BGH Beschluss v. - VI ZB 11/11

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist: Erfordernis der täglichen Überprüfung der Erledigung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch eine dazu beauftragte Bürokraft

Leitsatz

Die Erledigung der fristgebundenen Sachen muss am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft werden.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: 1 S 152/10vorgehend Az: 3 C 1196/08

Gründe

I.

1Der Kläger begehrt vom Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom .

2Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom abgewiesen und festgestellt, dass die Widerklage und die Drittwiderklage gegen die frühere Klägerin zu 2 erledigt sind. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom , bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Kläger Berufung eingelegt. Eine Berufungsbegründung ging innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nicht ein. Durch eine dem Klägervertreter am zugestellte Verfügung des Gerichts wurde er darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei und die Kammer beabsichtige, die Berufung kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis eingeräumt. Mit einem bei Gericht am eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Kläger gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Eine Berufungsbegründung ging bei Gericht am ein.

3Der Klägervertreter hat vorgetragen, er habe sich vom 26. September bis in stationärer Heilbehandlung und vom bis in einer stationären Rehabilitationsbehandlung befunden. Da absehbar gewesen sei, dass die Berufungsbegründungsfrist während der Dauer seiner krankheitsbedingten Abwesenheit von der Kanzlei ablaufen werde, habe er einen Antrag auf Verlängerung der Frist, vordatiert auf den , in unterschriebener Weise vorbereitet und an den Anfang der Handakte der Kläger legen lassen. Ferner habe er seine in der Kanzlei angestellte Ehefrau angewiesen, am den vorbereiteten Fristverlängerungsantrag dem Landgericht vorab per Telefax, zugleich ergänzend per Post zuzuleiten. Er habe weiter veranlasst, die Frist zur Absendung des vorbereiteten Schriftsatzes sowohl im manuell geführten Terminkalender als auch in der täglich überprüften computergestützten Wiedervorlageliste zu vermerken. Die Notierung der doppelt vermerkten Frist habe er unmittelbar vor Beginn seines stationären Krankenhausaufenthalts kontrolliert. Die Sendung des vorbereiteten Fristverlängerungsgesuchs sei aufgrund eines Versehens der Kanzleiangestellten unterblieben, obwohl sie die Handakte am Vormittag des vorgesehenen Absendetags herausgesucht habe. Erst aufgrund der Hinweisverfügung des Landgerichts sei der Kanzleiangestellten der Fristablauf bekannt geworden und er selbst am unterrichtet worden.

4Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Die Fristversäumung beruhe auf einem Organisationsverschulden, weil der Klägervertreter nicht vorgetragen habe, dass am Abend des jeweiligen Arbeitstags in der Kanzlei eine Kontrolle erfolge, dass das fristwahrende Schriftstück übermittelt worden sei.

II.

5Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.

61. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch dessen rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437; vom - VI ZB 6/10, NJW 2011, 2051 Rn. 5 mwN).

72. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde entspricht die angefochtene Entscheidung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat auch die Anforderungen an die anwaltliche Organisation in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.

8a) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Wiedereinsetzungsantrag sei auf die Einzelanweisung an die Ehefrau des Prozessbevollmächtigten des Klägers gestützt, trifft zwar zu, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Ausschluss des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§ 85 Abs. 2, § 233 ZPO) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 29/07, juris Rn. 7; vom - VI ZB 65/08, NJW 2010, 2287 Rn. 5; vom - VI ZB 23/11, VersR 2011, 1544 Rn. 8 mwN). Im Streitfall hat das Berufungsgericht aber den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen, weil die Fristversäumung auf ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen sei, welches sich hier ausgewirkt habe. Aus dem Vortrag des Klägervertreters ergebe sich nämlich nicht, dass eine Kanzleianweisung bestehe, aufgrund welcher nach Bearbeitung einer Sache eine weitere Kontrolle, z.B. am Abend des jeweiligen Arbeitstages durch Überprüfung des Fristenkalenders, dahin erfolgen müsse, ob das jeweilige Schriftstück tatsächlich fristwahrend übermittelt worden sei. Dies sei hier besonders wichtig gewesen, weil die erteilte Anweisung an seine Ehefrau erst nach drei Wochen ausgeführt werden sollte und deshalb der Gefahr Vorschub geleistet worden sei, dass die Befolgung der Anweisung vergessen werde (vgl. , MDR 2007, 98, 99).

9b) Die vom Berufungsgericht gestellten Anforderungen an die Sorgfaltspflicht eines Prozessbevollmächtigten stehen in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Danach gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 77/05, VersR 2006, 1563 Rn. 5; vom - VI ZB 6/10, aaO, Rn. 7; , NJW 2010, 1378 Rn. 7, jeweils mwN). Hätte aufgrund einer Organisationsanweisung im Anwaltsbüro des Prozessbevollmächtigten des Klägers am Abend eines jeden Arbeitstages eine solche Kontrolle anhand des Fristenkalenders stattgefunden, wäre festgestellt worden, dass das Fristverlängerungsgesuch nicht abgesendet worden ist. Mithin ist die unterbliebene Kontrolle, die das Organisationsverschulden begründet, für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - unabhängig von der erteilten Einzelanweisung - ursächlich geworden. Das Berufungsgericht hat somit zu Recht ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers angenommen, welches der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet wird, und den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen sowie dessen Berufung als unzulässig verworfen.

Galke                                             Diederichsen                                                  Pauge

                         Stöhr                                                          von Pentz

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
HFR 2012 S. 800 Nr. 7
NJW-RR 2012 S. 427 Nr. 7
EAAAE-03507