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BVerwG Beschluss v. - 1 WB 24.11

Leitsatz

Leitsatz:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gründe

I

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid des Personalamts der Bundeswehr vom , mit dem es die am zum verfügte Übernahme des Antragstellers als Offizieranwärter in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes aufgehoben und ihn bis zum von der Einstellung in diese Laufbahn ausgeschlossen hat.

Der 1986 geborene Antragsteller ist seit dem Soldat auf Zeit; seine auf vier Jahre festgesetzte Dienstzeit wird mit Ablauf des enden. Zum erfolgte seine Ernennung zum Hauptgefreiten. Seit dem wird er bei der ... in L. verwendet.

Mit Übernahmebescheid vom stellte das Personalamt fest, dass der Antragsteller das Annahmeverfahren für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes erfolgreich abgeschlossen habe, und erklärte, er werde zum als Offizieranwärter im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit übernommen und in den Ausbildungsgang mit Studium eingestellt. Das Personalamt ordnete den Antragsteller dem ... Offizieranwärterjahrgang 07/10 in der Truppengattung ... zu und teilte ihm den geplanten Ausbildungsablauf mit. Ergänzend heißt es im Übernahmebescheid:

"Die vorstehende Planung kann nur auf Grundlage der zum derzeitigen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse über Ihre persönliche und körperliche Eignung erfolgen.

Darüber hinaus erfolgt die Einplanung in die Truppengattung unter dem Vorbehalt des nach Abschluss der Ausbildung vorhandenen Bedarfs der Streitkräfte. Die endgültige Zuordnung zu einer Truppengattung erfolgt im letzten Studienjahr. Daraus folgt, dass zu beidem bis zum Zeitpunkt der Einstellung oder Übernahme in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes, vor oder nach Beginn der Ausbildung Veränderungen eintreten können, die eine Änderung der derzeitigen Planung erforderlich machen."

Am teilte die Stammdienststelle der Bundeswehr dem Personalamt (Offizierbewerberprüfzentrale - Dezernat Einplanung/Einstellung/Verwendungsberatung) mit, dass gegen den Antragsteller disziplinare Vorermittlungen eingeleitet worden seien. Dem lag zugrunde, dass die Staatsanwaltschaft ... beim Amtsgericht ... den Erlass eines Strafbefehls beantragt hatte, in welchem dem Antragsteller als "Erschleichen von Leistungen" gemäß § 265a Abs. 1 und 3 StGB zur Last gelegt wurde, dass er am um 04.47 Uhr den Zug Nr. 81302 der NordWestBahn und erneut am um 06.50 Uhr den Zug Nr. 81310 der NordWestBahn jeweils von ... nach ... benutzt habe, ohne im Besitz des erforderlichen Fahrausweises zum Preis von 10,30 € zu sein. Das Strafverfahren stellte das Amtsgericht ... durch Beschluss vom (Az.: 04 Cs 169 Js 65699/09 <9/10>) gemäß § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung einer Auflage in Höhe von 1 250 € für die Dauer von sechs Monaten vorläufig ein. Nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft ... vom an die zuständige Wehrdisziplinaranwaltschaft wurde das Strafverfahren nach Zahlung der Auflage endgültig eingestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom hob das Personalamt den Übernahmebescheid vom auf und schloss den Antragsteller bis zum von einer Einstellung in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes aus. Zur Begründung führte es aus, der Rechtsberater des Personalamts habe geprüft, ob die Strafsache als Einstellungshinderungsgrund im Sinne der geltenden Vorschriften zu werten sei. Das habe der Rechtsberater mit Entscheidung vom bejaht. Das Personalamt wies den Antragsteller darauf hin, dass er mit Ablauf des das 25. Lebensjahr vollende und somit zum nächstmöglichen Übernahmetermin nicht mehr über die Einstellungsvoraussetzungen für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes verfüge.

Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom Beschwerde ein und machte mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom geltend, die beiden Schwarzfahrten seien bereits im Annahmeverfahren für die Offizierlaufbahn aktenkundig gewesen. Die Entscheidung sei ermessensmissbräuchlich, weil sich der befristete Ausschluss von der Einstellung in die Offizierlaufbahn in seinem Fall wegen Überschreitens der Altersgrenze als endgültiger Ausschluss auswirke. Das Personalamt habe den geringeren Unrechtsgehalt seiner Schwarzfahrten verkannt. Er habe unglücklicherweise zwei Mal kurz hintereinander den erforderlichen Geldbetrag für die Bahnfahrt nicht bereit gehabt und beim ersten Mal vom Zugschaffner die Auskunft erhalten, mit der Zahlung von 40 € sei die Sache erledigt. Aufgrund dieser irreführenden Auskunft habe er sich beim zweiten Mal entschlossen, die Fahrt anzutreten, um nicht zu spät zum Dienst zu kommen. Zu seinen Gunsten seien die förmliche Anerkennung vom und die ihm am gewährte Leistungsprämie zu berücksichtigen.

Die Beschwerde wies der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit Beschwerdebescheid vom mit der Begründung zurück, Soldaten auf Zeit in der Laufbahngruppe der Mannschaften könnten gemäß Nr. 605 ZDv 20/7 i.V.m. § 6 Abs. 2 SLV nur bei entsprechender Eignung, Leistung und Befähigung in die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes übernommen werden. Angesichts der vom Antragsteller - in der Dienstzeit - begangenen Straftaten, mit denen er sich persönlich um die Beförderungsleistung habe bereichern wollen und das Vermögen des Beförderungsunternehmens nicht geachtet habe, sei das Personalamt nicht gehindert gewesen, Bedenken hinsichtlich seiner uneingeschränkten charakterlichen Eignung für die Offizierlaufbahn anzunehmen. Die positive Bewertung des Antragstellers durch eine Psychologin im Annahmeverfahren ändere daran nichts. Den guten Leistungen des Antragstellers sei dadurch Rechnung getragen worden, dass kein dauerhaftes Übernahmehindernis ausgesprochen worden sei. Aus Gründen der Gleichbehandlung mit vergleichbar gelagerten Fällen sei eine Verkürzung der Übernahmefrist auf weniger als drei Jahre nicht in Betracht gekommen.

Gegen diese ihm am eröffnete Entscheidung hat der Antragsteller mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Bundesminister der Verteidigung - PSZ I 7 - mit seiner Stellungnahme vom dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller ergänzend insbesondere vor:

Es sei nicht durch ein rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil festgestellt worden, dass er Leistungen der NordWestBahn erschlichen habe. Er habe hinsichtlich dieses Straftatbestandes ohne Vorsatz gehandelt. In der NordWestBahn werde - anders als im Nahverkehr mit U- und S-Bahnen - das Vorhandensein eines Fahrscheins regelmäßig durch Schaffner im Zug überprüft. Ein Fahrschein könne auch bei diesem Schaffner noch erworben werden. Am und am habe er in Kenntnis der Kontrolle durch einen Schaffner und der Möglichkeit der Einlösung eines Fahrscheins bei ihm die Bahn genutzt. Da er an beiden Tagen vor Fahrtantritt die Fahrscheine nicht mehr habe beschaffen können, habe er den Schaffner bei den Kontrollen darüber informiert, noch einen Fahrschein zu benötigen. Bei der Kontrolle am habe er festgestellt, nicht genügend Bargeld und auch keine EC-Karte bei sich zu haben. Nach der Information des Schaffners, dass der Vorfall außer der Verpflichtung zum erhöhten Beförderungsentgelt keine weiteren Konsequenzen habe, sei er auch am bei der Feststellung nicht ausreichender Zahlungsmittel davon ausgegangen, dass die Zahlung des erhöhten Fahrpreises auf Rechnung eine zusätzliche Form der Zahlung ohne weitere Konsequenzen darstelle. Ihm sei allenfalls Fahrlässigkeit bezüglich des Fehlens ausreichender Barschaft anzulasten. Er habe stets das Entgelt entrichten wollen. Es sei willkürlich, ihm wegen der beiden Vorfälle die Eignung für die Offizierlaufbahn abzusprechen.

Der Antragsteller beantragt

die Entscheidung, dass die Aufhebung des Übernahmebescheids des Personalamts der Bundeswehr vom zum Einstellungstermin in die Truppengattung ... mit Bescheid des Personalamts der Bundeswehr vom rechtswidrig war,

und demgemäß,

den Bescheid des Personalamts der Bundeswehr vom in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom aufzuheben.

Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er verteidigt den Inhalt seines Beschwerdebescheids und hat mitgeteilt, dass der angefochtene Aufhebungsbescheid des Personalamts auf § 49 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. VwVfG beruhe. Die Übernahmeentscheidung vom habe unter dem Vorbehalt der persönlichen Eignung des Antragstellers gestanden. Die Offizierbewerberprüfzentrale beim Personalamt habe im Zeitpunkt dieser Entscheidung keine Kenntnis von dem Strafverfahren gehabt.

Hinsichtlich der beiden Vorfälle hat der Befehlshaber des ... mit Entscheidung vom unter Absehen von der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens festgestellt, dass der Antragsteller ein Dienstvergehen begangen hat. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord mit Beschluss vom (Az.: ...) zurückgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung - PSZ I 7 - ... -, die Akte des Personalamts der Bundeswehr - RB ... - und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.

II

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.

1. Der Aufhebungsantrag ist zulässig.

Zwar könnte der im Schriftsatz vom zuerst gestellte Sachantrag auf "Entscheidung", dass die Aufhebung des Übernahmebescheids vom durch den Bescheid vom rechtswidrig war, als diesbezüglicher Feststellungsantrag und Hauptantrag des Antragstellers zu verstehen sein. Der Antragsteller hat aber durch die nachfolgende Formulierung des Aufhebungsantrags ("es wird demgemäß beantragt...") unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er vorrangig den Gestaltungsantrag stellt, den Bescheid des Personalamts vom und den Beschwerdebescheid vom aufzuheben. Angesichts dessen kommt dem als Feststellungsantrag auszulegenden ersten Sachantrag mit Rücksicht auf die Subsidiaritätsklausel (§ 23a Abs. 2 WBO i.V.m. § 43 Abs. 2 VwGO) keine selbständige Bedeutung zu.

Der Aufhebungsantrag hat sich nicht dadurch erledigt, dass der für den Antragsteller im Übernahmebescheid festgelegte Übernahmetermin des schon im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom verstrichen war. Zwar werden die übernommenen bzw. zugelassenen Offizieranwärter nach Maßgabe der Nr. 944 ZDv 20/7 in einem Offizieranwärterjahrgang bzw. einer Offizieranwärtercrew zusammengefasst und durchlaufen den vorgesehenen Ausbildungsgang gemeinsam. Ob deswegen eine nachträgliche Einsteuerung des Antragstellers in den ... Offizieranwärterjahrgang 07/10 nicht mehr möglich ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Gegebenenfalls müsste zunächst eine Entscheidung nach Nrn. 946, 947 ZDv 20/7 herbeigeführt werden. Der Bundesminister der Verteidigung hat weder im vorgerichtlichen noch im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, dass die Umsetzung und Vollziehung des Übernahmebescheids nach Ablauf des Übernahmetermins ausgeschlossen sei und deshalb nur noch ein Fortsetzungsfeststellungsantrag in Betracht käme.

Ob dem Antragsteller in diesem Zusammenhang die für Übernahmebewerber (§ 6 Abs. 2 Satz 1 SLV) lediglich im Erlasswege in Nr. 605 i.V.m. Nr. 601 ZDv 20/7 geregelte Höchstaltersgrenze des vollendeten 25. Lebensjahres entgegengehalten werden kann, ist im Hinblick auf die Entscheidung des Senats, dass Höchstaltersgrenzen für den vertikalen Laufbahnwechsel von Soldaten einer normativen Grundlage bedürfen und nicht lediglich durch Verwaltungsvorschriften festgelegt werden dürfen, rechtlich zweifelhaft (vgl. BVerwG 1 WB 48.10 - Rn. 29 bis 37).

2. Der Antrag ist begründet.

Der Bescheid des Personalamts vom ist - auch in der Gestalt des Beschwerdebescheids des Bundesministers der Verteidigung vom - rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Die Bescheide sind deshalb aufzuheben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO).

Bei dem hier vorliegenden Anfechtungsantrag ist maßgeblich für die rechtliche Überprüfung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister der Verteidigung an den Senat (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 57.78 - BVerwGE 73, 48 und vom - BVerwG 1 WB 31.95 -).

a) Die angefochtene Aufhebungsentscheidung ist auf § 49 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. VwVfG gestützt. § 23a WBO schließt nach der Rechtsprechung des Senats die Anwendung einzelner materiellrechtlicher Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes im Wehrbeschwerdeverfahren nicht aus ( BVerwG 1 WB 51.08 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 53 Rn. 26). Danach kann ein rechtmäßiger, begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Voraussetzung ist, dass der Widerruf auf Grund eines Vorbehalts im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG in dem zu widerrufenden Verwaltungsakt selbst zugelassen worden ist, oder dass der Widerrufsvorbehalt durch Verweisung oder Bezugnahme auf Richtlinien, die dem Betroffenen bekanntgegeben worden sind, unmissverständlich zum Bestandteil des Verwaltungsakts gemacht wurde ( BVerwG 8 C 33.84 - Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 9; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 12. Aufl. 2011, § 49 Rn. 35). Der oben im Abschnitt I aus dem Übernahmebescheid vom zitierte Text ist in diesem Sinn als Widerrufsvorbehalt auszulegen. Darin hat sich das Personalamt eine "Änderung der derzeitigen Planung" unter anderem für den Fall neuer Erkenntnisse über die persönliche und körperliche Eignung des Antragstellers vorbehalten. Bei der erforderlichen Interpretation dieser Formulierung nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt (zu diesem maßgeblichen Auslegungskriterium im Einzelnen: Beschlüsse vom - BVerwG 1 WB 51.02 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 15 S. 28 a.E. und vom - BVerwG 1 WB 67.04 - BVerwGE 123, 165 = Buchholz 236.1 § 15 SG Nr. 2) ist damit nicht nur eine Änderung der angekündigten Verwendung als Offizieranwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes gemeint, sondern auch die völlige Aufgabe dieser Planung durch Widerruf der Übernahmeentscheidung. Der Hinweis auf die "zum derzeitigen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse" als Planungsgrundlage kann sachgerecht nur so verstanden werden, dass das Personalamt damit zum Ausdruck bringen wollte, es habe seine Übernahmeentscheidung auf der Basis der ihm vorliegenden Erkenntnisse getroffen. Damit erstreckte sich der Widerrufsvorbehalt auch auf Umstände und Erkenntnisse aus der Zeit vor der Übernahmeentscheidung, die dem Personalamt aber erst nachträglich bekannt geworden sind.

b) Der Widerruf des Übernahmebescheids vom wird mit aufgetretenen Zweifeln an der Eignung des Antragstellers für die Offizierlaufbahn begründet. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Soldat im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 SLV (der sinngemäß neben der Befähigung auch die Eignung des Bewerbers für den Laufbahnwechsel verlangt: Dolpp/Weniger, SLV, 7. Aufl. 2009, § 6 Rn. 610, 611) i.V.m. Nr. 605 ZDv 20/7 die erforderliche Eignung als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes aufweist oder vermissen lässt, steht der zuständigen personalbearbeitenden Stelle ein Beurteilungsspielraum zu (stRspr, vgl. z.B. BVerwG 1 WB 24.03 - Buchholz 236.110 § 6 SLV 2002 Nr. 1). Die gerichtliche Kontrolle ist insoweit auf die Prüfung beschränkt, ob die zuständige Stelle den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, ob sie von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Für die Beurteilung der (prognostischen) Frage, ob und inwieweit ein Soldat die für eine Laufbahn zu stellenden Anforderungen erfüllt bzw. erfüllen wird, ob er sich für die vorgesehene Verwendung - hier als Offizier - eignet oder nicht (mehr) eignet, sind neben seiner fachlichen Qualifikation seine persönlichen, d.h. insbesondere auch seine charakterlichen Eigenschaften maßgebend (vgl. BVerwG 1 WB 8.06 - Rn. 22 = NZWehrr 2006, 246).

Das Personalamt hat die charakterliche Eignung des Antragstellers unter Hinweis auf "diese Strafsache" in Frage gestellt. Der Rechtsberater des Personalamts hat in seiner Entscheidung vom lediglich in einem Formular die Rubrik "befristetes Einstellungshindernis" angekreuzt und "Keine Einstellung vor dem " vermerkt. Der Bundesminister der Verteidigung hat im Beschwerdebescheid auf vom Antragsteller "begangene Straftaten" abgestellt und diese als wesentlich für die getroffene Aufhebungsentscheidung bezeichnet. In beiden Bescheiden werden jedoch keine Feststellungen zu einem konkreten Sachverhalt getroffen, die den sicheren Schluss darauf zuließen, dass der Antragsteller in der ihm vorgehaltenen Weise schuldhaft strafbar gehandelt und Leistungen eines Beförderungsunternehmens erschlichen hätte. Der Senat ist deshalb außerstande zu überprüfen, ob das Personalamt bzw. der Bundesminister der Verteidigung hinsichtlich der beiden strittigen Vorfälle von einem richtigen, insbesondere von einem vollständig erfassten Sachverhalt ausgegangen sind. Erst auf der Grundlage eines richtig und vollständig erfassten Sachverhalts kann das Wehrdienstgericht dann weiter kontrollieren, ob die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten oder überschritten sind. Da die Feststellung des Sachverhalts, der der Eignungsprognose zugrunde liegen soll, im Rahmen des Beurteilungsspielraums dem Personalamt als der zuständigen Stelle obliegt, ist der Senat daran gehindert, insoweit eigene Feststellungen zu treffen (vgl. Beschluss vom a.a.O. Rn. 23).

Hinsichtlich der strittigen Vorfälle liegen keine im vorliegenden Verfahren "bindenden" tatsächlichen Feststellungen durch ein Strafgericht vor. Die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Antragsteller durch das Amtsgericht ... gegen Zahlung einer Geldauflage nach § 153a Abs. 2 StPO stellt zwar keinen Freispruch mangels Beweises dar, sondern dient der vereinfachten Verfahrenserledigung bei Vergehen (vgl. - auch zum Folgenden -: Beschlüsse vom a.a.O. Rn. 25 und vom - BVerwG 1 WB 59.06 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 21 Rn. 27 jeweils m.w.N.). Andererseits ist die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 EMRK bei einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO nicht widerlegt. Mit einer Einstellungsentscheidung nach § 153a Abs. 2 StPO wird keine Entscheidung darüber getroffen, ob der Beschuldigte die ihm durch die Anklage vorgeworfene Tat begangen hat oder nicht. Diese Einstellungsentscheidung setzt keinen Nachweis der Tat voraus. Aus einem Einstellungsbeschluss nach § 153a Abs. 2 StPO und auch aus einer dabei abgegebenen Zustimmungserklärung des Beschuldigten darf nicht geschlossen werden, die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat sei ihm in tatbestandlicher Hinsicht nachgewiesen ( - NJW 1991, 1530 = [...] Rn. 19 f.).

Damit fehlt ein Urteil eines Strafgerichts, das nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich in der Weise bindend ist, dass der Umstand der Verurteilung oder des Freispruchs (als solcher) im Rahmen der Rechtskraft des Urteils auch für Verfahren über die truppendienstliche Verwendung eines Soldaten feststeht; der Beurteilung in diesen Verfahren können die in den Gründen eines Strafurteils getroffenen tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegt werden, sofern nicht besondere Umstände zu Zweifeln an der Richtigkeit dieser Feststellungen und damit zu eigenen Sachverhaltsermittlungen der für die Verwendungsentscheidung zuständigen Stelle Anlass geben ( BVerwG 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14 jeweils Rn. 28).

Der Entscheidung des Befehlshabers des ... vom kommt eine Bindungswirkung hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen nicht zu. Lediglich ein im gerichtlichen Disziplinarverfahren ergangenes Urteil eines Wehrdienstgerichts steht dem Urteil eines Strafgerichts hinsichtlich der möglichen Bindungswirkung gleich (Beschluss vom a.a.O. Rn. 29). Es kann offen bleiben, ob diese Bindungswirkung auch von einem Beschluss des Truppendienstgerichts in einem Antragsverfahren nach § 92 Abs. 4 WDO ausgehen kann. Denn der Beschluss des Truppendienstgerichts vom ist erst nach der Vorlage des Verfahrens an den Senat ergangen und somit nicht mehr zu berücksichtigen.

Danach hätte das Personalamt eigene Feststellungen zu den strittigen Vorfällen treffen und dabei auch die Vernehmung des Antragstellers vom auswerten müssen, in der dieser erklärt hat, er habe sich vor Fahrtantritt dafür entschieden, dass das pünktliche Erscheinen zum Dienst Vorrang habe, und er "sei davon ausgegangen", dass er lediglich das erhöhte Beförderungsgeld zahlen müsse. Diese Äußerung könnte den Schluss rechtfertigen, dass der Antragsteller grundsätzlich zur Zahlung des Beförderungsentgelts bereit war.

c) Auf der Basis fehlender konkreter Feststellungen zum Sachverhalt kann vom Senat auch nicht festgestellt werden, dass die erforderliche Ermessensentscheidung rechtmäßig wäre. Insoweit ist auf Folgendes hinzuweisen:

Das Personalamt hat in seinem Bescheid nicht erkennen lassen, dass und in welcher Weise es überhaupt eigene Ermessenserwägungen - unabhängig von dem Votum des Rechtsberaters - angestellt hat. Die im Beschwerdebescheid dargestellten Ermessenserwägungen tragen dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der im Übrigen als Ausprägung eines allgemeingültigen Wertmaßstabes auch den eignungsbezogenen Beurteilungsspielraum einschränkt, nicht hinreichend Rechnung. Eine wesentliche Komponente dieses Grundsatzes ist die Proportionalität. Sie setzt voraus, dass eine Maßnahme oder Beeinträchtigung nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen darf, dass sie bei einer Gesamtbewertung angemessen und deshalb für den Betroffenen zumutbar sein muss. Zur Prüfung dieser Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind neben einer Abwägung aller relevanten Belange insbesondere auch die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen ( BVerwG 1 WDS-VR 11.08 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 46 Rn. 28 f.).

Der Einzelfall des Antragstellers ist dadurch gekennzeichnet, dass schon das Personalamt nicht von der endgültigen Nichteignung des Antragstellers für die Offizierlaufbahn ausgegangen ist. Da aus Sicht des Personalamts im Fall des Antragstellers auch die Überschreitung der Höchstaltersgrenze der Nr. 601 ZDv 20/7 bevorstand, war eine besonders sorgfältige Abwägung vor der Aufhebung des Übernahmebescheids und der Anordnung des lediglich befristeten Ausschlusses von der Übernahme geboten. Ferner hat der Befehlshaber des ... im Fall des Antragstellers die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 WDO für die zusätzliche Verhängung einer Disziplinarmaßnahme trotz Einstellung des Strafverfahrens noch nicht als gegeben erachtet. Im Rahmen der Ermessensausübung hätte außerdem berücksichtigt werden müssen, dass die Einleitung von Ermittlungen durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft zumindest der Stammdienststelle der Bundeswehr, als der für den Antragsteller zuständigen personalbearbeitenden Stelle, schon im Februar 2010 bekannt war. Das hat der Antragsteller auch seinerseits geltend gemacht und vorgetragen, die strittigen Vorfälle seien bereits im Annahmeverfahren "aktenkundig" gewesen. Schließlich ist angesichts unzureichender Aufklärung des Sachverhalts nicht hinreichend sicher, dass sich der Antragsteller tatsächlich - wie im Beschwerdebescheid betont wird - eigennützig und persönlich um die Beförderungsleistung hat bereichern wollen. Die angefochtene Entscheidung erweist sich deshalb als ermessensfehlerhaft.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.

Fundstelle(n):
OAAAD-98853