Zwangsversteigerungsverfahren: Nachweis der Vertretungsvollmacht des Bieters
Leitsatz
Ob die Vertretungsmacht eines Bieters durch eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen ist, hat das Vollstreckungsgericht anhand der formellen Beweiskraft der vorgelegten Urkunde zu prüfen.
Gesetze: § 71 Abs 2 ZVG
Instanzenzug: LG Braunschweig Az: 4 T 889/10 (127)vorgehend AG Goslar Az: 11 K 51/00
Gründe
I.
1Die Beteiligte zu 2 betreibt aufgrund eines Beitrittsbeschlusses vom die Zwangsversteigerung der im Eingang dieses Beschlusses genannten, eine wirtschaftliche Einheit bildenden Grundstücke der Schuldnerin. Nach Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens setzte das Vollstreckungsgericht den Verkehrswert Ende 2009 auf insgesamt 204.000 € fest.
2Im Versteigerungstermin vom erfolgte ein Gesamtausgebot beider Grundstücke unter Verzicht auf Einzelausgebote. Auf Antrag der Schuldnerin, das Sonderkündigungsrecht auszuschließen, kam es ferner zu einem Doppelausgebot. Die Beteiligte zu 4 bot 60.000 € auf das Ausgebot zu den gesetzlichen Bedingungen (mit Sonderkündigungsrecht) und 50.000 € auf das Ausgebot zu den abweichenden Bedingungen (ohne Sonderkündigungsrecht). Nachfolgend bot A. E. für die Beteiligte zu 3, eine Unternehmergesellschaft, 180.000 € auf das Ausgebot zu den abweichenden Bedingungen. Zum Nachweis seiner Vertretungsberechtigung legte er eine ihm von Frau E. R. als Geschäftsführerin der Beteiligten zu 3 erteilte notariell beglaubigte Bietvollmacht sowie unbeglaubigte Unterlagen über die Eintragung der Beteiligten zu 3 im Handelsregister vor.
3Der Beteiligten zu 3 wurde der Zuschlag als Meistbietender auf das Gesamtausgebot zu den abweichenden Bedingungen erteilt. Die Zuschlagsbeschwerde der Beteiligten zu 4 ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie den Antrag weiter, den Zuschlagsbeschluss aufzuheben und ihr den Zuschlag zu erteilen.
II.
4Das Beschwerdegericht meint, ein Zuschlagsversagungsgrund nach § 83 Nr. 6 ZVG liege nicht vor. Das für die Beteiligte zu 3 abgegebene Gebot sei zu Recht nicht nach § 71 Abs. 2 ZVG zurückgewiesen worden, denn A. E. habe seine Bevollmächtigung durch eine öffentliche Urkunde - die notariell beglaubigte Bietvollmacht - nachgewiesen. Zwar sei darin nicht vermerkt, dass sich der Notar durch Einsichtnahme in das Handelsregister von der Vertretungsmacht der bei ihm als Geschäftsführerin der Beteiligten zu 3 aufgetretenen Person überzeugt habe. Das Vollstreckungsgericht könne aber davon ausgehen, dass der Notar die materielle Berechtigung zur Abgabe der Erklärung geprüft habe; das gelte auch dann, wenn der Urkunde, wie hier, entgegen § 12 BeurkG kein Ausweis über die Berechtigung des Vertreters beigefügt worden sei. Im Übrigen habe sich das Vollstreckungsgericht nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung die Überzeugung von der materiellen Wirksamkeit der Bietvollmacht verschaffen und diese angesichts der ihm vorgelegten Nachricht des Handelsregisters über die Eintragung der Beteiligten zu 3 und des unbeglaubigten Handelsregisterauszugs als wirksam ansehen dürfen.
III.
5Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
61. Zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass die Beteiligte zu 4 gemäß § 97 Abs. 1 ZVG berechtigt ist, den Zuschlagsbeschluss anzufechten, weil es sich bei ihr um eine Bieterin handelt, deren Gebot nicht erloschen ist. Zwar hat sie der Zulassung des für die Beteiligte zu 3 abgegebenen Übergebots von 180.000 € im Termin nicht sofort widersprochen. Dies hat nach § 72 Abs. 1 Satz 1 ZVG jedoch nur zum Erlöschen des Gebots der Beteiligten zu 4 in dem Ausgebot geführt, in welchem das Übergebot abgegeben worden ist, nämlich zu den abweichenden Bedingungen. Das von der Beteiligten zu 4 in dem Ausgebot zu den gesetzlichen Bedingungen abgegebene Gebot von 60.000 € ist davon unberührt geblieben; denn ein Übergebot liegt nicht vor, wenn das höhere Gebot in einem anderen Ausgebot abgegeben worden ist (Steiner/Storz, ZVG, 9. Aufl., § 72 Rn. 7; Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 13. Aufl., § 72 Rn. 12).
72. a) Richtig ist ferner, dass die Vorschrift des § 83 Nr. 6 ZVG verletzt und damit ein Beschwerdegrund im Sinne von § 100 Abs. 1 ZVG gegeben ist, wenn der Zuschlag auf ein Gebot erteilt wurde, das wegen fehlenden Nachweises der Vertretungsmacht nach § 71 Abs. 2 ZVG hätte zurückgewiesen werden müssen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 207/10, NJW-RR 2011, 953).
8b) Von Rechtsfehlern beeinflusst ist dagegen die Annahme, der als Vertreter für die Beteiligte zu 3 aufgetretene A. E. habe seine Vertretungsmacht, wie von § 71 Abs. 2 ZVG verlangt, vor dem Zuschlag durch eine öffentliche (vgl. dazu Senat, Beschluss vom - V ZB 207/10, aaO, Rn. 13) oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen.
9aa) Das Beschwerdegericht verkennt, dass es im Rahmen von § 71 Abs. 2 ZVG allein auf die formelle Beweiskraft der vorgelegten Urkunden ankommt und dass sich diese nach den Vorschriften der §§ 415 ff. ZPO bestimmt. Danach erstreckt sich die Beweiskraft einer notariellen Urkunde nur darauf, dass die beurkundete Erklärung von der in der Niederschrift benannten Person abgegeben worden ist, nicht aber auf die inhaltliche Richtigkeit der Erklärung (, WM 1993, 1801, 1803 zu III; Beschluss vom – 4 StR 400/86, JZ 1987, 522). Diese Beweiswirkung erfährt keine Erweiterung durch die sich aus § 17 BeurkG ergebende Verpflichtung des Notars, die Vertretungsmacht eines Beteiligten zu prüfen, der eine zu beurkundende Erklärung als Vertreter für einen anderen abgeben will (vgl. zu dieser Verpflichtung: , NJW 1993, 2744, 2745). Verstöße gegen die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes berühren die Beweiskraft der Urkunde gemäß §§ 415 ff. ZPO nicht, es sei denn, die Urkunde wahrt nicht einmal die Mindestanforderungen an eine Beurkundung (vgl. Winkler, BeurkG, 16. Aufl., Einl. 12). Etwas anderes gilt auch nicht hinsichtlich der von dem Beschwerdegericht herangezogenen Vorschrift des § 12 BeurkG; sie regelt lediglich, in welcher Weise der Notar vorgelegte Vollmachten und sonstige Vertretungsnachweise zu dokumentieren hat (vgl. , WM 1988, 545, 547). Solche Nachweise werden dadurch, dass sie der Niederschrift beigefügt werden, nicht ihrerseits zu öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden; ihnen kommt daher auch keine entsprechende Beweiskraft zu (vgl. Senat, Beschluss vom – V ZB 146/07, WM 2008, 1278, 1279 Rn. 11).
10Die im Termin vorgelegte notariell beurkundete Bietvollmacht erbringt als öffentliche Urkunde daher nur den Beweis dafür, dass E. R. an dem angegebenen Tag erklärt hat, Geschäftsführerin der Beteiligten zu 3 zu sein und A. E. in dem angegebenen Umfang zu deren Vertretung zu bevollmächtigen. Dass E. R. berechtigt war, die Beteiligte zu 3 zu vertreten, beweist die Urkunde nicht. Dies hätte durch eine weitere öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen werden müssen, beispielsweise durch Vorlage eines beglaubigten Handelsregisterauszuges (§ 9 Abs. 3 HGB) oder einer notariellen Bescheinigung nach § 21 BNotO. Daran fehlte es hier; denn nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat A. E.im Termin nur eine Nachricht des Handelsregisters über die Eintragung der Beteiligten zu 3 sowie einen unbeglaubigten Handelsregisterauszug vorgelegt.
11bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts war das Vollstreckungsgericht nicht berechtigt, die Vertretungsbefugnis von A. E.im Wege freier Beweiswürdigung zu prüfen. Für eine solche Würdigung ist grundsätzlich nur Raum, wenn die materielle Beweiskraft einer Urkunde und damit in Frage steht, ob die in der Urkunde abgegebenen Erklärungen inhaltlich richtig und damit materiell wirksam sind (vgl. , BGHZ 147, 203, 211; Urteil vom - IX ZR 96/92, WM 1993, 1801, 1803). Zu einer solchen Prüfung ist das Vollstreckungsgericht in dem formalisierten Verfahren der Zwangsversteigerung indes nicht berufen. Es hat die ihm vorgelegten öffentlichen oder öffentlich beglaubigten Urkunden lediglich auf deren formelle Beweiskraft zu prüfen (vgl. zu § 726 Abs. 1 ZPO: Senat, Beschluss vom - V ZB 146/07, WM 2008, 1278, 1280 Rn. 14). Ob die von dem Vertreter in Anspruch genommene Vertretungsbefugnis materiell-rechtlich besteht, ist für die Entscheidung nach § 71 Abs. 2 ZVG ebensowenig von Bedeutung wie die Nachreichung dies bestätigender öffentlicher oder öffentlich beglaubigter Urkunden vor einem Verkündungstermin oder im Beschwerdeverfahren (vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 1988, 690, 691).
IV.
121. Der Zuschlagsbeschluss kann daher keinen Bestand haben; er ist aufzuheben. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO i.V.m. §§ 96, 101 ZVG).
132. Die von der Beteiligten zu 4 beantragte Erteilung des Zuschlags an sie kommt allerdings nicht in Betracht.
14a) Dieser steht zwar nicht die Wertgrenze des § 85a ZVG entgegen, wonach der Zuschlag zu versagen ist, wenn das abgegebene (wirksame) Meistgebot - wie hier - die Hälfte des Grundstückswerts nicht erreicht. Die Wertgrenze ist nämlich infolge des Versteigerungstermins vom entfallen, in dem der Zuschlag auf das unter der Hälfte des Verkehrswerts bleibende Meistgebot versagt worden war. Der Versteigerungstermin vom gilt daher als neuer Termin im Sinne von § 85a Abs. 2 Satz 2 ZVG. Dem steht, anders als die Beschwerdeerwiderung meint, nicht entgegen, dass der Zeitraum zwischen den beiden Terminen weit über sechs Monate beträgt. Die in § 85a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 74a Abs. 3 Satz 2 ZVG bestimmte Frist gilt nämlich nicht, wenn das Vollstreckungsgericht nach einer Einstellung des Verfahrens wegen eines ergebnislos gebliebenen Versteigerungstermins (§ 77 Abs. 1 ZVG) auf den Antrag des betreibenden Gläubigers nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ZVG die Fortsetzung des Verfahrens beschließt und einen neuen Versteigerungstermin bestimmt (Senat, Beschluss vom - V ZB 140/06, Rn. 21 juris). Um eine ergebnislose Versteigerung in diesem Sinne handelt es sich auch dann, wenn der Gläubiger nach der Abgabe von Geboten die Einstellung des Verfahrens bewilligt und die Entscheidung darüber nach § 33 ZVG durch Versagung des Zuschlags erfolgt (Senat, Beschluss vom - V ZB 141/06, WM 2007, 2329). Das war hier ausweislich der Feststellungen des Beschwerdegerichts der Fall; denn im zweiten Versteigerungstermin vom wurde der Zuschlag auf das Meistgebot gemäß § 33 ZVG versagt, nachdem die betreibende Gläubigerin die Einstellung des Verfahrens bewilligt hatte.
15b) Der Zuschlag auf das Gebot der Beteiligten zu 4 in Höhe von 60.000 € ist aber gemäß § 33 ZVG zu versagen, weil im Hinblick auf die drohende sittenwidrige Verschleuderung des Grundbesitzes ein Grund zur einstweiligen Einstellung des Verfahrens vorliegt (§ 765a ZPO); ein entsprechender Antrag ist von der Beteiligten zu 1 im Versteigerungstermin gestellt worden. Ist Vollstreckungsschutz beantragt, muss, auch wenn die Wertgrenzen entfallen sind, stets geprüft werden, ob eine sittenwidrige Verschleuderung des Grundstücks droht (vgl. IXa ZB 27/04, WM 2005, 136, 138; Senat, Beschluss vom - V ZB 46/09, Rn. 16 juris). Besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem festgesetzten Verkehrswert und dem Meistgebot und liegen konkrete Umstände vor, die mit Wahrscheinlichkeit ein wesentlich höheres Gebot in einem Fortsetzungstermin erwarten lassen, ist Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO zu gewähren (vgl. IXa ZB 21/03, NJW-RR 2003, 1648, 1649).
16Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das Gebot der Beteiligten zu 4 erreicht nicht einmal ein Drittel des auf 204.000 € festgesetzten Verkehrswerts und steht damit in einem krassen Missverhältnis zu diesem. Für die Annahme, ein neuer Termin werde mit Wahrscheinlichkeit zu einer wesentlich besseren Verwertung des Grundbesitzes führen, spricht die unzureichende Ansprache von Bietinteressenten in jüngerer Zeit. Zwischen dem Termin vom und dem vorausgegangenen Termin vom lagen mehr als fünf Jahre; ferner erfolgte in dieser Zeit eine neue Wertfestsetzung auf der Grundlage eines wegen geänderter Verhältnisse eingeholten weiteren Sachverständigengutachtens. Heutige Interessenten hatten somit praktisch nur in einem einzigen Termin Gelegenheit, das Objekt zu ersteigern. Schon deshalb besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass in einem neuen Termin wesentlich höhere Gebote als 60.000 € abgegeben werden.
V.
17Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da sich die Beteiligten bei einer Zuschlagsbeschwerde in der Regel nicht als Parteien im Sinne des §§ 91 ff. ZPO gegenüberstehen (Senat, Beschluss vom - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378, 381 Rn. 7).
18Gerichtskosten sind im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht entstanden (vgl. Nr. 2243 der Anlage 1 zum GKG). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit des Bevollmächtigten der Beteiligten zu 1 bemisst sich gemäß § 26 Nr. 2 RVG nach dem Wert des Gegenstandes der Zwangsversteigerung, derjenige für die Tätigkeit des Bevollmächtigten der Beteiligten zu 3 gemäß § 26 Nr. 3 RVG nach dem Wert des für diese abgegebenen Gebots.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 8 Nr. 15
NJW-RR 2012 S. 649 Nr. 11
WM 2012 S. 812 Nr. 17
CAAAE-06156