Oberfinanzdirektion Rheinland - S 2225 - St 143 (02/2008)

Vererblichkeit des Verlustabzugs nach § 10d EStG;
Auswirkungen des Beschlusses des Großen Senats des ( BStBl 2008 II S. 608) auf den Verlustausgleich;
Übertragung des Beschlusses auf andere Verlustverrechnungskreise

Der Große Senat des (a. a. O.) entschieden, dass der Erbe einen vom Erblasser nicht genutzten Verlustabzug (Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG) nicht bei seiner eigenen Einkommensteuerveranlagung geltend machen kann.

In Ergänzung der ( BStBl 2008 I S. 809) und vom ( BStBl 2004 I S. 1097) gelten zur Anwendung des o. g. Beschlusses die auf Bund-/Länder-Ebene abgestimmten nachfolgenden Ausführungen:

1. Verlustausgleich/-abzug

1.1. Grundsatz

Die einzelne natürliche Person ist das Zurechnungssubjekt der von ihr erzielten Einkünfte (§ 2 Abs. 1 EStG). Die persönliche Steuerpflicht erstreckt sich auf die Lebenszeit einer Person und endet mit dem Tod. Ungenutzte vortragsfähige Verluste des Erblassers verfallen grundsätzlich. Sie können nicht im Rahmen des Verlustausgleichs und -abzugs bei der Veranlagung des Erben berücksichtigt werden. Erblasser und Erbe sind zwei verschiedene Rechtssubjekte, die in der Regel jeweils für sich zur Einkommensteuer herangezogen werden.

Im Todeszeitpunkt nicht aufgezehrte Verluste des Erblassers können somit im Todesjahr nur in den Verlustausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG (Ausgleich mit positiven Einkünften des Erblassers) und unter Beachtung der Mindestbesteuerung nach § 10d EStG bei der Veranlagung des Erblassers einfließen. Eine abweichende Festsetzung aus (sachlichen) Billigkeitsgründen, die von einer Anwendung der Mindestbesteuerung unter Hinweis auf § 163 AO absieht, ist nicht möglich.

1.2. Verlustausgleich und Verlustabzug bei Ehegatten

Bei Ehegatten können im Todeszeitpunkt noch nicht ausgeglichene Verluste des Erblassers bei der Veranlagung für das Todesjahr im Rahmen der Zusammenveranlagung mit positiven Einkünften des überlebenden Ehegatten, soweit er Erbe ist, ausgeglichen werden.

Werden die Ehegatten für das Todesjahr nach §§ 26, 26b EStG zusammen veranlagt und erfolgte für das Vorjahr ebenfalls eine Zusammenveranlagung, ist ein Rücktrag des nicht ausgeglichenen Verlustes des Erblassers nach § 10d Abs. 1 EStG in das Vorjahr möglich.

Erfolgte eine Zusammenveranlagung im Todesjahr und eine getrennte Veranlagung im Vorjahr, so ist ein Rücktrag des noch nicht ausgeglichenen Verlustes des Erblasseres nur bei der getrennten Veranlagung des Erblassers zu berücksichtigen (§ 62d Abs. 1 S. 2 EStDV).

Bei getrennter Veranlagung der Ehegatten für das Todesjahr und Zusammenveranlagung für das Vorjahr ist ein Rücktrag des nicht ausgeglichenen Verlusts des Erblassers in das Vorjahr möglich (§ 62d Abs. 2 S. 1 EStDV). Werden die Ehegatten für das Todesjahr getrennt veranlagt und erfolgte auch für das Vorjahr eine getrennte Veranlagung, ist ein Rücktrag des noch nicht ausgeglichenen Verlustes des Erblassers nur bei der getrennten Veranlagung des Erblassers zu berücksichtigen.

Für den überlebenden Ehegatten sind für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den Schluss des Todesjahres des Erblassers und die Anwendung der sog. Mindestbesteuerung nach § 10d Absatz 2 EStG in den Folgejahren allein die auf den überlebenden Ehegatten entfallenden nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte maßgeblich.

2. Anwendung bei besonderen Verlustverrechnungskreisen

Die Auswirkung des Beschlusses des Großen Senats zum Verlustabzug in Erbfällen auf die gesonderten Verlustverrechnungskreise des Einkommensteuergesetzes sind in der nachfolgenden tabellarischen Übersicht zusammengefasst dargestellt:


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Verlustverrechnungskreis
Anwendbarkeit der Grundsätze des BFH-Beschlusses
(Ausschluss der Vererblichkeit von Verlusten bzw. Hinzurechnungspotential)
 
JA
NEIN
Anmerkungen
×
 
Siehe Tz. 2.1
 
×
Siehe Tz. 2.2.1 und 2.2.2
§ 15 Abs. 4 S. 1und EStG
 
×
Siehe Tz. 2.3.1; Ausnahme: Aufgabe oder Veräußerung des verlustbehafteten Betriebs, Mitunternehmeranteils oder Teilbetrieb bereits vor dem Erbfall
§ 15 Abs. 4 S. 3bis EStG
×
 
Siehe Tz. 2.3.1
 
×
Siehe Tz. 2.3.2
 
×
Siehe Tz. 2.3.2
×
 
Siehe Tz. 2.4; ab VZ 2009
§ 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 3 S. 7 bis 10 EStG
×
 
Siehe Tz. 2.5; Ausnahme: Eintritt des Erbfalls vor verlustbehafteter Veräußerung
×
 
Siehe Tz. 2.6

2.1. Negative ausländische Einkünfte nach § 2a Abs. 1 EStG

Die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats zur Nichtvererblichkeit von Verlusten nach § 10d EStG sind auch auf die Regelungen des § 2a Abs. 1 EStG anzuwenden, da diese wie § 10d EStG an das Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit anknüpfen und insoweit vergleichbar sind. Eine Differenzierung der einzelnen, in § 2a Abs. 1 EStG genannten Tatbestände kommt nicht in Betracht.

2.2. Hinzurechnung zuvor abgezogener ausländischer Betriebsstättenverluste nach § 2a Abs. 3 EStG a. F. oder § 2 AuslInvG (AIG)

2.2.1. § 2a Abs. 3 EStG a. F.

Beim Erben ist gem. § 2a Abs. 3 EStG a. F. eine Hinzurechnung der vom Erblasser erzielten Verluste vorzunehmen, denn es handelt sich um eine Nachversteuerungsregelung, die einen anderen Rechtscharakter als § 10d EStG hat. Dieser kommt daher eine Sonderstellung bei den Verlustverrechnungsvorschriften zu.

2.2.2. § 2 AuslInvG (AIG)

Auch bei erzielten Verlusten nach § 2 AuslInvG (AIG) – der Vorgängervorschrift von § 2a Abs. 3 EStG a. F. – ist eine Hinzurechnung der vom Erblasser erzielten Verluste beim Erben vorzunehmen ( BStBl 2011 II S. 113).

2.3. Verluste bestimmter Einkunftsarten und -quellen – §§ 15Abs. 4, 15a, 15b EStG

Die Grundsätze der o. g. Entscheidung des Großen Senats sind nicht auf andere Vorschriften übertragbar, wenn der Verlust einer bestimmten Einkunftsquelle zuzuordnen ist. Daher ist in derartigen Fällen eine Verlustübertragung zwischen Erblasser und Erben weiterhin möglich.

Im Einzelnen gilt:

2.3.1. § 15 Abs. 4 EStG

In den Fällen, in denen ein Betrieb, Mitunternehmeranteil oder Teilbetrieb nach § 6 Abs. 3 EStG auf den Erben übergeht, geht auch ein nach § 15 Abs. 4 S. 1und EStG (Verluste aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung) festgestellter Verlust auf den Erben über.

In Fällen, in denen der Betrieb, Mitunternehmeranteil oder Teilbetrieb jedoch bereits durch den Erblasser zu Lebzeiten aufgegeben oder veräußert wurde und in den Fällen des § 15 Abs. 4 S. 3bis EStG (Verluste aus Termingeschäften) gehen die als verrechenbar festgestellten Verluste nicht auf den Erben über. Es ist kein Betrieb, Mitunternehmeranteil oder Teilbetrieb mehr vorhanden, mit dem der Verlust untrennbar verknüpft werden kann.

2.3.2. § 15a und § 15b EStG

Die Grundsätze der o. g. Entscheidung des Großen Senats sind auf Verluste, die nach § 15aund § 15b EStG verrechenbar sind, aufgrund der Quellenbezogenheit nicht übertragbar. Diese Verluste gehen daher wie bisher auf den Erben über ( BStBl 1999 II S. 269).

2.4. Verluste aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 EStG/Verlustverrechnung nach § 43a Abs. 3 EStG (ab Veranlagungszeitraum 2009)

Die Grundsätze der o. g. Entscheidung des Großen Senats sind auf Verluste, die nach § 20 Abs. 6 EStG bzw. § 43a Abs. 3 EStG verrechenbar sind, übertragbar.

2.5. Private Veräußerungsgeschäfte nach § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 3 S. 7 bis 10 EStG

Die Grundsätze der o. g. Entscheidung des Großen Senats gelten auch für Verluste, die nach § 22 Nr. 2 i. V. m. § 23 Abs. 3 S. 7 bis 10 EStG verrechenbar sind. Die vor dem Erbfall entstandenen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 3 EStG sind nicht vererblich.

Anders ist der Fall zu beurteilen, in dem der Erbfall nach dem Anschaffungsvorgang und vor dem Veräußerungsgeschäft i. S. d. § 23 EStG eintritt. Wird der Tatbestand der verlustbehafteten Veräußerung erst durch den Erben verwirklicht, ist dem Erben der nach dem Erbfall tatsächlich realisierte Verlust zuzurechnen. Mit dem Erbvorgang wird der Erbe Gesamtrechtsnachfolger und tritt in die Rechtsstellung des Erwerbers ein.

2.6. Sonstige Einkünfte aus Leistungen i. S. d. § 22 Nr. 3 S. 4 bis 6 EStG

Die Grundsätze der o. g. Entscheidung des Großen Senats sind auch auf Verluste anwendbar, die nach § 22 Nr. 3 S. 4 bis 6 EStG verrechenbar sind.

3. Auswirkungen auf den Schuldzinsenabzug nach § 4 Abs. 4a EStG

In Bezug auf die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG gelten die Grundsätze des § 6 Abs. 3 EStG entsprechend. Die Grundsätze des Beschlusses sind damit im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 4a EStG nicht zu berücksichtigen.

4. Spendenvortrag nach § 10b Abs. 1 S. 9 und 10 EStG

Der Spendenvortrag nach § 10b EStG a. F. bzw. § 10b Abs. 1 S. 9 und 10 EStG geht nicht auf den Erben über ( BFH/NV 2009 S. 375). Die mit (a. a. O.) geschaffene Vertrauensschutzregelung gilt in diesen Fällen nicht, da es auch vor dem Beschluss des Großen Senats keine Rechtsprechung gab, nach der ein nicht ausgenutztes Spendenvolumen durch den Erben fortgeführt werden konnte.

5. Anwendungsregelung

Diese Verfügung ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Soweit sich eine für den Erben belastende Änderung der Rechtslage ergibt gilt dies nur, wenn der Erbfall nach dem (Tag der Veröffentlichung des o. g. Beschlusses des Großen Senats im Bundessteuerblatt) eingetreten ist.

6. Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n. F.

Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom ( BStBl 2011 II S. 826) entschieden, dass es ernstlich zweifelhaft sei, ob die sog. Mindestgewinnbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n. F. verfassungsrechtlichen Anforderungen auch dann standhalte, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Veranlagungszeiträumen aus rechtlichen Gründen (im dortigen Fall nach § 8c KStG) endgültig ausgeschlossen sei.

Zur Frage der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung für den Fall der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht (Tod einer natürlichen Person) bei fehlender Möglichkeit der Verlustvererbung wird auf das hierzu ergangene ( BStBl 2011 I S. 974) verwiesen.

Oberfinanzdirektion Rheinland v. - S 2225 - St 143 (02/2008)

Fundstelle(n):
IAAAE-09683