BVerwG Beschluss v. - 2 B 68/10

Anfechtung eines Verwaltungsaktes; Umfang des Widerspruchs; Zweifel hinsichtlich des Inhalts des Widerspruchs

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 68 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein Az: 3 LB 2/09 Urteil

Gründe

1Die Klägerin begehrt die Anerkennung weitergehender ruhegehaltfähiger Dienstzeiten. Mit Bescheid vom setzte das seinerzeitige Landesbesoldungsamt Schleswig-Holstein ihre ruhegehaltfähige Dienstzeit fest. Dabei erkannte es die Zeit vom bis zum , in der die Klägerin ohne Dienstbezüge beurlaubt war, sowie Zeiten der Kindererziehung und der Teilzeitbeschäftigung aus Gründen der Kindererziehung nicht an und setzte einen Versorgungsabschlag fest. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klage sei hinsichtlich der Nichtanerkennung der Zeiten der Kindererziehung und der Teilzeitbeschäftigung aus Gründen der Kindererziehung sowie der Festsetzung des Versorgungsabschlags bereits unzulässig, weil die Klägerin insoweit keinen Widerspruch erhoben habe. Ihre hiergegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg.

21. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Die entsprechenden Rügen der Beschwerde müssen erfolglos bleiben, weil die Beschwerde den Zulassungsgrund nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise bezeichnet hat. Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann ordnungsgemäß bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angegriffene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung u.a. des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz ausdrücklich oder zumindest konkludent widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.N.).

3Die Beschwerde behauptet zwar, das angegriffene Urteil weiche von dem Rechtssatz ab, es sei "im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Widerspruchsführer mit seinem Widerspruch den gesamten Inhalt des ihn belastenden Verwaltungsakts anfechten" wolle ( BVerwG 4 C 79.82 - NVwZ 1988, 147 <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 445.4 § 19b WHG Nr. 1>). Sie bezeichnet aber keinen dem widersprechenden abstrakten Rechtssatz, auf dem das angegriffene Urteil beruht. Den von ihr angenommenen Rechtssatz, bei Zweifeln hinsichtlich des Umfangs der Widerspruchseinlegung sei eine Auslegung des Inhalts des Widerspruchsschreibens auch in einer den Umfang des Widerspruchs einschränkenden Weise zulässig, hat das Berufungsgericht weder ausdrücklich noch konkludent aufgestellt. Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung, die Klägerin habe den Bescheid nur in beschränktem Umfang angefochten, auf Grund einer Auslegung des Widerspruchs gewonnen, die keine Zweifel hinsichtlich des Inhalts der Widerspruchserklärung erkennen lässt. Dass das Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt war, kann entsprechende Zweifel nicht begründen. Das Beschwerdevorbringen läuft vielmehr auf die Behauptung einer fehlerhaften Rechtsanwendung des Berufungsgerichts hinaus. Damit lässt sich der Zulassungsgrund der Divergenz nicht begründen (stRspr, vgl. BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 4).

4Entsprechendes gilt für die behauptete Abweichung von dem BVerwG 8 C 70.88 - (Buchholz 310 § 74 VwGO Nr. 9). Nach dem Beschwerdevorbringen hat das Bundesverwaltungsgericht in der Divergenzentscheidung den Rechtssatz aufgestellt, wenn die "Rechtsbehelfsschrift eines Nichtjuristen zumindest auch in der Weise ausgelegt werden kann, dass der vorbehalt- und bedingungslose Wille des Verfassers zur Einlegung des Rechtsbehelfs anzunehmen ist, gebietet Art. 19 Abs. 4 GG, der einen substantiellen Anspruch des Bürgers auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle begründet, diese dem Rechtsbehelfsführer günstigere Auslegung". Einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz des Berufungsgerichts bezeichnet die Beschwerde nicht. Sie begnügt sich auch in diesem Zusammenhang mit Angriffen gegen die Rechtsanwendung des Berufungsgerichts, der sie ihre eigene Auffassung zur Mehrdeutigkeit des Widerspruchs entgegensetzt. Davon abgesehen übersieht die Beschwerde, dass die vom dem Berufungsgericht angenommene Widerspruchsbeschränkung mit dem in der anwaltlich erhobenen Untätigkeitsklage vom angekündigten Klageantrag übereinstimmt.

52. Die Revision ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,

"ob bei Widerspruchsschreiben von juristischen Laien Widerspruchsbehörde oder Gericht eine Beschränkung des Anfechtungsgegenstandes vornehmen dürfen, ohne hierzu eine eindeutige Erklärung des Widerspruchsführers abzufordern", und

"ob bei Zweifeln <hinsichtlich> des Umfangs eines Widerspruchs dieser zu Gunsten des Widerspruchs als vollumfänglich eingelegt anzusehen ist",

6rechtfertigen die Zulassung der Grundsatzrevision nicht, weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würden. In Ermangelung einer zulässigen und begründeten Verfahrensrüge gegen die von dem Berufungsgericht durch Auslegung gewonnene Überzeugung wäre in einem Revisionsverfahren davon auszugehen, dass der Widerspruch der Klägerin zweifelsfrei auf einen Teil des angefochtenen Verwaltungsakts beschränkt war. Dass sich ein Gericht, wenn es durch Auslegung zu der Überzeugung gelangt ist, der Widerspruch sei eindeutig beschränkt erhoben worden, nicht bei dem Widerspruchsführer vergewissern muss, ob die gerichtliche Überzeugung mit der Auffassung des Widerspruchsführers übereinstimmt, folgt aus der allgemeinen Auslegungsregel der §§ 133, 157 BGB, der zufolge grundsätzlich nicht auf den inneren Willen des Erklärenden, sondern auf das Verständnis des objektiven Erklärungsinhalts nach dem Empfängerhorizont abzustellen ist (BVerwG, Beschlüsse vom - BVerwG 2 B 46.94 - und vom - BVerwG 1 B 110.98 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 6 sowie BVerwG 2 C 13.04 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 32 S. 10; - NJW 1994, 1537 <1538>).

73. Die Revision ist auch nicht wegen der von der Beschwerde behaupteten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Es begründet weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch einen Aufklärungsmangel, dass das Berufungsgericht die Klägerin nicht persönlich zu dem Inhalt und Umfang ihres Widerspruchs befragt hat, da es nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung nicht entscheidungserheblich auf ihren Erklärungswillen ankam. Das angefochtene Urteil ist auch nicht als "Überraschungsentscheidung" zu werten, da sich schon der Widerspruchsbescheid ausschließlich mit der Frage einer Anerkennung der Zeit der Beurlaubung der Klägerin als ruhegehaltfähig befasste, so dass das Berufungsgericht dem Verfahren mit seiner Auffassung zur Bestandskraft der übrigen Regelungsteile des Ausgangsbescheides keine für die Klägerin nicht zu erwartende Wende gegeben hat (vgl. - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; stRspr). Angesichts dessen liegt in der Teilabweisung der Klage als unzulässig kein Verfahrensfehler. Die Behauptung, das Berufungsgericht habe den Widerspruch "falsch verstanden", zeigt einen Verfahrensfehler schon deswegen nicht auf, weil die Beschwerde nicht darlegt, das Berufungsgericht habe seine Überzeugung verfahrensfehlerhaft, insbesondere denkfehlerhaft gewonnen. Ebenso wenig hat das Berufungsgericht durch seine Überzeugung zur Beschränkung des Widerspruchs den Zugang zur Rechtsmittelinstanz unzumutbar erschwert. Die gegenteilige Auffassung der Beschwerde beruht auch insoweit auf ihrer eigenen Beurteilung, die sie der von dem Berufungsgericht vertretenen abweichenden Auffassung entgegensetzt.

8Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
CAAAD-92198