Anordnung der Sicherungsverwahrung auf Grund einer Einheitsjugendstrafe
Gesetze: § 66 Abs 3 S 2 StGB vom , § 31 JGG
Instanzenzug: LG Neubrandenburg Az: 8 KLs 70/10 - 833 Js 15121/10
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die sie auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkt hat.
2Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
3Nach den Feststellungen sprach das Amtsgericht Ueckermünde den Angeklagten mit Urteil vom des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig und setzte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung aus. Der Angeklagte hatte im Dezember 2002 ein ihm unbekanntes sechsjähriges Mädchen dazu veranlasst, sich auszuziehen und nackt mit dem Rücken auf ein Sofa zu legen. Anschließend hatte sich der bis auf einen Pullover entkleidete Angeklagte mit dem Bauch auf den Körper des Kindes gelegt. Als das Mädchen begonnen hatte zu weinen, hatte der Angeklagte ihm zunächst den Mund mit einer Hand zugehalten, dann aber aus Mitleid von ihm abgelassen. Am verurteilte das Amtsgericht Pasewalk den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Ueckermünde vom zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte Ende 2005/Anfang 2006 einem zwölf Jahre alten Jungen die Hosen heruntergezogen und ihn durch Festhalten mit den Händen dazu gezwungen hatte zu erdulden, dass der Angeklagte an dem Geschlechtsteil des Jungen manipuliert, und es schließlich auch in den Mund genommen hatte. Die Jugendstrafe verbüßte der Angeklagte vollständig bis zum . Anschließend unterlag er der Führungsaufsicht, in deren Rahmen ihm u.a. die Weisung erteilt wurde, keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen.
4Bei der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten, am begangenen Tat sprach der Angeklagte einen ihm unbekannten neunjährigen Jungen auf der Straße an, lockte ihn unter einem Vorwand in seine Wohnung und veranlasste ihn, sich zu entkleiden. Dem nackt auf einer Couch liegenden Kind führte der Angeklagte, der sich selbst Hose und Unterhose ausgezogen hatte, einen Plastikschlauch in den Anus bis zum Rektum ein und ließ anschließend Wasser über den Schlauch in den Darm des Kindes laufen. Das Einführen des Plastikschlauchs führte - vom Angeklagten billigend in Kauf genommen - zu Einrissen im Anus sowie zu Verletzungen der Anal- und Rektumschleimhaut.
5Eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht abgelehnt, weil es die formellen Voraussetzungen für die Anordnung dieser Maßregel als nicht erfüllt angesehen hat.
II.
6Die wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkte Revision ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. zu Recht verneint.
71. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel wirksam auf die Frage der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. , NStZ-RR 2010, 239; vom - 3 StR 122/09; vom – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213). Ein Ausnahmefall, in welchem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (vgl. , NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor.
82. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach der Bestimmung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F., die bei vor dem begangenen Anlasstaten nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 316e Abs. 1 und 2 EGStGB sowie der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom – 2 BvR 2365/09 (NJW 2011, 1931, Rn. 172) getroffenen Fortgeltungsanordnung weiterhin Anwendung findet, setzt in formeller Hinsicht voraus, dass der Täter zwei Katalogtaten im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F. begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat, und er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Verwirkt ist bei einer bereits abgeurteilten Tat (vgl. , aaO) die tatsächlich verhängte Strafe (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in LK, 12. Aufl., § 66 Rn. 85, und Fischer, StGB, 58. Aufl., § 66 Rn. 12, jew. zu § 66 Abs. 2 StGB). Bei einer einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 JGG gelten die gleichen Grundsätze, wie sie die Rechtsprechung für den Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 StGB entwickelt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 104/10, NStZ-RR 2011, 170; vom – 2 StR 28/07, NStZ-RR 2007, 171; vom – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Urteil vom – 5 StR 115/75, BGHSt 26, 152). Danach erfüllt eine Einheitsjugendstrafe die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. nur dann, wenn zu erkennen ist, dass gegen den Täter wenigstens bei einer ihr zugrunde liegenden Katalogtat eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist eine im Wesentlichen tatrichterliche Aufgabe, die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Davon, dass im Falle gesonderter Aburteilung der Katalogtat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre, darf nur ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber treffen kann, wie der Richter des Vorverfahrens die einzelnen der Vorverurteilung zu Grunde liegenden Taten bewertet hat. Er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (, aaO). Als Grundlage für die erforderlichen Feststellungen zu der Bewertung der Katalogtat im früheren Verfahren kommen in erster Linie die jugendgerichtlichen Strafzumessungserwägungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 337/96, StV 1998, 343; vom – 5 StR 251/90, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 6), daneben aber auch die Höhe der Einheitsjugendstrafen in der Vorverurteilung und möglicherweise einbezogenen Urteilen sowie Zahl und Art der abgeurteilten Taten in Betracht (vgl. , NJW 1999, 3723, 3724; vom – 1 StR 167/78; vom – 5 StR 115/75, aaO 155).
9Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht beachtet. Es hat die Strafzumessungserwägungen aus dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk und die zu den beiden abgeurteilten Katalogtaten jeweils getroffenen Sachverhaltsfeststellungen im Einzelnen mitgeteilt und sich auf dieser Grundlage außer Stande gesehen festzustellen, dass für die Ende 2005/Anfang 2006 begangene Tat bei gesonderter Aburteilung eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts Pasewalk befassen sich maßgeblich mit erzieherischen Gesichtspunkten und enthalten keine Ausführungen zur Bewertung der einzelnen Taten oder zu deren Gewichtung im Verhältnis zueinander. Auch die jeweiligen Tatgeschehen und ihre rechtliche Würdigung lassen keinen tragfähigen Schluss dahin zu, dass allein für die zuletzt begangene Tat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre. Auf die weiteren Erwägungen der Strafkammer zu den vom damaligen Tatrichter mit der Anwendung von Jugendstrafrecht verfolgten Intentionen kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Da es maßgeblich auf die tatsächlich verhängte Strafe ankommt, ist es schließlich auch ohne Bedeutung, dass die Ahndung der dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk zugrunde liegenden Tat zu Unrecht nach Jugendstrafrecht erfolgte und der Tatrichter bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht von der Strafandrohung des § 176a Abs. 2 und 4 StGB hätte ausgehen müssen.
10Da aus den dargelegten Gründen auch nicht festgestellt werden kann, dass für beide Vortaten bei isolierter Aburteilung jeweils Jugendstrafen von mindestens einem Jahr verhängt worden wären, liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB a.F. ebenfalls nicht vor.
III.
11Bleibt die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos, hat der Nebenkläger seine im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. , bei Becker, NStZ-RR 2006, 65, 67; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 90).
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin
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Fundstelle(n):
DAAAD-98284