Leitsatz
Leitsatz:
Die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission vom geänderten Fassung verwehren es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Instanzenzug: LG Baden-Baden vom
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom über den Führerschein (ABl. L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission vom (ABl. L 237, S. 45) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439) sowie des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über den Führerschein (ABl. L 403, S. 18).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Apelt wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 lautet:
"Um einen Beitrag zur gemeinsamen Verkehrspolitik zu leisten, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und die Freizügigkeit von Personen zu erleichtern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, ist ein einzelstaatlicher Führerschein nach EG-Muster wünschenswert, den die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen und der nicht umgetauscht werden muss."
Gemäß dem vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/439 sind aus Gründen der Sicherheit im Straßenverkehr Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festzulegen.
In Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 91/439 heißt es:
"(1) Die Mitgliedstaaten stellen den einzelstaatlichen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem EG-Muster in Anhang I oder Ia aus. ...
(2) Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt."
Art. 3 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
"(1) Der Führerschein nach Artikel 1 berechtigt zum Führen von Fahrzeugen folgender Klassen:
...
Klasse B:
- Kraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 3 500 kg und mit nicht mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz; ...
...
Klasse D:
- Kraftwagen zur Personenbeförderung mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz; ...
...
(2) Innerhalb der Klassen A, B, B + E, C, C + E, D und D + E kann für das Führen von Fahrzeugen folgender Unterklassen ein besonderer Führerschein ausgestellt werden ..."
Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439 lautet:
"Die Ausstellung des Führerscheins unterliegt folgenden Bedingungen:
a) ein Führerschein für die Klassen C und D kann nur Fahrzeugführern ausgestellt werden, die bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind".
Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 bestimmt:
"Die Ausstellung des Führerscheins hängt außerdem ab
...
b) vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student - während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten - im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats."
Nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 91/439 kann jede Person nur Inhaber eines einzigen Führerscheins sein.
Art. 8 Abs. 2 und 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 sieht vor:
"(2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen.
...
(4) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde."
Nach Anhang II Abschnitt I Titel A Punkt 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 kann jeder Bewerber um eine Fahrerlaubnis, der schon die Prüfung der Kenntnisse für eine Fahrerlaubnis in einer anderen Klasse erfolgreich abgelegt hat, von den unter den Punkten 2 bis 4 vorgesehenen gemeinsamen Bestimmungen befreit werden.
In Anhang II Abschnitt I Titel A Punkt 2 wird der Inhalt der Prüfung der Kenntnisse für alle Fahrzeugklassen festgelegt. In Punkt 3 sind besondere Bestimmungen für die Klassen A und A1 vorgesehen und in Punkt 4 besondere Bestimmungen für die Klassen C, C + E, D, D + E, C1, C1 + E, D1 und D1 + E.
Art. 11 Abs. 1 und 4 der Richtlinie 2006/126 bestimmt:
"1. Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so kann er einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen. Es ist Sache des umtauschenden Mitgliedstaats, zu prüfen, für welche Fahrzeugklasse der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist.
...
4. Ein Mitgliedstaat lehnt es ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen.
Ein Mitgliedstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.
Ein Mitgliedstaat kann es ferner ablehnen, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben wurde, einen Führerschein auszustellen."
Nationales Recht
§ 28 Abs. 1 und 4 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung) vom (BGBl. 1998 I S. 2214) in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung lautet:
"(1) Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz ... in der Bundesrepublik Deutschland haben, dürfen - vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 - im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. ...
...
(4) Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis,
...
3. denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist ..."
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes in der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung sieht vor:
"(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat oder ihm das Führen des Fahrzeugs nach § 44 des Strafgesetzbuchs oder nach § 25 dieses Gesetzes verboten ist ..."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Herrn Apelt, der deutscher Staatsangehöriger ist, wurde am von den zuständigen Behörden des Landkreises Verden (Deutschland) ein Führerschein der Klassen 1a, 1b, 3, 4 und 5 ausgestellt.
Am wurde Herr Apelt in Deutschland beim Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand angetroffen. Am Tag darauf wurde sein Führerschein von den deutschen Behörden in polizeiliche Verwahrung genommen.
Am wurde Herr Apelt vom Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt. Sein Führerschein wurde eingezogen, ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und gegen ihn eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis verhängt, die am ablief.
Am , d. h., bevor sein Führerschein in Deutschland gerichtlich eingezogen wurde, aber nachdem dieser von den deutschen Behörden in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, wurde Herrn Apelt von den zuständigen tschechischen Behörden eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B erteilt und am selben Tag ein entsprechender Führerschein ausgestellt. Der in diesem Führerschein eingetragene Wohnsitz befindet sich in Deutschland.
Am , also nach Ablauf der vom Amtsgericht Osterholz-Scharmbeck gegen ihn verhängten Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis, wurde Herrn Apelt von den tschechischen Behörden eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D erteilt. Am selben Tag wurde ihm ein entsprechender Führerschein ausgestellt, in dem ein Wohnsitz in der Tschechischen Republik und das Datum der Ausstellung eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B, der , eingetragen ist.
Am wurde Herr Apelt im Gebiet der Gemeinde Achern (Deutschland) als Führer eines Kraftomnibusses angetroffen. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Amtsgericht Achern den Erlass eines Strafbefehls gegen Herrn Apelt wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Das Amtsgericht Achern lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass die nach Ablauf der Sperrfrist von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der Klasse D erteilte Fahrerlaubnis in Deutschland gültig sei.
Die Staatsanwaltschaft legte gegen den entsprechenden Beschluss sofortige Beschwerde beim Landgericht Baden-Baden ein und trug dazu vor, dass die für Deutschland unwirksame Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B notwendiger Bestandteil der Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D sei.
Unter diesen Umständen hat das Landgericht Baden-Baden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Darf ein Mitgliedstaat - unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439, wonach ein Führerschein für die Klasse D nur Fahrzeugführern ausgestellt werden darf, die bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind - in Übereinstimmung mit Art. 1 und Art. 8 Abs. 2 und 4 derselben Richtlinie ablehnen, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten, die Fahrerlaubnisklassen B und D umfassenden Führerscheins - insbesondere hinsichtlich der Klasse D - anzuerkennen, wenn dem Inhaber dieses Führerscheins die Fahrerlaubnis der Klasse B vor einer im erstgenannten Mitgliedstaat erfolgten gerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis erteilt worden war, diejenige der Klasse D jedoch erst nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der zugleich mit dieser verhängten Sperrfrist für die Neuerteilung?
2. Für den Fall, dass die erste Frage verneint werden sollte:
Darf der erstgenannte Mitgliedstaat die Anerkennung des genannten Führerscheins - insbesondere hinsichtlich der Fahrerlaubnisklasse D - in Anwendung von Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126, wonach ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Führerscheins entzogen worden ist, ablehnen, wenn die Fahrerlaubnis der Klasse B am und diejenige der Klasse D am erteilt wurde und der Führerschein am zuletzt genannten Tag ausgestellt wurde?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat - unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439, wonach ein Führerschein für die Klasse D nur Fahrzeugführern ausgestellt werden darf, die bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind - es in Übereinstimmung mit den Art. 1 und 8 Abs. 2 und 4 dieser Richtlinie ablehnen darf, die Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten, die Fahrerlaubnisklassen B und D umfassenden Führerscheins - insbesondere hinsichtlich der Klasse D - anzuerkennen, wenn dem Inhaber dieses Führerscheins die Fahrerlaubnis der Klasse B vor einer im erstgenannten Mitgliedstaat erfolgten gerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis erteilt worden war, diejenige der Klasse D jedoch erst nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der zugleich mit dieser verhängten Sperrfrist für die Neuerteilung.
Zu ergänzen ist, dass das vorlegende Gericht darlegt, dass der Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B von den tschechischen Behörden ausgestellt wurde, bevor Herrn Apelt in Deutschland die Fahrerlaubnis gerichtlich entzogen wurde, aber nachdem sein deutscher Führerschein von den deutschen Behörden in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, und dass sowohl diese letztgenannte Maßnahme als auch die gerichtliche Entziehung aus Gründen gerechtfertigt sind, die zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B durch die tschechischen Behörden vorlagen. Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich der in diesem Führerschein eingetragene Wohnsitz von Herrn Apelt in Deutschland befindet.
Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 hängt die Ausstellung des Führerscheins indessen u. a. vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes oder vom Nachweis der Eigenschaft als Student - während eines Mindestzeitraums von sechs Monaten - im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedstaats ab.
Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist die Vorlagefrage daher so zu verstehen, dass damit gefragt wird, ob die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Aufnahmemitgliedstaat verwehren, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Nach gefestigter Rechtsprechung sieht Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und genaue Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen lässt, die zu ergreifen sind, um dieser Verpflichtung nachzukommen (Urteil vom , Grasser, C-184/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist Aufgabe des Ausstellungsmitgliedstaats, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen des Art. 7 Abs. 1 der genannten Richtlinie hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (Urteil Grasser, Randnr. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wenn die Behörden eines Mitgliedstaats einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist nämlich als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllte (Urteil Grasser, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aus dem Urteil vom , Weber (C-1/07, Slg. 2008, I-8571), geht indessen hervor, dass Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung einer Fahrberechtigung abzulehnen, die sich aus einem in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, auf dessen Inhaber im erstgenannten Mitgliedstaat eine Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis, wenn auch erst nach der Erteilung des fraglichen Führerscheins, angewendet wurde, sofern dieser Führerschein während der Dauer der Gültigkeit einer Maßnahme der Aussetzung der im erstgenannten Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis ausgestellt wurde und sowohl diese Maßnahme als auch der Entzug aus zum Zeitpunkt der Ausstellung des zweiten Führerscheins bereits vorliegenden Gründen gerechtfertigt sind.
Im Ausgangsverfahren wurde die Fahrerlaubnis gerichtlich entzogen, nachdem Herrn Apelt von den tschechischen Behörden ein Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt worden war. Allerdings wurde dieser Führerschein ausgestellt, während sich der Herrn Apelt in Deutschland ausgestellte Führerschein dort in polizeilicher Verwahrung befand.
Die polizeiliche Verwahrung kann, wie das vorlegende Gericht darlegt, als Aussetzung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 gewertet werden. Diese Richtlinie verwehrt es den deutschen Behörden demnach nicht, es abzulehnen, in ihrem Hoheitsgebiet den Herrn Apelt von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellten Führerschein anzuerkennen, da sowohl die polizeiliche Verwahrung durch die deutschen Behörden als auch die gerichtliche Entziehung aus Gründen gerechtfertigt sind, die zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins vorlagen.
In jedem Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich der in diesem Führerschein ausgewiesene Wohnsitz in Deutschland befindet. Die Nichtbeachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 91/439 kann es bereits für sich genommen rechtfertigen, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ablehnt.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht nämlich hervor, dass die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht verwehren, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet den von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein anzuerkennen, wenn aufgrund von Angaben in diesem Führerschein feststeht, dass die den ordentlichen Wohnsitz betreffende Voraussetzung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie nicht beachtet wurde (Urteil Grasser, Randnr. 33).
Folglich waren die deutschen Behörden berechtigt, die Anerkennung eines Führerscheins, wie er Herrn Apelt von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt wurde, abzulehnen.
Was die Frage anbelangt, ob ein Mitgliedstaat es ablehnen kann, einen Führerschein wie den Herrn Apelt von den tschechischen Behörden für Fahrzeuge der Klasse D ausgestellten anzuerkennen, ist darauf hinzuweisen, dass aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439 hervorgeht, dass ein Führerschein für Fahrzeuge der Klasse D nur Fahrzeugführern ausgestellt werden kann, die bereits zum Führen von Fahrzeugen der Klasse B berechtigt sind.
Die Kommission macht geltend, da für den Erhalt eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D strengere Anforderungen gälten als für den Erhalt eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B und da Herrn Apelt der Führerschein für Fahrzeuge der Klasse D nach Ablauf der Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ausgestellt worden sei, lasse das in dem Führerschein für Fahrzeuge der Klasse D eingetragene Datum der Ausstellung des Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B die durch die Richtlinie 91/439 vorgesehene Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine unberührt.
Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.
Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 91/439 kann nämlich ein nach ihrem Art. 1 ausgestellter Führerschein zum Führen von Fahrzeugen verschiedener Klassen berechtigen. Innerhalb dieser Klassen kann nach Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie für das Führen von Fahrzeugen verschiedener Unterklassen ein besonderer Führerschein ausgestellt werden.
Entsprechend berechtigt ein Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B zum Führen von Kraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von nicht mehr als 3 500 kg und mit nicht mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz. Demgegenüber berechtigt ein Führerschein für Fahrzeuge der Klasse D zum Führen von Kraftwagen zur Personenbeförderung mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Führersitz.
Wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge darlegt, ermöglicht es diese Einteilung in Klassen und Unterklassen, die Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins auf die einzelne Klasse bzw. Unterklasse abzustimmen.
Genauer gesagt sieht die Richtlinie 91/439 in ihren Anhängen II und III einen gemeinsamen Grundstock an Mindestvoraussetzungen für alle Führerscheinklassen vor. Die Erteilung eines jeden Führerscheins hängt von der Erfüllung dieser Mindestvoraussetzungen ab. Dabei geht es, wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge darlegt, beispielsweise darum, das Fahrzeug zu beherrschen, um keine gefährlichen Verkehrslagen zu verursachen und richtig zu reagieren, wenn solche Lagen eintreten, oder um die Kenntnis des Sicherheitsabstands zu anderen Fahrzeugen, des Bremswegs und der Bodenhaftung des betreffenden Fahrzeugs.
Über diese Mindestvoraussetzungen hinaus gibt es für jede Klasse und insbesondere die Klasse D besondere Prüfungen.
Insoweit ergibt sich aus Anhang II Abschnitt I Titel A Punkt 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439, dass jeder Bewerber um eine Fahrerlaubnis, der schon die Prüfung der Kenntnisse für eine Fahrerlaubnis in einer anderen Klasse erfolgreich abgelegt hat, von den Prüfungen zur Kontrolle der Kenntnisse insbesondere der Straßenverkehrsvorschriften befreit werden kann.
Sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Systematik der Richtlinie 91/439 ergibt sich somit, dass der Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B eine unabdingbare Grundlage für den Erhalt eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D darstellt.
Daher stünde es im Widerspruch zu dem in den Erwägungsgründen 1 und 4 der Richtlinie 91/439 genannten Ziel der Sicherheit im Straßenverkehr, wenn es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht erlaubt wäre, die Anerkennung eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D abzulehnen, der auf der Grundlage eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt wurde, der mit einer Unregelmäßigkeit behaftet ist, die die Nichtanerkennung des letztgenannten Führerscheins rechtfertigt.
Folglich ist festzustellen, dass ein Mitgliedstaat, wenn er es auf der Grundlage der Richtlinie 91/439 ablehnen kann, die Gültigkeit eines von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B anzuerkennen, ebenfalls berechtigt ist, die Gültigkeit eines Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D, der auf der Grundlage des entsprechenden Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse B ausgestellt wurde, nicht anzuerkennen.
Da der Führerschein für Fahrzeuge der Klasse B, der Herrn Apelt von den tschechischen Behörden ausgestellt wurde, mit Unregelmäßigkeiten behaftet ist, die seine Nichtanerkennung rechtfertigen, verwehren es die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 den deutschen Behörden nicht, auch die Anerkennung des Führerscheins für Fahrzeuge der Klasse D abzulehnen, der Herrn Apelt von den tschechischen Behörden auf der Grundlage seines Führerscheins für die Klasse B ausgestellt wurde.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht verwehren, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Zur zweiten Frage
Da sich der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in den Jahren 2006 und 2007 ereignet hat, also bevor Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126 anwendbar war, ist die zweite Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 1 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 7 Abs. 1 Buchst. b sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission vom geänderten Fassung verwehren es einem Aufnahmemitgliedstaat nicht, die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins für Fahrzeuge der Klassen B und D abzulehnen, wenn erstens dem Inhaber des entsprechenden Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B unter Missachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzung und zu einem Zeitpunkt ausgestellt wurde, nachdem sein von dem erstgenannten Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein in diesem Mitgliedstaat in polizeiliche Verwahrung genommen worden war, aber bevor seine Fahrerlaubnis in diesem erstgenannten Mitgliedstaat gerichtlich entzogen wurde, und zweitens dem Inhaber des Führerscheins eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse D nach der gerichtlichen Entziehung und nach Ablauf der Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis erteilt wurde.
Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 369 Nr. 6
UAAAD-94337