BVerwG Beschluss v. - 2 B 96/11

Disziplinarrecht; Zumessungserwägungen; Versuch und Vollendung der Tat

Gesetze: § 77 BBG, § 13 Abs 1 BDG

Instanzenzug: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Az: 16b D 10.2447 Urteil

Gründe

1Die auf Divergenz und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO und § 69 BDG) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

21. Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006 wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. In seinem ersten Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Nach Aufhebung dieses Urteils und Zurückverweisung an den Verwaltungsgerichtshof ( BVerwG 2 B 97.09 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 14) hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Beklagten erneut zurückgewiesen.

32. Die Revision ist nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18). Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt weder den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenz- noch denen einer Grundsatzrüge (vgl. BVerwG 6 B 39.94 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 342 S. 55).

4In der Beschwerde wird kein Widerspruch zwischen einem tragenden Rechtssatz des Berufungsurteils und einem tragenden Rechtssatz des BVerwG 1 D 15.04 - (Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24) oder des BVerwG 1 D 1.05 - aufgezeigt. Das wird bei den Ausführungen zum Zulassungsgrund der Divergenz nicht weiter herangezogen. Dem ist auch nicht der Rechtssatz zu entnehmen, dass bei einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nur bei einem vollendeten Betrug in Betracht kommt, nicht aber bei einem bloßen Versuch. Der Sache nach beschränkt sich die Beschwerde im Wesentlichen darauf, die Zumessungserwägungen des Verwaltungsgerichtshofs unter dem Gesichtspunkt anzugreifen, dieser habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass es sich bei den Straftaten des Beklagten um (untaugliche) Versuche handele.

5Im Übrigen unterscheidet das Disziplinarrecht - im Gegensatz zum Strafrecht - nicht zwischen Versuch und Vollendung der Tat. Verletzt ein Beamter schuldhaft ihm obliegende Dienstpflichten im Sinne von § 77 BBG, kann es sich dabei begrifflich immer nur um eine vollendete Pflichtverletzung handeln, auch wenn nach strafrechtlichen Grundsätzen der Versuch eines Delikts anzunehmen wäre. Disziplinarrechtlich entscheidend ist allein, ob der Beamte durch ein bestimmtes Dienstvergehen seine Dienstpflichten verletzt hat. Für die im Disziplinarrecht gebotene Persönlichkeitsbeurteilung eines Beamten kommt es allein auf den gezeigten Handlungswillen an. Wenn der Erfolg der Tat nicht eingetreten ist, so ist dies dann von Bedeutung, wenn der Nichteintritt auf zurechenbarem Verhalten des Beamten beruht ( BVerwG 1 D 32.92 - BVerwGE 103, 54 <56 f.>; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, 1. Aufl., 2010, Rn. 24 m.w.N.).

63. Die Revision ist auch nicht wegen des vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensmangels eines Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO) zuzulassen.

7Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).

8Nach diesen Grundsätzen hat der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör in Bezug auf die Berücksichtigung der Gründe, die für die Einstellung der zuvor gegen den Beklagten eingeleiteten Disziplinarverfahren maßgebend waren, nicht verletzt. Bereits der Senat hat in seinem Beschluss vom (a.a.O. <insoweit in Buchholz nicht veröffentlicht> juris Rn. 9) ausgeführt, dass in die Zumessungsentscheidung auch die Gründe einzubeziehen sind, die für die Einstellung der früheren Disziplinarverfahren maßgebend waren. Ausweislich der Niederschrift über die Berufungsverhandlung vom hat der Verwaltungsgerichtshof die Frage der Verwertung von Disziplinarvorgängen erörtert, die nicht zu einer Disziplinarmaßnahme geführt haben (§ 16 Abs. 4 und 2 BDG). Dementsprechend musste der Beklagte damit rechnen, dass der Verwaltungsgerichtshof diese Umstände bei seiner Bemessungsentscheidung nach § 13 BDG berücksichtigt. Dass der Verwaltungsgerichtshof Umstände anders würdigte, als ein Beteiligter, begründet keinen Gehörsverstoß.

Fundstelle(n):
NAAAE-08721