Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: VGH Baden-Württemberg, 2 S 2251/10 vom
Gründe
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Gebühren für amtliche Trichinenuntersuchungen, die im Zeitraum Januar 2003 bis Dezember 2004 in ihrem Schlacht- und Zerlegebetrieb vorgenommen wurden. Mit Gebühren-Nacherhebungsbescheid vom setzte das Landratsamt Ludwigsburg die Gebühren auf 30 346,36 € (für das Jahr 2003) und auf 32 862,36 € (für das Jahr 2004) fest. Zur Begründung verwies es auf die rückwirkend zum in Kraft getretene Rechtsverordnung vom über die rückwirkende Gebührenerhebung für die Schlachttier- und Fleischuntersuchung nach dem Fleischhygienerecht. Die Klägerin hält die Gebührenerhebung insbesondere wegen Verstoßes gegen gebührenrechtliche Vorgaben der Richtlinie 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG (ABl Nr. L 162 vom S. 1) für rechtswidrig. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.
Die gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts gerichtete Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt auf der Grundlage der Darlegungen der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Klägerin möchte - zusammengefasst - geklärt wissen, unter welchen Voraussetzungen eine Gebührenerhebung nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie 85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG zulässig ist. Sie vertritt die These, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seinen Entscheidungen vom (C-270/07, Slg. 2009 I-1983, und C-309/07, Slg. 2009 I-2077) ein "Realkostengebot und Pauschalierungsverbot" angenommen habe, dem eine Gebührenerhebung nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie nur dann gerecht werde, wenn ihr eine "betriebsbezogene Einzelabrechnung" der tatsächlich angefallenen Kosten zugrunde liege; das gelte für jedes Kostenelement der Gebühr. Eine Gebührenerhebung auf der Grundlage im Vorhinein kalkulierter Kosten sei generell nicht statthaft, weil die Gebühr dann die Form einer unzulässigen Pauschale annehme. Diese Auffassung kleidet die Beschwerde in verschiedene Fragen.
Die These der Klägerin trifft indes nicht zu. Der Europäische Gerichtshof hat in den besagten Entscheidungen (noch einmal) betont, dass die Erhebung einer die Pauschalgebühr übersteigenden spezifischen Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie unter der einzigen Voraussetzung steht, dass die Gebühr die tatsächlichen Kosten nicht überschreitet (C-309/07 Rn. 20); sie darf ferner nicht die Form eines Pauschalbetrages annehmen (C-309/07 Rn. 21 und C-270/07 Rn. 30 ff.). Das letztgenannte Kriterium, auf das sich die Klägerin maßgeblich stützt, diente dem Europäischen Gerichtshof ersichtlich nur zur Abgrenzung der spezifischen Gebühr von den EG-Pauschalbeträgen sowie von einer durch Anhebung der Pauschalbeträge gebildeten Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. a der Richtlinie. Er sah sich zu dieser Klarstellung durch Ausführungen der Kommission veranlasst, die seiner Rechtsprechung meinte entnehmen zu können, dass eine Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie die Form eines Pauschalbetrages annehmen müsse. Dem ist der Europäische Gerichtshof mit den erwähnten Ausführungen entgegengetreten. Vor dem Hintergrund des Streitgegenstandes jener Verfahren, der jeweils den Ansatz für Kosten bestimmter Fleischuntersuchungen betraf, ist damit ersichtlich nur gemeint, dass eine solche Gebühr nicht wie die EG-Pauschalbeträge unbeschadet des konkreten Untersuchungsumfangs (also pauschal) erhoben werden darf, sondern Kostenanteile für bestimmte Fleischuntersuchungen nur dann in die Gebühr einfließen dürfen, wenn sie tatsächlich angefallen sind.
Diese gemeinschaftsrechtliche Vorgabe ändert aber nichts daran, dass es sich um eine "Gebühr" handelt, deren Höhe auf der Grundlage einer Kostenkalkulation ermittelt wird und nicht etwa durch eine nachträgliche Kostenabrechnung jedes Einzelfalls. Die Vorstellungen der Klägerin sind mit der gemeinschaftsrechtlich und nationalrechtlich vorgesehenen Möglichkeit der Kostendeckung im Wege der Gebührenerhebung nicht vereinbar; sie laufen darauf hinaus, eine Erhebung von Gebühren oberhalb der EG-Pauschalbeträge praktisch unmöglich zu machen.
Die These der Klägerin wird auch nicht durch die von ihr angeführte Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen gestützt, das - in Übereinstimmung mit dem Berufungsurteil - eine Gebührenerhebung auf der Grundlage prognostischer Werte ausdrücklich für zulässig erachtet (vgl. nur - [...] Rn. 92 ff.). Soweit das Oberverwaltungsgericht bei der Überprüfung einer konkreten Gebührenkalkulation für den Sonderfall einer nachträglichen Neuberechnung von Gebühren für abgelaufene Zeiträume nicht die durch Zeitablauf obsolet gewordenen Prognosewerte der ursprünglichen Kalkulation, sondern die bereits feststehenden tatsächlich angefallenen Kosten für maßgeblich gehalten hat ( - [...] Rn. 66), ergibt sich keine Abweichung zu dem Berufungsurteil, die eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache rechtfertigen könnte. Ob prognostische Werte überholt sind und deshalb einer Kalkulation, die sich an den tatsächlichen Kosten orientieren muss, nicht mehr zugrunde gelegt werden dürfen, ist keine verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage, sondern eine Frage der Tatsachenwürdigung im Einzelfall. Hier hat das Berufungsgericht festgestellt, dass das Landratsamt bei der - nachträglich vorgenommenen - Kalkulation der Gebühren für das Jahr 2003 die tatsächlichen Kosten und Schlachtzahlen dieses Jahres zugrunde gelegt habe. Bei der Kalkulation für das Jahr 2004 sei das Landratsamt in derselben Weise verfahren, weil das Rechnungsergebnis für das Jahr 2004 noch nicht vorgelegen habe; dabei sei im Hinblick auf erwartete tarifliche Nachzahlungen ein Zuschlag bei den Personalkosten eingerechnet worden. Das Berufungsgericht hat darin keinen Rechtsfehler gesehen. Zwar sei für eine Kalkulation mit prognostischen Werten kein Raum mehr, wenn im Zeitpunkt des Erlasses der Gebührenverordnung die tatsächlich angefallenen Kosten feststünden. Seien die Realwerte aber wie hier noch nicht bekannt, könne nur mit Prognosen gearbeitet werden (UA S. 22 f.). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass dadurch eine fallübergreifende Rechtsfrage aufgeworfen wird.
Die von der Klägerin weiter angesprochene "einzelbetriebliche Abrechnung" wirft ebenfalls keine grundsätzlich bedeutsame Frage auf. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie eine Gebühr erhoben werden kann, die nach der Größe des Betriebs und der Zahl der geschlachteten Tiere unterscheidet, wenn feststeht, dass diese Faktoren sich auf die Kosten auswirken ( - Rn. 22). Wenn der Europäische Gerichtshof eine "einzelbetriebliche Abrechnung" nach den Vorstellungen der Klägerin für erforderlich gehalten hätte, hätte er nicht eine solche Gebührenstaffelung ausdrücklich gebilligt.
Aus der von der Beschwerde problematisierten "rückwirkenden Richtlinienumsetzung" ergibt sich ebenfalls keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage. In der Rechtsprechung des Senats ist hinlänglich geklärt, dass europäisches Gemeinschaftsrecht nicht daran hindert, eine erforderliche Umsetzung rückwirkend vorzunehmen (vgl. nur BVerwG 3 B 30.08 - [...] Rn. 8 m.w.N.; s. auch - [...] Rn. 15). Neue Aspekte, die etwa eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof rechtfertigen könnten, zeigt die Klägerin nicht auf. Das gilt auch, soweit sie in diesem Zusammenhang eine "unzulässige Inländerdiskriminierung" geltend macht. Die Klägerin meint, die rückwirkende Umsetzung der Richtlinie 85/73/EWG durch die Gebührenverordnung des Landratsamts vom bewirke, dass die deutschen Schlacht- und Zerlegebetriebe gegenüber in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Schlacht- und Zerlegebetrieben ungleich behandelt würden. Damit beschreibt sie keinen Fall von Inländerdiskriminierung; denn damit werden Sachverhalte bezeichnet, bei denen Angehörige von Mitgliedstaaten der Europäischen Union kraft Unionsrechts im Inland besser gestellt sind als Inländer (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin in der - Rs. C-434/09, McCarthy - Rn. 39). Abgesehen davon legt die Beschwerde auch nicht dar, weshalb die einheimischen Betriebe infolge der rückwirkenden Richtlinienumsetzung anders behandelt würden als Betriebe im EU-Ausland.
2. Das Berufungsurteil leidet an keinem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Der gerügte absolute Revisionsgrund der nicht mit Gründen versehenen Entscheidung (§ 138 Nr. 6 VwGO) liegt nicht vor. Nicht mit Gründen versehen im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung zwar nicht nur dann, wenn der Entscheidungsformel überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind, weil die angeführten Gründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie völlig unzureichend sind (vgl. BVerwG 2 C 25.01 - BVerwGE 117, 228 <230 f.> = Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 41; BVerwG 3 B 94.09 - [...] Rn. 7 m.w.N.). Davon kann hier aber nicht die Rede sein. Die Klägerin hält die Begründung des Berufungsurteils für unzureichend und unverständlich, soweit es die Folgerungen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs betrifft. Im Kern kreisen auch diese Ausführungen der Klägerin um die von ihr vertretenen Thesen zur Erhebung einer spezifischen Gebühr, die sie in dem Berufungsurteil nicht richtig gewürdigt sieht. Damit lässt sich der geltend gemachte Revisionsgrund nicht belegen. Es steht im Übrigen außer Frage, dass sich das Berufungsgericht in seinem Urteil im Einzelnen mit der besagten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs befasst hat.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Berufungsgericht auch nicht gegen seine Verpflichtung aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verstoßen, im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Die Begründungspflicht dient insbesondere der Überprüfbarkeit der tatrichterlichen Würdigung durch das Rechtsmittelgericht wie durch die Beteiligten. Die Gründe müssen die für die Entscheidung wesentlichen Fragen behandeln oder jedenfalls zum Ausdruck bringen, weshalb von einer Auseinandersetzung abgesehen wurde; das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich mit jeder Einzelheit des Vorbringens eines Beteiligten in den Entscheidungsgründen zu befassen ( BVerwG 6 B 50.09 - Buchholz 442.066 § 135 TKG Nr. 1 m.w.N.; BVerwG 3 B 66.94 - Buchholz 427.2 § 35 FG Nr. 9). Gemessen daran liegt hier kein Verstoß gegen die Begründungspflicht vor. Das Berufungsgericht hat sich mit dem Vorbringen der Klägerin zu den für das Verfahren bedeutsamen Fragen ausführlich auseinandergesetzt. Namentlich hat es detailliert seine Annahme begründet, dass die Gebührenverordnung nicht in Widerspruch zu den Vorgaben der Richtlinie 85/73/EWG steht. Dabei ist es auf den von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkt einer unzulässigen Pauschalierung ebenso eingegangen wie auf das "Realkostengebot". Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs darauf abgestellt, dass die Gebührenschuldner bei einer Gebühr nach Anhang A Kap. I Nr. 4 Buchst. b der Richtlinie nur mit Kosten belastet werden dürfen, die der die Untersuchung durchführenden Stelle tatsächlich entstanden sind. Des Weiteren hat es sich - wie bereits ausgeführt - mit dem Einwand der Klägerin auseinandergesetzt, bei einer nachträglichen Neuberechnung von Gebühren für abgelaufene Zeiträume verbiete sich eine Gebührenkalkulation auf der Grundlage prognostischer Werte. Auch die Rüge der Klägerin, das Berufungsurteil befasse sich unzureichend mit ihrem Vorbringen zur "Einzelbetrieblichkeit der Kostenermittlung", greift nicht durch. Dies gilt schon deshalb, weil der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach eine auf den Betrieb der Klägerin bezogene Gebührenkalkulation überprüft hat. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil setzt die in Rede stehende Gebührenverordnung in Abhängigkeit von der Größe des Betriebs degressiv gestaffelte Gebührensätze fest. Das Berufungsgericht hat hierzu festgestellt, dass der Schlachthof der Klägerin der einzige Betrieb sei, der unter die Gruppe der Großbetriebe (mehr als 2000 Schlachtungen je Kalendermonat) falle, und dass die Gebührenkalkulation des Landratsamts auf der Ermittlung der auf den Betrieb der Klägerin im Jahresdurchschnitt entfallenden Gesamtkosten basiere (vgl. UA S. 24).
Schließlich rügt die Klägerin ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO, gegen die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO sowie gegen die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen. All diese Rügen beruhen auf der Prämisse der Klägerin, dass das Berufungsgericht sich nicht mit den Gebührenkalkulationen des Landratsamts hätte begnügen dürfen, sondern - im Sinne ihrer Thesen - eine nachträgliche einzelbetriebliche Abrechnung der tatsächlich angefallenen Kosten der jeweiligen Amtshandlungen hätte anfordern müssen. Maßgeblich für die Frage, ob das Berufungsgericht einen Verfahrensfehler begangen hat, ist jedoch dessen materiell-rechtlicher Standpunkt. Davon ausgehend hat das Berufungsgericht die von dem Landratsamt aufgestellten und im Verfahren - unter Vorlage der Berechnungsunterlagen - erläuterten Kalkulationen kontrolliert und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gebühren den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen genügen. Hierbei hat der Verwaltungsgerichtshof auch vertretbar begründet, dass das Landratsamt sich auf eine überschlägige Berechnung der allgemeinen Verwaltungskosten habe beschränken dürfen, weil eine "centgenaue" Kostenermittlung nicht oder nur mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand möglich wäre.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Fundstelle(n):
AAAAE-00695