Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug: AG Hamburg-Mitte, 219i XIV 91/11 vom
Gründe
I. Der Betroffene, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, reiste am aus Polen kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt; zugleich wurde er zum Verlassen der Bundesrepublik aufgefordert. Der entsprechende Bescheid ist seit dem bestandkräftig. Für die Beteiligte zu 2 war der Betroffene seit diesem Zeitpunkt nicht erreichbar. Sie beantragte deshalb Anfang Januar 2010 die Ausschreibung einer Personenfahndung.
Am wurde der Betroffene in Hamburg vorläufig festgenommen. Die Beteiligte zu 2 beantragte am bei dem Amtsgericht Hamburg die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum . Sie kündigte an, dass die Ausländerbehörde Hamburg für sie im Rahmen der Amtshilfe tätig werde. Das Amtsgericht hat, gestützt auf § 62 Abs. 2 AufenthG, an demselben Tag nach Anhörung des Betroffenen, bei welcher der Vertreter der Ausländerbehörde Hamburg erklärt hat, die Haftdauer könne auf sechs Wochen beschränkt werden, die Abschiebungshaft bis zum angeordnet; es habe der begründete Verdacht bestanden, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wolle. Die Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene die Feststellung erreichen, dass der Beschluss des Amtsgerichts und der Beschluss des Landgerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.
II. Das Beschwerdegericht meint, die Haftanordnung sei rechtmäßig gewesen. Der Haftantrag genüge den in § 417 Abs. 2 FamFG enthaltenen Anforderungen. Selbst wenn man unterstelle, dass die in dem Haftantrag beantragte Haftdauer nicht hinreichend konkret begründet worden sei, sei ein solcher etwaiger Mangel jedenfalls durch die zu Protokoll des Haftrichters erklärte Ergänzung der Begründung, für die Beschaffung der Passersatzpapiere sei eine Frist von sechs Wochen ausreichend, geheilt worden. Die Haftanordnung sei auch materiell rechtmäßig. Es habe der in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannte Haftgrund vorgelegen.
III. 1. Die Rechtsbeschwerde ist - nachdem sich die Hauptsache erledigt hat - mit dem Feststellungantrag analog § 62 FamFG nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft (siehe nur Senat, Beschlüsse vom - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 und vom - V ZB 96/10 Rn. 10, [...]) und nach § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegt.
2. Das Rechtsmittel ist in der Sache begründet, weil sowohl die Beschwerdeentscheidung als auch die Haftanordnung, die im Fall der Erledigung ebenfalls Gegenstand der Überprüfung ist (Senat, Beschluss vom - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152 Rn. 14; Beschluss vom - V ZB 119/10 Rn. 6, [...]), einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten.
a) Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.
aa) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nach § 417 Abs. 1 FamFG nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. Der Antrag ist nach Maßgabe des § 417 Abs. 2 FamFG zu begründen. Die Begründung ist zwingend; ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Senat, Beschluss vom - V ZB 119/10, Rn. 10, [...]). Für Abschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführung der Abschiebung und der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FamFG). Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und gegebenenfalls für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht werden (Senat, Beschluss vom - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14).
bb) Zuständige Verwaltungsbehörde war die Beteiligte zu 2. Sie hat den schriftlichen Haftantrag gestellt. Der für sie bei der Anhörung des Betroffenen vor dem Amtsgericht aufgetretene Vertreter der Ausländerbehörde Hamburg war nicht befugt, den Haftantrag und seine Begründung zu ändern, indem er anstelle der von der Beteiligten zu 2 beantragten Haftdauer von drei Monaten wegen der kürzeren notwendigen Zeit für die Beschaffung der Passersatzpapiere eine Haftdauer von sechs Wochen beantragte.
(1) Dies ging über die Voraussetzungen für ein Tätigwerden in Amtshilfe hinaus. Sie umfasst nur eine auf Ersuchen einer anderen Behörde geleistete ergänzende Hilfe und ist deshalb notwendig auf bestimmte Teilakte eines Verwaltungsverfahrens begrenzt und darf nicht mit der vollständigen Übernahme von Verwaltungsaufgaben einhergehen ( Rn. 23, [...]). Demnach handelte es sich bei der Änderung des Haftantrags nicht um eine Amtshilfehandlung. Dies ergibt sich bereits aus dem Amtshilfeersuchen vom , welches sich nicht darauf beschränkt, die Hamburger Ausländerbehörde um eine einzelne Unterstützungshandlung zu ersuchen. Vielmehr wird darin um "Amtshilfe zur Abschiebung" ersucht, das Vorliegen der Abschiebungsvoraussetzungen wird dargelegt, und es wird gebeten, nach erfolgter Abschiebung die bei der Ausländerbehörde Hamburg entstandenen Vorgänge einschließlich der Ausreisebestätigung an die Beteiligte zu 2 zu übersenden. Auch aus dem Hinweis in dem schriftlichen Haftantrag, dass die Ausländerbehörde für die Beteiligte zu 2 im Rahmen der Amtshilfe tätig werde, wird nicht ersichtlich, dass die Hamburger Ausländerbehörde um eine einzelne Unterstützungshandlung wie z.B. die Vertretung in dem Termin zur Anhörung des Betroffenen ersucht worden wäre. Damit gab die Beteiligte zu 2 das weitere Verfahren der Abschiebung aus der Hand und legte es in die Verantwortung der Ausländerbehörde Hamburg. Eigene weitere Maßnahmen zum Zweck der angestrebten Abschiebung des Betroffenen waren offenbar nicht vorgesehen; Kontroll- und Einflussmöglichkeiten auf künftige Verfahrensschritte behielt sich die Beteiligte zu 2 nicht vor. Dieses Vorgehen übersteigt die Grenzen eines Amtshilfeersuchens (vgl. Rn. 24, [...]).
(2) Eine dementsprechende Übernahmeabsicht kommt in den Aktivitäten der Ausländerbehörde Hamburg zum Ausdruck. Sie hat - jeweils ohne Hinweis auf ein Tätigwerden in Amtshilfe - nach einem Vermerk des telefonisch um die Bestimmung eines Termins zur Anhörung des Betroffenen gebeten, sie hat in dem Anhörungstermin eine kürzere Haftdauer als die Beteiligte zu 2 beantragt und diese Antragsänderung mit der für sie notwendigen kürzeren Zeit für die Beschaffung von Passersatzpapieren begründet, und sie hat in dem Beschwerdeverfahren die Zurückweisung des Rechtsmittels beantragt und diesen Antrag begründet. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie die Verantwortung für die gesamte weitere Durchführung zumindest des Abschiebungshaftverfahrens bei sich gesehen hat. Davon sind offensichtlich auch das Amtsgericht und das Beschwerdegericht ausgegangen. Anders ist es nicht zu erklären, weshalb sie in ihren Beschlüssen jeweils die Ausländerbehörde Hamburg und nicht die zuständige Ausländerbehörde als Beteiligte an dem Verfahren aufgeführt haben.
cc) Damit liegt, was in der Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend geltend gemacht wird, kein von der zuständigen Behörde gestellter Haftantrag (§ 417 Abs. 1 FamFG) vor; die Haftanordnung ist deshalb rechtswidrig. Darauf, ob die Haft zu Recht angeordnet worden ist, kommt es nicht an; denn nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden (Senat, Beschluss vom - V ZB 239/10 Rn. 6, [...]).
b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts erweist sich somit als rechtsfehlerhaft. Darüber hinaus hat sie den Betroffenen deshalb in seinen Rechten verletzt, weil das Beschwerdegericht nicht von der Anhörung des Betroffenen absehen durfte.
aa) Eine solche Anhörung ist auch im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich erforderlich. Davon kann nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG nur abgesehen werden, wenn eine persönliche Anhörung des Betroffenen in erster Instanz erfolgt ist und zusätzliche Erkenntnisse durch eine erneute Anhörung nicht zu erwarten sind (siehe nur Senat, Beschluss vom - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 329 Rn. 13).
bb) So lag es hier nicht. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung ausschließlich auf den in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannten Haftgrund gestützt. Demgegenüber hat das Amtsgericht mit der Formulierung in dem Haftbeschluss, es bestehe der begründete Verdacht, dass sich der Betroffene der geplanten Abschiebung entziehen wolle, zu erkennen gegeben, dass es von dem Vorliegen des in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG genannten Haftgrundes ausgegangen ist. Bei dieser Sachlage durfte das Beschwerdegericht die Fortdauer der Haft nicht auf einen anderen Haftgrund stützen, ohne zuvor dem Betroffenen die Gelegenheit zu geben, dazu Stellung zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als der in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genannte Haftgrund nur unter besonderen Voraussetzungen angenommen werden darf. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und er seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter welcher er erreichbar ist; der nicht angezeigte Aufenthaltswechsel begründet in diesem Fall die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird. Wegen dieser einschneidenden Folge muss die Ausländerbehörde in der Regel auf die Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 5 AufenthG und die mit einem Unterlassen der Anzeige des Aufenthaltswechsels verbundenen Folgen hinweisen. Bei der Anwendung der Vorschrift ist zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der in Ausnahmefällen dazu führt, dass die Vermutung widerlegt werden kann (siehe zu allem Senat, Beschluss vom - V ZB 36/11 Rn. 10, [...] mwN).
IV. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, das Land Schleswig-Holstein als der Körperschaft, der die Beteiligte zu 2 angehört, zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. § 430 FamFG).
2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 Abs. 2 KostO.
Fundstelle(n):
OAAAD-98250