Schwerbehindertenrecht - Merkzeichen RF - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht - GdB von weniger als 80 - psychische Störung - Nicht-Teilnehmen-Können an öffentlichen Veranstaltungen - Härtefall
Leitsatz
Das Merkzeichen RF kann einem Menschen mit Behinderung auch bei einem GdB von weniger als 80 zuerkannt werden, wenn ein gesundheitlich bedingter Härtefall vorliegt. Dies ist der Fall, wenn diese Person wegen eines besonderen psychischen Leidens ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann.
Gesetze: § 69 Abs 4 SGB 9 vom , § 69 Abs 5 SGB 9 vom , § 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV vom , § 1 Abs 1 Nr 3 RdFunkGebBefrV BY 1992, § 2 RdFunkGebBefrV BY 1992, § 6 Abs 1 Nr 8 RdFunkGebStVtr SH, § 6 Abs 3 RdFunkGebStVtr SH, Art 5 Nr 6 RdFunkÄndStVtr 8, § 44 Abs 2 SGB 10, § 48 SGB 10
Instanzenzug: SG Itzehoe Az: S 6 SB 141/06 Urteilvorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Az: L 2 SB 58/08 Urteil
Tatbestand
1Der Kläger begehrt im Wege eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht", also die Zuerkennung des Merkzeichens RF.
2Bei dem 1973 geborenen Kläger wurde durch Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung München II/Außenstelle Regensburg - Versorgungsamt - vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung - Landesversorgungsamt - vom ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt. Darüber hinaus enthält dieser Verwaltungsakt die Aussage, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G, aG, Bl, H, RF, Gl, 1. Kl. nicht vorliegen. Nach seinem Umzug nach Schleswig-Holstein bat der Kläger das dortige Landesamt für soziale Dienste im Juli 2005 um eine Überprüfung dieser Feststellungen. Mit Bescheid vom lehnte dieses Amt eine Neufeststellung nach § 44 Abs 2 SGB X ab. Den Widerspruchsbescheid vom stützte es auch auf § 48 SGB X. Am beantragte der Kläger erneut eine Überprüfung, die vom beklagten Land durch Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom abgelehnt wurde.
3Der sodann vom Kläger erhobenen, auf Feststellung eines GdB von 80 und der Voraussetzungen für das Merkzeichen RF gerichteten Klage hat das Sozialgericht Itzehoe (SG) - nach Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens vom sowie weiterer Stellungnahmen vom und des Sachverständigen Dr. S. durch Urteil vom insoweit stattgegeben, als der Beklagte verpflichtet worden ist, die bei dem Kläger vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ab mit einem GdB von 70 zu bewerten. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Die dagegen vom Kläger eingelegte Berufung ist vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) im Wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen worden (Urteil vom ):
4Das Gutachten des Sachverständigen Dr. S., auf dessen Grundlage das SG den GdB des Klägers mit 70 bewertet habe, sei in jeder Hinsicht nachvollziehbar. Es bestehe kein Zweifel daran, dass bei dem Kläger infolge seiner Erkrankung mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten bestünden, da er nicht über hinreichende Anpassungsmöglichkeiten verfüge, um beruflich eingegliedert werden zu können, und zudem auch weitgehend in seinen sozialen Kontakten eingeschränkt sei. Andererseits überzeuge es, wenn der Sachverständige gleichwohl schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten verneine, weil der Kläger noch zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage sei.
5Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF. Anspruchsgrundlage hierfür sei § 69 Abs 4 SGB IX iVm § 3 Abs 1 Nr 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV). Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats sei die einschlägige landesrechtliche Vorschrift Art 5 § 6 Abs 1 Nr 6 bis 8 Achter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom (Achter Rundfunkänderungsstaatsvertrag - RdFunkÄndVtr8) in der Fassung des Schleswig-Holsteinischen Gesetzes zum RdFunkÄndVtr8 (RdFunkVtr8ÄndG SH) vom (GVBl S 14), mit dessen Inkrafttreten zum die Rundfunkgebührenbefreiungsverordnungen der Länder außer Kraft getreten seien. Dabei seien die rechtlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF jedoch gleich geblieben. Befreit würden danach unter anderem behinderte Menschen, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 betrage und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen könnten.
6Soweit die einschlägige Regelung die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF von einem Mindest-GdB von 80 abhängig mache, verstoße sie nicht gegen höherrangiges Recht. Dies gelte insbesondere auch, soweit sie im Einzelfall dazu führe, dass der Nachteilsausgleich nicht zuerkannt werden könne, obwohl die weiteren Voraussetzungen hierfür vorlägen, weil der Betroffene aufgrund der bei ihm bestehenden Funktionsstörungen dauernd faktisch an das Haus gebunden sei. Letzteres habe Dr. S. bei dem Kläger bejaht, weil aufgrund der bei diesem bestehenden Wahnvorstellungen der Kontakt mit Menschen in größerer Zahl zu Verunsicherung und Bedrohungsgefühl führe, was erwarten lasse, dass er Veranstaltungen durch unangemessenes und auch offen aggressives Verhalten stören würde. Ob der Kläger damit im Sinne der Rechtsprechung in dem Sinne umfassend von allen öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei, dass nur noch eine nicht ins Gewicht fallende Zahl von Veranstaltungen in Betracht komme, bedürfe keiner Entscheidung.
7Unterstelle man, dass bei dem Kläger zwar die Grundvoraussetzung eines GdB von 80 fehle, die weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs RF dagegen vorlägen, führe dies nicht dazu, dass die einschlägige Vorschrift gegen höherrangiges Recht verstoße bzw im Falle des Klägers ermächtigungskonform so zu interpretieren wäre, dass ihm der Nachteilsausgleich RF unabhängig von einem GdB von mindestens 80 zuzuerkennen wäre. Zwar dürfte der Normgeber davon ausgegangen sein, dass der Mindest-GdB von 80 die Grundvoraussetzung, die faktische Bindung an das Haus eine spezielle, die Grundvoraussetzung weiter einschränkende Regelung beinhalte. In dem speziellen Fall des Klägers erweise sich dagegen die Grundvoraussetzung als die eigentlich einschränkende Regelung. Es entspreche jedoch dem Wesen typisierender und generalisierender Regelungen, wie sie auch die Regelungen über die Gewährung von Nachteilsausgleichen nach dem SGB IX darstellten, dass sie nicht jeden Einzelfall erfassen könnten. Dass es sich hier um einen atypischen Einzelfall handele, sei insbesondere der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. S. vom zu entnehmen, in der dieser nochmals herausstelle, dass bei dem Kläger die - besondere - Konstellation vorliege, dass er - wenn auch mit deutlichen Einschränkungen - aufgrund seines Leidens zwar zu einer weitgehend selbstständigen Lebensführung in der Lage sei, gerade an öffentlichen Veranstaltungen aber nicht teilnehmen könne.
8Zur Begründung seiner vom Bundessozialgericht (BSG) - beschränkt auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF - zugelassenen Revision trägt der Kläger unter anderem vor: Gerügt werde eine Verletzung von § 69 Abs 4 SGB IX iVm § 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV iVm § 6 Abs 1 Nr 8 Rundfunkgebührenstaatsvertrag (RdFunkGebStVtr) idF des Art 5 Nr 6 RdFunkÄndVtr8. Zwar sei ihm bei strenger Wortlautauslegung das Merkzeichen RF nicht zuzuerkennen, weil bei ihm lediglich ein GdB von 70 vorliege. Hier handele es sich jedoch um eine besondere Konstellation, also um einen atypischen Fall. Das LSG verkenne, dass Art 5 § 6 Abs 1 Nr 6 bis 8 RdFunkVtr8ÄndG SH sogenannte generalisierende Tatbestände enthalte. Dementsprechend seien diese Vorschriften nicht als abschließende Regelung anzusehen. Die Benennung eines willkürlichen Mindest-GdB von 80 solle zwar eine erste Einordnung einer Erkrankung ermöglichen, jedoch in atypischen Fällen die Zuerkennung des Merkzeichens RF nicht zwingend ausschließen.
9Der Kläger beantragt sinngemäß,die Urteile des Schleswig-Holsteinischen und des SG Itzehoe vom sowie den Bescheid des Beklagten vom in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom insoweit aufzuheben, als die Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen RF betroffen ist, und den Beklagten zu verurteilen, bei ihm unter entsprechender Rücknahme des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom bzw des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF festzustellen.
10Der Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.
11Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bringt ergänzend vor: Entgegen der Ansicht des Klägers sei die Aufzählung in § 6 Abs 1 RdFunkGebStVtr abschließend. Anderenfalls würde sich die Härteregelung in Abs 3 der Vorschrift erübrigen. Diese stelle weitere Befreiungen von der Gebührenpflicht in das Ermessen der Rundfunkanstalten.
12Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Gründe
13Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet. Sie führt zur (teilweisen) Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, weil die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen für eine abschließende Entscheidung des erkennenden Senats nicht ausreichen.
14In der Sache begehrt der Kläger die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des landesrechtlich geregelten Nachteilsausgleichs "Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht", die im Schwerbehindertenausweis durch die Eintragung des Merkzeichens RF dokumentiert wird. Entgegen der Auffassung des LSG ist also nicht das Merkzeichen selbst der Nachteilsausgleich; vielmehr verhilft es dem schwerbehinderten Menschen lediglich dazu, eine Rundfunkgebührenbefreiung zu erlangen (vgl § 69 Abs 5 Satz 2 SGB IX).
15Bei dem durch den angefochtenen Verwaltungsakt (Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ) beschiedenen Antrag des Klägers handelt es sich - soweit es hier darauf ankommt - um ein Überprüfungsbegehren nach § 44 SGB X. Es ist in erster Linie auf eine entsprechende Rücknahme des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom gerichtet. Zumindest hilfsweise wird auch die Rücknahme des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom begehrt. Eine Überprüfung dieses Verwaltungsakts, der auch die Ablehnung einer Neufeststellung nach § 48 SGB X enthält, kommt in Betracht, wenn sich der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom als rechtmäßig erweist, in der Zeit danach jedoch eine für den Kläger möglicherweise günstige Änderung eingetreten ist. Zwar ist das LSG - vom Kläger insoweit unangegriffen - davon ausgegangen, dass sich die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers in der Zeit ab Januar 2005 nicht wesentlich geändert haben, es könnte jedoch - auch infolge des Umzuges des Klägers von Bayern nach Schleswig-Holstein - eine wesentliche Änderung des maßgeblichen Landesrechts eingetreten sein.
17Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Rücknahme der mit Bescheid vom erfolgten Feststellung, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF nicht vorliegen, ist § 44 Abs 2 SGB X. Dabei handelt es sich um einen "Auffangtatbestand" für Fälle, in denen § 44 Abs 1 SGB X nicht anwendbar ist (vgl Steinwedel in Kasseler Komm, Stand Oktober 2011, § 44 SGB X RdNr 4 f, 46). So verhält es sich hier, da die streitige Feststellung nach dem Schwerbehindertenrecht insbesondere keine Sozialleistung iS des § 44 Abs 1 SGB X ist (vgl BSGE 69, 14, 16 ff = SozR 3-1300 § 44 Nr 3 S 8 ff). Für die Zuständigkeit des Beklagten ist es unerheblich, dass der Verwaltungsakt, dessen Rücknahme begehrt wird, von bayerischen Behörden erlassen worden ist (§ 44 Abs 3 SGB X).
18§ 44 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 Satz 1 SGB X setzt voraus, dass sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Maßgebend ist insoweit die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (vgl BSGE 88, 75, 81 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20 S 136; , juris RdNr 15), wobei neuere rechtliche Erkenntnisse zu berücksichtigen sind (vgl BSGE 57, 209, 210 = SozR 1300 § 44 Nr 13 S 21 f; BSGE 63, 18, 23 = SozR 1300 § 44 Nr 31 S 84).
19Bei Bekanntgabe des in Bayern erlassenen Widerspruchsbescheides vom richtete sich die Zuerkennung des Merkzeichens RF nach folgenden Bestimmungen: Gemäß § 69 Abs 4 SGB IX idF vom (BGBl I 606) treffen die (für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes - BVG) zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach § 69 Abs 1 SGB IX, soweit neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind. Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die zuständigen Behörden aufgrund einer Feststellung der Behinderung einen Ausweis über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch, den GdB sowie im Falle des Abs 4 über weitere gesundheitliche Merkmale aus (§ 69 Abs 5 Satz 1 SGB IX). Nach § 70 SGB IX ist die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Vorschriften über die Gestaltung der Ausweise, ihre Gültigkeit und das Verwaltungsverfahren zu erlassen. Auf dieser Grundlage sieht § 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV in der bis zum geltenden Fassung vom (BGBl I 3022) vor, dass im Ausweis auf der Rückseite das Merkzeichen RF einzutragen ist, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt.
20Seinerzeit galt in Bayern noch die Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (RdFunkGebBefrV BY) vom (GVBl S 254). Nach deren § 1 Abs 1 Nr 3 wurden von der Rundfunkgebührenpflicht Behinderte befreit, deren GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Unbeschadet der Gebührenbefreiung nach § 1 konnte die Rundfunkanstalt in besonderen Härtefällen von der Rundfunkgebührenpflicht befreien (§ 2 RdFunkGebBefrV BY). Der vom LSG im Hinblick auf Umzug des Klägers nach Schleswig-Holstein angewendete § 6 RdFunkGebStVtr vom idF des Art 5 Nr 6 RdFunkÄndVtr8 vom , dem Schleswig-Holstein durch das RdFunkVtr8ÄndG SH vom (GVBl S 14) zugestimmt hat, gilt erst ab . Gleichzeitig sind die RdFunkGebBefrV der Länder außer Kraft getreten (§ 10 Abs 2 RdFunkGebStVtr). Über die Auslegung und Anwendung der RdFunkGebBefrV BY kann der Senat als Revisionsgericht entscheiden, weil sie - wie durch den RdFunkGebStVtr aller Bundesländer beabsichtigt - mit den landesrechtlichen Regelungen anderer Bundesländer übereinstimmt (vgl BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 26 S 102).
21§ 1 Abs 1 RdFunkGebBefrV BY enthält eine abschließende Aufzählung der Personengruppen, die von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden. Weder der Wortlaut noch sonstige Anhaltspunkte (vgl dazu allgemein den Antrag der Bayerischen Staatsregierung zum RdFunkÄndVtr8, LT-Drucks BY 15/1921 S 21; Gesetzentwurf zum RdFunkVtr8ÄndG SH, LT-Drucks SH 15/3747 S 57) deuten darauf hin, dass es sich nur um eine Auflistung typischer Fälle handelt. Selbst wenn die vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP, in der hier maßgeblichen Fassung von 2005) insoweit - wie der Kläger annimmt - missverständliche Formulierungen enthalten sollten, lässt sich daraus kein abweichendes Auslegungsergebnis herleiten, weil die AHP ihrem Charakter als antizipierte Sachverständigengutachten entsprechend nicht geeignet sind, die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen authentisch zu interpretieren.
22Nach dem hier anwendbaren § 1 Abs 1 Nr 3 RdFunkGebBefrV BY mussten Behinderte zwei gesonderte (kumulative) Voraussetzungen erfüllen: Bei ihnen musste ein GdB von 80 vorliegen. Darüber hinaus war es erforderlich, dass sie wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können. Die Regelung lässt es nicht zu, auf das Vorliegen eines GdB von 80 zu verzichten, wenn allein das zweite Merkmal (Nicht-Teilnehmen-Können an öffentlichen Veranstaltungen) gegeben ist. Daran ändert es nichts, dass nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist, warum die betroffenen Personen von einer Gebührenbefreiung ausgeschlossen werden sollten. Jedenfalls ist es fraglich, ob der Mindest-GdB von 80 insoweit eine sachgerechte Schranke bildet. Allerdings dient er immerhin der Verwaltungsvereinfachung, wenn die Prüfung des zweiten Merkmals bei Fehlen des Mindest-GdB grundsätzlich entfallen kann.
23Ob diese Bestimmung für sich genommen in jeder Hinsicht mit höherrangigem Recht vereinbar war, braucht hier nicht näher geprüft zu werden, denn der Verordnungsgeber hatte durch die Härtefallregelung in § 2 RdFunkGebBefrV BY eine hinreichende Möglichkeit geschaffen, um bei der Rechtsanwendung zu sachgerechten Ergebnissen zu gelangen (vgl dazu allgemein auch BVerfG <2. Kammer des Ersten Senats> Beschluss vom - 1 BvR 3269/08 und 1 BvR 656/10 - Umdruck S 7 f). Danach wurde die Gebührenbefreiung in besonderen Härtefällen einer Ermessensentscheidung der Rundfunkanstalt überlassen. Es kann hier offen bleiben, ob es sich bei dem Merkmal eines besonderen Härtefalls generell um eine gesondert zu prüfende Voraussetzung für die der Rundfunkanstalt obliegende Ermessensentscheidung handelt (vgl allgemein dazu BSG SozR 3-3100 § 89 BVG Nr 3 S 8; BSGE 59, 111, 115 f = SozR 1300 § 48 Nr 19 S 39 f). Dies trifft jedenfalls für Härtefälle zu, die allein auf den gesundheitlichen Gegebenheiten des Menschen mit Behinderung beruhen. Das Vorliegen eines gesundheitlich bedingten Härtefalls gehört zu den gesundheitlichen Merkmalen, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "Rundfunkgebührenbefreiung" sind. Gemäß § 69 Abs 4 SGB IX obliegt die Feststellung eines solchen Härtefalls mithin den für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden. Es ist auch sachgerecht, die insoweit erforderlichen Feststellungen einer dafür ausgestatteten, fachkundigen Stelle zu überlassen (vgl allgemein dazu , juris RdNr 25).
24Nach Auffassung des erkennenden Senats liegt ein gesundheitlich bedingter Härtefall regelmäßig dann vor, wenn eine Person mit einem GdB von weniger als 80 wegen eines besonderen psychischen Leidens ausnahmsweise an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann. Dabei handelt es sich nach den Feststellungen des LSG um eine außergewöhnliche, atypische Konstellation. Dies rechtfertigt es, unter Berücksichtigung des § 2 RdFunkGebBefrV BY die landesrechtlichen Voraussetzungen für eine - hier allerdings in das Ermessen der Rundfunkanstalt gestellte - Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht als erfüllt anzusehen (§ 3 Abs 1 Nr 5 SchwbAwV). Demnach war in einem solchen Fall das Merkzeichen RF zuzuerkennen. Da in dem betreffenden Schwerbehindertenausweis ein GdB von unter 80 eingetragen ist, wurde für jeden deutlich, dass der Inhaber nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 3 RdFunkGebBefrV BY, sondern nur die eines gesundheitlich bedingten Härtefalls nach § 2 RdFunkGebBefrV BY erfüllte.
25Die für die Zuerkennung des Merkzeichens RF im Februar 2005 einschlägigen Vorschriften sind auch sonst mit höherrangigem Recht vereinbar. Zwar sind - auch in früheren Entscheidungen des BSG (vgl dazu BSG SozR 3-3870 § 48 Nr 2 S 3 f; BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 26 S 103 f) - gegen die Befreiung der in § 1 Abs 1 RdFunkGebBefrV BY aufgeführten Menschen mit Behinderung von der Rundfunkgebührenpflicht rechtliche Bedenken geäußert worden. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob daran auch unter Berücksichtigung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl II 2008, 1419), das seit dem in Deutschland in Kraft ist (vgl Bekanntmachung vom , BGBl II 812), festgehalten werden kann. Jedenfalls wirken sich solche Bedenken nicht auf die Rechtmäßigkeit der Vorschriften über die Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF aus, zumal dieses auch den Zugang zu günstigen Telefontarifen (zB Sozialtarif der Deutschen Telekom) ermöglicht (vgl BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 26 S 104; BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2 RdNr 29 ff).
26Ob dem Kläger danach im Februar 2005 das Merkzeichen RF zustand, vermag der erkennende Senat nicht abschließend zu entscheiden. Dazu fehlt es an hinreichenden Tatsachenfeststellungen des LSG zu den damaligen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und deren Auswirkungen bezogen auf die Frage, ob er aufgrund seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen konnte. Zunächst ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des Merkzeichens RF auch allein aufgrund einer psychischen Störung erfüllt sein können (vgl BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 26). Das LSG hat sodann ausgeführt, es bedürfe keiner Entscheidung, ob der Kläger - wie von der Rechtsprechung gefordert (vgl dazu BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 17 S 65 f mwN) - unter Berücksichtigung seines von dem Sachverständigen Dr. S. festgestellten Gesundheitszustandes in dem Sinne umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sei, dass nur noch eine nicht ins Gewicht fallende Zahl von Veranstaltungen in Betracht komme. Da der Senat die hier erforderlichen, vom LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung unterlassenen tatrichterlichen Feststellungen im Revisionsverfahren nicht treffen kann (§ 163 SGG), ist die Sache insoweit an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
27Eine Zurückverweisung erübrigt sich nicht im Hinblick auf die vom Kläger (hilfsweise) ebenfalls begehrte Überprüfung des Bescheides des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom . Auch auf diesem Wege gelangt der Senat nicht zu einer abschließenden Sachentscheidung. Zwar sind in der Zeit zwischen dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom und dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom insoweit Rechtsänderungen eingetreten, als die RdFunkGebBefrV BY gemäß § 10 Abs 2 RdFunkGebStVtr idF des am in Bayern bekannt gemachten Art 5 Nr 10 RdFunkÄndVtr8 (GVBl S 27) ab nicht mehr galt und infolge des Umzuges des Klägers nach Schleswig-Holstein dann § 6 RdFunkGebStVtr idF des RdFunkVtr8ÄndG SH anzuwenden war. § 6 Abs 1 Nr 8 RdFunkGebStVtr stimmt jedoch inhaltlich im Wesentlichen mit § 1 Abs 1 Nr 3 RdFunkGebBefrV BY überein. Entsprechendes gilt auch für die Härtefallregelungen in § 6 Abs 3 RdFunkGebStVtr und § 2 RdFunkGebBefrV BY. Folglich ergeben sich aus dieser Änderung für die Beurteilung des vorliegenden Falles keine neuen Gesichtspunkte. Es handelt sich mithin nicht um eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS von § 48 SGB X, die bei der Bescheiderteilung im Februar 2006 iS von § 44 Abs 2 SGB X zu Unrecht außer Acht gelassen worden wäre.
28Sollte das LSG bei seiner weiteren Prüfung zu der Beurteilung gelangen, dass der Kläger im Februar 2005 die Voraussetzungen für das Merkzeichen RF erfüllte, ist der Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (§ 44 Abs 2 Satz 1 SGB X), soweit darin das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint worden ist. Ob eine Rücknahme danach auf die Zeit ab der Bekanntgabe des Bescheides vom (vgl dazu BSG SozR 1300 § 48 Nr 31) beschränkt wäre oder sich - wie das SG angenommen hat - auf den Zeitpunkt der Antragstellung () beziehen kann (vgl dazu Steinwedel in Kasseler Komm, Stand Oktober 2011, § 44 SGB X RdNr 46), ist höchstrichterlich noch nicht eindeutig entschieden (vgl dazu BSG SozR 5755 Art 2 § 1 Nr 5). Auf diese Frage dürfte es hier allerdings praktisch kaum ankommen, da eine Rundfunkgebührenbefreiung gemäß § 6 Abs 5 RdFunkGebStVtr ohnehin nur vom Ersten des Monats an festgestellt wird, der dem Monat folgt, in dem der Befreiungsantrag bei der Landesrundfunkanstalt (bzw bei der von den Landesrundfunkanstalten beauftragten Gebühreneinzugszentrale) gestellt wird (vgl § 6 Abs 4 RdFunkGebStVtr). Bei der Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens RF für die Zukunft wäre dann § 6 Abs 3 RdFunkGebStVtr in der ab geltenden Fassung zugrunde zu legen.
29Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2012:160212UB9SB211R0
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 8 Nr. 18
PAAAE-04604