BFH Beschluss v. - VIII B 110/11

Vorliegen einer Überraschungsentscheidung; Anwendung von § 4 Abs. 4a EStG setzt betriebliche Veranlassung voraus

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3, EStG § 4 Abs. 4a

Instanzenzug:

Gründe

1 1. Die Beschwerde ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Finanzgerichts (FG) beruht weder auf einem Verfahrensmangel im Sinne einer Überraschungsentscheidung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—), noch haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

2 a) Eine Überraschungsentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anzunehmen, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (, BVerfGE 84, 188; , BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; vom VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschlüsse vom IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609). Dies ist hier nicht der Fall. Denn eine Überraschungsentscheidung ist bereits deshalb zu verneinen, weil die rechtliche Bewertung der von der Mieterin entrichteten 5.000 € zwischen den Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich kontrovers erörtert worden ist und ausweislich der betreffenden Sitzungsniederschriften sowohl im Erörterungstermin vom als auch in der Sitzung vom zwischen dem Gericht und den Beteiligten zur Sprache gekommen ist.

3 Im Ergebnis erheben die Kläger die Rüge falscher materieller Rechtsanwendung, die nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289; vom VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335, m.w.N.). Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. , BFH/NV 2000, 874).

4 b) Mit der Frage, ob Teile des gemäß § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu nicht abzugsfähigem Aufwand umqualifizierten Zinsaufwands Werbungskosten in anderen Einkunftsarten darstellen, haben die Kläger auch keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufgeworfen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F., vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 23 ff., m.w.N.; , juris). Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Hat sich der BFH mit einer bestimmten Rechtsfrage bisher nicht befasst, ist diese mangels Klärungsbedürftigkeit nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes zu beantworten ist, oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu entscheiden ist, wie es das FG getan hat (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N.). Die Kläger lassen in diesem Zusammenhang unter Verkennung des (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 398) außer Acht, dass die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG nach ständiger Rechtsprechung die betriebliche Veranlassung der geltend gemachten Schuldzinsen voraussetzt; erst nach Feststellung der betrieblichen Veranlassung ist dann auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob die als Betriebsausgaben angesetzten Schuldzinsen auf Überentnahmen beruhen und demgemäß nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. , BFH/NV 2006, 512, m.w.N.; vom VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041; vom IV R 53/07, BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688). Der wirtschaftliche Zusammenhang betrieblich veranlasster Schuldzinsen mit der betrieblichen Tätigkeit kann indes nicht davon abhängen, ob der Gesetzgeber die Betriebsausgaben zum Abzug zulässt oder dies versagt (ähnlich auch Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 1053).

5 Im Streitfall ist das FG, das § 4 Abs. 4a EStG angewendet hat, ersichtlich davon ausgegangen, dass die streitigen Schuldzinsen Betriebsausgaben sind. Damit hat das FG zugleich den Zusammenhang der Schuldzinsen mit anderen Einkunftsarten verneint. Dass die Kläger dies für unrichtig halten, betrifft die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall, wirft aber keine über den Streitfall hinausreichenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 604 Nr. 4
BAAAE-02925