EuGH Urteil v. - C-484/93

Diskriminierung bei der Gewährung von Wohnungsbauförderung

Leitsatz

1. Artikel 67 des Vertrages verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist.

Diese Voraussetzung ist nämlich geeignet, die Darlehensnehmer davon abzuschrecken, sich an in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassene Banken zu wenden, so daß sie ein Hindernis für den liberalisierten Kapitalverkehr darstellt, zu dem Bankdarlehen gehören.

2. Artikel 59 des Vertrages verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist.

Durch diese Voraussetzung wird nämlich auf dem Gebiet der Dienstleistungen - und von Banken gewährte Baudarlehen stellen Dienstleistungen dar - eine Diskriminierung der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Leistungsbringer vorgenommen, die nach Artikel 59 verboten ist und die weder in den in Artikel 56 des Vertrages zugelassenen Abweichungen - dieser Artikel kann nicht zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen angeführt werden - noch in der Notwendigkeit, die Kohärenz des innerstaatlichen Steuersystems zu gewährleisten, eine Rechtfertigung findet, da zwischen der Gewährung der Vergütung an die Darlehensnehmer und der Finanzierung dieser Vergütung durch die auf die Gewinne der Finanzinstitute erhobene Steuer kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Gesetze: EG Art. 59EG Art. 67EG Art. 71

Instanzenzug: Conseil d'Etat, Luxembourg

Gründe

[1] 1. Der luxemburgische Conseil d'Etat hat mit Urteil vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Art. 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Bestimmungen dieses Vertrages und insbesondere der Art. 67 und 71 zur Vorabentscheidung vorgelegt.

[2] Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen den Eheleuten Svensson-Gustavsson (im folgenden Kläger), die die schwedische Staatsangehörigkeit besitzen und in Luxemburg wohnen, und dem Ministre du logement et de l'urbanisme (Minister für den Wohnungs- und Städtebau; im folgenden Beklagter), der es mit Entscheidung vom abgelehnt hatte, den Klägern eine Zinsvergütung zugunsten von Eltern unterhaltsberechtigter Kinder für ein bei der Comptoir d'Escompte de Belgique S.A. mit Sitz in Lüttich (Belgien) aufgenommenes Darlehen zum Bau einer Wohnung in Bereldange zu gewähren. ...

[4] Der mit der Klage gegen diese Entscheidung befaßte luxemburgische Conseil d'Etat hat ... dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"Verwehren es die Bestimmungen des Vertrages von Rom, insbesondere die Art. 67 und 71, einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist?"

[5] Nach der Rechtspr. des Gerichtshofes (vgl. insbesondere Urteil vom in der Rechtssache 203/80, Casati, Slg. 1981, 2595, Rdn. 8 bis 13) bedeutet Art. 67 Abs. 1 des Vertrages nicht, daß die Beschränkungen des Kapitalverkehrs bereits zum Ende der Übergangszeit zu beseitigen waren. Die Beseitigung dieser Beschränkungen ergibt sich nämlich aus den auf der Grundlage des Art. 69 erlassenen Richtlinien des Rates.

[6] Die Beschränkungen des Kapitalverkehrs sind mit der auf der Grundlage der Art. 69 und 70 Abs. 1 des Vertrages erlassenen und zur maßgeblichen Zeit geltenden Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom zur Durchführung von Art. 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) beseitigt worden. Deren Art. 1 bestimmt:

»Unbeschadet der nachstehenden Bestimmungen beseitigen die Mitgliedstaaten die Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Gebietsansässigen in den Mitgliedstaaten. Zur Erleichterung der Durchführung dieser Richtlinie wird der Kapitalverkehr entsprechend der Nomenklatur in Anhang I gegliedert.«

[7] In Punkt VII dieses Anhangs sind aber gerade kurzfristige, mittelfristige und langfristige Darlehen und Finanzkredite aufgenommen worden. Folglich ist der Kapitalverkehr, der mit diesen Geschäften zusammenhängt, bereits liberalisiert.

[8] Es ist also zu prüfen, ob eine Regelung wie die vorliegende ein Hindernis für den in dieser Weise liberalisierten Kapitalverkehr enthält.

[9] Nach Art. 1 der genannten Großherzoglichen Verordnung wird die Zinsvergütung nur gewährt, wenn die Antragsteller neben der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen außerdem nachweisen, daß sie »bei einem im Großherzogtum Luxemburg zugelassenen Kreditinstitut oder bei Pensionseinrichtungen der sozialen Sicherheit ein Darlehen zum Bau, zum Erwerb oder zur Verbesserung einer im Gebiet des Großherzogtums Luxemburg gelegenen und vom Antragsteller tatsächlich und auf Dauer bewohnten Wohnung [aufgenommen haben]«. Aus der Antwort der luxemburgischen Regierung auf eine Frage des Gerichtshofes geht hervor, daß die Bank, um die Zulassung zu erhalten, als Tochterunternehmen oder Zweigniederlassung in Luxemburg gegründet oder niedergelassen sein muß.

[10] Bestimmungen, die die Niederlassung einer Bank in einem Mitgliedstaat als Voraussetzung dafür aufstellen, daß die in diesem Staat ansässigen Darlehensnehmer eine vom Staat aus öffentlichen Mitteln gewährte Zinsvergütung erhalten können, sind jedoch geeignet, die Interessenten davon abzuschrecken, sich an in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Banken zu wenden, so daß diese Bestimmungen ein Hindernis für den Verkehr von Kapital wie Bankdarlehen darstellen.

[11] Außerdem wird nach Art. 61 Abs. 2 des Vertrages die »Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbundenen Dienstleistungen der Banken und Versicherungen ... im Einklang mit der schrittweisen Liberalisierung des Kapitalverkehrs durchgeführt«. Da Geschäfte wie von Banken gewährte Baudarlehen Dienstleistungen i.S. des Art. 59 des Vertrages darstellen, ist somit weiter zu prüfen, ob die vom vorlegenden Gericht bezeichnete Regelung mit den Bestimmungen des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr vereinbar ist.

[12] Zunächst ist festzustellen, daß eine Regelung, die die Gewährung von Zinsvergütungen davon abhängig macht, daß die Darlehen bei einem im fraglichen Mitgliedstaat zugelassenen Kreditinstitut aufgenommen wurden, auch eine nach Art. 59 Abs. 1 des Vertrages verbotene Diskriminierung der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute darstellt.

[13] Sodann ist zu prüfen, ob eine solche Regelung nach dem Bestimmungen des Vertrages gerechtfertigt werden kann. Dazu führt die luxemburgische Regierung, unterstützt durch die griechische Regierung, aus, das fragliche Erfordernis füge sich in eine Politik mit sozialer Zielsetzung ein, deren finanzielle und wirtschaftliche Auswirkungen beträchtlich seien. So weise der Haushaltsplan des Staates, wenn man allein das Jahr 1994 berücksichtige, für die Vergütung einen Betrag von 1.410.236.417 BFR aus, d.h. etwa 1 % des Gesamthaushalts. Das Großherzogtum Luxemburg erlange jedoch einen erheblichen Teil, nämlich etwa die Hälfte, der als Zinsvergütung gezahlten Mittel über die Steuer auf die Gewinne der Finanzinstitute wieder zurück, was es ihm ermögliche, eine den Wohnungsbau fördernde Sozialpolitik zu verfolgen und hohe Beträge einem besonderen Wohnungsbaufonds zuzuweisen. Daraus folge, daß die Politik der Unterstützung des Wohnungsbaus ohne die fragliche Regelung zum Scheitern verurteilt wäre, zumindest jedoch nicht so großzügig wie die jetzige sein könnte, so daß eine solche Regelung mit Art. 59 Abs. 1 des Vertrages vereinbar sei.

[14] Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen.

[15] Wie nämlich in Rdn. 12 festgestellt worden ist, führt die fragliche Regelung zu einer Diskriminierung aus Gründen der Niederlassung. Eine solche Diskriminierung kann jedoch nur aus den Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, die in Art. 56 Abs. 1 des Vertrages genannt sind, auf den Art. 66 verweist; wirtschaftliche Ziele gehören nicht zu diesen Gründen (siehe insbesondere Urteil vom in der Rechtssache C-288/89, Collectieve Antennevoorziening Gouda u.a., Slg. 1991, I-4007, Rdn. 11).

[16] Zwar hat der Gerichtshof in seinen Urteilen vom in der Rechtssache C-204/90 (Bachmann, Slg. 1992, I-249) und in der Rechtssache C-300/90 (Kommission/Belgien, Slg. 1992, I-305) ausgeführt, daß eine Regelung, die geeignet ist, sowohl die Freizügigkeit der Arbeitnehmer als auch den freien Dienstleistungsverkehr zu beschränken, durch die Notwendigkeit, die Kohärenz einer Steuerregelung zu gewährleisten, gerechtfertigt sein kann.

[17] Dies trifft jedoch auf den vorliegenden Fall nicht zu.

[18] Denn während in den genannten Rechtssachen zwischen der Abzugsfähigkeit der Beiträge und der Besteuerung der von den Versicherten in Erfüllung der Verträge über die Alters- und Todesfallversicherung zu zahlenden Beträge ein unmittelbarer Zusammenhang bestand, der zur Wahrung der Kohärenz der fraglichen Steuerregelung aufrechtzuerhalten war, besteht im vorliegenden Fall kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Gewährung der Zinsvergütung an die Darlehensnehmer und der Finanzierung dieser Vergütung durch die auf die Gewinne der Finanzinstitute erhobene Steuer.

[19] Daher ist dem nationalen Gericht zu antworten, daß es die Art. 59 und 67 einem Mitgliedstaat verwehren, die Gewährung einer sozialen Beihilfe für den Wohnungsbau, insbesondere einer Zinsvergütung, davon abhängig zu machen, daß die Darlehen zur Finanzierung des Baus, des Erwerbs oder der Verbesserung der subventionierten Wohnung bei einem Kreditinstitut aufgenommen wurden, das in diesem Mitgliedstaat zugelassen ist, was voraussetzt, daß es dort niedergelassen ist. ...

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
EAAAD-91506