Keine Existenzgründer-Ansparabschreibung, wenn eine ernsthafte Investitionsabsicht nicht festgestellt werden kann
Gesetze: EStG § 7g Abs. 7, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3
Instanzenzug:
Gründe
1 I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Ansatzes einer sog. Ansparrücklage für Existenzgründer gemäß § 7g Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. vor dem Inkrafttreten des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) —EStG 2002 a.F.— im Streitjahr 2005 (mit Folgewirkung im Streitjahr 2004).
2 Unternehmensgegenstand der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), einer in 2000 gegründeten Aktiengesellschaft, ist der An- und Verkauf von Hard- und Software, Dienstleistungen sowie Entwicklungen und Vertrieb von Produkten zur Unterstützung aller Geschäftsprozesse durch Telekommunikations- und Datenverarbeitungstechnik, insbesondere Internet-Technik. Gründungsgesellschafter waren der zum alleinigen Vorstand bestellte A mit 95 % sowie B und C mit jeweils 2,5 % der Aktien. Noch im Jahr 2000 veräußerte B seine Beteiligung an A. Mit Kaufvertrag vom verkaufte C seine Aktien an D.
3 Mit der Steuererklärung für das Streitjahr 2005 machte die Klägerin einen Verlust in Höhe von 284.449 € geltend, der auf der Bildung einer sog. Ansparabschreibung für Existenzgründer nach § 7g Abs. 7 EStG 2002 a.F. in Höhe von 300.000 € beruhte. Nach einer Aufstellung plante die Klägerin eine büromäßige Ausstattung für insgesamt 20 Mitarbeiter mit Laptops und Büromöbeln (Schrank, Container, Schreibtisch, Schreibtischstuhl) sowie 13 Dienstwagen (davon ein Vorstandsfahrzeug). Ferner sollte eine Büroausstattung für den Vorstand angeschafft werden. Das Investitionsvolumen betrug insgesamt 750.000 €. Die Anschaffungen für 20 Mitarbeiter sollten zur Hälfte im Januar 2009 und im Übrigen im Dezember 2009 erfolgen; die Anschaffung der Büroausstattung für den Vorstand war für 2007 geplant, die des Vorstandsfahrzeugs für Juli 2008. Im Streitjahr 2005 hatte die Klägerin neben dem Vorstand keine weiteren Mitarbeiter. Büroräume außerhalb der Wohnung des Vorstands hatte die Klägerin nur bis Ende 2003.
4 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) veranlagte die Klägerin zunächst erklärungsgemäß. Durch einen Verlustrücktrag wurde die Körperschaftsteuer für das weitere Streitjahr 2004 auf 0 € herabgesetzt. Später änderte das FA die Körperschaftsteuerbescheide der Streitjahre und setzte die Körperschaftsteuer für 2004 auf 2.266 € und für 2005 auf 6.031 € fest. Die Änderungen beruhten im Wesentlichen darauf, dass die Ansparabschreibung nur in Höhe eines Betrages von 4.048 € (hinreichende Konkretisierung der für 2007 geplanten Anschaffungen) vom FA anerkannt wurde; darüber hinaus seien die Begünstigungsvoraussetzungen nicht erfüllt (Erzielen von Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG 2002 a.F. durch die Gesellschafter in den letzten fünf Jahren vor dem Wirtschaftsjahr der Betriebseröffnung). Die Klage blieb erfolglos (Finanzgericht —FG— Hamburg, Urteil vom 2 K 58/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 783).
5 Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision gegen das angefochtene Urteil zuzulassen.
6 Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
7 II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
8 1. Das Vorbringen der Klägerin, der Streitfall werfe Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO auf, erfüllt nicht die Darlegungserfordernisse für diesen Zulassungsgrund. Im Übrigen liegt dieser Revisionszulassungsgrund nicht vor.
9 Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen § 7g Abs. 7 EStG 2002 a.F. und damit ausgelaufenes Recht. In einem solchen Fall müssen in der Beschwerdebegründung besondere Gründe geltend gemacht werden, die ausnahmsweise eine Abweichung von der Regel rechtfertigen, nach der Rechtsfragen, die solches Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukommt (s. allgemein Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 46/05, BFH/NV 2006, 587; vom X B 34/08, BFH/NV 2009, 1141; speziell zur Rücklagenbildung des § 7g Abs. 3 EStG s. die BFH-Beschlüsse vom X B 182/08, BFH/NV 2010, 675; vom X B 124/09, BFH/NV 2010, 1278; Senatsbeschluss vom I B 40/10, BFH/NV 2011, 637). Daran fehlt es. Denn die Klägerin hat insoweit nur auf der Grundlage einer Information des Statistischen Bundesamtes über die Zahl der Betriebsneugründungen fiktiv („1/10”) die Zahl der Firmen, die die Ansparabschreibung als Existenzgründer in Anspruch genommen haben könnten, „ermittelt” und mit Blick auf den gesetzlichen Gründungszeitraum (Jahr der Betriebseröffnung und die fünf folgenden Wirtschaftsjahre) einen Klärungsbedarf abgeleitet. Dies reicht nicht aus, einen Klärungsbedarf für konkrete Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anwendung des § 7g Abs. 7 EStG 2002 a.F. darzulegen.
10 Im Übrigen liegen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht vor: Soweit die Klägerin als Rechtsfrage herausstellt, ob „die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 7g Abs. 3 EStG a.F. im Hinblick auf das Erfordernis der verbindlichen Bestellung ohne Einschränkungen auf Fälle des § 7g Abs. 7 a.F. anwendbar” ist, liegt diese Frage (ungeachtet der Klärung durch z.B. das , BFH/NV 2011, 33, m.w.N.) dem angefochtenen Urteil schon nicht zugrunde. Denn das FG hat ausgeführt, es könne „letztlich offen bleiben, ob auch in dem vorliegenden Fall der wesentlichen Kapazitätserweiterung eine verbindliche Bestellung der geplanten Investition zu fordern ist ... (denn) die Investitionsabsicht ist auch nicht auf andere Weise als hinreichend konkretisiert anzusehen” (Seite 14 des Urteilsabdrucks).
11 Soweit die Klägerin als weitere Rechtsfragen herausstellt, ob „eine ernsthafte Investitionsabsicht bei einem Existenzgründer zweifelsfrei erkennbar sein (muss)” bzw. ob „das Vorhandensein von konkreten Aufträgen eine zwingende Voraussetzung für die Feststellung einer Investitionsabsicht im Rahmen des § 7g Abs. 7 EStG a.F. (ist)”, sind dies ebenfalls keine dem FG-Urteil zugrunde liegenden Rechtssätze. Das FG hat im Zusammenhang mit seiner Prüfung, ob die Investitionsabsicht im Streitfall hinreichend konkretisiert sei, entschieden, dass die Vorstellungen und Planungen der Klägerin, wie sich das Unternehmen entwickeln könnte, insoweit nicht ausreichen würden; es hat dabei zur Frage der Plausibilität der Planungen zum einen auf die bisherige Größe des Betriebs verwiesen (s. insoweit z.B. , BFH/NV 2011, 235, und X R 22/08, BFH/NV 2011, 238), zum anderen auf den Umstand, dass die Klägerin die in der Planung angeführten Wirtschaftsgüter als für die Erbringung der unternehmerischen Leistung nicht erforderlich bezeichnet hat und dass die Klägerin keine konkreten Aufträge in Aussicht habe, die eine Kapazitätserweiterung in dem geplanten Umfang gerechtfertigt hätten. Das FG ist dann unter Würdigung dieser Indizien zu dem Schluss gekommen, dass eine ernsthafte Investitionsabsicht nicht festgestellt werden könne (Seite 15 des Urteilsabdrucks). Wenn das FG im Verlauf dieser Prüfung ausführt, dass die Investitionsabsicht auch nicht aufgrund anderer Indizien zweifelsfrei erkennbar sei, ist dies nur eine andere Umschreibung für das von ihm gefundene Ergebnis, dass eine ernsthafte Absicht zur Umsetzung dieser Planung (d.h. der konkreten Planung nach Art und Umfang) nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden könne. Die Klägerin greift damit insoweit nicht dem FG-Urteil zugrunde liegende eigenständige Rechtssätze an, sondern sie rügt die vom FG in diesem Zusammenhang (Prognose der zukünftigen Investition) getroffene und auf das Nichtvorhandensein entsprechender Indizien gestützte Entscheidung. Damit wird allenfalls ein materiell-rechtlicher Fehler bei der Rechtsanwendung bzw. der Indizienwürdigung geltend gemacht, der —unabhängig von der Frage, ob ein solcher tatsächlich vorliegt— nicht zu einer Zulassung der Revision führen kann (s. insoweit nur —auch im Zusammenhang mit einer sog. Ansparabschreibung— , BFH/NV 2011, 29).
12 2. Ein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) einer sog. Überraschungsentscheidung liegt nicht vor.
13 Eine Überraschungsentscheidung (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO) liegt nur vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht andererseits aber nicht, den Beteiligten die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte anzudeuten und sie mit ihnen umfassend zu erörtern (z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 258/07, BFH/NV 2008, 1180, m.w.N.; vom IX S 3/10 [PKH], BFH/NV 2010, 921).
14 Nach dieser Maßgabe liegt eine sog. Überraschungsentscheidung nicht vor. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung ist ersichtlich, dass im Rahmen der ausführlichen Erörterung einer „wesentlichen Betriebserweiterung” vom FA auch angezweifelt worden ist, ob der „Zuwachs an Personal, wie er geplant worden ist, (als) ... nachvollziehbar” angesehen werden könne. Dies allein macht ausreichend deutlich, dass die gesamte Erörterung beim FG auch den Aspekt der Grundvoraussetzung der Ansparabschreibung —der Prognose der Investitionsabsicht— umfasste. Dieser Aspekt war daher für jeden Prozessbeteiligten ersichtlich ohne weiteres auch vom FG in seine Entscheidung einzubeziehen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 1867 Nr. 11
PAAAD-92347