BAG Urteil v. - 9 AZR 730/10

Ablehnung eines Altersteilzeitantrags nach Anl 17 § 2 DCVArbVtrRL - Ermessensprüfung - Gleichbehandlungsgrundsatz

Gesetze: Anl 17 § 2 Abs 1 DCVArbVtrRL, Anl 17 § 2 Abs 2 DCVArbVtrRL, Anl 17 § 2 Abs 3 DCVArbVtrRL, Anl 17 § 5 Abs 6 DCVArbVtrRL, § 315 Abs 1 BGB, Art 3 Abs 1 GG

Instanzenzug: ArbG Krefeld Az: 3 Ca 2811/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 7 Sa 1280/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Abschluss eines Altersteilzeitdienstvertrags (Altersteilzeitarbeitsvertrag).

Die am geborene Klägerin ist seit dem bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte in der Betriebsstätte J beschäftigt. Nach § 2 Abs. 2 des Dienstvertrags der Parteien sind die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“ (AVR) Bestandteil des Dienstvertrags. Hierzu gehört auch die Anlage 17 Altersteilzeitregelung (im Folgenden: Anlage 17 AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung. Dort heißt es, soweit maßgeblich, wie folgt:

3Mit Schreiben vom bot die Klägerin der Beklagten an, mit ihr für die Zeit vom bis zum ein Altersteilzeitdienstverhältnis im Blockmodell zu vereinbaren. Mit Schreiben vom „beantragte“ sie die Vereinbarung eines Altersteilzeitdienstverhältnisses für die Zeit vom bis zum .

4Die Beklagte lehnte es mit Schreiben vom ab, mit der Klägerin einen Altersteilzeitdienstvertrag zu vereinbaren. Im Mai 2008 hatte sie einen Altersteilzeitdienstvertrag mit dem am geborenen und ordentlich unkündbaren Oberarzt Dr. S geschlossen und im April 2009 mit dem am geborenen Chefarzt Dr. M Altersteilzeit vereinbart. Beide Altersteilzeitdienstverträge hatten eine Laufzeit von nicht mehr als sechs Jahren. Im Oktober 2003 hatten die Beklagte und ihr Mitarbeiter Mo einen Altersteilzeitdienstvertrag über eine Laufzeit von acht Jahren geschlossen.

5Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gemäß § 2 Abs. 1 Anlage 17 AVR verpflichtet, mit ihr einen Altersteilzeitdienstvertrag zu schließen. Danach habe der Dienstgeber über den Abschluss eines Altersteilzeitdienstvertrags nach billigem Ermessen zu entscheiden. Da die Beklagte ihr Ermessen offensichtlich nicht ausgeübt habe, sei ihrem Antrag schon aus diesem Grund stattzugeben. Die Beklagte habe zudem keine dem Anspruch entgegenstehenden berücksichtigungsfähigen erheblichen Umstände schlüssig vorgetragen. Offensichtlich habe die Beklagte mit der Entscheidung über den Antrag gewartet, um in einem für sie richtigen Moment sämtliche Anträge abzulehnen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine angeblich verschlechterte Finanzlage berufen, da die wirtschaftliche Situation der Betriebsstätte seit Jahren schlecht sei, ohne sich noch weiter dramatisch verschlechtert zu haben. Der Anspruch folge zumindest aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Im Hinblick auf die mit dem Mitarbeiter Mo getroffene Altersteilzeitregelung könne die fehlende Förderung aufgrund der beantragten Dauer von mehr als sechs Jahren keine Ablehnung rechtfertigen. Es läge auch kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der noch in den Jahren 2008 und 2009 abgeschlossenen Altersteilzeitvereinbarungen vor.

Die Klägerin hat beantragt,

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, aufgrund der erheblichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in der Betriebsstätte J im Jahr 2009 habe sie im August 2009 entschieden, dort keine Altersteilzeitdienstverhältnisse mehr zu begründen. Der von der Klägerin begehrte, sechs Jahre überschreitende Zeitraum begründe eine besondere Kostenlast, die schon allein als Ablehnungsgrund ausreiche. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt. Eine Vergleichbarkeit mit den beiden Ärzten scheide aus, weil bei diesen die Förderungshöchstdauer nicht überschritten würde. Bei dem Mitarbeiter Mo sei die Altersteilzeitvereinbarung einige Jahre vor dem Antrag der Klägerin abgeschlossen worden. Ihre wirtschaftliche Situation sei damals besser gewesen.

Das Arbeitsgericht hat sein klageabweisendes Versäumnisurteil aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision ihren Klageantrag weiter.

Gründe

9I. Die zulässige Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, mit der Klägerin einen Altersteilzeitdienstvertrag für die Zeit vom bis zum zu schließen.

101. Der Anspruch folgt nicht aus § 2 Abs. 1 Anlage 17 AVR. Die Regelung in § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR schließt einen Anspruch der Klägerin auf Abschluss des beanspruchten Altersteilzeitdienstvertrags aus.

11a) Nach § 2 Abs. 1 Anlage 17 AVR kann der Dienstgeber mit Mitarbeitern, die die in dieser Bestimmung genannten persönlichen Voraussetzungen erfüllen, die Änderung des Dienstverhältnisses in ein Altersteilzeitdienstverhältnis auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes vereinbaren. Die Klägerin erfüllte zwar am diese persönlichen Voraussetzungen. Sie hatte das 55. Lebensjahr und eine Beschäftigungszeit von fünf Jahren vollendet und stand innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem vorgesehenen Beginn des Altersteilzeitdienstverhältnisses 1.080 Kalendertage in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem SGB III.

12b) Dennoch besteht kein Anspruch. Denn gemäß § 2 Abs. 3 Halbs. 1 Anlage 17 AVR kann der Dienstgeber die Vereinbarung eines Altersteilzeitdienstverhältnisses ablehnen, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe entgegenstehen. Diese liegen gemäß § 2 Abs. 3 Halbs. 2 Anlage 17 AVR insbesondere vor, wenn durch das Altersteilzeitdienstverhältnis finanzielle Mittel Dritter (kirchliche und öffentliche Zuwendungen, Leistungen der Sozialleistungsträger) gemindert werden oder die Grenze des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG überschritten wird. Die Regelung in § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR räumt dem Dienstgeber das Recht, die Vereinbarung eines Altersteilzeitdienstverhältnisses abzulehnen, unabhängig davon ein, ob sich die vom Mitarbeiter beanspruchte Änderung des Dienstverhältnisses in ein Altersteilzeitdienstverhältnis nach § 2 Abs. 1 oder § 2 Abs. 2 Anlage 17 AVR richtet. Deshalb werden Mitarbeiter vor Vollendung des 60. Lebensjahres gegenüber Mitarbeitern nach Vollendung des 60. Lebensjahres bezüglich ihres Anspruchs auf Abschluss eines Altersteilzeitdienstvertrags nicht wegen ihres Alters benachteiligt.

13aa) Bereits aus der Formulierung in § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR („Der Dienstgeber kann die Vereinbarung eines Altersteilzeitdienstverhältnisses ablehnen …“) folgt, dass es für das Ablehnungsrecht des Dienstgebers nicht darauf ankommt, ob dieser gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu entscheiden hat, ob er das Angebot eines Mitarbeiters, der zwar das 55. Lebensjahr, aber noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet hat, annimmt, ein Altersteilzeitdienstverhältnis einzugehen (§ 2 Abs. 1 Anlage 17 AVR), oder ob sich der Anspruch des Mitarbeiters nach § 2 Abs. 2 Anlage 17 AVR richtet, weil er das 60. Lebensjahr vollendet hat und der Dienstgeber deshalb ein Altersteilzeitdienstverhältnis vereinbaren soll. Denn § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR differenziert nicht zwischen den verschiedenen Ansprüchen auf Altersteilzeit. Der systematische Zusammenhang bestätigt das Auslegungsergebnis. Die Ablehnungsbefugnis des Dienstgebers ist in einem eigenständigen Absatz geregelt und damit nicht untergeordneter Teil der Regelung in § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Anlage 17 AVR.

14bb) Die Regelung in § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR verpflichtet den Dienstgeber nicht, bei Vorliegen dringender dienstlicher bzw. betrieblicher Gründe nach pflichtgemäßen Ermessen gemäß § 315 Abs. 1 BGB darüber zu entscheiden, ob er die Vereinbarung eines Altersteilzeitdienstverhältnisses ablehnt.

15(1) Der Wortlaut „kann ablehnen“ zwingt im Gesamtzusammenhang nicht zu dem Schluss, der Dienstgeber müsse seine Entscheidung nach billigem Ermessen treffen. Das folgt schon aus dem in der Bestimmung genannten, auf die Grenze des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG bezogenen Regelbeispiel. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 AltTZG muss für Erstattungsleistungen der Arbeitsverwaltung die freie Entscheidung des Arbeitgebers sichergestellt sein, ob er mit über fünf vH der Arbeitnehmer seines Betriebs Altersteilzeit vereinbart. Schließt eine den Arbeitgeber verpflichtende Regelung diese freie Entscheidung aus, etwa durch die Bindung an billiges Ermessen gemäß § 315 BGB, besteht kein Anspruch auf Refinanzierung durch Erstattungsleistungen der öffentlichen Hand nach § 3 und § 4 AltTZG. Der Hinweis in § 2 Abs. 3 Halbs. 2 Anlage 17 AVR auf § 3 Abs. 1 Nr. 3 AltTZG soll sicherstellen, dass die Förderungsvoraussetzungen des AltTZG erfüllt werden. Der Senat hat deshalb aus denselben Erwägungen zum Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom (TV ATZ) entschieden, der Arbeitnehmer habe nach § 2 Abs. 1 TV ATZ gegen seinen Arbeitgeber keinen Anspruch darauf, dass dieser nach billigem Ermessen darüber entscheidet, ob er mit dem Arbeitnehmer einen Altersteilzeitarbeitsvertrag schließt, wenn die Überlastquote des § 3 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1 AltTZG überschritten würde ( - Rn. 21, NZA 2012, 218).

16(2) Die Regelung in § 2 Abs. 1 Anlage 17 AVR, wonach die Änderung des Dienstverhältnisses in ein Altersteilzeitdienstverhältnis „auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes“ vereinbart werden kann, bestätigt das Auslegungsergebnis. Daraus wird deutlich, dass der Abschluss eines Altersteilzeitdienstverhältnisses auch an die Voraussetzungen für eine Refinanzierbarkeit mithilfe von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit gekoppelt werden sollte (vgl. zu § 2 Abs. 1 TV ATZ, an den sich die Anlage 17 AVR erkennbar anlehnt:  - NZA 2012, 218).

17cc) Das in § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR genannte Regelbeispiel der Minderung finanzieller Mittel ist erfüllt, weil die Klägerin den Abschluss eines die Förderungshöchstdauer von sechs Jahren überschreitenden Altersteilzeitdienstverhältnisses (sieben Jahre) verlangt. § 4 Abs. 1 AltTZG beschränkt die Förderungshöchstdauer auf sechs Jahre. Dies bewirkt, dass der Dienstgeber bei einer längeren Dauer des Altersteilzeitdienstverhältnisses nach dem Ende der Förderung die gesamte Aufstockung zu tragen hat, ohne dass ihm eine Refinanzierung möglich ist (vgl.  - Rn. 21 ff., AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 41 = EzA TVG § 4 Altersteilzeit Nr. 29). Allerdings tritt dadurch im engeren Sinne noch keine Minderung von Leistungen eines Sozialleistungsträgers ein. Vielmehr werden nach dem Ende der Förderungshöchstdauer Leistungen überhaupt nicht mehr erbracht. Nach dem eindeutigen Sinn und Zweck des Regelbeispiels soll der Anspruch auf Abschluss eines Altersteilzeitdienstverhältnisses jedoch ausgeschlossen werden, wenn dem Dienstgeber durch den Altersteilzeitdienstvertrag zusätzliche Kosten entstehen, weil finanzielle Mittel, die ihm im Regelfall zustehen, nicht gewährt werden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob Leistungen gemindert oder überhaupt nicht erbracht werden.

18dd) Aus der Regelung in § 5 Abs. 6 Anlage 17 AVR, wonach ein Altersteilzeitdienstverhältnis länger als sechs Jahre dauern kann, folgt nichts anderes. Die Vorschrift stellt lediglich klar, dass ein Mitarbeiter auch dann Anspruch auf Aufstockungsleistungen hat, wenn das Altersteilzeitdienstverhältnis länger als sechs Jahre dauert, obgleich die Erstattungsleistungen auf den Sechsjahreszeitraum begrenzt sind (vgl. Beyer/Papenheim Arbeitsrecht der Caritas Stand März 2011 Anlage 17 - § 5 Aufstockungsleistungen Rn. 76). Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Dienstgeber sein Ablehnungsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Anlage 17 AVR nicht ausüben muss und freiwillig sowie ohne Rücksicht auf die Refinanzierbarkeit auch Altersteilzeitdienstverhältnisse abschließen kann.

192. Der Anspruch der Klägerin folgt auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

20a) Dieser gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regelung gleichzubehandeln. Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung (st. Rspr., vgl.  - Rn. 23, BAGE 134, 223; - 9 AZR 111/07 - Rn. 45, BAGE 126, 264).

21b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Hinsichtlich der Mitarbeiter Dr. S und Dr. M fehlt es bereits an der Vergleichbarkeit, da ihre Altersteilzeitdienstverhältnisse die Förderungshöchstdauer von sechs Jahren nicht überschreiten. Bezüglich des Mitarbeiters Mo beruft sich die Klägerin auf einen Einzelfall und genügt damit nicht ihrer Darlegungslast (vgl. zur Darlegungslast:  - Rn. 33, AP BetrAVG § 1 Auslegung Nr. 6). Die Begünstigung eines einzelnen Arbeitnehmers erlaubt es grundsätzlich noch nicht, auf eine für den Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz erforderliche Gruppenbildung zu schließen. Eine Gruppenbildung liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Besserstellung nach bestimmten Kriterien vorgenommen wird, die bei allen Begünstigten vorliegen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist dementsprechend nicht anwendbar, wenn es sich um eine Einzelfallregelung handelt. In einem solchen Fall fehlt der notwendige kollektive Bezug (vgl.  - Rn. 24, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 21). Allein der Umstand, dass die Beklagte mit ihrem Mitarbeiter Mo im Oktober 2003 ein Altersteilzeitdienstverhältnis mit einer Laufzeit von acht Jahren für den Zeitraum vom bis zum vereinbarte, genügt zur Darlegung einer Gruppenbildung nicht. Zudem vereinbarte die Beklagte das Altersteilzeitdienstverhältnis mit dem Mitarbeiter Mo einige Jahre vor dem Antrag der Klägerin.

II. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
SAAAE-10798