BGH Beschluss v. - III ZR 142/10

Amtshaftung und Verschulden bei Vertragsverhandlungen: Schadensersatzanspruch des Eigentümers eines zum Betrieb einer Rehabilitationsklinik verpachteten Grundstücks wegen der Versagung des Abschlusses eines Versorgungsvertrages durch einen Ersatzkassenverband

Gesetze: § 111 Abs 2 SGB 5, § 280 BGB, § 823 Abs 1 BGB, § 839 BGB, Art 34 GG

Instanzenzug: Az: 1 U 2635/06 Urteilvorgehend LG München I Az: 35 O 20636/04

Gründe

I.

1Die Klägerin nimmt den Ersatzkassenverband (Beklagter zu 2) als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern und die Bundesrepublik Deutschland (Beklagte zu 1) als Körperschaft, die dem Beklagten zu 2 die hier in Rede stehenden Aufgaben übertragen habe, aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung und wegen Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen auf Schadensersatz in Anspruch, weil die Arbeitsgemeinschaft es mit Bescheid vom abgelehnt hat, mit der Klägerin einen Versorgungsvertrag nach § 111 Abs. 2 SGB V abzuschließen. Wegen näherer Einzelheiten zu den Hintergründen wird auf das Senatsurteil vom (III ZR 215/03, NVwZ-RR 2004, 804) Bezug genommen, mit dem die Revision eines anderen Mitglieds der Arbeitsgemeinschaft gegen das Teil- und Grundurteil des Berufungsgerichts vom zurückgewiesen worden ist.

2Im anhängigen Verfahren begehrt die Klägerin - zuletzt in Höhe von insgesamt 1.959.043,28 € - Ersatz von Personalkosten, Reparaturen, Heizung, Strom, Wasser, Grundsteuer, Kraftfahrzeugkosten und Verwaltungskosten, die ihr seit der Versagung des Abschlusses eines Versorgungsvertrags für ihr Immobilienobjekt entstanden seien, und Feststellung der weiteren Ersatzpflicht der Beklagten. Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision.

II.

3Die Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor.

41. Das Berufungsgericht hält den Nachweis nicht für geführt, dass der Klägerin durch die Versagung des Abschlusses eines Versorgungsvertrags ein Schaden entstanden ist. Es sieht in der rechtswidrigen Ablehnung, mit der Klägerin einen Versorgungsvertrag nach § 111 Abs. 2 SGB V abzuschließen, weder eine Eigentumsverletzung noch einen Eingriff in einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern lediglich die Vereitelung einer Erwerbschance, die zu einem Vermögensschaden führen könne. Deswegen müsse die Klägerin nachweisen, dass sie bei Abschluss eines Versorgungsvertrags mit dem Betrieb einer Rehabilitationsklinik einen Gewinn erzielt hätte. Mangels eines Substanzschadens am Immobilienobjekt der Klägerin bestehe kein Rechtsverhältnis der Parteien, das die Beklagten verpflichte, der Klägerin ohne Rücksicht auf eine solche Gewinnerwartung Aufwendungen zur Vorhaltung der Betriebsfähigkeit der Rehabilitationsklinik zu ersetzen.

5Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich die Klägerin mit den beiden anderen Häusern in F.   , für die ein Versorgungsvertrag bestanden habe, in Konkurrenz befunden hätte und dass unter diesen Umständen ein Gewinn zumindest in Höhe der geltend gemachten Erhaltungsaufwendungen bis zum Verkauf des Objekts nicht nachgewiesen sei.

62. Diese Beurteilung enthält keine zulassungsbegründenden Rechtsfehler.

7a) Im rechtlichen Ausgangspunkt tritt der Senat dem Berufungsgericht darin bei, dass die Versagung des Abschlusses eines Versorgungsvertrags für den Betrieb einer Rehabilitationsklinik nicht als Eingriff in die Substanz eines von der Klägerin geführten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs angesehen werden kann.

8Die Klägerin war, nachdem sie die ihr gehörenden Baulichkeiten an einen Dritten verpachtet hatte, der in ihnen eine Rehabilitationsklinik betrieb, nur Eigentümerin einer Immobilie, aus deren Verpachtung sie Nutzen zog. Mit dem Betrieb der Rehabilitationsklinik hatte sie nichts zu tun. Dass die Betreiber dieser und zweier anderer Kliniken in F.   im Juli 1998 Vergleichsantrag stellten und nach Eröffnung des Anschlusskonkursverfahrens durch den Konkursverwalter eine Lösung erarbeitet wurde, die aus Gründen der Wirtschaftlichkeit zu einer Verminderung der verfügbaren Betten am Standort F.   , zur Aufgabe der in den Räumen der Klägerin betriebenen Klinik und zur Kündigung des Pachtverhältnisses führte, gehört prinzipiell zu den von der Klägerin hinzunehmenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

9Die Beschwerde zeigt keine Fehler in der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts auf, das in dem Entschluss der Klägerin, vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund nach Ablauf des Pachtverhältnisses eine Rehabilitationsklinik in eigener Verantwortung zu betreiben, die Wahrnehmung von Chancen und Verdienstmöglichkeiten auf dem Gebiet eines neuen Geschäftsfelds gesehen hat, zu dem die Klägerin infolge ihres Eigentums an der Immobilie zwar Zugang hatte, das aber noch nicht im Sinne der Rechtsprechung des Senats zur Substanz eines von ihr innegehaltenen Gewerbebetriebs gehörte (vgl. , BGHZ 111, 349, 356 ff; vom - III ZR 224/94, BGHZ 132, 181, 186 f). Soweit die Beschwerde hiergegen die , BGHZ 30, 338, 356) und vom (III ZR 113/70, BGHZ 60, 126, 133 f) anführt, wonach es nicht notwendig sei, dass der Betrieb, in den eingegriffen werde, bereits im Gang befindlich sei und dass die Nichtausübung einer nahe liegenden, wirtschaftlich vernünftigen und unmittelbar zu verwirklichenden Nutzungsmöglichkeit der Annahme eines Eingriffs nicht entgegenstehe, sind diese Fälle nicht vergleichbar. Beiden Entscheidungen lagen Fallgestaltungen zugrunde, bei denen - anders als hier - die behördliche Maßnahme die beabsichtigte Nutzungsmöglichkeit nicht bloß in ihrer Wirtschaftlichkeit beeinträchtigte, sondern rechtlich unmöglich machte (Verhängung einer Bausperre, Untersagung der Kiesausbeutung). Im Urteil vom (aaO S. 356) wird darüber hinaus betont, dass das betreffende Grundstück - wovon vorliegend nicht gesprochen werden kann - zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits in die Organisation des Betriebs einbezogen sein muss. Was das Urteil vom angeht, so wurde dort die Rechtsposition, die durch die Nutzungsuntersagung in nicht mehr entschädigungslos hinzunehmender Weise beeinträchtigt wurde, nicht im (nicht vorhandenen) eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern im Grundeigentum selbst gesehen (aaO S. 131 f). Die Versagung des Abschlusses eines Versorgungsvertrags beeinträchtigte dementsprechend zwar die durch den Betrieb einer Rehabilitationsklinik erhofften Verdienstmöglichkeiten, stellte sich aber nicht, wie die Beschwerde meint, als ein Eingriff in bereits erworbene und bestehende Rechte der Klägerin dar, der mit dem Eingriff in den Zulassungsstatus eines Kassenarztes oder Vertragsarztes (vgl. hierzu , BGHZ 81, 21, 32 f; vom - III ZR 302/00, BGHZ 150, 172, 176 f) vergleichbar wäre.

10b) Es ist auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der Klägerin nicht unabhängig davon, ob sich die durch den Abschluss eines Versorgungsvertrags erhofften Gewinne hätten realisieren lassen, einen Anspruch auf den von ihr in erster Linie begehrten Ersatz von Erhaltungsaufwendungen für ihre Immobilie zugebilligt hat. Die diesbezüglichen Aufwendungen, mit denen die Klägerin ihr Grundeigentum mit seiner Einrichtung vor Wertverlusten zu bewahren suchte, nachdem der frühere Klinikbetreiber das Pachtverhältnis gekündigt hatte und der Klinikbetrieb zum Erliegen gekommen war, stehen nicht in einem hinreichenden schadensrechtlichen Zusammenhang mit der Versagung des Abschlusses eines Versorgungsvertrags und wurden insofern auch nicht hierdurch veranlasst oder herausgefordert. Insofern ist die Situation nicht mit den Konstellationen vergleichbar, die in den von der Beschwerde herangezogenen Urteilen des , NJW 1978, 2592 f) und (I ZR 70/91, BGHZ 122, 172 ff) behandelt worden sind.

11c) Vor diesem rechtlichen und wirtschaftlichen Hintergrund hat das Berufungsgericht zur Beantwortung der Frage, ob der Klägerin ein Schaden entstanden ist, zu Recht geprüft, wie sich deren wirtschaftliche Lage darstellen würde, wenn die Arbeitsgemeinschaft mit ihr einen Versorgungsvertrag nach § 111 Abs. 2 SGB V abgeschlossen hätte. Dass es sich insoweit nicht die Überzeugung hat verschaffen können, die Klägerin hätte die Immobilie gewinnbringend verkaufen können oder durch den Betrieb der Rehabilitationsklinik einen Gewinn zumindest in Höhe der geltend gemachten Erhaltungsaufwendungen bis zum Verkauf des Objekts erwirtschaftet, gibt zu einer Revisionszulassung keinen Anlass.

12aa) Soweit es um einen möglichen Verkauf des Objekts an die M.   -Trägergesellschaft geht, hat das Berufungsgericht nach Vernehmung der angebotenen Zeugen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit annehmen können, dass es bei Vorliegen eines Versorgungsvertrags zu einem Ankauf des Objekts gekommen wäre. Die Beschwerde weist zwar auf Vorbringen der Klägerin hin, die vor der Beweisaufnahme anderes behauptet und die erhobenen Beweise selbst anders gewürdigt hat. Sie zeigt damit aber nicht auf, dass das Berufungsgericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin übersehen hätte.

13bb) Was einen möglichen Gewinn aus dem Betrieb einer Rehabilitationsklinik anbetrifft, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Klägerin mit der Betreiberin der beiden anderen Häuser in F.   , einer während des Konkursverfahrens gegründeten Auffanggesellschaft, in einem Konkurrenzverhältnis befunden hätte. Das ist vor dem rechtlichen Hintergrund, dass die Arbeitsgemeinschaft keine Bedarfsprüfung vornehmen durfte (vgl. hierzu BSGE 89, 294), im Ansatz nicht zu beanstanden.

14(1) Von der Richtigkeit der Behauptung der Klägerin, die D.  -Bank hätte alle Kredite an die P.   -Gruppe fällig gestellt und die Versteigerung von deren Häusern in F.   betrieben, wenn die Klägerin Ende 1998/Anfang 1999 von der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern einen Versorgungsvertrag erhalten hätte, so dass sie in F.   keine Konkurrenz gehabt hätte, hat sich das Berufungsgericht nach Vernehmung der Zeugen nicht überzeugt gesehen. Die Rügen der Beschwerde, das Berufungsgericht sei den Beweisangeboten nur unvollständig nachgekommen, rechtfertigen keine Zulassung der Revision. Auf die Vernehmung des Zeugen B.   hat die Klägerin nämlich, wie die Beschwerdeerwiderung der Beklagten zu 1 mit Recht hervorhebt, verzichtet. Gleiches gilt für den Zeugen G.    , auf dessen Vernehmung die Klägerin in dem beim Senat anhängigen Parallelverfahren III ZR 143/10, das in der Vorinstanz zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung mit dem hier vorliegenden Verfahren verbunden war, verzichtet hat. Der Zeuge Dr. K.   schließlich ist, worauf die Beschwerdeerwiderung der Beklagten zu 1 zutreffend aufmerksam macht, deshalb nicht vernommen worden, weil die Ladung unter der von der Klägerin angegebenen (Geschäfts-)Adresse nicht zum Erfolg geführt hat - die Ladung ist von der Adressatin mit dem Bemerken zurückgeschickt worden, sie selbst sei an dem Verfahren nicht beteiligt und es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Zustellung einer persönlichen Ladung des Zeugen an sie erfolge - und anschließende Bemühungen des Gerichts, eine ladungsfähige (Privat-)Adresse des Zeugen zu ermitteln, gescheitert sind. Nachdem sich die Beschwerde jeglicher Ausführungen dazu enthält, warum die Nichtvernehmung des Zeugen gleichwohl verfahrensfehlerhaft (Verstoß gegen §§ 286, 373 ff ZPO) gewesen sein oder darin sogar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen soll, ist eine Zulassung der Revision auch insoweit nicht veranlasst.

15(2) Soweit die Beschwerde darauf aufmerksam macht, die Rehabilitationsklinik der Klägerin wäre im Hinblick auf die ihr möglichen günstigeren Preise wesentlich stärker ausgelastet worden, als es das Berufungsgericht aufgrund der erhobenen Beweise angenommen habe, sieht der Senat ebenfalls keinen Anlass, die Revision zuzulassen. Das Berufungsgericht hat sich mit der insoweit maßgebenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSGE 89, 294, 303 f) auseinandergesetzt und zutreffend wiedergegeben, von welchen Auswahlkriterien sich die Rehabilitationsträger bei der Zuweisung von Patienten leiten lassen müssen. Dabei hat es die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in ihrem Verhältnis zum Gebot der Gleichbehandlung aller zugelassenen Anbieter hervorgehoben. Wenn es den Rehabilitationsträgern im Zusammenhang mit der Prüfung der Eignung der Einrichtung unter Berücksichtigung der medizinischen Erfordernisse im Einzelfall und der angemessenen Wünsche der Versicherten einen gewissen Beurteilungsspielraum zugebilligt hat und nicht hat unterstellen können, dass eine Klinik unter einer neuen Trägerschaft allein aufgrund eines um 6 % günstigeren Pflegesatzes bis zur Kapazitätsausschöpfung alle Patienten zugewiesen erhalte, ist dies eine an den rechtlichen Maßstäben ausgerichtete tatrichterliche Würdigung, die zu einer Revisionszulassung keinen Anlass gibt.

16d) Auch im Übrigen enthält die angefochtene Entscheidung keine zulassungsbegründenden Rechtsfehler. Von einer weitergehenden Begründung wird abgesehen.

Schlick                                         Dörr                                           Herrmann

                        Seiters                                      Tombrink

Fundstelle(n):
YAAAD-92490