BGH Beschluss v. - 4 StR 522/11

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Feststellung der Tatvoraussetzungen in Strafurteil

Gesetze: § 315b Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Augsburg Az: 607 Js 137049/10 - 3 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in Tateinheit mit (vorsätzlichem) gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und gegen ihn Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Der Schuldspruch hält der Überprüfung nicht stand, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde.

3a) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 StGB bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff, wie ihn das Landgericht hier festgestellt hat, voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht. Erst dann liegt eine - über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende - verkehrsatypische "Pervertierung" eines Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen "Eingriff" in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 556/09, NStZ 2010, 391, 392; vom - 4 StR 82/10 jeweils mwN).

4Ferner erfordert ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, dass durch eine der in den Nummern 1 bis 3 des § 315b Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert verdichtet hat. Dabei muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 373/09; vom - 4 StR 503/09, NStZ-RR 2010, 120 jeweils mwN).

5b) Die Feststellungen des Landgerichts belegen weder einen bedingten Schädigungsvorsatz beim Zufahren des Angeklagten auf den Zeugen S. , noch eine konkrete Gefahr für diesen Zeugen.

6Zwar fuhr der Angeklagte zunächst "mit Vollgas an", er hielt jedoch in einer Entfernung von eineinhalb bis zwei Meter vor dem Zeugen an, als dieser auf den Transporter zuging. Anschließend gab er erneut Vollgas, ließ aber "die Kupplung schleifen und bewegte sich ruckelnd auf den Geschädigten S. zu", um ihn dazu "zu bewegen, aus dem Weg zu gehen". Als sich diesem das Fahrzeug bis auf "maximal einen weiteren halben Meter genähert" hatte, also mindestens noch einen bis eineinhalb Meter von ihm entfernt war, "machte der Geschädigte … einen Ausfallschritt zur Seite" und ließ das Fahrzeug passieren (UA S. 7 f.; ferner UA S. 37: "Ausweichbewegung" des Zeugen nicht durch einen "Sprung", sondern durch einen "Ausfallschritt").

7Ein Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen ist, also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen", lässt sich dem nicht entnehmen (vgl. auch ). Auch der vom Landgericht allein aus dem objektiven Hergang gezogene Schluss auf das Vorliegen des Schädigungsvorsatzes bei dem die Tatbegehung bestreitenden Angeklagten wird von diesen Feststellungen nicht getragen.

82. Da die vom Landgericht getroffenen Feststellungen auch den Vorsatz in Bezug auf die versuchte gefährliche Körperverletzung nicht belegen, ändert der Senat den Schuldspruch ab und lässt die Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und versuchter gefährlicher Körperverletzung entfallen. Er schließt im Hinblick auf die rechtsfehlerfrei in einer ersichtlich vollständigen Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen und die im Übrigen sorgfältige Beweiswürdigung durch die Strafkammer - mit dem Generalbundesanwalt - aus, dass in einer neuen Verhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung auch nach § 315b, §§ 224, 22 StGB tragen würden.

93. Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs zur Folge. Denn das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 315b Abs. 3 StGB entnommen (UA S. 43) und ersichtlich auch bei der Bemessung der Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auf seine Bewertung der Tat als vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr abgestellt.

Ernemann                                    Cierniak                                    Franke

                         Mutzbauer                                   Quentin

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OAAAD-99864