EuGH Urteil v. - C-503/09

Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer

Leitsatz

1. Ein kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist eine Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom geänderten Fassung, wenn feststeht, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung eine bleibende oder dauerhafte Behinderung aufweist.

2. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in der genannten und durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung eines kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Voraussetzung abhängig zu machen, nach der der Antragsteller seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Inland haben muss;

Art. 21 Abs. 1 AEUV verbietet es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer solchen Leistung abhängig zu machen

- von einer Voraussetzung, nach der sich der Antragsteller zuvor im Inland aufgehalten haben muss, unter Ausschluss jedes anderen Umstands, der das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem Antragsteller und diesem Mitgliedstaat belegen kann, und

- von einer Voraussetzung, nach der sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufhalten muss.

Instanzenzug: Upper Tribunal (Administrative Appeals Chamber) (Vereinigtes Königreich) -

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 10 Abs. 1, Art. 19 und Art. 28 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 117, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Stewart, einer in Spanien wohnenden britischen Staatsangehörigen, und dem Secretary of State for Work and Pensions wegen dessen Weigerung, ihr kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen zu gewähren.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Art. 2 ("Persönlicher Geltungsbereich") Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

"Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene."

Art. 4 ("Sachlicher Geltungsbereich") dieser Verordnung sieht vor:

"(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

a) Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft,

b) Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind,

...

(2) Diese Verordnung gilt für die allgemeinen und die besonderen, die auf Beiträgen beruhenden und die beitragsfreien Systeme der sozialen Sicherheit ...

..."

In Art. 10 ("Aufhebung der Wohnortklauseln - Auswirkung der Pflichtversicherung auf die Beitragserstattung") Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 heißt es:

"Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

Nach Art. 10a ("Beitragsunabhängige Sonderleistungen") der Verordnung Nr. 1408/71 gelten Art. 10 und die Bestimmungen des Titels III nicht für die in Art. 4 Abs. 2a dieser Verordnung genannten besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen. Die Personen, für die diese Verordnung gilt, erhalten diese Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind.

Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen ist in diesem Anhang IIa nicht aufgeführt.

Der in Titel III Kapitel 1 Abschnitt 2 ("Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige") der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltene Art. 19 ("Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen Staat - Allgemeine Regelung") dieser Verordnung bestimmt:

"(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, der im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des zuständigen Staates wohnt und die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates für den Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt, erhält in dem Staat, in dem er wohnt,

...

b) Geldleistungen vom zuständigen Träger nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften. ...

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für Familienangehörige, die im Gebiet eines anderen als des zuständigen Staates wohnen, sofern sie nicht aufgrund der Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet sie wohnen, Anspruch auf diese Leistungen haben.

..."

In dem in Titel III Kapitel 1 Abschnitt 5 ("Rentenberechtigte und deren Familienangehörige") der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Art. 28 ("Rentenanspruch aufgrund der Rechtsvorschriften eines einzigen oder mehrerer Staaten, falls ein Anspruch auf Leistungen im Wohnland nicht besteht") Abs. 1 heißt es:

"Ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zum Bezug einer Rente oder nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten zum Bezug von Renten berechtigt ist und keinen Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats hat, in dessen Gebiet er wohnt, erhält dennoch diese Leistungen für sich und seine Familienangehörigen, sofern - gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Artikel 18 und Anhang VI - nach den Rechtsvorschriften des Staates, aufgrund deren die Renten geschuldet wird, oder zumindest eines der Mitgliedstaaten, nach deren Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, Anspruch auf Leistungen bestünde, wenn er im Gebiet des betreffenden Staates wohnte. ...

..."

Nationales Recht

Nach Section 20(1)(b) des Sozialversicherungsbeitrags- und Leistungsgesetzes von 1992 (Social Security Contributions and Benefits Act 1992, im Folgenden: SSCBA) ist das Arbeitsunfähigkeitsgeld eine beitragsabhängige Leistung.

Nach Section 163(1)(a) des Gesetzes über die Verwaltung der sozialen Sicherheit von 1992 (Social Security Administration Act 1992) werden beitragsabhängige Leistungen aus dem National Insurance Fund gezahlt. Die Mittel, die der National Insurance Fund für die fraglichen Auszahlungen benötigt, werden nach Section 1(1) SSCBA durch Beiträge aufgebracht, die u. a. Erwerbstätige und Arbeitgeber zu entrichten haben.

Section 30A(4) und (5) SSCBA bestimmt Folgendes:

"(4) Der Berechtigte kann für jeden Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für die Dauer von höchstens 364 Tagen beziehen.

(5) Erlischt nach Abs. 4 der Anspruch des Leistungsempfängers auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld, erwirbt er für jeden weiteren Tag innerhalb desselben Arbeitsunfähigkeitszeitraums, höchstens bis zur Erreichung des gesetzlichen Rentenantrittsalters, einen Anspruch auf langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld."

Das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld wird nach Section 30B(2) und Anhang 4 Teil I SSCBA zu zwei pauschalen Sätzen gezahlt. Während der ersten 196 Tage wird es zu einem niedrigeren Satz als während der restlichen Dauer des 364-tägigen Zeitraums gezahlt. Der Basissatz des langfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds ist höher als der erhöhte Satz des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds.

Anhang 12(1) SSCBA schließt den Bezug von Arbeitsunfähigkeitsgeld durch Personen aus, die gegen ihren Arbeitgeber einen gesetzlichen Anspruch auf Krankengeld haben.

Der Anspruch auf Arbeitsunfähigkeitsgeld hängt im Wesentlichen davon ab, ob der Antragsteller bestimmte Beitragsvoraussetzungen erfüllt. Personen, die in ihrer Jugend arbeitsunfähig sind, haben jedoch nach Section 30A(2A) SSCBA auch dann Anspruch auf Arbeitsunfähigkeitsgeld, wenn sie keine Beiträge geleistet haben, sofern der Betroffene

"a) am Stichtag das 16. Lebensjahr vollendet hat,

b) an einem Tag seiner Arbeitsunfähigkeit noch nicht das 20. oder, in den vorgesehenen Fällen, noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat,

c) an 196 aufeinanderfolgenden Tagen unmittelbar vor dem Stichtag oder einem früheren Tag während seiner Arbeitsunfähigkeit, an dem er bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte, arbeitsunfähig war,

d) am Stichtag die hinsichtlich seines Wohnsitzes oder Aufenthalts in Großbritannien vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt und

e) sich an diesem Tag nicht in Vollzeitausbildung befindet."

Regulation 16(1) der Social Security (Incapacity Benefit) Regulations (Verordnung über die soziale Sicherheit [Arbeitsunfähigkeitsgeld]) 1994 (im Folgenden: SSIBR) bestimmt:

"Die für die Zwecke von Section 30A(2A)(d) [SSCBA] für eine Person am Stichtag geltenden Voraussetzungen in Bezug auf Wohnsitz und Aufenthalt in Großbritannien sind, dass sie an diesem Tag

a) ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Großbritannien hat,

b) nicht der Einwanderungskontrolle im Sinne von Section 115(9) des Immigration and Asylum Act (Einwanderungs- und Asylgesetz) 1999 unterliegt oder auf sie Regulation 16(5) anzuwenden ist,

c) sich in Großbritannien aufhält und

d) sich für einen ununterbrochenen Zeitraum oder mehrere unterbrochene Zeiträume von insgesamt mindestens 26 Wochen innerhalb der diesem Tag unmittelbar vorangehenden 52 Wochen in Großbritannien aufgehalten hat."

Nach Section 16(6) SSIBR müssen diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt sein.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Frau Stewart, eine im November 1989 geborene britische Staatsangehörige, leidet am Down-Syndrom. Im August 2000 zog sie mit ihren Eltern nach Spanien, wo die Familie seither lebt. Ihr wurde Unterhaltsbeihilfe für Behinderte (Disability Living Allowance) rückwirkend seit ihrer Einführung im April 1992 gewährt. Diese wird ihr nach den Übergangsbestimmungen des Art. 95b der Verordnung Nr. 1408/71 in Spanien ausgezahlt.

Der Vater von Frau Stewart, der in Großbritannien zuletzt im Veranlagungsjahr 2000/2001 arbeitete, bezieht seit Oktober 2009 eine Altersrente und hatte zuvor eine Betriebsrente bezogen. Die Mutter der Klägerin des Ausgangsverfahrens bezieht seit dem eine Altersrente und bezog zuvor Arbeitsunfähigkeitsgeld.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hat nie gearbeitet und wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch nie arbeiten können.

Die Mutter von Frau Stewart beantragte als gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter die Gewährung kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen ab deren 16. Geburtstag, ab dem der Anspruch frühestens besteht. Am lehnte der Secretary of State for Work and Pensions diesen Antrag mit der Begründung ab, dass Frau Stewart die Voraussetzung des Aufenthalts in Großbritannien nicht erfülle. Gleichzeitig wurde der Klägerin des Ausgangsverfahrens mitgeteilt, dass ihrem nationalen Versicherungskonto, solange ihre Arbeitsunfähigkeit andauere, Versicherungsbeiträge gutgeschrieben würden.

Die Mutter der Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob im Namen ihrer Tochter Klage gegen die Entscheidung des Secretary of State for Work and Pensions. Da diese Klage abgewiesen wurde, legte sie Berufung an das vorlegende Gericht ein und macht geltend, dass die Weigerung der britischen Behörden, ihrer Tochter das genannte Arbeitsunfähigkeitsgeld zu gewähren, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sei.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das fragliche Arbeitsunfähigkeitsgeld aufgrund seiner gesamten Anwendungsvoraussetzungen als "Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen" bezeichnet werde.

Nach der Vorlageentscheidung erfüllt die Klägerin des Ausgangsverfahrens alle Voraussetzungen für die Gewährung des Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen, ausgenommen die nach Section 16(1) SSIBR vorgesehenen Voraussetzungen des gewöhnlichen Wohnsitzes, des vorherigen Aufenthalts und des Aufenthalts bei Antragstellung in Großbritannien. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Secretary of State for Work and Pensions den Antrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit der Begründung abgelehnt habe, dass sie sich bei der Stellung ihres Antrags nicht in Großbritannien aufgehalten habe, dieser Antrag jedoch auch deshalb hätte abgelehnt werden können, weil sie die beiden anderen oben erwähnten Voraussetzungen nicht erfüllt habe.

Das vorlegende Gericht fragt sich zunächst, ob das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen eine Leistung bei Krankheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 oder eine Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung ist. Die fragliche Leistung könne nicht als Leistung bei Krankheit angesehen werden, da sie kein Einkommen ersetze und nicht bei einer Verdienstunterbrechung gewährt werde, da die Klägerin des Ausgangsverfahrens, wie die meisten Antragsteller in ihrer Situation, nie gearbeitet habe. Außerdem sei die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens nicht vorübergehend.

Hinsichtlich einer Einstufung des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen als Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 hat dieses Gericht ebenfalls Zweifel, da diese Leistung höchstens für eine Dauer von 364 Tagen gewährt werde. Danach werde die Klägerin des Ausgangsverfahrens jedoch, wie viele andere in ihrer Situation, langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld beziehen. Kurzfristiges und langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld sei daher trotz seiner inneren Struktur eine einzige Leistung.

Ferner fragt sich das vorlegende Gericht, ob die drei in Randnr. 24 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

Vor diesem Hintergrund hat das Upper Tribunal (Administrative Appeals Chamber) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist eine Leistung wie das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen eine Leistung bei Krankheit oder eine Leistung bei Invalidität im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71?

2. Sollte die Frage 1 dahin zu beantworten sein, dass eine solche Leistung wie eine Leistung bei Krankheit zu behandeln ist:

a) Ist eine Person wie die Mutter der Antragstellerin, die aufgrund ihres Ausscheidens aus dem Erwerbsleben jegliche Tätigkeit als Arbeitnehmerin oder Selbständige endgültig eingestellt hat, aufgrund ihrer früheren Tätigkeit als Arbeitnehmerin oder Selbständige dennoch eine "Arbeitnehmerin" im Sinne von Art. 19 der Verordnung Nr. 1408/71, oder sind die Art. 27 bis 34 (Rentenberechtigte) dieser Verordnung anzuwenden?

b) Ist eine Person wie der Vater der Antragstellerin, der seit 2001 nicht mehr als Arbeitnehmer oder Selbständiger tätig war, aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger dennoch ein "Arbeitnehmer" im Sinne von Art. 19 dieser Verordnung?

c) Ist ein Antragsteller, dem eine Leistung nach Art. 95b der Verordnung Nr. 1408/71 gewährt wird, unbeschadet dessen, dass er i) nie Arbeitnehmer im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 war, ii) das staatliche Rentenantrittsalter nicht erreicht hat und iii) nur als Familienangehöriger in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fällt, als "Rentner" im Sinne von Art. 28 dieser Verordnung zu behandeln?

d) Kann ein Familienangehöriger eines unter Art. 28 der Verordnung Nr. 1408/71 fallenden Rentners, der stets bei diesem Rentner und im selben Staat wie dieser gewohnt hat, eine Geldleistung bei Krankheit nach Art. 28 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 29 dieser Verordnung von dem nach Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmten zuständigen Träger fordern, wenn diese Leistung (sofern ein Anspruch besteht) dem Familienangehörigen (und nicht dem Rentner) zusteht?

e) Ist gegebenenfalls (aufgrund der Antworten auf die Fragen a bis d) die Anwendung einer im nationalen Recht der sozialen Sicherheit vorgesehenen Voraussetzung, wonach der erstmalige Erwerb eines Anspruchs auf Leistungen bei Krankheit auf Personen beschränkt ist, die sich während eines festgelegten vorangehenden Zeitraums für eine bestimmte Zeit im zuständigen Mitgliedstaat aufgehalten haben, mit den Art. 19 und/oder 28 der Verordnung Nr. 1408/71 vereinbar?

3. Sollte die Frage 1 dahin zu beantworten sein, dass eine solche Leistung wie eine Leistung bei Invalidität zu behandeln ist, bedeutet der Verweis in Art. 10 der Verordnung Nr. 1408/71 auf Leistungen, "auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben worden ist", dass die Mitgliedstaaten nach der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin befugt sind, für den erstmaligen Erwerb des Anspruchs auf solche Leistungen bei Invalidität Voraussetzungen vorzusehen, die auf den Wohnsitz im jeweiligen Mitgliedstaat oder auf den Nachweis bestimmter Aufenthaltszeiten in diesem Staat abstellen, so dass der Antragsteller den Leistungsanspruch nicht erstmals von einem anderen Mitgliedstaat aus geltend machen kann?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen wie das im Ausgangsverfahren fragliche eine Leistung bei Krankheit oder eine Leistung bei Invalidität im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 ist.

Diese Frage betrifft somit nicht die Regelung des nach dem Recht des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland gewährten Arbeitsunfähigkeitsgelds im Allgemeinen, sondern bezieht sich konkret auf das Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen, das in Bezug auf seine Natur und die Voraussetzungen für seine Gewährung, wie aus den Randnrn. 10 bis 17 des vorliegenden Urteils hervorgeht, Besonderheiten aufweist.

Die Verordnung Nr. 1408/71 gilt nach ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Krankheit und Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen betreffen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind.

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Leistung dann als eine Leistung der sozialen Sicherheit angesehen werden, wenn sie den Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands ohne jede im Ermessen liegende individuelle Prüfung der persönlichen Bedürftigkeit gewährt wird und wenn sie sich auf eines der in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten Risiken bezieht (vgl. u. a. Urteile vom , Hosse, C-286/03, Slg. 2006, I-1771, Randnr. 37, vom , Habelt u. a., C-396/05, C-419/05 und C-450/05, Slg. 2007, I-11895, Randnr. 63, sowie vom , Petersen, C-228/07, Slg. 2008, I-6989, Randnr. 19).

Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass dies auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Leistung zutrifft, da ihre Gewährung von objektiven, in Section 30A(2A) SSCBA gesetzlich umschriebenen Kriterien abhängt und keine im Ermessen der zuständigen Behörden liegende individuelle Prüfung der Bedürftigkeit des Antragstellers vorgesehen ist; außer Streit steht auch, dass diese Leistung je nach Fall das Risiko der Krankheit oder das der Invalidität absichern soll, die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1408/71 genannt sind.

Außerdem fällt die Klägerin des Ausgangsverfahrens unstreitig in den persönlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung, wie er in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 festgelegt ist.

Was die genaue Bestimmung der Art der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistung anbelangt, bringt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Erfordernis einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts mit sich, dass sich die in diesem Recht verwendeten Begriffe nicht nach Maßgabe der Besonderheiten des jeweiligen innerstaatlichen Rechts ändern, sondern auf objektiven Kriterien beruhen, die in einem unionsrechtlichen Rahmen festgelegt wurden. Diesem Grundsatz entsprechend sind die Begriffe "Leistungen bei Krankheit" und "Leistungen bei Invalidität" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1408/71 für die Anwendung dieser Verordnung nicht in Bezug auf die Art der nationalen Rechtsvorschriften zu definieren, in denen die innerstaatlichen Bestimmungen über diese Leistungen enthalten sind, sondern auf der Grundlage der unionsrechtlichen Regeln, die die wesentlichen Bestandteile dieser Leistungen festlegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Jordens-Vosters, 69/79, Slg. 1980, 75, Randnr. 6).

Insoweit ist für die Unterscheidung zwischen den einzelnen Kategorien von Leistungen der sozialen Sicherheit das von der jeweiligen Leistung gedeckte Risiko zu berücksichtigen (Urteil vom , De Cuyper, C-406/04, Slg. 2006, I-6947, Randnr. 27).

Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Europäische Kommission zutreffend vorbringen, deckt eine Leistung bei Krankheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 das Risiko eines krankhaften Zustands, der dazu führt, dass der Betroffene seine Tätigkeiten vorübergehend aussetzt.

Hingegen soll eine Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung grundsätzlich das Risiko einer Erwerbsunfähigkeit eines bestimmten Grades decken, wenn wahrscheinlich ist, dass diese Erwerbsunfähigkeit bleibend oder dauerhaft sein wird (vgl. entsprechend Urteil vom , Chacón Navas, C-13/05, Slg. 2006, I-6467, Randnr. 45).

Die Zweifel des vorlegenden Gerichts in Bezug auf die Einstufung des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen als Leistung bei Krankheit oder bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1408/71 rühren daher, dass diese Leistung unter eine innerstaatliche Regelung fällt, die eine Auszahlung in zwei Schritten vorsieht, nämlich im ersten Schritt unter der Bezeichnung "kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld" für eine Dauer von höchstens 364 Tagen und im zweiten unter der Bezeichnung "langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld" für unbeschränkte Dauer bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller das Rentenantrittsalter erreicht.

Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist die Klägerin des Ausgangsverfahrens, wie die meisten Personen, die kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen beantragen, arbeitsunfähig und hat nie gearbeitet. Dabei handle es sich um eine gewöhnliche Eigenschaft der Antragsteller, die Anspruch auf diese Leistung hätten.

Ferner werde die Klägerin des Ausgangsverfahrens, wie der Großteil der Personen, die Anspruch auf diese Leistung hätten, aufgrund des bleibenden Charakters ihrer Behinderung nach Ablauf des Zeitraums, in dem ihr kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen ausgezahlt werde, zwangsläufig langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld beziehen.

Aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte geht in der Tat hervor, dass das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld, wenn es gewährt wird, nach dem Ablauf der Dauer seiner Auszahlung unter der einzigen Voraussetzung, dass die Behinderung, die der Antragsteller aufweist, weiterhin besteht, in langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld umgewandelt wird. Der Antragsteller hat jedoch nicht von Anfang an Anspruch auf langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld, selbst wenn feststeht, dass er aufgrund des bleibenden oder dauerhaften Charakters seiner Behinderung dafür in Frage kommt. Für einen Antragsteller, der eine solche Behinderung aufweist, stellt daher das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen nur eine Vorstufe zum Erwerb des Anspruchs auf langfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld nach Ablauf des Zeitraums der Auszahlung des Ersteren dar.

In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem der Antragsteller eine bleibende oder dauerhafte Behinderung aufweist, stehen das kurzfristige und das langfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld daher zwangsläufig in einem Kontinuitätszusammenhang.

Tatsächlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das kurzfristige und das langfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld trotz ihrer Anwendungsmodalitäten eine einzige Leistung darstellten.

Daher weist das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem bei der Antragstellung feststeht, dass der Antragsteller eine bleibende oder dauerhafte Behinderung aufweist, unter Berücksichtigung des Kontinuitätsverhältnisses zwischen dieser Leistung und dem langfristigen Arbeitsunfähigkeitsgeld die Merkmale einer Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 auf.

Dieses Ergebnis wird sowohl durch den Sinn und Zweck des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen als auch durch seine Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für seine Gewährung erhärtet (vgl. entsprechend Urteile vom , Valentini, 171/82, Slg. 1983, 2157, Randnr. 13, De Cuyper, Randnr. 25, und Petersen, Randnr. 21).

Was zunächst den Sinn und Zweck des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen betrifft, so hat dieses das Schwerbeschädigtengeld ersetzt. Leistungsempfänger sind Personen im Alter von 16 bis 25 Jahren, die aufgrund einer Krankheit oder einer Behinderung arbeitsunfähig sind.

Personen, die einen gesetzlichen Anspruch auf Krankengeld haben, sind jedoch nach Anhang 12(1) SSCBA vom Bezug dieser Leistung ausgeschlossen. Personen, die aufgrund einer vorübergehenden Verschlechterung ihrer Gesundheit arbeitsunfähig sind und die gleichzeitig die Voraussetzungen für die Gewährung sowohl des gesetzlichen Krankengelds als auch des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen erfüllen, beziehen daher grundsätzlich das Erstere und nicht das Letztere.

Ferner geht aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte hervor, dass diese Leistung dem Antragsteller die finanziellen Mittel zur Deckung seines Unterhalts verschaffen soll. Das vorlegende Gericht führt dazu aus, dass anders als eine Leistung bei Krankheit das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen nicht bezweckt, Einkommen während einer Verdienstunterbrechung zu ersetzen, da die meisten Empfänger dieser Leistung so wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens nie gearbeitet haben. Es gebe daher weder ein zu ersetzendes Einkommen noch eine Verdienstunterbrechung.

Sodann beziehen sich nach Section 30A(2A) SSCBA die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistung im Wesentlichen auf das Alter des Antragstellers, seine Arbeitsunfähigkeit, die Tatsache, dass er sich nicht in Vollzeitausbildung befindet, sowie den Wohnsitz und Aufenthalt in Großbritannien. Was diese Voraussetzungen anbelangt, besteht zwischen dem kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen und dem langfristigen Arbeitsunfähigkeitsgeld kein Unterschied. Sofern die Arbeitsunfähigkeit weiter andauert, stellt nämlich das langfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld die Fortsetzung des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds dar, ohne dass erneut nachgewiesen werden müsste, dass die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Zur Berechnungsgrundlage sowohl des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen als auch des langfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds ist schließlich zu bemerken, dass es sich dabei um eine wöchentliche Leistung handelt, deren Höhe weder von den Mitteln des Empfängers noch von dessen festgestellten Beitragszahlungen abhängt. Es gelten jeweils für die erste und die zweite Hälfte der Dauer der Auszahlung des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds sowie für die Dauer der Auszahlung des langfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds drei verschiedene fixe Sätze.

Aus der Tatsache allein, dass für das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen und das langfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld verschiedene Sätze gelten, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass sich mit dem anzuwendenden Satz die Art der Leistung ändert, da es im vorliegenden Fall, wie in der vorstehenden Randnummer ausgeführt, schon innerhalb des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen zwei verschiedene Sätze gibt. Das kurzfristige und das langfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld stellen, wie in Randnr. 44 des vorliegenden Urteils ausgeführt, trotz ihrer inneren Struktur jedenfalls eine einzige Leistung dar.

Es ist daher festzustellen, dass das kurzfristige oder langfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der schon bei der Antragstellung feststeht, dass der Antragsteller eine dauernde oder langwährende Behinderung aufweist, sowohl nach seinem Sinn und Zweck als auch nach den Voraussetzungen für seine Gewährung sowie unbeschadet der Tatsache, dass diese Leistung in zwei aufeinanderfolgenden Schritten ausgezahlt wird, unmittelbar unter das von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 erfasste Risiko der Invalidität fällt.

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen wie das im Ausgangsverfahren fragliche eine Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1408/71 ist, wenn feststeht, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung eine bleibende oder dauerhafte Behinderung aufweist.

Zur zweiten Frage

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Zur dritten Frage

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass ein kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen wie das im Ausgangsverfahren fragliche als Leistung bei Invalidität anzusehen ist, im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, die Gewährung dieser Leistung von Voraussetzungen abhängig zu machen, die auf den gewöhnlichen Wohnsitz und den vorherigen Aufenthalt des Antragstellers im Inland abstellen.

Nach der Vorlageentscheidung hängt die Gewährung des kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen insbesondere davon ab, dass folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

- Der Antragsteller muss seinen gewöhnlichen Wohnsitz in Großbritannien haben,

- er muss sich für einen ununterbrochenen Zeitraum oder mehrere unterbrochene Zeiträume von insgesamt mindestens 26 Wochen innerhalb der dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf die fragliche Leistung unmittelbar vorangehenden 52 Wochen in Großbritannien aufgehalten haben und

- er muss sich zu diesem Zeitpunkt in Großbritannien aufhalten.

Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Voraussetzungen den Erwerb des Anspruchs auf die fragliche Leistung betreffen und nicht ihre Weitergewährung.

Zur Voraussetzung des gewöhnlichen Wohnsitzes

Wie sich aus der Antwort auf die erste Frage ergibt, ist das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 als Leistung bei Invalidität anzusehen. Als solche fällt sie in den Anwendungsbereich von Art. 10 dieser Verordnung. Nach Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Bestimmung "[dürfen d]ie Geldleistungen bei Invalidität ..., auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben worden ist, ... sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat".

Die Regierung des Vereinigten Königreichs bringt dazu vor, dass die Verordnung Nr. 1408/71 nur eine Koordinierungsregelung enthalte, nach der die Mitgliedstaaten dafür zuständig blieben, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit festzulegen, solange diese Voraussetzungen nicht zu einer Diskriminierung zwischen den Arbeitnehmern der Union führten. Daher dürfe nach dieser Verordnung zwischen dem Erwerb eines Anspruchs auf eine Leistung und der Weitergewährung einer Leistung, auf die bereits ein Anspruch erworben worden sei, unterschieden werden. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung lasse nach seinem Wortlaut die Voraussetzungen für den Erwerb eines Anspruchs auf eine Leistung bei Invalidität unberührt.

Dieses Vorbringen kann nicht durchgreifen. Wie nämlich der Gerichtshof bereits festgestellt hat, soll Art. 10 der Verordnung Nr. 1408/71 die Betroffenen vor Nachteilen schützen, die sich aus der Verlegung ihres Wohnsitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen ergeben könnten. Aus diesem Grundsatz folgt nicht nur, dass dem Betroffenen der Anspruch auf die Leistungen nach dieser Bestimmung, der nach dem Recht eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erworben wurde, auch nach Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat erhalten bleibt, sondern auch, dass ihm der Erwerb eines solchen Anspruchs nicht allein deshalb versagt werden kann, weil er nicht im Hoheitsgebiet des Staates wohnt, in dem der verpflichtete Träger seinen Sitz hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Smieja, 51/73, Slg. 1973, 1213, Randnrn. 20 bis 22, vom , Camera, 92/81, Slg. 1982, 2213, Randnr. 14, sowie vom , Giletti u. a., 379/85 bis 381/85 und 93/86, Slg. 1987, 955, Randnr. 15).

Ferner hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 10 der Verordnung Nr. 1408/71 es - entgegen dem Vorbringen des Vereinigten Königreichs - verbietet, die Entstehung oder die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die in dieser Bestimmung genannten Leistungen allein deshalb zu verneinen, weil der Betroffene nicht im Gebiet des Mitgliedstaats wohnt, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat (Urteil vom , Newton, C-356/89, Slg. 1991, I-3017, Randnr. 23).

Machte man die Anwendung des in Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 verankerten Grundsatzes der Aufhebung der Wohnortklauseln davon abhängig, ob solche Klauseln im innerstaatlichen Recht als Voraussetzung für den Erwerb eines Anspruchs auf die in dieser Bestimmung aufgeführten Leistungen oder als Voraussetzung für ihre Weitergewährung vorgesehen sind, liefe dies außerdem darauf hinaus, es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, diesem Grundsatz seine praktische Wirksamkeit dadurch zu nehmen, dass sie die von ihnen vorgesehenen Wohnsitzklauseln als Voraussetzungen für die Gewährung und nicht für die Weitergewährung dieser Leistungen einstufen, um eine bestimmte Leistung dem Anwendungsbereich des genannten Grundsatzes zu entziehen.

Dass das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen eine beitragsunabhängige Leistung ist, weil sie unabhängig von festgestellten Beitragszahlungen der Antragsteller gewährt wird, stellt die vorstehende Analyse nicht in Frage.

Die Verordnung Nr. 1408/71 gilt nämlich nach ihrem Art. 4 Abs. 2 grundsätzlich sowohl für auf Beiträgen beruhende als auch für beitragsfreie Systeme der sozialen Sicherheit.

Außerdem verbietet es Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 den zuständigen Trägern allgemein, Leistungen bei Invalidität zu kürzen, zu ändern, zum Ruhen zu bringen, zu entziehen oder zu beschlagnahmen, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Die einzigen Ausnahmen von diesem Verbot sind diejenigen, die ausdrücklich in den Unionsvorschriften vorgesehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Giletti u. a., Randnr. 16).

Eine solche Ausnahme ist in Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehen. Nach dieser Bestimmung können Personen, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen, die in Art. 4 Abs. 2a dieser Verordnung genannten besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedstaat und nach dessen Rechtsvorschriften erhalten, sofern diese Leistungen in Anhang IIa aufgeführt sind. Das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen ist in diesem Anhang jedoch nicht aufgeführt. Daher gilt der Grundsatz nach Art. 10a der Verordnung Nr. 1408/71, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nicht exportiert werden können, nicht für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Leistung.

Da keine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 1408/71 den Mitgliedstaaten gestattet, in einer Situation wie der von Frau Stewart von dem in Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung verankerten Grundsatz der Aufhebung der Wohnortklauseln abzuweichen, können Leistungen bei Invalidität grundsätzlich weiterhin in einen anderen Mitgliedstaat als den exportiert werden, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. November 1997, Snares, C-20/96, Slg. 1997, I-6057, Randnr. 40, und Petersen, Randnr. 38).

Das kurzfristige Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen ist daher nicht vom Grundsatz der Aufhebung der Wohnortklauseln nach Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 ausgenommen, der es verbietet, wie in den Randnrn. 61 f. des vorliegenden Urteils ausgeführt, dass die Entstehung oder die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die in dieser Bestimmung genannten Leistungen nur deshalb verneint wird, weil der Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat als dem zuständigen wohnt.

Daher steht Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dem entgegen, dass der Erwerb des Anspruchs auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen von einer Voraussetzung abhängig gemacht wird, die auf den gewöhnlichen Wohnsitz im Gebiet des zuständigen Mitgliedstaats abstellt.

Zur Voraussetzung des vorherigen Aufenthalts

Nach Ansicht der Klägerin des Ausgangsverfahrens und der Kommission steht Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht nur einer auf den gewöhnlichen Wohnsitz im Gebiet des zuständigen Mitgliedstaats abstellenden Voraussetzung, sondern auch einer Voraussetzung entgegen, die auf den vorherigen Aufenthalt in diesem Gebiet abstellt. Zwischen diesen beiden Voraussetzungen sei nicht zu unterscheiden; die auf den vorherigen Aufenthalt abstellende Voraussetzung sei als Voraussetzung eines vorübergehenden Wohnsitzes anzusehen, da sie vom Antragsteller verlange, sich für einen bestimmten Zeitraum in Großbritannien aufgehalten zu haben.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 auf Wohnsitzklauseln abzielt, wie insbesondere aus seiner Überschrift hervorgeht. Nach Art. 1 Buchst. h dieser Verordnung bezeichnet für deren Zwecke der Begriff "Wohnort" den "Ort des gewöhnlichen Aufenthalts".

Es trifft zu, dass in bestimmten Fällen eine Voraussetzung, nach der ein vorheriger Aufenthalt erforderlich ist, einer auf den gewöhnlichen Wohnsitz abstellenden Klausel gleichkommen könnte, insbesondere wenn nach einer solchen Voraussetzung lange Aufenthaltszeiten im betreffenden Mitgliedstaat erforderlich sind und/oder diese Voraussetzung für die gesamte Dauer der Zahlung der fraglichen Leistung erfüllt sein muss. In solchen Fällen steht Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 auch einer auf den vorherigen Aufenthalt abstellenden Voraussetzung entgegen, da sie einer Wohnsitzklausel im Sinne dieser Bestimmung gleichgestellt werden kann.

Hier handelt es sich, wie aus den Randnrn. 17 und 57 des vorliegenden Urteils hervorgeht, um eine Voraussetzung, die auf einen Aufenthalt in Großbritannien während eines ununterbrochenen Zeitraums oder während mehrerer unterbrochener Zeiträume von insgesamt mindestens 26 Wochen innerhalb der dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf die fragliche Leistung unmittelbar vorangehenden 52 Wochen abstellt, wobei diese Voraussetzung nur zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt sein muss. Da diese Voraussetzung eines vorherigen Aufenthalts daher nicht zwangsläufig eine "Wohnsitzklausel" im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ist, ist zu prüfen, ob sie mit den anderen einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts in Einklang steht.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1408/71 kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen hat, sondern eigene nationale Systeme bestehen lässt und diese nur koordinieren soll (Urteile vom , Borowitz, 21/87, Slg. 1988, 3715, Randnr. 23, vom , Chuck, C-331/06, Slg. 2008, I-1957, Randnr. 27, und Petersen, Randnr. 41). Die Mitgliedstaaten sind daher nach ständiger Rechtsprechung weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Duphar u. a., 238/82, Slg. 1984, 523, Randnr. 16, vom 17. Juni 1997, Sodemare u. a., C-70/95, Slg. 1997, I-3395, Randnr. 27, sowie vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, Slg. 2008, I-1683, Randnr. 43).

In Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene bestimmt somit das Recht eines jeden Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen zum einen ein Recht auf Anschluss an ein System der sozialen Sicherheit oder eine Verpflichtung hierzu und zum anderen Ansprüche auf Leistungen bestehen (Urteil vom , Kohll, C-158/96, Slg. 1998, I-1931, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Befugnis das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit beachten, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. entsprechend Urteil vom , Pusa, C-224/02, Slg. 2004, I-5763, Randnr. 19, sowie vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas, C-192/05, Slg. 2006, I-10451, Randnr. 22).

Art. 20 AEUV verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, den Status eines Unionsbürgers (vgl. u. a. Urteile vom , D'Hoop, C-224/98, Slg. 2002, I-6191, Randnr. 27, und vom , Ruiz Zambrano, C-34/09, Slg. 2011, I-0000, Randnr. 40). Der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, kommt dieser Status zu.

Auch wenn das vorlegende Gericht seine Frage auf die Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 beschränkt hat, hindert dies den Gerichtshof nicht daran, dem nationalen Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , SARPP, C-241/89, Slg. 1990, I-4695, Randnr. 8, vom , Ritter-Coulais, C-152/03, Slg. 2006, I-1711, Randnr. 29, und vom , Alevizos, C-392/05, Slg. 2007, I-3505, Randnr. 64).

Der Unionsbürgerstatus ist dazu bestimmt, der grundlegende Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu sein, der es denjenigen unter ihnen, die sich in der gleichen Situation befinden, erlaubt, im sachlichen Geltungsbereich des Vertrags unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unbeschadet der insoweit vorgesehenen Ausnahmen die gleiche rechtliche Behandlung zu genießen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Grzelczyk, C-184/99, Slg. 2001, I-6193, Randnr. 31, D'Hoop, Randnr. 28, und vom , Rüffler, C-544/07, Slg. 2009, I-3389, Randnr. 62).

Zu den Situationen, die in den sachlichen Geltungsbereich des Unionsrechts fallen, gehören diejenigen, die sich auf die Ausübung der durch die Verträge garantierten Grundfreiheiten beziehen, und insbesondere auch die, in denen es um das durch Art. 21 AEUV verliehene Recht geht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile Grzelczyk, Randnr. 33, D'Hoop, Randnr. 29, sowie Rüffler, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im Ausgangsverfahren steht fest, dass Frau Stewart in ihrer Eigenschaft als Unionsbürgerin von ihrer Freiheit Gebrauch gemacht hat, sich in einen anderen Mitgliedstaat als ihren Herkunftsmitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten.

Da ein Unionsbürger in allen Mitgliedstaaten Anspruch auf die gleiche rechtliche Behandlung wie die eigenen Staatsangehörigen dieser Mitgliedstaaten hat, die sich in der gleichen Situation befinden, wäre es mit dem Recht auf Freizügigkeit unvereinbar, wenn der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, ihn weniger günstig behandeln könnte, als wenn er nicht von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hätte, die ihm der Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt (Urteile D'Hoop, Randnr. 30, und Pusa, Randnr. 18).

Diese Erleichterungen könnten ihre volle Wirkung nicht entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seiner Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, infolge einer nationalen Regelung entgegenstehen, die Nachteile daran knüpft, dass er von ihnen Gebrauch gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile D'Hoop, Randnr. 31, Pusa, Randnr. 19, Tas-Hagen und Tas, Randnr. 30, vom , Zablocka-Weyhermüller, C-221/07, Slg. 2008, I-9029, Randnr. 34, sowie Rüffler, Randnr. 65).

Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die den Erwerb eines Anspruchs auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen von der Voraussetzung vorherigen Aufenthalts abhängig macht, kann ihrer Art nach Antragsteller wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens davon abhalten, von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt dadurch Gebrauch zu machen, dass sie den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, verlassen und sich in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen. Antragsteller, die die vom Vertrag in Bezug auf die Freizügigkeit und den Aufenthalt gewährten Erleichterungen nicht in Anspruch genommen haben, können diese Voraussetzung nämlich zwar leicht erfüllen, bei Antragstellern, die sie in Anspruch genommen haben, ist dies jedoch nicht der Fall. Tatsächlich ist es höchst wahrscheinlich, dass Letztere, weil sie sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben, diese Voraussetzung nicht erfüllen.

Eine solche nationale Regelung, die bestimmte Staatsangehörige eines Mitgliedstaats allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, stellt eine Beschränkung der Freiheiten dar, die durch Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkannt werden (vgl. Urteile D'Hoop, Randnr. 35, Pusa, Randnr. 20, De Cuyper, Randnr. 39, und Rüffler, Randnr. 73).

Eine derartige Beschränkung lässt sich nach dem Unionsrecht nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu dem vom nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht (vgl. Urteile De Cuyper, Randnr. 40, Tas-Hagen und Tas, Randnr. 33, Zablocka-Weyhermüller, Randnr. 37, sowie Rüffler, Randnr. 74).

Die Regierung des Vereinigten Königreichs ist insoweit der Auffassung, dass es objektive Rechtfertigungen dafür gebe, den Erwerb des Anspruchs auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen von der Voraussetzung vorherigen Aufenthalts im zuständigen Mitgliedstaat abhängig zu machen. Die innerstaatliche Regelung bezwecke nämlich, zum einen das Bestehen einer dauernden, tatsächlichen Verbindung zwischen diesem Mitgliedstaat und dem Empfänger der Leistung und zum anderen das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu gewährleisten.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass es ein legitimes Anliegen des nationalen Gesetzgebers ist, sich einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem, der eine Leistung beantragt, und dem zuständigen Mitgliedstaat zu vergewissern (vgl. in diesem Sinne Urteile D'Hoop, Randnr. 38, und vom , Collins, C-138/02, Slg. 2004, I-2703, Randnr. 67) sowie das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile Kohll, Randnr. 41, und Petersen, Randnr. 57).

Demzufolge sind die mit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen verfolgten Ziele, einen Nachweis für eine tatsächliche Verbindung zwischen demjenigen, der kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen beantragt, und dem zuständigen Mitgliedstaat zu verlangen sowie das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu wahren, grundsätzlich legitim und können Beschränkungen der in Art. 21 AEUV vorgesehenen Rechte auf Freizügigkeit und freien Aufenthalt rechtfertigen.

Das Vereinigte Königreich bringt darüber hinaus vor, dass die Voraussetzung vorherigen Aufenthalts im zuständigen Mitgliedstaat im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig sei, da nach ihr nur ein kurzer Aufenthalt von insgesamt 26 Wochen erforderlich sei. Ferner müsse der Antragsteller diese Voraussetzung nur zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllen. Außerdem gebe es kein anderes Mittel, durch das sowohl das Bestehen einer hinreichenden Verbindung zum Vereinigten Königreich nachgewiesen als auch das System der sozialen Sicherheit in seiner Gesamtheit geschützt werden könne.

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also der Erwerb des Anspruchs auf eine beitragsunabhängige Leistung nicht von Beitragsvoraussetzungen abhängt, kann es als legitim angesehen werden, dass ein Mitgliedstaat eine solche Leistung erst gewährt, wenn das Bestehen einer realen Verbindung des Antragstellers zum zuständigen Staat nachgewiesen werden konnte.

Das Bestehen einer solchen Verbindung könnte in der Tat u. a. durch die Feststellung überprüft werden, ob sich die in Rede stehende Person tatsächlich während eines angemessenen Zeitraums in diesem Mitgliedstaat aufgehalten hat.

Im vorliegenden Fall bedeutet die auf den vorherigen Aufenthalt im zuständigen Mitgliedstaat abstellende Voraussetzung nach der nationalen Regelung, dass sich der Antragsteller, um für einen Anspruch auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen in Frage zu kommen, für einen ununterbrochenen Zeitraum oder mehrere unterbrochene Zeiträume von insgesamt mindestens 26 Wochen innerhalb der dem Zeitpunkt der Antragstellung unmittelbar vorangehenden 52 Wochen in Großbritannien aufgehalten haben muss. Ferner genügt es nach Section 16(6) SSIBR, wie die Regierung des Vereinigten Königreichs vorbringt, dass diese auf den vorherigen Aufenthalt abstellende Voraussetzung zum Zeitpunkt der Antragstellung erfüllt ist.

Die Anwendungsmodalitäten dieser Voraussetzung sind zwar an sich nicht unangemessen, sie ist aber dennoch zu einseitig. Indem sie nämlich konkrete Zeiträume vorherigen Aufenthalts im zuständigen Mitgliedstaat vorschreibt, misst sie einem Umstand unangemessen hohe Bedeutung bei, der nicht zwangsläufig für den tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit dessen, der kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen beantragt, mit diesem Mitgliedstaat repräsentativ ist, und schließt jeden anderen repräsentativen Umstand aus. Sie geht damit über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus (vgl. entsprechend Urteil D'Hoop, Randnr. 39).

Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass eine solche Verbundenheit anhand anderer repräsentativer Umstände nachgewiesen werden kann.

Nach solchen Umständen ist zunächst bei den bestehenden Beziehungen zwischen dem Antragsteller und dem System der sozialen Sicherheit des zuständigen Mitgliedstaats zu suchen. Aus der Vorlageentscheidung geht dazu hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens bereits Unterhaltsbeihilfe für Behinderte nach dem Recht des Vereinigten Königreichs bezieht.

Ferner werden nach der Vorlageentscheidung dem nationalen Versicherungskonto der Klägerin des Ausgangsverfahrens wöchentlich Versicherungsbeiträge gutgeschrieben.

Frau Stewart ist daher in das in Rede stehende nationale System der sozialen Sicherheit bereits auf eine bestimmte Art eingebunden.

Sodann können sich andere Umstände, die eine tatsächliche Verbindung zwischen dem Antragsteller und dem zuständigen Mitgliedstaat belegen können, aus dem familiären Kontext ergeben, in dem sich der Antragsteller befindet. Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass Frau Stewart, die aufgrund ihrer Behinderung nicht für sich selbst handeln kann, weiterhin von ihren Eltern abhängig ist, die für sie sorgen und sie nach außen vertreten. Sowohl die Mutter als auch der Vater von Frau Stewart beziehen jedoch eine Altersrente nach dem Recht des Vereinigten Königreichs. Der Vater von Frau Stewart war außerdem vor seiner Versetzung in den Ruhestand in diesem Mitgliedstaat erwerbstätig, während ihre Mutter früher, ebenfalls nach dem Recht dieses Mitgliedstaats, Arbeitsunfähigkeitsgeld bezog.

Schließlich ist unstreitig, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine britische Staatsangehörige, einen erheblichen Teil ihres Lebens im Vereinigten Königreich verbracht hat.

Die in den Randnrn. 97 bis 101 des vorliegenden Urteils genannten Umstände erscheinen daher geeignet, das Bestehen einer tatsächlichen und hinreichenden Verbundenheit der Klägerin des Ausgangsverfahrens zum zuständigen Mitgliedstaat zu belegen.

Die vorangehenden Erwägungen sind auf das Ziel, das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu gewährleisten, übertragbar. Durch das Erfordernis, eine tatsächliche und hinreichende Verbundenheit des Antragstellers zum zuständigen Mitgliedstaat nachzuweisen, kann sich der zuständige Mitgliedstaat vergewissern, dass die Auszahlung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Leistung keine unangemessene wirtschaftliche Belastung zur Folge hat.

Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die den Erwerb des Anspruchs auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen von einer Voraussetzung abhängig macht, die auf den vorherigen Aufenthalt im zuständigen Mitgliedstaat abstellt, unter Ausschluss jedes anderen Umstands, der das Bestehen einer tatsächlichen Verbundenheit des Antragstellers zu diesem Mitgliedstaat belegen kann, geht über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinaus und ist daher eine ungerechtfertigte Beschränkung der Freiheiten, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger garantiert.

Zur Voraussetzung des Aufenthalts zum Zeitpunkt der Antragstellung

Nach der Vorlageentscheidung wurde der Antrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen abgelehnt, weil sie sich zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht im Inland aufhielt. Unter diesen Umständen ist es im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV Aufgabe des Gerichtshofs, diese Aufenthaltsvoraussetzung, obwohl sie in der dritten Frage nicht ausdrücklich erwähnt wird, zu prüfen, um dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben (vgl. u. a. Urteile vom , Krüger, C-334/95, Slg. 1997, I-4517, Randnr. 22, vom , Roquette Frères, C-88/99, Slg. 2000, I-10465, Randnr. 18, sowie vom , Marks & Spencer, C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 32).

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die auf den Aufenthalt im zuständigen Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Antragstellung abstellende Voraussetzung aus den in den Randnrn. 80 bis 87 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger gewährt.

Eine solche Beschränkung lässt sich nach dem Unionsrecht nur rechtfertigen, wenn u. a. das vom nationalen Recht legitimerweise verfolgte Ziel durch sie erreicht werden kann.

Die genannte Voraussetzung kann jedoch nicht als geeignetes Mittel zur Erreichung der in Randnr. 89 des vorliegenden Urteils angeführten Ziele eingestuft werden. Durch die Tatsache, dass sich der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags auf Gewährung kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen im zuständigen Mitgliedstaat befindet, kann nämlich weder eine tatsächliche Verbindung zwischen diesem Antragsteller und dem zuständigen Mitgliedstaat nachgewiesen noch das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit gewährleistet werden.

Folglich stellt die auf den Aufenthalt im zuständigen Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Antragstellung abstellende Voraussetzung, von der der Erwerb des Anspruchs auf kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen abhängt, eine ungerechtfertigte Beschränkung der Freiheiten dar, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger gewährt.

Nach alledem ist auf die dritte Frage wie folgt zu antworten:

- Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung eines kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Voraussetzung abhängig zu machen, nach der der Antragsteller seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Inland haben muss;

- Art. 21 Abs. 1 AEUV verbietet es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer solchen Leistung abhängig zu machen

- von einer Voraussetzung, nach der sich der Antragsteller zuvor im Inland aufgehalten haben muss, unter Ausschluss jedes anderen Umstands, der das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem Antragsteller und diesem Mitgliedstaat belegen kann, und

- von einer Voraussetzung, nach der sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufhalten muss.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Ein kurzfristiges Arbeitsunfähigkeitsgeld für junge Menschen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist eine Leistung bei Invalidität im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom geänderten Fassung, wenn feststeht, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung eine bleibende oder dauerhafte Behinderung aufweist.

2. Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in der genannten und durch die Verordnung Nr. 647/2005 geänderten Fassung verwehrt es einem Mitgliedstaat, die Gewährung eines kurzfristigen Arbeitsunfähigkeitsgelds für junge Menschen wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Voraussetzung abhängig zu machen, nach der der Antragsteller seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Inland haben muss;

Art. 21 Abs. 1 AEUV verbietet es einem Mitgliedstaat, die Gewährung einer solchen Leistung abhängig zu machen

- von einer Voraussetzung, nach der sich der Antragsteller zuvor im Inland aufgehalten haben muss, unter Ausschluss jedes anderen Umstands, der das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem Antragsteller und diesem Mitgliedstaat belegen kann, und

- von einer Voraussetzung, nach der sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung im Inland aufhalten muss.

Fundstelle(n):
HAAAD-88943