Leitsatz
Leitsatz:
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Instanzenzug:
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bedrohung in drei Fällen, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter schwerer Brandstiftung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung und in einem Fall in Tateinheit mit einem Waffendelikt sowie wegen Siegelbruchs und versuchter Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Urteil kann - mit Ausnahme der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - keinen Bestand haben. Die Annahme der Strafkammer, dass der Angeklagte bei sechs der ausgeurteilten Fälle nicht ausschließbar vermindert schuldfähig und bei zwei Fällen voll schuldfähig gewesen sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - festgestellt, dass der Angeklagte unter einer Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Zügen und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstruktur (ICD 10 F 60.3) leidet. Dieses Störungsbild sei dadurch gekennzeichnet, dass er "seine Impulse und Gefühle ohne Rücksicht auf die Konsequenzen auslebe" (UA S. 13). Überdies deute sein selbstverletzendes Verhalten darauf hin, dass bei ihm "die Untergruppe des Borderline-Typs" vorliege (UA S. 13). Diese psychische Auffälligkeit des Angeklagten verwirkliche zwar für sich genommen nicht die Merkmale der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB. Dies werde daran deutlich, dass der Angeklagte sich seit mehreren Jahren in Deutschland aufhalte und bisher nicht straffällig geworden sei, ferner in der Lage sei, sich in der Untersuchungshaftanstalt weitgehend unauffällig zu verhalten. Allerdings falle es ihm dadurch "schwerer als anderen, seine Emotionen zu kontrollieren, so dass er weniger Alkohol benötige, um enthemmt zu sein" (UA S. 13). Die Strafkammer hat nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte deshalb die meisten der gegen seine frühere Lebensgefährtin und deren Eltern verübten Taten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen hat.
b) Diese Bewertung ist mit widersprüchlichen und lückenhaft gebliebenen Erwägungen begründet.
aa) Die Würdigung des Haftverhaltens des Angeklagten durch die Strafkammer steht zum einen in Widerspruch zu dem Bericht des Sachverständigen, der Angeklagte habe während der Untersuchungshaft mehrfach "Gegenstände zu sich genommen, die später zwangsweise hätten wieder abgeführt werden müssen" (UA S. 13). Zum anderen ist dem Urteil zu entnehmen, dass der Sachverständige dem Angeklagten deshalb Sedierungsmittel angeboten hat, die dieser seitdem "mit gutem Erfolg" "morgens, mittags und abends" einnehme (UA S. 13). Mit Blick auf die beruhigende Wirkung des regelmäßig verabreichten Medikaments kann dem Umstand, dass der Angeklagte "in seiner derzeitigen Haftsituation recht gut zurecht kommt" und sich "unauffällig und angepasst" verhält (UA S. 5, 13), ohne weiteres keine tragende Bedeutung beigemessen werden. Auch versäumt es die Strafkammer in diesem Zusammenhang die - offenbar trotz der regelmäßigen Einnahme eines Beruhigungsmittels - vom Angeklagten in der Hauptverhandlung verübten Beschimpfungen und Tätlichkeiten gegen andere Verfahrensbeteiligte und Justizbedienstete sowie seine Androhung zu erörtern, "er könne sich selbst erwürgen oder die Venen durchbeißen" (UA S. 14).
bb) Ferner trägt der vom Landgericht herangezogene mehrjährige straffreie Aufenthalt des Angeklagten in Deutschland die Verneinung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB nicht. Die Urteilsgründe enthalten bereits keinen Hinweis darauf, seit wann sich der Angeklagte in Deutschland befindet. Vielmehr ist den Feststellungen zu entnehmen, dass sein Aufenthalt gerade nicht ununterbrochen war; jedenfalls "ab Januar 2008" verbüßte er in Litauen "eine einjährige Haftstrafe" (UA S. 6). In diesem Zusammenhang versäumt es die Strafkammer auch, in jener Haftzeit aufgetretene Besonderheiten in den Blick zu nehmen. Während dieser kam es "zeitweise zu Schwierigkeiten" (UA S. 4); der Angeklagte befand sich "viel in Isolationshaft" und "verletzte sich selbst, um Spannung abzubauen" (UA S. 4).
cc) Überdies beschränken sich die Urteilsgründe im Wesentlichen darauf, das Ergebnis des Sachverständigengutachtens zu referieren und sich diesem pauschal anzuschließen. Sie entbehren damit einer eigenen Überprüfung der Ausführungen und Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen und lassen die gebotene selbständige tatrichterliche Bewertung vermissen, ob ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB vorliegt und inwieweit dieses gegebenenfalls die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit einschränkt oder aufhebt. Die Beurteilung dieser Rechtsfragen darf das Tatgericht nicht dem Sachverständigen überlassen (vgl. , NStZ-RR 2009, 337).
Zu einer näheren Auseinandersetzung gar mit der Frage aufgehobener Steuerungsfähigkeit zwang auch eine vom Landgericht - ersichtlich ebenfalls dem Sachverständigengutachten entlehnte - mehrfach in den Urteilsgründen verwendete Formulierung. Die Strafkammer führt aus, dass der Angeklagte wegen seiner Persönlichkeitsstörung Impulse und Gefühle ohne Rücksicht auf Konsequenzen auslebe (UA S. 13 und 14). Sie scheint daher selbst in Zweifel zu ziehen, dass der Angeklagte ungeachtet seiner Persönlichkeitsstörung grundsätzlich uneingeschränkt fähig war, entsprechend einer Unrechtseinsicht zu handeln.
dd) In den Fällen 6 und 7 verhält sich das Urteil nicht zu der Frage, worauf es die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit stützt. Mit Blick auf das festgestellte erhebliche Störungsbild des Angeklagten erscheint dies nicht ohne weiteres nachvollziehbar.
2. Da es nicht gänzlich fernliegt, dass die Voraussetzungen des § 20 StGB nach dem Zweifelssatz festgestellt werden müssten, hebt der Senat die Schuldsprüche insgesamt auf. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind insoweit jedoch rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind; ergänzende Feststellungen des neuen Tatgerichts sind möglich. Das neue Tatgericht wird unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen über die Frage der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB zu entscheiden haben.
Gemäß § 358 Abs. 2 StPO wäre es nicht ausgeschlossen, dass gegen den Angeklagten, sollten die Voraussetzungen vorliegen, auch eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet werden könnte.
Fundstelle(n):
KAAAD-91449