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BGH Beschluss v. - XII ZB 501/11

Absehen vom Versorgungsausgleich: Anwendbarkeit des Ausgleichs "einzelner Anrechte" auf "Anrechte gleicher Art"

Leitsatz

Auf Anrechte "gleicher Art" im Sinne von § 18 Abs. 1 VersAusglG findet § 18 Abs. 2 VersAusglG, der den Ausgleich "einzelner" Anrechte regelt, keine Anwendung (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom , XII ZB 344/10 und XII ZB 328/10).

Gesetze: § 1 VersAusglG, § 10 Abs 1 VersAusglG, § 10 Abs 2 VersAusglG, § 18 Abs 1 VersAusglG, § 18 Abs 2 VersAusglG, § 18 Abs 3 VersAusglG

Instanzenzug: Az: 13 UF 581/11 Beschlussvorgehend Az: 192 F 414/09 Beschluss

Gründe

I.

1Die Beteiligten streiten über den Versorgungsausgleich.

2Auf den am zugestellten Antrag hat das Amtsgericht - Familiengericht - die am geschlossene Ehe der Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) und des Antragsgegners (im Folgenden: Ehemann) rechtskräftig geschieden und den Versorgungsausgleich durchgeführt.

3Während der Ehezeit ( bis , § 3 VersAusglG) haben beide Ehegatten lediglich Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Die ehezeitlichen Anwartschaften der Ehefrau belaufen sich auf 4,1045 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 2,0523 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 12.611,22 €. Die ehezeitlich erworbenen Anwartschaften des Ehemannes belaufen sich auf 0,4465 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 0,2233 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 1.372,16 €.

4Das Amtsgericht hat das ehezeitlich erworbene Anrecht der Ehefrau im Wege der internen Teilung ausgeglichen und von einem Ausgleich des ehezeitlich erworbenen Anrechts des Ehemannes wegen Geringfügigkeit abgesehen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen eingelegte Beschwerde der Ehefrau zurückgewiesen. Mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verlangt die Ehefrau weiterhin auch eine interne Teilung des ehezeitlich erworbenen Anrechts des Ehemannes.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. An die uneingeschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht ist der Senat gebunden (§ 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG).

6Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Abänderung der Entscheidung des Familiengerichts.

71. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

8Nach § 18 Abs. 2 VersAusglG solle das Familiengericht einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert nicht ausgleichen. Der Ausgleichswert des Anrechts des Ehemannes betrage lediglich 0,2233 Entgeltpunkte mit einem korrespondierenden Kapitalwert in Höhe von 1.372,16 €. Dieser Wert liege deutlich unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze nach § 18 Abs. 3 VersAusglG, die für das Ende der Ehezeit 3.024 € betrage. Von der Nichtberücksichtigung des geringfügigen Anrechts sei nicht deshalb abzusehen, weil das Anrecht bereits der Prüfung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG unterlag und die dortige Wertgrenze unterschritten worden sei. Zwar werde in Teilen der Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass § 18 Abs. 2 VersAusglG nicht auf beiderseitige Anrechte gleicher Art anzuwenden sei. Dem folge das Oberlandesgericht aber nicht, weil sich die abweichende Auffassung nicht mit dem Gesetzeswortlaut vereinbaren lasse. Auch die Gesetzesmaterialien sprächen, sehe man vom erwähnten Vereinfachungszweck ab, nicht dafür, Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung vom Anwendungsbereich des § 18 Abs. 2 VersAusglG auszunehmen, sofern beide Ehepartner über solche Anrechte verfügten. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 18 VersAusglG vielmehr generell für geringfügige Anrechte Ausnahmen vom Halbteilungsgrundsatz zugelassen. Als Korrektiv bleibe der dem Familiengericht eingeräumte Ermessensspielraum, der im Einzelfall unangemessene Ergebnisse vermeide. Die Gegenansicht verweise zwar darauf, dass der beiderseitige Ausgleich auch geringfügiger Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf die nach § 10 Abs. 2 VersAusglG gebotene Verrechnung keinen besonderen Verwaltungsaufwand erfordere. Eine solche Verrechnung bleibe dem Versorgungsträger aber von vornherein erspart, wenn der Ausgleich eines geringfügigen Anrechts nach § 18 Abs. 2 VersAusglG entfalle.

9Soweit keine geringfügige Differenz gleichartiger Anrechte im Sinne des § 18 Abs. 1 VersAusglG vorliege, sei anschließend eine Geringfügigkeit der einzelnen Anrechte nach § 18 Abs. 2 VersAusglG zu prüfen. Sähe man dies anders, wäre die durch § 18 Abs. 2 VersAusglG allein dem Einzelfall vorbehaltene Ermessensentscheidung für eine Vielzahl von Fällen generalisierend vorweggenommen. Hierfür sei kein sachlicher Grund ersichtlich.

102. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

11Der Senat hat nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden, dass auf Anrechte gleicher Art im Sinne von § 18 Abs. 1 VersAusglG die Vorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG, die den Ausgleich einzelner Anrechte regelt, keine Anwendung findet (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 344/10 und XII ZB 328/10 - jeweils zur Veröffentlichung bestimmt).

12a) Im Ansatz zutreffend haben die Instanzgerichte festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht erfüllt sind. Danach soll das Familiengericht Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist. Anrechte gleicher Art sind also zu saldieren und der Differenzwert ist mit der jeweiligen Bagatellgrenze zu vergleichen.

13aa) In die Prüfung des § 18 Abs. 1 VersAusglG sind die Anrechte beider Ehegatten in der gesetzlichen Rentenversicherung einzubeziehen, weil es sich dabei - anders als im Verhältnis zu Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Ost) - um Anrechte gleicher Art handelt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 344/10 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 19 ff.).

14bb) Die Differenz der Ausgleichswerte ist gering, wenn sie am Ende der Ehezeit die in § 18 Abs. 3 VersAusglG genannte jeweilige Bagatellgrenze nicht überschreitet. Ist die maßgebliche Bezugsgröße ein Rentenwert, beträgt die Bagatellgrenze 1 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. In allen anderen Fällen kommt es darauf an, ob der Kapitalwert 120 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt.

15Maßgebliche Bezugsgröße für die gesetzliche Rentenversicherung im Sinne des § 5 Abs. 1 VersAusglG sind Entgeltpunkte (§§ 63, 64 Nr. 1 SGB VI), also kein Rentenbetrag, so dass ein "anderer Fall" im Sinne des § 18 Abs. 3 VersAusglG vorliegt und der Kapitalwert heranzuziehen ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 344/10 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 23 ff.).

16cc) Der Versorgungsträger der Ehegatten hat hinsichtlich des Anrechts der Ehefrau einen Ausgleichswert von 2,0523 Entgeltpunkten und einen sich daraus ergebenden korrespondierenden Kapitalwert von 12.611,22 € und hinsichtlich der ehezeitlichen Anrechte des Ehemannes einen Ausgleichswert von 0,2233 Entgeltpunkten mit einem korrespondierenden Kapitalwert von 1.372,16 € angegeben. Die Auskünfte werden von keiner Seite angegriffen und sind auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Die Differenz der korrespondierenden Kapitalwerte beläuft sich mithin auf 11.239,06 € und liegt deutlich über der bei Ehezeitende im Jahre 2009 geltenden Bagatellgrenze von 3.024 €. Die Differenz der Anrechte ist somit nicht gering im Sinne des § 18 Abs. 1, 3 VersAusglG, so dass nicht aus diesem Grund von einem Ausgleich der Anrechte abgesehen werden kann.

17b) Unzutreffend hat das Oberlandesgericht jedoch das Anrecht, welches der Ehemann in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben hat, nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Versorgungsausgleich ausgenommen. Wie der Senat inzwischen entschieden hat, findet § 18 Abs. 2 VersAusglG insoweit keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift soll das Familiengericht einzelne Anrechte nicht ausgleichen, wenn sie einen geringen Ausgleichswert aufweisen.

18aa) Im Ansatz zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass das Anrecht des Ehemannes in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von 0,2233 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 1.372,16 € den Betrag der Bagatellgrenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG von 3.024 € nicht überschreitet und somit der Ausgleichswert gering im Sinne des § 18 Abs. 2, 3 VersAusglG ist.

19bb) Die Prüfung innerhalb des § 18 VersAusglG richtet sich allerdings nach der im Gesetz vorgegebenen Reihenfolge. Voranzustellen ist also die Prüfung, ob bei beiderseitigen Anrechten gleicher Art die Differenz der Ausgleichswerte gering ist. Ergibt die Prüfung, dass die gleichartigen Anrechte in den Versorgungsausgleich einzubeziehen sind, weil die Differenz der Ausgleichswerte die Bagatellgrenze überschreitet, findet § 18 Abs. 2 VersAusglG auf diese Anrechte keine Anwendung.

20Dies lässt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift herleiten. Denn unter § 18 Abs. 1 VersAusglG fallen "Anrechte gleicher Art", während § 18 Abs. 2 VersAusglG "einzelne Anrechte" erfasst. Dabei ist die Bezeichnung als "einzelne" Anrechte bereits als Abgrenzung zu den Anrechten "gleicher Art" zu verstehen. Neben dem Wortlaut und der Gesetzessystematik sprechen aber auch Sinn und Zweck der Vorschrift für diese Auffassung.

21Zwischen § 18 VersAusglG und dem im Versorgungsausgleich geltenden Halbteilungsgrundsatz besteht ein Spannungsverhältnis. Mit der hälftigen Teilung der erworbenen Anrechte soll grundsätzlich die gleiche Teilhabe der Ehegatten an dem in der Ehe erwirtschafteten Versorgungsvermögen gewährleistet werden. Auch wenn der Halbteilungsgrundsatz vom Gesetz nicht ausnahmslos eingehalten wird, so ist er gleichwohl der - auch verfassungsrechtlich gebotene - Maßstab des Versorgungsausgleichsrechts und bei der Auslegung einzelner Vorschriften und bei Ermessensentscheidungen vorrangig zu berücksichtigen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 344/10 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 32 ff.).

22Nach der Gesetzesbegründung gibt die Regelung in § 18 VersAusglG eine Antwort auf Fallkonstellationen, bei denen die Durchführung des Versorgungsausgleichs unverhältnismäßig und aus Sicht der Parteien nicht vorteilhaft wäre. In den Fällen des § 18 Abs. 1 VersAusglG sei der Wertunterschied bei Ehezeitende gering bzw. die Versorgungen seien annähernd gleich hoch, weshalb sich ein Hin-und-her-Ausgleich unter dem Aspekt der Teilhabe in der Regel nicht lohne (BT-Drucks. 16/10144 S. 38). Der Verzicht auf die Teilhabe von kleinen Ausgleichswerten im Rahmen des § 18 Abs. 2 VersAusglG entlaste vor allem die Versorgungsträger, weil mit dem reformierten Teilungssystem durch die Teilung und Aufnahme eines neuen Anwärters ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand verbunden sei (BT-Drucks. 16/10144 S. 38, 60).

23Gesetzesziel ist danach vornehmlich die Vermeidung eines solchen unverhältnismäßigen Aufwands für den Versorgungsträger. Ähnlich wie bei der Ermessensprüfung, die nach § 3 c VAHRG aF erforderlich war, sind also die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 344/10 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 34).

24cc) Bei gleichartigen Anrechten lässt nur die geringfügige Differenz einen Nichtausgleich nach § 18 Abs. 1 VersAusglG gerechtfertigt erscheinen; nur dann entfällt jeglicher Verwaltungsaufwand. Wenn jedoch ein Ausgleich nach § 18 Abs. 1 VersAusglG stattzufinden hat, weil die Wertdifferenz über der Bagatellgrenze liegt, würden weder der Halbteilungsgrundsatz als gesetztes Ziel noch der Zweck der Verwaltungsvereinfachung erreicht, wenn ein gleichartiges Anrecht als "einzelnes Anrecht" zusätzlich der weiteren Prüfung nach Absatz 2 unterworfen würde. Denn der Verwaltungsaufwand, der durch den Ausgleich dieses Anrechts entsteht, fällt neben dem ohnehin entstehenden Aufwand für den Ausgleich des vom anderen Ehegatten erworbenen Anrechts gleicher Art nicht entscheidend ins Gewicht (vgl. Wick FuR 2011, 436, 438).

25Hinzu kommt, dass § 18 Abs. 2 VersAusglG neben der Reduzierung des Verwaltungsaufwands den weiteren Zweck verfolgt, so genannte Splitterversorgungen zu vermeiden. Solche entstehen aber nicht, wenn beide Ehegatten ohnehin gleichartige Anrechte haben und der Ausgleich über die bestehenden Konten durch Umbuchung erfolgt. Weil die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Abweichen vom Halbteilungsgrundsatz in solchen Fallkonstellationen nicht erfüllt sind, tritt der Halbteilungsgrundsatz in den Vordergrund. Eine Durchbrechung durch Anwendung der Bagatellklausel entbehrt in diesen Fällen jeglicher Rechtfertigung. Das hat zur Folge, dass ein Ausschluss einzelner gleichartiger Anrechte nicht nach § 18 Abs. 2 VersAusglG möglich ist, auch wenn sie geringwertig sind (Senatsbeschluss vom - XII ZB 344/10 - zur Veröffentlichung bestimmt Rn. 35 f.).

26c) Gemessen an diesen Vorgaben kann die Entscheidung des Oberlandesgerichts keinen Bestand haben. Nach §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 VersAusglG ist auch das Anrecht des Ehemannes in der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen, wobei der Ausgleich ebenfalls im Wege der internen Teilung nach § 10 VersAusglG durchzuführen ist.

27Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist. Auf der Grundlage der Auskünfte des beteiligten Versorgungsträgers ist im Wege des Hin-und-her-Ausgleichs über die interne Teilung beider Anrechte zu entscheiden. Eine Verrechnung der Anrechte nach § 10 Abs. 2 VersAusglG erfolgt erst im Rahmen des Vollzugs durch den Versorgungsträger.

Hahne                                                     Dose                                             Klinkhammer

                          Günter                                             Nedden-Boeger

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 927 Nr. 13
NJW-RR 2012 S. 321 Nr. 6
GAAAE-06091