NWB Nr. 18 vom Seite 1481

„Schweigen ist Silber, Reden Gold”

Heinrich Steinfeld | Verantw. Redakteur | nwb-redaktion@nwb.de

Forever Young

Der Versuch wichtiger Fraktionsführungen im Bundestag, das Rederecht von Parlamentariern mit abweichender Meinung zu beschränken, ist auf eine so leidenschaftliche Ablehnung gestoßen, dass man vermuten könnte, große Redner wie Cicero und Demosthenes begegneten sich täglich unter der Reichstagskuppel. Die Initiatoren der geplanten Geschäftsordnungsnovelle haben wohl aus einem anderen Grund aufgegeben: Bei der skurrilen Debatte um das Betreuungsgeld etwa müssten Mehrheit und Minderheit jeden Tag neu austariert werden, um abweichende Meinungen überhaupt erst auszumachen. Hinter den mit Feuereifer vorgetragenen gegensätzlichen Überzeugungen schimmern die gesellschaftspolitischen Herausforderungen einer vergreisenden Gesellschaft durch, die unter dem euphemistischen Schlagwort „demografischer Wandel” in immer kürzeren Abständen auf die Tagespolitik einwirken. Das Steuerrecht allein wird eine „Generationengerechtigkeit” nicht herbeiführen können. Mit dem Steuervereinfachungsgesetz 2011 wurden alle Kinderbetreuungskosten systematisch in § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG den Sonderausgaben zugewiesen (Nolte, S. 1508). Die Beschränkung des Abzugs auf zwei Drittel bei einem Höchstbetrag von 4.000 € wird mit dem im Rahmen des Familienleistungsausgleichs bereits allen Eltern gewährten Freibetrag in Höhe von 2.640 € pro Kind gerechtfertigt. Dies reicht den außerparlamentarischen Fürsprechern einer neuen ökonomischen Vernunft noch lange nicht. Sie fordern in den Feuilletons der Tagespresse ein Familiensplitting, ein für Kinder ausgeübtes Wahlrecht (oder gar eine Sondersteuer für Kinderlose) sowie eine Abschmelzung der sich in den kommenden Jahren verdreifachenden Kosten der Beamtenversorgung. Künftige Debatten darüber werden sich auch im Parlament mit keiner noch so ausgefeilten Änderung der Geschäftsordnung verhindern lassen. Als Gedöns bezeichnet Familienpolitik dort längst keiner mehr. Die demografischen Veränderungen verschärfen auch den „Kampf um die Köpfe”. Die Industrie lockt junge Fachkräfte mit bezahlten Master-Studiengängen, Unternehmen schließen mit Mitarbeitern Ausbildungsverträge oder integrieren sie im Rahmen dualer Studiengänge. Das BMF hat nun zur lohnsteuerlichen Behandlung der Übernahme von Studiengebühren durch den Arbeitgeber Stellung genommen und die Voraussetzungen für ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers skizziert (vgl. Schlusspunkt). Auch die Bundessteuerberaterkammer greift in ihrem Sieben-Thesen-Papier zu den Zukunftsperspektiven für Steuerberater das Thema auf und empfiehlt Personalmarketing mit der richtigen „Work-Life-Balance” (S. 1549).

Und wo bleibt die Lobby für Ältere? Beim BGH. Er wendet das AGG auch auf Geschäftsführer an (S. 1497) und verurteilt Unternehmen, die einen befristeten Anstellungsvertrag mit ihren Managern aus Altersgründen nicht verlängern, zum Ersatz eines immateriellen Schadens. Gerade erst hatte der EuGH für Arbeitgeber eine diskriminierungsfreie Einstellung erschwert, indem er ihnen mittelbar eine Begründungspflicht auferlegt (und sie so neuen Angriffen von professionellen „AGG-Hoppern” aussetzt). Auch hier gilt nun: Schweigen ist Silber, Reden Gold ?

Beste Grüße

Heinrich Steinfeld

Fundstelle(n):
NWB 2012 Seite 1481
NWB MAAAE-08192