BGH Beschluss v. - X ARZ 263/11

Zuständigkeitsstreit: Bestimmung des zuständigen Gerichts vor Rechtshängigkeit

Gesetze: § 17a Abs 2 GVG, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 261 Abs 1 ZPO

Gründe

1I. Der anwaltlich vertretene Kläger hat beim "Arbeitsgericht Lüdinghausen" unter Angabe der Anschrift des Amtsgerichts Lüdinghausen einen mit der Überschrift "Klage und Prozesskostenhilfeantrag" versehenen Schriftsatz eingereicht. In Lüdinghausen existiert kein Arbeitsgericht. Der Schriftsatz trägt den Eingangsstempel des dortigen Amtsgerichts. Nach einem richterlichen Hinweis, dass der Sache nach die Arbeitsgerichte zuständig seien, beantragte der Kläger die Verweisung an das Arbeitsgericht Bocholt. Das Amtsgericht gewährte der Beklagten rechtliches Gehör. Eine Zustellung der Klage oder eine Übermittlung des Prozesskostenhilfeantrags zur Stellungnahme erfolgten jedoch nicht. Die anwaltlich nicht vertretene Beklagte stimmte der beantragten Verweisung zu. Sodann übersandte das Amtsgericht die Akten formlos an das Arbeitsgericht Bocholt "zuständigkeitshalber" unter Verweis auf den zuvor an den Kläger gegebenen rechtlichen Hinweis.

2Das Arbeitsgericht lehnte die Übernahme jedoch ab und sandte die Akten formlos an das Amtsgericht mit der Bemerkung zurück, dass die Verweisung eines Rechtsstreits nach § 17a Abs. 2 GVG eines Beschlusses des angerufenen Gerichts bedürfe, durch den der beschrittene Rechtsweg für unzulässig erklärt und an das zuständige Gericht verwiesen werde, woran es vorliegend fehle.

3Das Amtsgericht sandte die Akten mit der Bemerkung zurück, dass die Sache nicht an das Arbeitsgericht verwiesen, sondern, da Rechtshängigkeit noch nicht eingetreten sei, an dieses abgegeben worden sei. Der Antragsteller habe lediglich ein Prozesskostenhilfeersuchen eingereicht und einen Klageentwurf beigefügt. Eine förmliche Zustellung sei nicht erfolgt. Im Prozesskostenhilfeverfahren sei § 17a GVG nicht entsprechend anwendbar.

4Das Arbeitsgericht lehnte die Übernahme erneut ab und sandte die Akten formlos an das Amtsgericht mit der Bemerkung zurück, dass das Arbeitsgericht Bocholt zwar funktional und örtlich zuständig sei, es sich der Sache aber erst nach einem förmlichen Beschluss des Amtsgerichts Lüdinghausen nach § 17a Abs. 2 GVG annehmen könne.

5Das Amtsgericht hat die Akten daraufhin dem Bundesgerichtshof mit der Bitte um Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

6II. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist abzulehnen.

71. Der Antrag ist allerdings statthaft. Die §§ 17a, 17b GVG stehen dem nicht entgegen. Zwar hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Verfahren der Rechtswegverweisung in den genannten Vorschriften abschließend geregelt ist (, BGHZ 144, 21, 24). Hieraus folgt indes nur, dass die Parteien sich nicht auf das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO verweisen lassen müssen, solange eine Entscheidung nach § 17a GVG noch mit Rechtsmitteln angefochten werden kann. Soweit solche Rechtsmittel nicht zur Verfügung stehen, ist unter besonderen Voraussetzungen ein Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO möglich (, NJWRR 2002, 713; vom   X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, 3632).

8Der Bundesgerichtshof ist auch als derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wurde, für die hier zu treffende Entscheidung zuständig (  Ib ARZ 207/64, BGHZ 44, 14, 15 = NJW 1965, 1596; Beschluss vom   X ARZ 69/01, NJW 2001, 3631, 3632; , BAGE 23, 167, 170 = NJW 1971, 581). Die Neufassung des § 36 ZPO durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts (SchiedsVfG) vom (BGBl. I S. 3224) hat an der Rechtslage insoweit nichts geändert (, NJW 2001, 3631, 3632; ebenso , NZA 1999, 390, 392).

92. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.

10Eine Zuständigkeitsbestimmung entsprechend dieser Vorschrift kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, woran es vorliegend fehlt. Weder das Amtsgericht Lüdinghausen noch das Arbeitsgericht Bocholt hat in einem Beschluss nach § 17a Abs. 2 GVG seine Zuständigkeit verneint. Das Arbeitsgericht hat in seiner letzten Rückleitungsverfügung ausgeführt, dass es sich für funktionell und örtlich zuständig erachte, sich aber mangels formellen Verweisungsbeschlusses daran gehindert sehe, in der Sache selbst tätig zu werden. Der Streit der beteiligten Gerichte betrifft demnach nicht die Zuständigkeit, so dass für eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichtshof entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kein Raum ist (vgl. , juris Rn. 9 f.).

11Die Sache ist daher an das vorlegende Amtsgericht Lüdinghausen zurückzugeben.

12III. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:

13Das Amtsgericht Lüdinghausen wird die Akten erneut dem Arbeitsgericht Bocholt vorzulegen haben. Eines Beschlusses nach § 17a Abs. 2 GVG bedarf es hierzu entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung nicht, weil die Sache mangels Zustellung (§ 253 Abs. 1 ZPO) nicht rechtshängig ist (vgl. , NJW-RR 1996, 254). Dabei kann offen bleiben, ob das klägerische Begehren vorliegend als Prozesskostenhilfeantrag mit Klageentwurf oder  wofür bereits die Überschrift spricht  als unbedingte Klage mit einem flankierenden Prozesskostenhilfeantrag auszulegen ist. Sollte Letztes anzunehmen sein, so fehlt es an einer förmlichen Zustellung an den Beklagten nach § 271 Abs. 1 ZPO. Vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit kommt aber kein Beschluss nach § 17 Abs. 2 GVG, sondern regelmäßig nur eine Abgabe der Sache an ein anderes Gericht in Betracht, wenn der Kläger wie hier darum bittet, weil er nunmehr dieses andere Gericht anstelle des zuerst angegangenen Gerichts anrufen will. Entscheidend ist hierfür nicht, ob das zunächst angerufene Gericht unzuständig war und das andere Gericht zuständig ist. Mit der Abgabe wird vielmehr dem Willen des Klägers Rechnung getragen, dem es zunächst freisteht, welches Gericht er anrufen will (, NJW 1980, 1281; , NJW 2006, 1371 Rn. 17; Foerste in Musielak, ZPO, 8. Aufl., § 281 Rn. 5). Für den Fall eines Prozesskostenhilfeersuchens gilt nichts anderes, zumal es vorliegend noch nicht einmal an den Beklagten nach § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit der Aufforderung, sachlich dazu Stellung zu nehmen, mitgeteilt worden ist. Da das Arbeitsgericht Bocholt in seiner letzten Zuleitungsverfügung seine funktionelle und örtliche Zuständigkeit bereits bejaht hat, geht der Senat davon aus, dass dem Verfahren dort nun auch ohne einen Ausspruch der Rechtswegzuständigkeit, der vor Rechtshängigkeit nur ausnahmsweise im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten ist (vgl. , NJW 1983, 1062; Beschluss vom   X ARZ 266/01, juris Rn. 16), Fortgang gegeben wird.

Keukenschrijver                                 Mühlens                                  Gröning

                                 Bacher                                    Schuster

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
KAAAD-90532