Privilegierung der Deliktsgläubiger erst nach Ende der Wohlverhaltensphase eintreten solle.
42. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
5a) Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum gilt das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO auch für solche Gläubiger, deren Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (BAG, BAGE 132, 125 Rn. 23 zu § 850d ZPO; LG Leipzig, NZI 2006, 603; , Rn. 25 f; AG Bremen, NZI 2008, 55, 56; FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 294 Rn. 11; Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 294 Rn. 2; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 2. Aufl., § 294 Rn. 2; HmbKomm/InsO-Streck, 4. Aufl., § 294 Rn. 3; HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl., § 294 Rn. 3; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2008, § 294 Rn. 2 c; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 294 Rn. 5).
6b) Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob § 294 Abs. 1 InsO auch die Vollstreckung von Gläubigern ausgenommener Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO während des Laufs der Wohlverhaltensphase ausschließt, bislang zwar nicht ausdrücklich entschieden. Zweck des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO ist es, den Neuerwerb des Schuldners, der nicht gemäß § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gemäß § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger zu entziehen (, BGHZ 163, 391, 396 f; Beschluss vom - IX ZB 288/03, ZInsO 2006, 872 Rn. 9). Dies gilt auch im Hinblick auf Gläubiger, deren Forderung aus einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt, die sie im Verfahren mit diesem Privileg angemeldet haben. Zwar soll ihre Forderung von der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden, sondern nach Erteilung der Restschuldbefreiung weiter durchsetzbar sein. Dieses Privileg bezieht sich aber nur auf die insolvenzrechtliche Nachhaftung, ohne dem Gläubiger schon innerhalb des Insolvenz- oder Restschuldbefreiungsverfahrens eine Sonderstellung zuzuweisen (, ZInsO 2007, 1226 Rn. 12 mwN).
7Nach diesen Grundsätzen ist es ausgeschlossen, dass der Gläubiger einer ausgenommenen Forderung bereits während des Laufs der Wohlverhaltensphase in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstreckt. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 302 Nr. 1 InsO geht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung nicht dahin, im Fall des Fehlens konkurrierender Neugläubiger nicht dem Schuldner, sondern dem Gläubiger der ausgenommenen Forderung die im Rahmen des § 850f Abs. 2 ZPO pfändbaren Einkünfte zuzuweisen. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr, ohne damit Art. 14 Abs. 1 GG zu verletzen, für die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger während des Laufs der Wohlverhaltensphase entschieden. Dies schließt an den Zuschnitt des Vollstreckungsverbots während der Dauer des Verfahrens nach § 89 Abs. 2 InsO an, dessen Satz 2 keine Deliktsgläubiger privilegiert, die an dem Verfahren teilnehmen ( aaO Rn. 10). Art. 14 Abs. 1 GG wird insofern Rechnung getragen, als Gläubiger ausgenommener Forderungen bei entsprechender Anmeldung und Feststellung ihres Anspruchs nach Erteilung der Restschuldbefreiung die Möglichkeit haben, weiter in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken.
8c) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung der fortlaufenden Bezüge des Schuldners für die Dauer des Insolvenzverfahrens und eines sich daran möglicherweise anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens (, ZInsO 2011, 812) hat hierauf keinen Einfluss. Die zeitlich beschränkte Unwirksamkeit der Pfändung bezieht sich nach der genannten Entscheidung gerade auch auf die Dauer der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens. Der Pfändungsschutz besteht also auch in dieser Phase weiter, so dass die Entscheidung im Einklang mit dem Ausschluss von Vollstreckungen von Insolvenzgläubigern während dieses Zeitraums steht. Das Pfändungspfandrecht soll nach dem Beschluss (aaO, Rn. 10, 14) erst dann wieder aufleben, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Restschuldbefreiung versagt wird. Zuvor kommt die Geltendmachung von Rechten aus dem Pfändungspfandrecht nicht in Betracht.
9d) Auch das , ZInsO 2011, 102), wonach die Klage eines Gläubigers auf Zinszahlung seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dessen Aufhebung während der Treuhandphase ungeachtet einer möglichen späteren Restschuldbefreiung des Schuldners zulässig ist, führt zu keiner anderen Wertung. Hieraus ergibt sich nicht, dass die Vollstreckung eines Insolvenzgläubigers wegen einer ausgenommenen Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 InsO während der Dauer der Wohlverhaltensphase zulässig ist. Nach dieser Entscheidung steht das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO vielmehr nur der Zulässigkeit der Klageerhebung, die eine spätere Zwangsvollstreckung vorbereitet, nicht entgegen (BGH, aaO Rn. 8 f; LG Göttingen, ZInsO 2005, 1113, 1114). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers schon in der Treuhandphase zulässig ist.
103. Die nicht näher begründete Rüge, das Beschwerdegericht hätte das Verfahren wegen eines Antrags der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung aussetzen müssen, greift nicht durch. Zwar führt die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 299 InsO zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung. Kommt es hierzu, hat der Gläubiger aber die Möglichkeit, aufgrund veränderter Sachlage einen neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu beantragen. Vorgreiflich ist die Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung deshalb nicht. Im Übrigen sind die Vorschriften über die Aussetzung (§§ 148 ff ZPO) auf das grundsätzlich eilbedürftige, auf eine rasche Befriedigung der Gläubiger angelegte Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht entsprechend anwendbar (, NZI 2006, 642 Rn. 5).
Vill Raebel Lohmann
Pape Möhring
Fundstelle(n):
NJW-RR 2012 S. 1131 Nr. 18
WM 2012 S. 1495 Nr. 31
CAAAE-14337