BGH Beschluss v. - XII ZB 139/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versehentliches Einlegen eines fristgebundenen Schriftsatzes in den falschen Postversandumschlag

Leitsatz

Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte einen postfertig zu machenden Schriftsatz in die korrekte Versandtasche einlegt .

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: Az: II-3 UF 191/10 Beschlussvorgehend AG Kleve Az: 4 F 433/06 Urteil

Gründe

I.

1Die Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Das Familiengericht hat die Teilklage auf Zugewinnausgleich abgewiesen. Das Urteil ist der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am zugestellt worden. Mit einem rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin Berufung eingelegt. Auf ihren Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum verlängert worden. Die - zutreffend - an das Oberlandesgericht Düsseldorf adressierte Berufungsbegründungsschrift vom ist am dort eingegangen, nachdem sie zuvor am an das Oberlandesgericht Celle gelangt und von dort weitergeleitet worden war.

2Auf richterlichen Hinweis vom , zugestellt am , hat die Antragsgegnerin am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Berufungsbegründungsschriftsatz sei am diktiert und gefertigt worden. Am gleichen Tag sei auch noch ein weiterer Schriftsatz an das Oberlandesgericht Celle diktiert und gefertigt worden. Die ansonsten zuverlässige Kanzleiangestellte müsse wohl den an das Oberlandesgericht Düsseldorf gerichteten Schriftsatz versehentlich zusammen mit dem anderen Schriftsatz in den an das Oberlandesgericht Celle gerichteten Versandumschlag gelegt haben. Daher sei der Schriftsatz entgegen der erteilten Anweisung auch nicht vorab per Telefax an das Oberlandesgericht Düsseldorf versendet worden.

3Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätten es versäumt, für eine wirksame Postausgangskontrolle zu sorgen. Es fehle die Weisung, die notierte Frist erst dann zu löschen, wenn anhand des zu überprüfenden Sendeprotokolls feststehe, dass die Absendung des Telefaxes erfolgreich gewesen sei.

II.

41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes.

52. Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht der Klägerin die Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und ihre Berufung verworfen.

6a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Rechtsanwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden. Das ist im Allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten oder zur maßgeblichen gerichtlichen Einlaufstelle gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist ( - NJW 2011, 2501 Rn. 7 mwN). Wird für die Fristenkontrolle bereits daran angeknüpft, dass der fristwahrende Schriftsatz postfertig gemacht worden ist, muss die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann (  NJW 1997, 3446, 3447).

7b) Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin die Fristversäumung ausreichend entschuldigt. Denn durch die Umstände ist glaubhaft gemacht, dass der Berufungsbegründungsschriftsatz versehentlich mit einem anderen, an das Oberlandesgericht Celle gerichteten Schriftsatz in den Postversandumschlag gelangte. Darin liegt ein schlichtes Büroversehen der Kanzleimitarbeiterin, welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten beruht. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestehen, das Einlegen der Sendung in die korrekte Versandtasche zu kontrollieren habe.

8In der Annahme, das Schriftstück sei in den korrekten Versandumschlag gelangt, durfte die Kanzleimitarbeiterin auch die Frist im Fristenkalender als erledigt kennzeichnen, so dass auch insoweit kein Anhaltspunkt für ein Anwaltsverschulden besteht.

9c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch nicht darin, keine Weisung erteilt zu haben, nach der - von ihm verfügten - Vorabübersendung per Telefax einen Einzelnachweis auszudrucken und auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen. Denn diese Kontrollmaßnahmen sind nur erforderlich, wenn die Vorabübersendung des Telefaxes aus der Warte des Absenders erforderlich scheint, um die Frist einzuhalten, weil eine Postsendung den Empfänger unter Berücksichtigung normaler Postlaufzeiten nicht mehr rechtzeitig erreichte. Ist hingegen aus der Warte des Absenders alles Notwendige veranlasst, um den Eingang des fristgebundenen Schriftsatzes rechtzeitig auf normalem Postwege zu erreichen, bedarf es einer zusätzlichen Vorabübersendung per Telefax grundsätzlich nicht. Für eine  in dem Falle überobligatorische  Vorabfaxübersendung können keine besonderen Sorgfaltsanforderungen aufgestellt werden. Daran ändert nichts, wenn der rechtzeitige Posteingang tatsächlich aus Umständen unterbleibt, für die der Prozessbevollmächtigte - wie hier - kein eigenes Organisationsverschulden trägt.

10Nach der Glaubhaftmachung der Klägerin hatte ihr Prozessbevollmächtigter alle in seiner anwaltlichen Organisationsverantwortung liegenden Vorkehrungen getroffen, um den fristwahrenden Schriftsatz rechtzeitig postfertig zu machen.

Hahne                                         Weber-Monecke                                                      Klinkhammer

                     Schilling                                                       Nedden-Boeger

Fundstelle(n):
NJW-RR 2011 S. 1686 Nr. 24
XAAAD-92126