Einstufung von Borverbindungen als gefährliche Stoffe; Anpassung dieser Einstufungen an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt; Methoden zur Bewertung der Eigenschaften dieser Stoffe
Leitsatz
Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit zum einen der Richtlinie 2008/58/EG der Kommission vom zur 30. Anpassung der Richtlinie 67/548/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt und zum anderen der Verordnung (EG) Nr. 790/2009 der Kommission vom zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt berühren könnte, soweit darin bestimmte Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuft werden.
Instanzenzug: High Court of Justice (England & Wales)/Queen's Bench Division (Administrative Court) (Vereinigtes Königreich) -
Gründe
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft
- die Gültigkeit der Einstufungen von borhaltigen Stoffen, die mit der Richtlinie 2008/58/EG der Kommission vom zur 30. Anpassung der Richtlinie 67/548/EWG an den technischen Fortschritt (ABl. L 246, S. 1, im Folgenden: 30. ATF-Richtlinie) in Anhang I der Richtlinie 67/548/EWG des Rates vom zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (ABl. 196, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 2001/59/EG der Kommission vom (ABl. L 225, S. 1) (im Folgenden: Richtlinie 67/548) aufgenommen wurden, und
- die Gültigkeit dieser Einstufungen, soweit sie mit der Verordnung (EG) Nr. 790/2009 der Kommission vom zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt (ABl. L 235, S. 1, im Folgenden: 1. ATF-Verordnung) aus der 30. ATF-Richtlinie in Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548 und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. L 353, S. 1, im Folgenden: CLP-Verordnung) übernommen wurden.
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Etimine SA (im Folgenden: Etimine) und dem Secretary of State for Work and Pensions wegen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit etwaiger Maßnahmen der Regierung des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung der mit der 30. ATF-Richtlinie und der 1. ATF-Verordnung vorgenommenen Einstufungen.
Rechtlicher Rahmen
Die Regelung der Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und der Bewertung ihrer Risiken - die Richtlinien 67/548 und 93/67/EWG sowie die CLP-Verordnung
Die Richtlinie 67/548 und ihre 30. Anpassung an den technischen Fortschritt durch die 30. ATF-Richtlinie
Die Richtlinie 67/548 war im Bereich der chemischen Erzeugnisse die erste Harmonisierungsrichtlinie, die Bestimmungen über das Inverkehrbringen bestimmter Stoffe und Zubereitungen festlegte. Anhang I dieser Richtlinie enthielt eine Liste zur Harmonisierung der Einstufung und Kennzeichnung von über 8 000 Stoffen und Stoffgruppen nach ihrer Gefährlichkeit.
Art. 2 Abs. 2 Buchst. n der Richtlinie 67/548 stuft als "gefährlich" und "fortpflanzungsgefährdend (reproduktionstoxisch)" Stoffe und Zubereitungen ein, die bei Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption nicht vererbbare Schäden der Nachkommenschaft hervorrufen oder die Häufigkeit solcher Schäden erhöhen oder eine Beeinträchtigung der männlichen oder weiblichen Fortpflanzungsfunktionen oder -fähigkeit zur Folge haben können.
Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 67/548 werden die Stoffe aufgrund ihrer Eigenschaften eingestuft. Art. 4 Abs. 3 bestimmt, dass die Liste der eingestuften Stoffe in Anhang I der Richtlinie enthalten ist und dass der Beschluss zur Aufnahme eines Stoffes in diesen Anhang mit seiner harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung nach dem in Art. 29 der Richtlinie 67/548 festgelegten Verfahren zu fassen ist.
Gemäß den Art. 28 und 29 der Richtlinie 67/548 können deren Anhänge nach dem in den Art. 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 184, S. 23) in der durch den Beschluss 2006/512/EG des Rates vom (ABl. L 200, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Beschluss 1999/468) vorgesehenen Regelungsverfahren an den technischen Fortschritt angepasst werden. Der Beschluss 1999/468 ist in Verbindung mit Abschnitt 1 des Anhangs III der Verordnung (EG) Nr. 807/2003 des Rates vom zur Anpassung der Bestimmungen über die Ausschüsse zur Unterstützung der Kommission bei der Ausübung von deren Durchführungsbefugnissen, die in nach dem Konsultationsverfahren (Einstimmigkeit) erlassenen Rechtsakten des Rates vorgesehen sind, an den Beschluss 1999/468 (ABl. L 122, S. 36) zu lesen.
Nach Abschnitt 1.1 des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 ist Ziel der Einstufung die Bezeichnung aller physikalisch-chemischen, toxischen und ökotoxischen Eigenschaften von Stoffen, die bei gebräuchlicher Handhabung oder Verwendung eine Gefahr darstellen können.
Abschnitt 1.4 des Anhangs VI dieser Richtlinie bestimmt u. a., dass die Kennzeichnung alle potenziellen Gefahren berücksichtigt, die bei der gebräuchlichen Handhabung und Verwendung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen auftreten können, wenn diese in einer Form vorliegen, in der sie in den Verkehr gebracht werden. Sie bezieht sich aber nicht unbedingt auf eine Form, in der diese Stoffe und Zubereitungen letztendlich verwendet werden können (z. B. verdünnt).
Nach Abschnitt 1.6.1 Buchst. b des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 können die Daten, die für die Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen erforderlich sind, auf folgende Weise erhalten werden:
"... aus verschiedenen Quellen ... beispielsweise:
- den Ergebnissen früherer Prüfungen;
- Informationen, die im Rahmen der internationalen Regelung der Beförderung gefährlicher Güter erforderlich sind,
- Informationen aus Referenzarbeiten und aus der Literatur; oder
- Informationen aufgrund praktischer Erfahrungen.
Gegebenenfalls kann auch den Ergebnissen validierter Struktur-Aktivitäts-Beziehungen und der Beurteilung durch eine fachkundige Person Rechnung getragen werden."
Gemäß Abschnitt 4.2.3.1 dieses Anhangs VI handelt es sich bei den als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuften Stoffen um Stoffe, die als beeinträchtigend für die Fortpflanzungsfähigkeit (Fruchtbarkeit) des Menschen angesehen werden sollten. Bei diesen Stoffen bestehen hinreichende Anhaltspunkte zu der begründeten Annahme, dass die Exposition eines Menschen gegenüber dem Stoff zu einer Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit führen kann. Diese Annahme beruht im Allgemeinen auf eindeutigen tierexperimentellen Nachweisen einer Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit oder auf sonstigen relevanten Informationen.
Gemäß Abschnitt 4.2.3.3 Abs. 3 und 4 des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 soll die Einstufung eines Stoffes in Kategorie 1 unter den Aspekten der Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit und/oder fruchtschädigenden Wirkung auf der Grundlage von Erfahrungen am Menschen erfolgen, während die Einstufung in Kategorie 2 oder 3 unter den Aspekten der Beeinträchtigung der Fortpflanzungsfähigkeit und/oder fruchtschädigenden Wirkung in erster Linie auf der Grundlage von tierexperimentellen Daten erfolgt. Selbst wenn im Tierexperiment eindeutige Wirkungen nachgewiesen wurden, muss die Bedeutung dieser Befunde für den Menschen kritisch geprüft werden. Diesbezüglich zu berücksichtigende Aspekte sind die Verursachung reproduktionstoxischer Wirkungen ausschließlich bei hohen Dosierungen, deutliche toxikokinetische Unterschiede zwischen Tier und Mensch oder nicht geeignete Verabreichungswege. Aus diesen oder ähnlichen Gründen kann eine Einstufung in Kategorie 3 oder auch keine diesbezügliche Einstufung angemessen sein.
Die Richtlinie 67/548 wurde durch die 30. ATF-Richtlinie geändert, mit der bestimmte Borverbindungen (im Folgenden zusammen: im Ausgangsverfahren fragliche Borverbindungen) in ein hohes Gefahrenniveau eingestuft wurden, was mit neuen Anforderungen an Kennzeichnung und Verpackung sowie weiteren legislativen und geschäftlichen Folgen verbunden war. Mit dieser ATF-Richtlinie wurden die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuft.
Die Richtlinie 93/67/EWG zur Festlegung von Grundsätzen für die Bewertung der Risiken nach dem System der Richtlinie 67/548
Aus Art. 2 Buchst. a in Verbindung mit den Art. 3 bis 5 der Richtlinie 93/67/EWG der Kommission vom zur Festlegung von Grundsätzen für die Bewertung der Risiken für Mensch und Umwelt von gemäß der Richtlinie 67/548 notifizierten Stoffen (ABl. L 227, S. 9) geht hervor, dass die Bewertung der von einem Stoff ausgehenden Gefahren für seine Einstufung nach der Richtlinie 67/548 als ersten Schritt die Ermittlung der schädlichen Wirkungen beinhaltet, die als die Feststellung der schädlichen Wirkungen, die von einem Stoff ausgehen können, definiert ist.
Außerdem ergibt sich aus Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 93/67, dass die Risikobeschreibung in der Abschätzung der Häufigkeit und der Schwere schädlicher Wirkungen, die in einer Bevölkerungsgruppe oder in einem Umweltbereich infolge einer tatsächlichen oder vorhergesagten Exposition gegenüber einem Stoff wahrscheinlich auftreten, besteht und eine Risikoeinschätzung im Sinne einer Quantifizierung dieser Wahrscheinlichkeit einschließen kann.
Die CLP-Verordnung und ihre erste Anpassung an den technischen Fortschritt durch die 1. ATF-Verordnung
Mit der CLP-Verordnung wird die Richtlinie 67/548 in Bezug auf die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung chemischer Stoffe an das Global Harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (im Folgenden: GHS) angepasst. Das GHS besteht aus einer Reihe von Empfehlungen des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Vereinten Nationen, die es ermöglichen sollen, gefährliche Chemikalien zu ermitteln und die Verbraucher durch Symbole und Standardsätze auf den Verpackungsetiketten über die von diesen Chemikalien ausgehenden Gefahren zu informieren.
Nach dem 53. Erwägungsgrund der CLP-Verordnung sollten, damit die Arbeit und die Erfahrungen im Zusammenhang mit der Richtlinie 67/548, einschließlich der Einstufung und Kennzeichnung spezifischer in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführter Stoffe, in vollem Umfang berücksichtigt werden, alle bestehenden harmonisierten Einstufungen unter Verwendung der neuen Kriterien in neue harmonisierte Einstufungen umgewandelt werden.
Die Art. 36 und 37 in Titel V Kapitel 1 ("Schaffung einer harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen") der CLP-Verordnung regeln das Verfahren der Einstufung und der harmonisierten Kennzeichnung der Stoffe, die den Kriterien nach Anhang I der Verordnung für Gefahren wie die Reproduktionstoxizität entsprechen.
Nach Art. 37 können die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und, unter engeren Voraussetzungen, auch die Hersteller, Importeure und Händler von Stoffen der Europäischen Chemikalienagentur (im Folgenden: ECHA), die zum das Europäische Chemikalienbüro ersetzt hat, detaillierte Vorschläge zur harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung unterbreiten.
Art. 53 ("Anpassungen an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt") der CLP-Verordnung ermächtigt die Europäische Kommission zum Erlass von Maßnahmen zur Anpassung der Anhänge I bis VII der Verordnung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt, wobei sie "gebührend die Weiterentwicklung des GHS [berücksichtigt]", und sieht vor, dass diese Maßnahmen nach dem Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen werden, das in Art. 5a Abs. 1 bis 4 des Beschlusses 1999/468 geregelt ist.
Gemäß Art. 55 Nrn. 2 und 11 der CLP-Verordnung wird Anhang I der Richtlinie 67/548 gestrichen und zum durch Anhang VI Teil 3 der Verordnung ersetzt. Tabelle 3.1 dieses Anhangs VI enthält die sich daraus ergebende Einstufung und Tabelle 3.2 die alte Einstufung nach der Richtlinie 67/548 in der Fassung der Richtlinie 2004/73/EG der Kommission vom zur neunundzwanzigsten Anpassung der Richtlinie 67/548 an den technischen Fortschritt (ABl. L 152, S. 1, Berichtigung ABl. L 216, S. 3).
Bei Inkrafttreten der CLP-Verordnung am enthielt dieser Anhang VI also nicht die mit der 30. ATF-Richtlinie in Anhang I der Richtlinie 67/548 eingefügten streitigen Einstufungen.
Nach Art. 60 der CLP-Verordnung wird die Richtlinie 67/548 mit Wirkung zum aufgehoben. Als Übergangsbestimmung sieht Art. 61 Abs. 3 der CLP-Verordnung jedoch vor, dass Stoffe vom bis zum sowohl gemäß der Richtlinie 67/548 als auch gemäß dieser Verordnung eingestuft werden.
Nach Abschnitt 1.1.1.3 des Anhangs I der CLP-Verordnung werden alle verfügbaren Informationen, die für die Gefahrenbestimmung relevant sind, im Zusammenhang betrachtet, beispielsweise die Ergebnisse von geeigneten In-vitro-Tests, einschlägige Tierversuchsdaten, Informationen aus der Anwendung des Kategorienkonzepts (Gruppierung, Übertragung) oder die Ergebnisse von Struktur-Aktivitäts-Beziehungen ([Q]SAR-Verfahren).
Anhang VII der CLP-Verordnung enthält eine Tabelle, die die Umwandlung der Einstufung eines Stoffes nach der Richtlinie 67/548 in die entsprechende Einstufung gemäß der CLP-Verordnung erleichtern soll.
Auf der Grundlage des Art. 53 der CLP-Verordnung wurden die durch die 30. ATF-Richtlinie vorgenommenen Einstufungen mit der 1. ATF-Verordnung in Anhang VI Teil 3 der CLP-Verordnung in der Weise übernommen und umgewandelt, dass sie in Tabelle 3.2 dieses Anhangs unverändert aufgenommen, in Tabelle 3.1 des Anhangs VI dagegen unter Verwendung der Umwandlungstabelle des Anhangs VII der CLP-Verordnung einfach in CLP-Einstufungen umgewandelt wurden. Die 1. ATF-Verordnung trat am in Kraft.
Die Regelung der Bewertung und der Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe - die Verordnung (EWG) Nr. 793/93 und die REACH-Verordnung
Mit der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates vom zur Bewertung und Kontrolle der Umweltrisiken chemischer Altstoffe (ABl. L 84, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 793/93) wurde das in der Richtlinie 67/548 vorgesehene Verfahren zur Anmeldung neuer Stoffe vervollständigt.
Diese Verordnung wurde mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Chemikalienagentur, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 793/93, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396, S. 1, und Berichtigung ABl. 2007, L 136, S. 3, im Folgenden: REACH-Verordnung) am aufgehoben.
Gemäß den Art. 3 und 4 der Verordnung Nr. 793/93 waren Hersteller und Importeure verpflichtet, der Kommission bestimmte relevante Daten über die aufgrund der eingeführten oder hergestellten Menge zu bewertenden Stoffe mitzuteilen und sich in angemessener Weise um die Beschaffung dieser Daten zu bemühen. Lagen jedoch keine Informationen vor, so waren sie nicht gehalten, im Hinblick auf die Vorlage dieser Daten zusätzliche Tierversuche durchzuführen.
Nach Art. 8 in Verbindung mit Art. 15 der Verordnung Nr. 793/93 waren auf der Grundlage der von den Herstellern und den Importeuren vorgelegten Informationen gemäß einem Ausschussverfahren mit Kontrolle Listen der mit Vorrang zu prüfenden Stoffe erstellt worden, die wegen ihrer möglichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.
Die Kommission erließ die Verordnung (EG) Nr. 1488/94 vom zur Festlegung von Grundsätzen für die Bewertung der von Altstoffen ausgehenden Risiken für Mensch und Umwelt gemäß der Verordnung Nr. 793/93 (ABl. L 161, S. 3).
Aus den Erwägungsgründen der REACH-Verordnung geht hervor, dass das von der ECHA verwaltete aktuelle System darauf abzielt, ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und für die Umwelt sicherzustellen sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Chemikaliensektors und die Innovation zu verbessern. Die REACH-Verordnung verpflichtet Unternehmen, die chemische Stoffe herstellen und einführen, die sich bei deren Verwendung ergebenden Gefahren und Risiken zu bewerten und die erforderlichen Risikomanagementmaßnahmen zu ergreifen.
Gemäß Art. 13 der REACH-Verordnung sind Informationen über die Bewertung der chemischen Stoffe, insbesondere über deren Toxizität für den Menschen, sofern irgend möglich, durch andere Mittel als Versuche mit Wirbeltieren zu gewinnen, insbesondere durch die Verwendung von alternativen Methoden, z. B. von In-vitro-Verfahren oder von Modellen der qualitativen oder quantitativen Struktur-Aktivitäts-Beziehung oder von Daten über strukturell verwandte Stoffe (Gruppierung oder Analogie).
Abschnitt 1.5 des Anhangs XI der REACH-Verordnung sieht für die Bewertung der chemischen Stoffe das Analogiekonzept vor. Insbesondere können danach Stoffe, deren physikalisch-chemische, toxikologische und ökotoxikologische Eigenschaften infolge struktureller Ähnlichkeit voraussichtlich ähnlich sind oder einem bestimmten Muster folgen, als Stoffgruppe betrachtet werden. Voraussetzung dafür ist, dass für einen Stoff die physikalisch-chemischen Eigenschaften, die Wirkung auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt oder der Verbleib in der Umwelt durch Interpolation aus den Daten für Bezugsstoffe abgeleitet werden können, die derselben Stoffgruppe angehören (Analogiekonzept).
Verfahren, das zu den streitigen Einstufungen geführt hat
Am legte die Französische Republik der Kommission einen Vorschlag zur Einstufung von Borsäure nach der Richtlinie 67/548 als fortpflanzungs- und entwicklungsgefährdenden Stoff der Kategorie 2 vor; dieser Stoff war bislang in Anhang I dieser Richtlinie nicht aufgeführt gewesen.
Auf die Türkei entfallen mehr als zwei Drittel der weltweiten Borvorkommen.
Am legte das Königreich Dänemark einen Vorschlag zur Einstufung von Borsäure und Boraxdecahydrat nach der Richtlinie 67/548 in die Kategorie 2 der fortpflanzungsgefährdenden Stoffe und in die Kategorie 3 der entwicklungsgefährdenden Stoffe vor.
In ihrer Sitzung vom 15. bis empfahl die Arbeitsgruppe der Kommission zur Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe beim Europäischen Chemikalienbüro (im Folgenden: EK-Arbeitsgruppe), Borsäure nach der Richtlinie 67/548 als fortpflanzungsgefährdenden Stoff der Kategorie 3 sowohl hinsichtlich der Fruchtbarkeit als auch der Entwicklung einzustufen. Für Boraxdecahydrat und Dinatriumtetraborat wasserfrei empfahl die EK-Arbeitsgruppe eine Einstufung gemäß der Richtlinie 67/548 als fortpflanzungsgefährdende Stoffe der Kategorie 3.
Auf Ersuchen der Generaldirektion "Umwelt" der Kommission forderte das Europäische Chemikalienbüro Fachleute auf, die Einstufung von Boraten gemäß der Richtlinie 67/548 auf ihre Reproduktionstoxizität zu überprüfen. In der Sitzung vom 5. und untersuchte die mit entsprechenden Fachleuten besetzte Arbeitsgruppe der Kommission (im Folgenden: Sachverständigen-Arbeitsgruppe) mehrere Borverbindungen, wie z. B. Boraxpentahydrat, Boroxid, Borsäure, Boraxdecahydrat und Dinatriumtetraborat wasserfrei, und gelangte zu dem Ergebnis, dass diese Stoffe auf der Grundlage von Tierversuchen gemäß der Richtlinie 67/548 als fortpflanzungsgefährdende Stoffe der Kategorie 2 eingestuft werden sollten (Dokument ECBI/132/04 Rev. 2).
Am fand eine Zusammenkunft zwischen den türkischen Behörden, Etimine und der Kommission statt, bei der sich die türkischen Behörden gegen die vorgeschlagene Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdende Stoffe der Kategorie 2 aussprachen. Zur Stützung ihrer Auffassung übermittelten sie der Generaldirektion "Umwelt" mit Schreiben vom einen technischen Vermerk türkischer Toxikologen, der in der Sitzung vom mündlich vorgestellt worden war, sowie einen Bericht mit dem Titel "Stellungnahme der türkischen Gesellschaft für Toxikologie zur Einstufung von Borsäure und Boraten als fortpflanzungsgefährdende Stoffe".
Mit an die Generaldirektion "Umwelt" gerichtetem Schreiben vom wandte sich Etimine gegen die Schlussfolgerungen der Sachverständigen-Arbeitsgruppe und ersuchte die Kommission, diese nicht zu berücksichtigen.
In seiner Sitzung vom setzte der Technische Ausschuss für die Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe (im Folgenden: TAEK) mit Vertretern der türkischen Behörden, der Eti Mine Works General Management und türkischen Toxikologen die Erörterung der vorgeschlagenen Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen gemäß der Richtlinie 67/548 fort und beschloss dann, der Stellungnahme der Sachverständigen-Arbeitsgruppe zu folgen und die Einstufung dieser Stoffe als fortpflanzungsgefährdende Stoffe der Kategorie 2 zu empfehlen (Dokument ECBI/43/05 Rev. 1).
Mit Schreiben vom ersuchten die türkischen Behörden die Kommission, die Entscheidung über die Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen gemäß der Richtlinie 67/548 so lange aufzuschieben, bis verschiedene Studien, die hierzu durchgeführt würden, abgeschlossen seien.
Mit an die Generaldirektion "Umwelt" gerichtetem Schreiben vom wiederholte Etimine ihre Forderung, die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen bei der 30. Anpassung der Richtlinie 67/548 an den technischen Fortschritt nicht als fortpflanzungsgefährdende Stoffe der Kategorie 2 einzustufen.
Mit Schreiben vom teilte die Generaldirektion "Umwelt" mit, dass sie die Stellungnahme von Etimine gebührend berücksichtigt habe und auf bestimmte in deren Schreiben vom angeführte Gesichtspunkte eingegangen sei.
In einem an die Kommission gerichteten Schreiben vom erklärten die türkischen Behörden, sie seien mit der vorgeschlagenen Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen gemäß der Richtlinie 67/548 nicht einverstanden.
Nach der Empfehlung der EK-Arbeitsgruppe und des TAEK gab der Ausschuss zur Anpassung an den technischen Fortschritt (im Folgenden: ATF-Ausschuss) am für den gesamten Vorschlag zur 30. ATF-Richtlinie eine befürwortende Stellungnahme ab (Dokument JM/30ATP/09/2006).
Nach Abschluss eines Verfahrens bei der Welthandelsorganisation (WTO), in dem bestimmte borerzeugende Drittländer dem Vorschlagsentwurf entgegengetreten waren, erließ die Kommission am die 30. ATF-Richtlinie, da sie der Auffassung war, dass dieses Verfahren keine neuen Erkenntnisse gebracht habe. Die Mitgliedstaaten hatten die 30. ATF-Richtlinie bis zum in innerstaatliches Recht umzusetzen.
Anhang I der Richtlinie 67/548 wurde mit dem Inkrafttreten der CLP-Verordnung am aufgehoben und durch deren Anhang VI ersetzt, der zu diesem Zeitpunkt nur die Einstufungen des Anhangs I der Richtlinie 67/548 in der zuletzt durch die Richtlinie 2004/73 geänderten Fassung enthielt.
Anhang VI der CLP-Verordnung wurde durch die 1. ATF-Verordnung um den Inhalt der 30. ATF-Richtlinie ergänzt. Die ATF-Verordnung wurde am auf der Grundlage von Art. 53 der CLP-Verordnung erlassen, nachdem der ATF-Ausschuss am einstimmig einen entsprechenden Vorschlag angenommen hatte, und trat am in Kraft.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, Etimine, ist eine luxemburgische Gesellschaft und Alleinhändlerin und -vertreiberin der von ihrer Muttergesellschaft, der Eti Mine Works General Management, hergestellten Borverbindungen im Vereinigten Königreich. Die Muttergesellschaft steht im Alleineigentum des türkischen Staates und verfügt über eine ausschließliche Abbaugenehmigung für Bor in der Türkei.
Die Streithelferin, die Borax Europe Limited (im Folgenden: Borax), ist eine Gesellschaft englischen Rechts. Sie steht im Alleineigentum der Rio Tinto plc. Die Schwestergesellschaft US Borax Inc. betreibt Boratminen in Kalifornien und Argentinien, mit denen derzeit fast die Hälfte der weltweiten Boratnachfrage bedient wird. Borax verkauft und vertreibt die Borverbindungen der US Borax Inc. in Europa; der hierauf entfallende Anteil am weltweiten Umsatz der US Borax Inc. beläuft sich auf etwa ein Drittel.
Der Beklagte des Ausgangsverfahrens, der Secretary of State for Work and Pensions, ist der für die Einstufung von chemischen Stoffen zuständige Minister des Vereinigten Königreichs.
Etimine erhob am beim High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Administrative Court), Klage gegen den Secretary of State for Work and Pensions auf gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit etwaiger Maßnahmen der Regierung des Vereinigten Königreichs zur Umsetzung der mit der 30. ATF-Richtlinie und der 1. ATF-Verordnung vorgenommenen Einstufungen.
Etimine bestreitet die Gültigkeit der Einstufung von fünf Einträgen in Anhang 1G der 30. ATF-Richtlinie, die in die Anhänge II und V der 1. ATF-Verordnung übernommen wurden. Bei diesen Einträgen, mit denen bestimmte Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuft werden, handelt es sich um: 005-007-00-2 (Borsäure), 005-008-00-8 (Dibortrioxid und Boroxid), 005-011-00-4 (Dinatriumtetraborat, wasserfrei, Borsäure, Dinatriumsalz, Tetrabordinatriumheptaoxid, Hydrat, Orthoborsäure, Natriumsalz), 005-011-01-1 (Dinatriumtetraboratdecahydrat, Boraxdecahydrat) und 005-011-02-9 (Dinatriumtetraboratpentahydrat, Boraxpentahydrat) (im Folgenden: streitige Einstufungen).
Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Administrative Court), hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die streitigen Einstufungen von Borverbindungen durch die 30. ATF-Richtlinie und/oder durch die 1. ATF-Verordnung aus einem oder mehreren der folgenden Gründe unwirksam?
a) Sind die Einstufungen in die 30. ATF-Richtlinie unter Verstoß gegen wesentliche Verfahrenserfordernisse aufgenommen worden?
b) Ist die Aufnahme der Einstufungen in die 30. ATF-Richtlinie unter Verstoß gegen die Richtlinie 67/548 und/oder aufgrund offensichtlicher Bewertungsfehler erfolgt, weil
- die Kommission den in Anhang VI zur Richtlinie 67/548 enthaltenen Grundsatz der Berücksichtigung der "gebräuchlichen Handhabung und Verwendung" nicht oder nicht richtig angewandt hat;
- es zu einer rechtswidrigen Anwendung der Kriterien für die Risikobewertung gekommen ist;
- die Kommission das Kriterium der "Geeignetheit" unter Verstoß gegen Abschnitt 4.2.3.3 des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 nicht oder nicht richtig angewandt hat;
- die Kommission die Notwendigkeit von epidemiologischen Daten/Humandaten nicht oder nicht ordnungsgemäß beachtet hat und/oder
- die Kommission rechtswidrig Daten zu einer der Borverbindungen zum Zweck der Einstufung der anderen Borverbindungen herangezogen hat und/oder entgegen Art. 253 EG keine hinreichende Begründung für eine solche Extrapolation gegeben hat?
c) Sind die Einstufungen in die 30. ATF-Richtlinie unter Verstoß gegen den für das Gemeinschaftsrecht grundlegenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgenommen worden?
2. Sind die streitigen Einstufungen der Borverbindungen durch die 1. ATF-Verordnung deshalb unwirksam, weil
a) die 1. ATF-Verordnung fehlerhaft unter Heranziehung des Verfahrens nach Art. 53 der CLP-Verordnung als Rechtsgrundlage zustande gekommen ist;
b) die Kriterien für die Neueinführung von harmonisierten Einstufungen nach Anhang I der CLP-Verordnung nicht angewandt worden sind und stattdessen Anhang VII dieser Verordnung fehlerhaft angewandt worden ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit der ersten Frage
In ihren schriftlichen Erklärungen hat die Kommission beantragt, die erste Vorlagefrage für unzulässig zu erklären, soweit sie die Gültigkeit der 30. ATF-Richtlinie betrifft, die mit Inkrafttreten der CLP-Verordnung am aufgehoben worden sei. In der mündlichen Verhandlung zog die Kommission diese Einrede der Unzulässigkeit jedoch wieder zurück, da sie der Auffassung war, dass die mit der 1. ATF-Verordnung in Anhang VI der CLP-Verordnung eingefügten Einstufungen jedenfalls nur diejenigen Einstufungen wiedergäben, die bereits in der 30. ATF-Richtlinie auf der Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen vorgenommen worden seien, die von mehreren Gremien im Rahmen der Richtlinie 67/548 abgegeben worden seien.
Da der Gerichtshof keine anderen Unzulässigkeitsgründe sieht, hat er über die Vorlagefragen zu entscheiden.
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 durch die 30. ATF-Richtlinie und die 1. ATF-Verordnung nicht deshalb ungültig sei, weil sie gegen wesentliche Verfahrenserfordernisse und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße und offensichtliche Beurteilungsfehler enthalte oder an einem Begründungsmangel leide.
Vorbemerkungen
Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 67/548 in diesem komplexen technischen und rechtlichen, sich ständig weiterentwickelnden Rahmen der Kommission in der Sache ein weites Ermessen hinsichtlich des Umfangs der Maßnahmen belässt, die zu ergreifen sind, um die Anhänge dieser Richtlinie an den technischen Fortschritt anzupassen (Urteil vom , Enviro Tech [Europe], C-425/08, Slg. 2009, I-10035, Randnr. 46).
Nach ständiger Rechtsprechung muss sich, da die Unionsbehörden über ein weites Ermessen insbesondere in Bezug auf die Beurteilung der hoch komplexen wissenschaftlichen und technischen tatsächlichen Umstände bei der Festlegung von Art und Umfang der von ihnen erlassenen Maßnahmen verfügen, die Kontrolle durch den Unionsrichter auf die Prüfung beschränken, ob die Ausübung dieses Ermessens nicht offensichtlich fehlerhaft ist, einen Ermessensmissbrauch darstellt oder diese Behörden die Grenzen ihres Ermessens offensichtlich überschritten haben. In einem solchen Kontext darf der Unionsrichter nämlich nicht seine Beurteilung der tatsächlichen Umstände wissenschaftlicher und technischer Art an die Stelle derjenigen der Organe setzen, denen allein der EG-Vertrag diese Aufgabe anvertraut hat (Urteil Enviro Tech [Europe], Randnr. 47).
Zum Verstoß gegen wesentliche Verfahrenserfordernisse
Zunächst fragt das vorlegende Gericht, ob die Kommission die wesentlichen Verfahrenserfordernisse des Art. 29 der Richtlinie 67/548 in Verbindung mit Art. 5 des Beschlusses 1999/468 eingehalten habe.
Etimine und Borax tragen vor, dass bei der Prüfung des Vorschlags für die 30. ATF-Richtlinie im Rahmen der Sitzung des ATF-Ausschusses vom die Vertreter von sieben Mitgliedstaaten die Auffassung vertreten hätten, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 3 und nicht der Kategorie 2 einzustufen seien.
Da Art. 5 des Beschlusses 1999/468 vorsehe, dass die Stellungnahme des Ausschusses mit der entsprechend Art. 205 Abs. 2 EG gewichteten Mehrheit der Stimmen abgegeben werden müsse, hätte der ATF-Ausschuss sich gegen die Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen in Kategorie 2 aussprechen müssen. Der ATF-Ausschuss sei jedoch trotz dieser Uneinigkeit aufgefordert worden, eine einheitliche Stellungnahme zu allen vorgeschlagenen Einstufungen der 30. ATF-Richtlinie (einschließlich der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen) abzugeben; in diesem Zusammenhang habe der ATF-Ausschuss eine positive Stellungnahme mit der nach Art. 5 des Beschlusses 1999/468 erforderlichen qualifizierten Mehrheit (bei einem Abwesenden und zwei Enthaltungen) abgegeben.
Es ist jedoch festzustellen, dass weder Art. 29 der Richtlinie 67/548 noch Art. 5 des Beschlusses 1999/468 verlangt, dass der ATF-Ausschuss über jeden Einstufungsvorschlag im Entwurf von Maßnahmen gesondert abstimmt.
Außerdem ergibt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, eine solche Pflicht auch nicht aus der Geschäftsordnung des ATF-Ausschusses und insbesondere nicht aus deren Art. 5 Abs. 2, der es den Mitgliedern des ATF-Ausschusses nicht gestattet, in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens eine gesonderte Abstimmung zu verlangen; sie haben lediglich die Möglichkeit, die Abstimmung hinauszuzögern.
Hätten die Vertreter der sieben Mitgliedstaaten, die Vorbehalte gegen die Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 geäußert hatten, ihre Meinung aufrechterhalten, hätten sie mit ihrer Stimme die Ablehnung des gesamten Entwurfs erreichen können. Dies taten sie aber nicht, und der Vorschlag wurde angenommen.
Somit ist festzustellen, dass die Kommission nicht gegen die wesentlichen Verfahrenserfordernisse des Art. 29 der Richtlinie 67/548 in Verbindung mit Art. 5 des Beschlusses 1999/468 verstoßen hat.
Zu den offensichtlichen Beurteilungsfehlern und dem Begründungsmangel
Das vorlegende Gericht möchte sodann wissen, ob die streitigen Einstufungen nicht aufgrund von offensichtliche Beurteilungsfehlern erlassen wurden, die die Kommission bei der Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen begangen hatte und die im Wesentlichen fünf Aspekte betreffen: das Außerachtlassen der gebräuchlichen Handhabung oder Verwendung der Stoffe, die Bewertung der Risiken statt der Gefahren, die Beurteilung der Geeignetheit des bei den Tierversuchen gewählten Verabreichungswegs, das Fehlen epidemiologischer Daten und die Anwendung des Analogiekonzepts oder einen Begründungsmangel.
- Zur Bewertung der Risiken bei gebräuchlicher Handhabung oder Verwendung der Stoffe
Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Kommission den Grundsatz der "gebräuchlichen Handhabung oder Verwendung" in den Abschnitten 1.1 und 1.4 des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 ordnungsgemäß angewandt habe, soweit sie ihre Beurteilung auf Daten gestützt hat, die bei einer oralen Verabreichung der im Ausgangsverfahren fraglichen Stoffe gewonnen worden sind.
Etimine wirft der Kommission nämlich vor, sie habe die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen anhand der Wirkungen eingestuft, die sie nach ihrem Verzehr durch Tiere hervorriefen. Die gebräuchliche Handhabung und Verwendung dieser Stoffe umfasse deren etwaige Aufnahme über die Atemluft und möglicherweise über die Haut, aber nicht das Risiko einer Aufnahme durch Verschlucken. Unter normalen Umständen würden diese Stoffe nicht verschluckt.
Auch wenn weder die Richtlinie 67/548 noch die CLP-Verordnung oder die REACH-Verordnung eine Definition für "gebräuchliche Handhabung oder Verwendung" enthalten, umfasst dieser Begriff, wie die Kommission vorgetragen hat, doch alle Handhabungen und Verwendungen, die unter normalen Umständen möglich sind, so dass auch realistische und vorhersagbare Unfälle zu berücksichtigen sind, etwa, wenn Kinder bestimmte Mengen von nicht zum Verzehr bestimmten Stoffen zu sich nehmen.
Jedenfalls ist erstens daran zu erinnern, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. n der Richtlinie 67/548 bei der Definition der fortpflanzungsgefährdenden Stoffe und Zubereitungen neben dem Einatmen und der Hautresorption auch die orale Einnahme (Verschlucken) als möglichen Verabreichungsweg der giftigen Stoffe nennt.
Zweitens ist festzustellen, dass - wie der Generalanwalt in den Nrn. 79 ff. seiner Schlussanträge ausgeführt hat - die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens vorgebrachte Rüge im Wesentlichen auf einer Verwechslung der Bewertung der von einem Stoff ausgehenden Gefahren mit der Bewertung der mit diesem Stoff verbundenen Risiken beruht.
Wie insbesondere aus Art. 4 der Richtlinie 67/548 in Verbindung mit den Art. 2 bis 5 der Richtlinie 93/67 hervorgeht, beruhen die Einstufung und die Kennzeichnung der in der Richtlinie 67/548 angeführten Stoffe auf der Übermittlung von Informationen über die durch die Eigenschaften der Stoffe bedingten Gefahren. Die Bewertung der Gefahren ist die erste Phase des Verfahrens zur Risikobewertung, die ein genaueres Konzept darstellt. Diese Unterscheidung zwischen den Gefahren und den Risiken wurde übrigens in der CLP-Verordnung und in der REACH-Verordnung beibehalten.
Eine Bewertung der durch die Eigenschaften der Stoffe bedingten Gefahren darf - anders als eine Risikobewertung - nicht auf bestimmte Verwendungen beschränkt werden und kann unabhängig vom Ort der Verwendung des Stoffes, vom Expositionsweg (Verzehr, Einatmen oder Hautresorption) und vom Grad der Exposition wirksam erfolgen.
Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler beging, als sie ihre Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Stoffe auf die Ergebnisse von Tierversuchen stützte, bei denen die Stoffe oral verabreicht wurden.
- Zur Bewertung der Risiken statt der Bewertung der Gefahren
Etimine macht geltend, dass die Kommission, obwohl für die Richtlinie 67/548 und alle Maßnahmen zu ihrer Anpassung an den technischen Fortschritt der Grundsatz der Gefahren- und nicht der Risikobewertung gelte, die Grundsätze der Risikobewertung nach der Verordnung Nr. 1488/94 angewandt habe. Dies gehe aus Abschnitt 1.1.5 der Begründung des Entwurfs der 30. ATF-Richtlinie hervor, der wie die Verordnung Nr. 1488/94 mehrfach den Begriff der Risiken und den der Risikoermittlung verwende.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass - wie die Vertreter der Regierung des Vereinigten Königreichs, der dänischen und der französischen Regierung ausgeführt haben - Vertreter des betreffenden Wirtschaftszweigs in den zahlreichen dem Erlass der 30. ATF-Richtlinie vorangegangenen Erörterungen versucht haben, mit risikobezogenen Argumenten darzutun, dass eine unerreichbar starke Exposition nötig sei, damit ein Mensch eine Dosis empfange, die zu nachteiligen Auswirkungen auf die Fortpflanzungsfähigkeit führen könne.
Wenn also die Kommission in Abschnitt 1.1.5 dieser Begründung auf die Risikobewertung zurückgegriffen hat, erfolgte dies doch, um auf das Vorbringen des Wirtschaftszweigs zur Nichtbeachtung des Grundsatzes der gebräuchlichen Handhabung oder Verwendung von Stoffen einzugehen.
Außerdem schließt das Bewertungssystem der Richtlinie 67/548 im Hinblick auf das weite Ermessen, das es der Kommission lässt, den Rückgriff auf die Risikobewertung zur Bestätigung der Begründetheit eines auf eine Studie der Stoffeigenschaften gestützten Einstufungsvorschlags nicht aus.
Schließlich kann angesichts der gesamten Begründung des Entwurfs der 30. ATF-Richtlinie die Bezugnahme auf die Risikobewertung allein in Abschnitt 1.1.5 die Grundlage der Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen, die im Wesentlichen auf der Bewertung der Gefahren dieser Stoffe beruht, nicht in Frage stellen.
Folglich ergibt sich aus Abschnitt 1.1.5 der Begründung des Entwurfs der 30. ATF-Richtlinie, auf den sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens beruft, nicht, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hätte, als sie dort auf Aspekte der Risikobewertung nach der Verordnung Nr. 1488/94 eingegangen ist.
- Zur Geeignetheit des Verabreichungswegs der Stoffe bei der Bewertung der Ergebnisse von Tierversuchen
Das vorlegende Gericht fragt, ob die Kommission nicht das Kriterium der "Geeignetheit" falsch angewandt und damit gegen Abschnitt 4.2.3.3 des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 verstoßen habe.
Etimine macht nämlich geltend, dass es beim Kriterium der "Geeignetheit" in Abschnitt 4.2.3.3 nicht darum gehe, zu prüfen, ob einer der drei in Art. 2 Abs. 2 Buchst. n der Richtlinie 67/548 genannten Verabreichungswege (Einatmen, Verschlucken oder Hautresorption) gegeben sei, sondern darum, festzustellen, ob der Verabreichungsweg, auf dessen Grundlage die auf Tiere bezogenen Daten gewonnen worden seien, für den Menschen geeignet sei. Daher hätte die Kommission die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 3 und nicht der Kategorie 2 einstufen müssen.
In Abschnitt 1.1.4 der Begründung des Entwurfs der 30. ATF-Richtlinie hat die Kommission festgestellt, dass die Tierversuche mit oraler Verabreichung durchgeführt worden seien, und die Auffassung vertreten, dass dieser Verabreichungsweg gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. n der Richtlinie 67/548 geeignet gewesen sei.
Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass die Kommission bei der Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen die Geeignetheit des in Abschnitt 4.2.3.3 vorgesehenen Verabreichungswegs geprüft hat.
Überdies bestehen hinsichtlich der Frage, ob der orale Verabreichungsweg, auf dessen Grundlage die Ergebnisse der Tierversuche gewonnen wurden, geeignet war, keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hätte.
- Zum Fehlen hinreichender epidemiologischer Daten
Das vorlegende Gericht fragt, ob die Kommission den epidemiologischen Daten oder Humandaten genügend Bedeutung beigemessen habe.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht nämlich geltend, die Kommission sei zu Unrecht von der Annahme ausgegangen, dass die in Tierversuchen gewonnenen Daten auf den Menschen übertragen werden könnten, und habe erst dann die Humandaten geprüft, statt diese unvoreingenommen zu betrachten.
Aus dem Dokument ECBI/132/04 Rev. 2, das das Protokoll der Sitzung der Sachverständigen-Arbeitsgruppe vom 5. und enthält, sowie aus Abschnitt 1.1.4 ("Human Data and Toxico-kinetic Information") der Begründung des Entwurfs der 30. ATF-Richtlinie geht jedoch hervor, dass diese Fachleute und die Kommission bei der Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen die epidemiologischen Daten berücksichtigt und sich mit der Frage befasst haben, ob den in Tierversuchen gewonnenen Daten Relevanz für den Menschen zukommt.
Dabei kamen die Fachleute zu dem Ergebnis, dass die bereits im Rahmen der beruflichen Exposition von in Boratminen tätigen Bergarbeitern durchgeführten Studien nicht genügten, um den Nachweis des Fehlens schädlicher Wirkungen der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen auf die menschliche Fortpflanzungsfähigkeit zu erbringen.
Das Fehlen hinreichender epidemiologischer Daten (zu den toxischen Wirkungen auf die menschliche Fortpflanzungsfähigkeit) wurde also insoweit berücksichtigt, als die Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 1 verworfen wurde, weil für eine Einstufung in diese Kategorie relevante epidemiologische Daten erforderlich gewesen wären. Die Fachleute waren jedoch der Ansicht, dass die für Labortiere erhobenen toxikokinetischen Daten keine wesentlichen Unterschiede zu den für Menschen festgestellten Daten aufwiesen, so dass eine Übertragung der bei Tierversuchen erzielten Ergebnisse auf den Menschen möglich war und eine Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 empfohlen wurde.
Folglich hat die Kommission bei der Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen die vorliegenden epidemiologischen Daten berücksichtigt und nicht offensichtlich die Grenzen ihres Ermessens überschritten.
- Zur Anwendung des Analogiekonzepts im Rahmen der Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen
Das vorlegende Gericht fragt, ob die Kommission nicht ihr Ermessen überschritten hat, als sie das Analogiekonzept anwandte, anstatt die Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen nach den Kriterien und Vorgaben bezüglich der Daten in Anhang VI der Richtlinie 67/548 zu bewerten.
Etimine wirft der Kommission vor, die Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen nicht so untersucht zu haben, wie dies nach Art. 4 und Abschnitt 1.1 des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 erforderlich sei. Außerdem habe die Kommission zur Einstufung dieser Stoffe das Analogiekonzept angewandt, obwohl zu diesen Stoffen keine Daten vorgelegen hätten.
Insofern sei daran erinnert, dass das Analogiekonzept eine der in Abschnitt 1.1.1.3 des Anhangs I der CLP-Verordnung anerkannten Methoden ist. Auch in Abschnitt 1.5 des Anhangs XI der REACH-Verordnung wird es als eine Methode beschrieben, nach der die Eigenschaften bestimmter Stoffe aus den zu anderen, strukturell ähnlichen Bezugsstoffen vorliegenden Daten abgeleitet werden können. Es ist dann nicht notwendig, jeden Stoff für jede Wirkung zu prüfen, so dass diese Methode angewandt werden kann, wenn keine Daten zu den zur Risikobewertung vorgelegten Stoffen vorliegen.
Diese Methode ist in der REACH-Verordnung und in der CLP-Verordnung ausdrücklich vorgesehen, wird in Anhang VI der Richtlinie 67/548 aber als solche nicht erwähnt.
Die in Abschnitt 1.6.1 Buchst. b des Anhangs VI der Richtlinie 67/548 enthaltene Liste der Quellen, denen die für die Bewertung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen erforderlichen Daten entnommen werden können, ist, wie das Wort "beispielsweise" zeigt, nicht abschließend.
Dieser Abschnitt 1.6.1 Buchst. b sieht jedoch die Möglichkeit vor, bei der Bewertung der Chemikalien die Ergebnisse validierter Struktur-Aktivitäts-Beziehungen und die Beurteilung durch eine fachkundige Person zu berücksichtigen.
Die Bewertung von Stoffen anhand von Struktur-Aktivitäts-Beziehungen gehört ebenso wie das Analogiekonzept zu den auf dem Kategoriekonzept beruhenden Bewertungsmethoden und stellt ein Verfahren zur Vorhersage der Aktivität eines Stoffes dar, bei dem seine Molekularstruktur, die derjenigen eines anderen Stoffes oder einer anderen Stoffgruppe, deren Wirkungen bekannt sind, entspricht, in quantitativer Hinsicht beurteilt wird.
Anhang VI der Richtlinie 67/548 verweist ausdrücklich auf die Richtlinie 86/609/EWG des Rates vom zur Annäherung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zum Schutz der für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (ABl. L 358, S. 1), die die Anwendung des Analogiekonzepts und der auf der Struktur-Aktivitäts-Beziehung beruhenden Methode fördert.
Darüber hinaus hat die Gemeinsame Forschungsstelle der Kommission im Jahr 2007 eine umfangreiche Studie zur Anwendung des Analogiekonzepts im Rahmen der Richtlinie 67/548 ("A Compendium of Case Studies that helped to shape the REACH Guidance on Chemical Categories and Read Across") veröffentlicht. Zu den in dieser Studie untersuchten Beispielen gehört auch die Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen.
Wenn also, wie der Generalanwalt in den Nrn. 121 und 122 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die auf der Struktur-Aktivitäts-Beziehung beruhende Methode auch gewisse Unterschiede zum Analogiekonzept aufweist, so dürfen diese zwei Methoden doch nicht als voneinander unabhängig angesehen werden, da sie beide auf dem Prinzip beruhen, dass die zu bestimmten Stoffen vorliegenden Daten extrapoliert werden, um andere Stoffe mit ähnlicher Struktur, zu denen sehr wenige oder gar keine Daten vorliegen, zu bewerten und einzustufen.
Überdies ist das Analogiekonzept als eine in der Wissenschaft weitgehend anerkannte Bewertungsmethode für Stoffe mehrfach zur Einstufung von Stoffen in Anhang I der Richtlinie 67/548 angewandt worden, wenn auch erst seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 91/632/EWG der Kommission vom zur fünfzehnten Anpassung an den technischen Fortschritt der Richtlinie 67/548 (ABl. L 338, S. 23).
Hinsichtlich der wissenschaftlichen Argumente, die den streitigen Einstufungen zugrunde liegen, ergibt sich aus den Sitzungsprotokollen der EK-Arbeitsgruppe, des TAEK und des ATF-Ausschusses, dass sich die Fachleute darüber einig waren, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen sehr ähnliche Eigenschaften haben. Zudem werden in diesen Protokollen die Begriffe "Borsäure" und "Borate" oft nebeneinander verwendet.
Überdies vertraten die Fachleute in einem Bericht über Bor, der 1998 im Rahmen des Internationalen Programms zur Chemikaliensicherheit verfasst wurde, das die Weltgesundheitsorganisation, die Internationale Arbeitsorganisation und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen gemeinsam aufgelegt haben, die Auffassung, dass die chemischen und toxikologischen Eigenschaften von Boraxpentahydrat, Borax, Borsäure und anderen Borverbindungen wegen der entsprechenden molaren Konzentration von Bor, wenn sie in Wasser oder biologischen Flüssigkeiten mit identischem pH-Wert und in geringer Konzentration gelöst würden, ähnlich sein müssten. Sie bestätigen auch, dass Boroxid die gleichen Eigenschaften wie Borsäure habe, weil es sich um ein Anhydrid handele, dessen Hydrolyse Borsäure ergebe.
Die derzeitige Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen wurde also auf der Grundlage von Daten beschlossen, die über zu derselben Gruppe gehörende Boratverbindungen bekannt waren.
Ferner wird in Art. 13 der REACH-Verordnung die Bedeutung der Verwendung alternativer Methoden wie des Analogiekonzepts für die Beurteilung der Toxizität chemischer Stoffe für den Menschen durch andere Mittel als Versuche mit Wirbeltieren anerkannt.
Schließlich ist hervorzuheben, dass die Anwendung des Analogiekonzepts und die Beurteilung der physikalisch-chemischen Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen das Ergebnis eines Konsenses waren, der von zahlreichen Fachleuten in mehreren wissenschaftlichen Ausschüssen in Anwesenheit von Vertretern des betreffenden Wirtschaftszweigs nach einem mehrjährigen Verfahren erzielt worden ist.
Nach alledem hat die Kommission nicht offensichtlich das ihr auf diesem Gebiet zustehende Ermessen überschritten, als sie sich auf die Stellungnahme der Fachleute stützte, die für die Beurteilung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen u. a. das Analogiekonzept anwandten.
- Zum Begründungsmangel der 30. ATF-Richtlinie
Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof, ob die Gültigkeit der 30. Anpassungsrichtlinie durch einen gegen Art. 253 EG verstoßenden Begründungsmangel beeinträchtigt ist.
Etimine ist der Auffassung, die Kommission habe nicht die Gründe angegeben, die die Anwendung des Analogiekonzepts rechtfertigten, um die Daten zur Borsäure zur Einstufung der anderen im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen zu extrapolieren.
In diesem Zusammenhang trifft es zwar zu, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die Begründung eines Unionsrechtsakts im Rechtsakt selbst enthalten sein und vom Urheber des Rechtsakts stammen muss (vgl. Urteil vom , Kommission/Parlament und Rat, C-378/00, Slg. 2003, I-937, Randnr. 66 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), doch ist der erforderliche Begründungsumfang unterschiedlich.
So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen ist, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können (Urteil vom , Régie Networks, C-333/07, Slg. 2008, I-10807, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Ferner hängt nach ständiger Rechtsprechung der Umfang der Begründungspflicht von der Rechtsnatur der betreffenden Maßnahme ab; bei generellen Rechtsakten kann sich die Begründung darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass es, wenn der angefochtene Rechtsakt den von dem Gemeinschaftsorgan verfolgten Zweck in seinen wesentlichen Zügen erkennen lässt, zu weit ginge, eine besondere Begründung für die einzelnen technischen Entscheidungen zu verlangen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , AJD Tuna, C-221/09, Slg. 2011, I-0000, Randnr. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Darüber hinaus kann, wie der Generalanwalt in Nr. 135 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Beteiligung der Betroffenen am Entstehungsprozess des Rechtsakts die Begründungserfordernisse herabsetzen, da sie zu ihrer Information beiträgt.
Der angefochtene Rechtsakt genügt diesen Regeln.
So ist die 30. ATF-Richtlinie ein genereller Rechtsakt, in dessen Erwägungsgründen ausgeführt ist, dass die von dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen mit der Stellungnahme des ATF-Ausschusses vereinbar sind und dass die entsprechende Liste von Stoffen aktualisiert werden muss, damit weitere angemeldete neue Stoffe und weitere bereits vorhandene Stoffe aufgenommen und bestimmte Einträge an den technischen Fortschritt angepasst werden können.
Sodann steht fest, dass die 30. ATF-Richtlinie in einen komplexen technischen und rechtlichen, sich ständig weiterentwickelnden Rahmen einzuordnen ist, der eine detaillierte und individuelle Begründung der vorgenommenen Einstufungen erschwert, so dass die in dieser Richtlinie enthaltene Begründung angesichts der Natur dieses Rechtsakts ausreicht.
Schließlich ist unbestritten, dass die Vertreter des betroffenen Wirtschaftszweigs am Prozess zur Ausarbeitung der Richtlinie beteiligt waren. Darüber hinaus waren die wissenschaftlichen Erwägungen und die Daten, die die streitigen Einstufungen rechtfertigten, in mehreren der Öffentlichkeit vor dem Erlass der 30. ATF-Richtlinie bekannt gemachten Dokumenten und Protokollen der Sitzungen der Fachleute enthalten.
Somit leidet die 30. ATF-Richtlinie nicht an einem gegen Art. 253 EG verstoßenden Begründungsmangel.
Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Schließlich fragt das vorlegende Gericht, ob die Kommission beim Erlass der streitigen Einstufungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet hat.
Etimine macht geltend, dass die Kommission bis zum Vorliegen weiterer epidemiologischer Daten entweder überhaupt keine Einstufung oder allenfalls eine Einstufung in Kategorie 3 hätte vorschlagen dürfen.
Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts gehört, die Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen müssen (vgl. Urteil vom , Afton Chemical, C-343/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was die gerichtliche Nachprüfbarkeit der in der vorstehenden Randnummer genannten Voraussetzungen betrifft, verfügt die Kommission beim Erlass einer Richtlinie oder einer Verordnung über ein weites Ermessen in einem Bereich, in dem von ihr politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen verlangt werden und in dem sie komplexe Prüfungen durchführen muss, so dass diese Handlungen nur einer beschränkten gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle unterliegen. Eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme ist nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des von der Kommission verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Afton Chemical, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass, wie der Gerichtshof bereits in Randnr. 46 des Urteils Enviro Tech (Europe) bestätigt hat, die gemäß der Richtlinie 67/548 erlassenen Maßnahmen in einem komplexen technischen und rechtlichen, sich ständig weiterentwickelnden Rahmen ergriffen werden. In diesem Kontext sind die durch Anpassungen an den technischen Fortschritt, wie die 30. ATF-Richtlinie und die 1. ATF-Verordnung, erlassenen Einstufungen auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt gegebenen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse gestützt, der durch später eintretende Ereignisse in Frage gestellt werden kann.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission in diesem komplexen, sich ständig weiterentwickelnden Rahmen nach Abschluss eines Verfahrens, das den Zeitraum von 1999 bis 2008 umfasst, und nach zahlreichen Erörterungen in mehreren Fachausschüssen, an denen Vertreter des betroffenen Wirtschaftszweigs beteiligt waren, beschlossen, die streitigen Einstufungen zu erlassen.
Somit kann einem Vorbringen, wonach der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange, dass solche Maßnahmen allein deshalb aufgeschoben werden, weil gerade Studien durchgeführt werden, durch die die erlassenen Einstufungen in Frage gestellt werden könnten, nicht gefolgt werden.
Ein solches Vorbringen ist ferner auch deshalb irrelevant, weil nach den Art. 95 Abs. 3 EG und 174 Abs. 1 und 2 EG auf dem sensiblen Gebiet des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt das Vorsorgeprinzip gilt.
Somit ist der Nachweis nicht erbracht worden, dass bei der Einstufung der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde.
Nach alledem ist festzustellen, dass die Prüfung der ersten Vorlagefrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der 30. ATF-Richtlinie und damit der 1. ATF-Verordnung berühren könnte, soweit darin die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuft werden.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage fragt das vorlegende Gericht nach der Gültigkeit der 1. ATF-Verordnung, mit der Änderungen, die mit der 30. ATF-Richtlinie an Anhang I der Richtlinie 67/548 vorgenommen worden waren, in die Tabellen 3.1 und 3.2 des Anhangs VI Teil 3 der CLP-Verordnung eingefügt wurden.
Das vorlegende Gericht möchte im Einzelnen wissen, ob die 1. ATF-Verordnung auf die richtige Rechtsgrundlage gestützt wurde und ob die Einstufungen in Tabelle 3.1 des Anhangs VI Teil 3 der CLP-Verordnung rechtmäßig sind.
Zur Wahl der Rechtsgrundlage für die 1. ATF-Verordnung
Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Gültigkeit der 1. ATF-Verordnung dadurch berührt wird, dass die Kommission bei ihrem Erlass auf Art. 53 statt auf Art. 37 der CLP-Verordnung als Rechtsgrundlage abgestellt hat.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wirft der Kommission vor, sie habe das in Art. 53 der CLP-Verordnung vorgesehene Verfahren zur Anpassung an den technischen Fortschritt angewandt, indem sie eine fast automatische Methode zur Anpassung der Verordnung an den technischen Fortschritt gewählt habe, und nicht das in Art. 37 der Verordnung vorgesehene komplexe und detaillierte Verfahren zur Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Stoffe durchgeführt.
Zu dieser ersten Rüge ist festzustellen, dass Art. 37 der CLP-Verordnung zu Titel V Kapitel 1 der Verordnung - "Schaffung einer harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung von Stoffen" - gehört.
Die Verwendung des Wortes "Schaffung" in diesem Kontext weist darauf hin, dass das Verfahren des Art. 37 nur beim Erlass neuer Einstufungen verwendet werden darf. Dagegen kann die Kommission nach Art. 53 der CLP-Verordnung "die Anhänge I bis VII [der Verordnung] an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt anpassen".
Im vorliegenden Fall werden mit der 1. ATF-Verordnung nur die bereits anhand der Kriterien und Grundsätze der Richtlinie 67/548 vorgenommenen streitigen Einstufungen in die CLP-Verordnung eingefügt.
Folglich durfte die 1. ATF-Verordnung auf die Rechtsgrundlage des Art. 53 der CLP-Verordnung gestützt werden.
Zur Rechtmäßigkeit der Einstufungen in Tabelle 3.1 des Anhangs VI Teil 3 der CLP-Verordnung
Das vorlegende Gericht fragt, ob die Kommission einen Fehler begangen hat, als sie bei der Aufnahme der streitigen Einstufungen in Tabelle 3.1 des Anhangs VI Teil 3 der CLP-Verordnung die Umwandlungstabelle des Anhangs VII der CLP-Verordnung verwendet hat, statt die Kriterien des Anhangs I der Verordnung zu berücksichtigen.
Nach Ansicht der Klägerin des Ausgangsverfahrens hätte die Kommission somit das Verfahren zur Bewertung der Eigenschaften der im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen unter Anwendung der Kriterien des Anhangs I der CLP-Verordnung erneut durchführen müssen.
Wie in Randnr. 138 des vorliegenden Urteils ausgeführt, war die Wiederholung dieses Bewertungsverfahrens aber nicht erforderlich, da mit der 1. ATF-Verordnung lediglich die Einstufungen in die CLP-Verordnung eingefügt wurden, die bereits nach dem komplexen und detaillierten Verfahren der Richtlinie 67/548 vorgenommen wurden.
Bezüglich der Umwandlungstabelle des Anhangs VII der CLP-Verordnung ist daran zu erinnern, dass nach Art. 61 Abs. 3 der Verordnung alle Stoffe bis zum sowohl gemäß dem alten System als auch gemäß dem neuen System eingestuft werden. Folglich sind alle nach der Richtlinie 67/548 vorgenommenen Einstufungen mit Hilfe der Umwandlungstabelle des Anhangs VII der CLP-Verordnung in Einstufungen gemäß der CLP-Verordnung umzuwandeln.
Somit hat die Kommission zu Recht entschieden, die streitigen Einstufungen unter Verwendung der Umrechnungstabelle des Anhangs VII in Tabelle 3.1 des Anhangs VI Teil 3 der CLP-Verordnung aufzunehmen.
Nach alledem ist festzustellen, dass die Prüfung der zweiten Vorlagefrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der 1. ATF-Verordnung berühren könnte, soweit darin die im Ausgangsverfahren fraglichen Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuft werden.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Die Prüfung der Vorlagefragen hat nichts ergeben, was die Gültigkeit zum einen der Richtlinie 2008/58/EG der Kommission vom zur 30. Anpassung der Richtlinie 67/548/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe an den technischen Fortschritt und zum anderen der Verordnung (EG) Nr. 790/2009 der Kommission vom zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen zwecks Anpassung an den technischen und wissenschaftlichen Fortschritt berühren könnte, soweit darin bestimmte Borverbindungen als fortpflanzungsgefährdend der Kategorie 2 eingestuft werden.
Fundstelle(n):
IAAAD-88999