BAG Urteil v. - 6 AZR 806/09

Geltendmachung des Anspruchs auf Sozialzuschlag nach § 33 BMT-G-O

Gesetze: § 33 BMT-G-O, § 63 BMT-G-O, EStG, BKGG

Instanzenzug: Az: 58 Ca 1769/08 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 23 Sa 2411/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch der Klägerin auf Sozialzuschlag für April bis Dezember 2005 verfallen ist.

2Die Klägerin ist beim Land Berlin als Arbeiterin beschäftigt. Auf ihr Arbeitsverhältnis fanden im streitbefangenen Zeitraum kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Manteltariflichen Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe (BMT-G-O) nach Maßgabe des Tarifvertrags zur Anwendung von Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes (Anwendungs-TV Land Berlin) vom Anwendung. Die Klägerin war der Lohngruppe 2 zugeordnet. Sie ist Mutter einer 1981 geborenen Tochter, die seit 2003 eine Lehre zur Kauffrau im Einzelhandel absolvierte, die sie im Jahr 2006 abschloss. Die Klägerin bezog bis einschließlich 2004 für die Tochter Kindergeld und Sozialzuschlag nach § 33 BMT-G-O. Der Sozialzuschlag wurde stets ohne gesonderten Antrag in Abhängigkeit vom Kindergeldanspruch gewährt. Kindergeldanträge und Sozialzuschlag wurden in dem Geschäftsbereich des beklagten Landes, in dem die Klägerin tätig ist, von derselben Personalstelle bearbeitet.

3Mit einem von der Klägerin nicht angefochtenen Bescheid vom lehnte das beklagte Land ihren Kindergeldantrag vom für den Zeitraum Januar 2005 bis August 2006 ab, weil die Einkünfte ihrer Tochter nach einer Prognoseberechnung den maßgeblichen Grenzbetrag für die Jahre 2005 und 2006 überstiegen. Am beantragte die Klägerin erneut Kindergeld unter Berücksichtigung erhöhter Werbungskosten sowie unter Anrechnung der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge. Mit Bescheid vom lehnte das beklagte Land das beantragte Kindergeld für das Jahr 2005 ab, setzte es jedoch für den Zeitraum 1. Januar bis fest. Eine Korrektur des Bescheides vom sei erst ab dem Folgemonat nach der Bekanntgabe des Bescheides vom Dezember 2005 möglich. Die Klägerin erhielt daraufhin für Januar bis August 2006 das Kindergeld sowie - ohne gesonderten Antrag - den Sozialzuschlag gezahlt.

4Gegen den Bescheid vom legte die Klägerin mit Schreiben vom Widerspruch ein. In der Widerspruchsbegründung befasste sie sich ausschließlich mit den Voraussetzungen des Anspruchs auf Kindergeld. Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hob mit Urteil vom den Bescheid vom teilweise auf und verpflichtete das beklagte Land, Kindergeld für den Zeitraum April bis Dezember 2005 festzusetzen. Das beklagte Land kam dem nach. Den Sozialzuschlag für diesen Zeitraum zahlte es nicht. Dies beanstandete die Klägerin erfolglos mit Schreiben vom unter dem Betreff: „Widerspruch zur Nachzahlung von Kindergeld und Zuschlägen für das Jahr 2005“. Mit ihrer am erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung des Sozialzuschlags für April bis einschließlich Dezember 2005.

5Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie habe mit dem Antrag auf Kindergeld auch den korrespondierenden Anspruch auf Sozialzuschlag geltend gemacht. Das beklagte Land habe sich verpflichtet, bei einer Änderung des Bescheides über das Kindergeld auch die Wirkungen des Sozialzuschlags eintreten zu lassen, ohne dass dafür weitere Handlungen des Arbeitnehmers erforderlich seien. Jedenfalls handele das beklagte Land rechtsmissbräuchlich, wenn es sich auf die Ausschlussfrist berufe.

Die Klägerin hat beantragt,

7Das beklagte Land hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags angeführt, der Anspruch auf Kindergeld und der Sozialzuschlag beruhten auf voneinander rechtlich unabhängigen Grundlagen. Der Sozialzuschlag sei vom Familienstand abhängig. Daher müsse der Arbeitnehmer den Sozialzuschlag gesondert beantragen. Die Klägerin habe erstmals mit Schreiben vom und damit nach Ablauf der Ausschlussfrist den Sozialzuschlag gefordert. Durch den Verweis auf die Ausschlussfrist verhalte es sich nicht rechtsmissbräuchlich. Für den streitbefangenen Zeitraum habe die von der Klägerin reklamierte Automatik gerade nicht vorgelegen. Die Berechtigung der Klägerin auf Kindergeld sei für diesen Zeitraum streitig gewesen. Die Klägerin habe darum nicht davon ausgehen können, dass ihr der Sozialzuschlag ohne jede Geltendmachung bei geänderter Kindergeldentscheidung gezahlt werde.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Klägerin verfolgt mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision ihr Begehren weiter. Sie macht geltend, die Auslegung ihres Kindergeldantrags ergebe, dass damit zugleich der Sozialzuschlag beantragt worden sei.

Gründe

9I. Die Revision ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat für die streitbefangene Zeit von April 2005 bis einschließlich Dezember 2005 Anspruch auf den Sozialzuschlag nach § 33 BMT-G-O iVm. dem Anwendungs-TV Land Berlin iHv. insgesamt 792,27 Euro brutto. Diesen Anspruch hat sie innerhalb der Frist des § 63 BMT-G-O durch die Beantragung von Kindergeld geltend gemacht.

101. Der Klägerin steht für die Zeit von April 2005 bis Dezember 2005 ein Anspruch auf den Sozialzuschlag nach § 33 BMT-G-O iVm. dem Anwendungs-TV Land Berlin zu, weil ihr aufgrund des Kindergeld für diesen Zeitraum zu zahlen war. Gemäß § 33 BMT-G-O erhält der Arbeiter neben dem Lohn als Sozialzuschlag den Betrag, den er bei identischen persönlichen Verhältnissen als Angestellter nach § 29 BAT-O als kinderbezogenen Anteil des Ortszuschlags der Tarifklasse II erhalten würde. Die Tarifvertragsparteien haben den Anspruch auf den Sozialzuschlag damit vollständig an die Kindergeldberechtigung nach dem Einkommensteuergesetz oder dem Bundeskindergeldgesetz geknüpft. Eine nach diesen Gesetzen ergangene Entscheidung über das Kindergeld soll ohne Weiteres auch für den Anspruch auf den Sozialzuschlag maßgebend sein. Dies soll widersprüchliche Entscheidungen über das Kindergeld einerseits und den kinderbezogenen Bestandteil in der Vergütung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes andererseits vermeiden ( - Rn. 14, NZA-RR 2008, 610). Diese vollinhaltliche tarifliche Verweisung auf gesetzlich geregelte Anspruchsvoraussetzungen ist rechtswirksam ( - Rn. 14 ff., AP BAT-O § 29 Nr. 6 = EzA GG Art. 3 Nr. 108).

112. Allerdings entbindet die Verknüpfung mit dem Kindergeldanspruch den Beschäftigten nicht davon, den Anspruch auf den kinderbezogenen Vergütungsbestandteil form- und fristgerecht geltend zu machen (vgl. für § 70 Abs. 1 BAT-O bzw. § 67 MTA  - EzBAT BAT § 29 Nr. 39; - 6 AZR 222/07 - Rn. 18, BAGE 125, 216). Der Anspruch auf den Sozialzuschlag muss also binnen sechs Monaten nach seiner Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Dabei wird der Sozialzuschlag grundsätzlich monatlich mit dem jeweiligen Zahltag fällig. Etwas anderes gilt dann, wenn der Beschäftigte noch nicht überblicken kann, ob die Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs vorliegen, insbesondere ob die Einkommensgrenzen des § 32 Abs. 4 EStG überschritten werden. In diesem Fall beginnt die Ausschlussfrist erst ab Kenntnis der Höhe des Einkommens des Kindes und der entstandenen Werbungskosten zu laufen, ohne dass jedoch der Erlass des Einkommenssteuerbescheids oder die Bestandskraft eines solchen Bescheids abgewartet werden dürften. Die Geltendmachung vor der Entstehung des Anspruchs wahrt die Ausschlussfrist grundsätzlich nicht ( - AP BAT § 70 Nr. 39 = EzTöD 100 TVöD-AT § 37 Nr. 2; vgl. auch - 4 AZR 924/08 - Rn. 35, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 79 = EzTöD 100 TVöD-AT § 2 Bezugnahmeklausel Nr. 26).

12a) Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin bereits mit dem Antrag vom auf Gewährung von Kindergeld für das Jahr 2005 bis einschließlich August 2006 die Ausschlussfrist des § 63 BMT-G-O gewahrt.

13aa) Das beklagte Land hat sowohl vor als auch nach dem streitbefangenen Zeitraum für den Anspruch auf den Sozialzuschlag keine gesonderte Geltendmachung verlangt. Es hat jeweils bereits den Antrag auf Kindergeld zugleich als ausreichende Geltendmachung des Anspruchs auf den Sozialzuschlag angesehen und dies zur Wahrung der Ausschlussfrist ausreichen lassen, sofern ein Kindergeldanspruch bestand. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat diese Praxis des beklagten Landes nicht nur Bedeutung für die Frage, ob daraus ein schutzwürdiges Vertrauen darauf erwächst, dass tarifliche Ausschlussfristen in Streitfällen nicht zu beachten sind. Eine ordnungsgemäße Geltendmachung ist letztlich nichts anderes als die Klarstellung gegenüber dem Schuldner, dass ein näher bestimmter Anspruch erhoben wird, wobei unmissverständlich dargetan wird, dass auf der Erfüllung dieses Anspruchs bestanden wird ( - Rn. 39, AP BAT-O §§ 22, 23 Nr. 40 = EzTöD 400 Eingruppierung BAT Allg. Verwaltungsdienst VergGr Vc Nr. 2). Dem genügte die Stellung des Kindergeldantrags. Damit hat die Klägerin deutlich gemacht, dass sie mit dem Kindergeld zugleich die Zahlung des davon abhängigen Sozialzuschlags verlangte, wobei sich dessen Höhe aus den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifverträgen ergab. Ein solches Verständnis des Kindergeldantrags entsprach auch der Auffassung des Arbeitgeberkreises der BAT-Kommission vom (vgl. Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Stand Dezember 2003 § 63 Erl. 9.1, S. 45; zur Wahrung des Anspruchs auf den kinderbezogenen Bestandteil im Ortszuschlag bzw. des Anspruchs auf die kinderbezogene Besitzstandszulage durch den Kindergeldantrag vgl. auch Fieberg in Fürst GKöD Bd. IV Stand Februar 2011 E TVöD/TV-L § 37 Rn. 98). Das gilt umso mehr, als in dem Geschäftsbereich des Landes Berlin, in dem die Klägerin tätig ist, Kindergeldanträge und der Sozialzuschlag von derselben Personalstelle bearbeitet wurden. Diesen Erklärungsgehalt des Kindergeldantrags der Klägerin berücksichtigt das Landesarbeitsgericht nicht ausreichend, wenn es die Geltendmachung des Sozialzuschlags „als solchen“ verlangt.

14bb) Das beklagte Land hat, wie sein Verhalten bezüglich des Anspruchs für das Jahr 2006 zeigt, auch einen vor Entstehung des Entgeltanspruchs gestellten Antrag auf Kindergeld für den Anspruch auf Sozialzuschlag ausreichen lassen. Es hat damit zu erkennen gegeben, dass es den Kindergeldantrag, der eine formalisierte Anspruchsüberprüfung für künftige Zeiträume erforderlich macht, für die Geltendmachung des Anspruchs auf den Sozialzuschlag als rechtlich erheblich ansieht (in diesem Sinne auch Fieberg in Fürst GKöD Bd. IV Stand Februar 2011 E TVöD/TV-L § 37 Rn. 98).

15cc) Entgegen der Auffassung des beklagten Landes war für die fristgerechte Geltendmachung des Sozialzuschlags nicht deshalb ein gesonderter Antrag erforderlich, weil der Anspruch auf Kindergeld zunächst streitig war und der Klägerin nur aufgrund der verfassungskonformen Auslegung des § 32 Abs. 4 EStG durch das Bundesverfassungsgericht ( - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164) Kindergeld zustand. Nach der in dem für die Klägerin zuständigen Verwaltungsbereich geübten Praxis des beklagten Landes hat der Sozialzuschlag stets das rechtliche Schicksal des Kindergeldanspruchs geteilt. Das hat das beklagte Land für die Zeit ab dem nicht anders gesehen, obwohl es auch insoweit den Anspruch auf das Kindergeld zunächst abgelehnt hatte und Kindergeld erst aufgrund der Auslegung des § 32 Abs. 4 EStG durch das Bundesverfassungsgericht bewilligt worden war. Es hat den Anspruch der Klägerin auf den Sozialzuschlag insoweit ohne gesonderte Geltendmachung allein aufgrund des Kindergeldantrags erfüllt.

16dd) Auch die Bestandskraft des auf den Kindergeldantrag vom ergangenen abschlägigen Bescheids vom steht der Wahrung der Ausschlussfrist des § 63 BMT-G-O für den Anspruch auf den Sozialzuschlag nicht entgegen. Im Unterschied zum Kindergeldbescheid als Verwaltungsakt konnte die Ablehnung des darin zugleich liegenden Antrags auf die Gewährung des Sozialzuschlags nicht in Bestandskraft erwachsen und damit keine endgültige anspruchsvernichtende Wirkung entfalten. Die Ablehnung des Anspruchs durch den Arbeitgeber erzwingt bei einstufigen Ausschlussfristen wie der des § 63 BMT-G-O keine weiteren Handlungen des Arbeitnehmers zur Anspruchswahrung. Bei demselben Sachverhalt genügt vielmehr gemäß § 63 Abs. 2 BMT-G-O ein einmaliger, in die Zukunft fortwirkender Akt zur Wahrung auch künftiger Ansprüche. Derselbe Sachverhalt liegt dann vor, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage Ansprüche aus einem bestimmten Tatbestand herzuleiten sind ( - Rn. 18, AP BAT § 70 Nr. 39 = EzTöD 100 TVöD-AT § 37 Nr. 2). Hier war die rechtliche und tatsächliche Lage vor und nach dem Bescheid vom unverändert. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom (- 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164) bereits die im Jahr 1998 geltende Fassung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform dahin ausgelegt, dass Einkünfte des Kindes nur soweit in den Jahresgrenzbetrag einfließen, wie sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung dienen, sodass die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge nicht in die Bemessungsgröße einzubeziehen sind. Nach der bereits vor Antragstellung am geltenden Rechtslage hätte also der Klägerin - wenn nicht der Bescheid vom bestandskräftig geworden wäre - auch für die Zeit von Januar bis einschließlich März 2005 Kindergeld zugestanden. Mit ihrem Kindergeldantrag vom hat sie deshalb ungeachtet der Bestandskraft des Bescheids vom ihre Ansprüche auf den Sozialzuschlag für die Zeit ab , in der diese von der Bestandskraft des Bescheids auch nicht mittelbar erfasst waren, ausreichend geltend gemacht.

17b) Jedenfalls mit ihrem erneuten Antrag auf Bewilligung von Kindergeld vom sowie mit ihrem Widerspruch vom hat die Klägerin die Ausschlussfrist für den streitbefangenen Zeitraum gewahrt. Das gilt auch für den Anspruch auf den Sozialzuschlag für den April 2005.

18aa) Der Sozialzuschlag wird gemäß § 33 „neben dem Lohn“ gezahlt. Für ihn gelten deshalb dieselben Fälligkeitsvorschriften wie für den Lohn als solchen (Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Stand Mai 2003 § 26a Erl. 3). Der Sozialzuschlag für April 2005 war grundsätzlich am zur Zahlung fällig, weil der als Monatsletzter ein Samstag war. Deshalb war Zahltag gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 BMT-G-O der 29. April als vorhergehender Werktag. Nach § 26a Abs. 1 Satz 2 BMT-G-O muss der Lohn am Zahltag für den Arbeiter verfügbar sein. Die Ausschlussfrist für den Monat April 2005 begann gemäß § 187 Abs. 1 BGB damit grundsätzlich am zu laufen und hätte gemäß § 188 Abs. 2 BGB am geendet (vgl. für §§ 36 und 70 BAT Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand Juli 2010 § 70 Erl. 9.1). Dieser Tag war jedoch ein Samstag, sodass die Frist erst am Montag, dem 31. Oktober, ablief (§ 193 BGB). Die bis zum Bekanntwerden der Entscheidung des - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164) mit der Pressemitteilung Nr. 40/2005 vom bestehende Ungewissheit über die Einbeziehung der Sozialversicherungsbeiträge in die Bemessungsgröße hinderte den Lauf der Ausschlussfrist nicht ( - Rn. 19 f., BAGE 125, 216).

19bb) Ob der Antrag der Klägerin vom noch am selben Tag dem beklagten Land zugegangen ist, kann allerdings dahinstehen. Am konnte die Klägerin nämlich die zu berücksichtigenden Einkünfte ihrer Tochter noch nicht endgültig überblicken. In den Fällen, in denen ungewiss ist, ob die Einkommensgrenze des § 32 Abs. 4 EStG erreicht oder überschritten wird, beginnt die Ausschlussfrist erst in dem Moment zu laufen, in dem die Einkünfte des Kindes überschaubar sind ( - Rn. 20, AP BAT § 70 Nr. 39 = EzTöD 100 TVöD-AT § 37 Nr. 2).

20(1) Ob und wann der Klägerin die von ihr im Antrag vom geltend gemachten erhöhten Werbungskosten von 1.363,60 Euro bekannt geworden sind, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Diese Werbungskosten hätten ohnehin noch nicht zum Unterschreiten des Grenzbetrages geführt. Dafür wären ausweislich des Bescheids vom anerkennungsfähige Werbungskosten in einer Gesamthöhe von 2.523,48 Euro erforderlich gewesen.

21(2) Die endgültige Höhe von Werbungskosten ist jedoch im Regelfall erst am Ende des Jahres überschaubar. Auch unvorhergesehene Ereignisse wie Unfälle mit dem eigenen Fahrzeug bei beruflich veranlassten Fahrten (zur Berücksichtigungsfähigkeit von derartig veranlassten Reparaturkosten siehe  - BFHE 166, 502) oder ein Umzug, der zu einer Verlängerung der täglichen Fahrtstrecke zur Arbeit und damit zu einer Erhöhung der absetzungsfähigen Fahrtkosten führt, können zur Unterschreitung des Grenzbetrages des § 32 Abs. 4 EStG führen. Schließlich kann - etwa durch den Abbruch der Ausbildung und den dadurch eintretenden Verlust tariflicher Sonderzahlungen - ungeachtet der Zwölftelungsregelung in § 32 Abs. 4 Satz 7 und Satz 8 EStG auch das Einkommen die prognostizierte Höhe unterschreiten (vgl.  -).

22(3) Angesichts vorstehend nur beispielhaft aufgezeigter Ungewissheiten ist im Regelfall bis zum Jahresende ungewiss, ob der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 EStG überschritten wird. Nur wenn besondere Umstände im Einzelfall bereits vorher für Gewissheit sorgen, kann vor diesem Zeitpunkt ein Anlaufen der Ausschlussfrist angenommen werden. Derartige Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich.

23(4) Die Unsicherheit über die Höhe der Bezüge war am auch noch rechtlich relevant. Zu diesem Zeitpunkt war die erst am veröffentlichte Entscheidung des - 2 BvR 167/02 - BVerfGE 112, 164) noch nicht bekannt. Damit war für die Klägerin am noch nicht erkennbar, dass sie unabhängig von der Höhe der Werbungskosten ihrer Tochter im Jahr 2005 für dieses Jahr einen Kindergeldanspruch hatte.

243. Der Klägerin steht ein monatlicher Sozialzuschlag von 88,03 Euro brutto zu, woraus sich für die neun streitbefangenen Monate ein Gesamtanspruch von 792,27 Euro ergibt.

25a) Die Klägerin hat ihren Anspruch anhand eines festen Prozentsatzes von 5,1346725 % aus dem Monatstabellenlohn ermittelt. Diese Berechnungsweise entspricht nicht der tariflich vorgesehenen.

26b) § 33 BMT-G-O verweist hinsichtlich der Höhe des Sozialzuschlags auf § 29 BAT-O, wobei die Verhältnisse eines Angestellten der Tarifklasse II zugrunde zu legen sind.

27c) Für das Land Berlin fand der BMT-G-O im streitbefangenen Zeitraum nach den Maßgaben des Anwendungs-TV Land Berlin Anwendung. Gemäß § 2 Abs. 2 dieses Tarifvertrags fanden auf die Arbeiter die zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) und ver.di vereinbarten, für Arbeiter geltenden Tarifverträge in der am geltenden Fassung Anwendung, wobei noch die sich durch die Tarifverträge vom ergebenden Änderungen zu berücksichtigen waren. Diese Vergütung wurde sodann pauschal abgesenkt.

28Der Sozialzuschlag war gemäß § 4 Abschn. B Abs. 1 Anwendungs-TV Land Berlin für Arbeiter der Lohngruppen 1 bis 6a, zu denen die in die Lohngruppe 2 eingruppierte Klägerin gehörte, auf 92 % abgesenkt. Dabei war allerdings für die Arbeiter, die wie die Klägerin den im Beitrittsgebiet geltenden Tarifverträgen unterfielen, das Gesetz zur Angleichung der Einkommensverhältnisse im öffentlichen Dienst Berlins (Einkommensangleichungsgesetz - EinkommAngG) vom (GVBl. BE S. 225) zu berücksichtigen. Nach § 1 Ziff. 3 dieses Gesetzes war den Arbeitnehmern, die Anspruch auf Bezahlung nach Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes des Tarifrechtskreises Ost hatten, seit dem eine Vergütung von 100 % der im Tarifrechtskreis West des jeweiligen Arbeitgebers für Angestellte bzw. Arbeiter zustehenden Beträge zu zahlen.

29d) Aufgrund dieser Verweisungskette steht der ausweislich der zur Akte gelangten Abrechnungen im streitbefangenen Zeitraum durchgehend vollzeitbeschäftigten Klägerin ein Sozialzuschlag wie einem im Tarifrechtskreis West beschäftigten Angestellten von 90,57 Euro brutto monatlich zu (vgl. auch Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Stand Mai 2003 § 33 Anm. 12), der gemäß § 5 Abs. 2 des Vergütungstarifvertrags Nr. 35 zum BAT für den Bereich der VKA vom ua. für die Vergütungsgruppen X, IX und Kr. I für das erste berücksichtigungsfähige Kind um 5,11 Euro zu erhöhen war. Nach § 5 Abs. 1 des Monatslohntarifvertrags Nr. 28 zum BMT-G vom stehen den Angestellten der Vergütungsgruppen X, IX und Kr. I die Arbeiter mit einer Entlohnung nach den Lohngruppen 1a und 2 gleich. Der sich so insgesamt ergebende Betrag von 95,68 Euro ist gemäß § 4 Abschn. B Abs. 1 Satz 1 Anwendungs-TV Land Berlin auf 92 % und damit auf 88,03 Euro brutto monatlich zu kürzen. Daraus ergibt sich für den streitbefangenen Zeitraum von neun Monaten ein Gesamtbetrag von 792,27 Euro brutto.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren zu weniger als 10 % unterlegen, sodass von der Regelung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Gebrauch gemacht werden kann ( - Rn. 26, EzTöD 200 TV-L Stufenzuordnung Nr. 6).

Fundstelle(n):
UAAAD-98676