BGH Urteil v. - IX ZR 100/10

Insolvenzanfechtung: Anfechtungszeitraum bei Inkongruenz von Verrechnungen im debitorischen Bankenkontokorrent vor dem Insolvenzantrag

Leitsatz

Die Frage der Inkongruenz von Verrechnungen im debitorischen Bankenkontokorrent kann bei der Anfechtung von Rechtshandlungen innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor der Insolvenzantragstellung für den gesamten Anfechtungszeitraum nur einheitlich beantwortet werden. Wird das Kontokorrent nicht vorher gekündigt, läuft der Anfechtungszeitraum bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens .

Gesetze: § 131 Abs 1 Nr 2 InsO

Instanzenzug: Az: 2 U 907/09 Urteilvorgehend Az: 3 O 510/08

Tatbestand

1Die Schuldnerin nahm vor Stellung eines Eigenantrags bei der beklagten Sparkasse ungekündigten Überziehungskredit in Anspruch, dessen Betragsgrenze bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am nicht überschritten wurde. Im dritten Monat vor der Antragstellung verringerte sich die Überziehung um 5.862,02 €, im zweiten Monat um weitere 62.374,88 €, im letzten Monat erhöhte sie sich wieder um 63.185,33 €. Mit seiner Klage verlangt der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin den Rückführungsbetrag des Überziehungskredits aus dem zweiten und dritten Monat vor Antragsstellung von zusammen 68.236,90 € nebst Zinsen zur Masse.

2Mit diesem Antrag ist der Kläger in beiden Tatsacheninstanzen unterlegen. Eingeschlossen darin war der Betrag von 5.051,57 €, der bei Insolvenzeröffnung als Kreditrückführung verblieb. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag mit Haupt- und Hilfsbegründung weiter.

Gründe

3Die Revision ist nur zum kleineren Teil begründet und die Sache in diesem Umfang noch nicht zur Endentscheidung reif.

I.

4Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in ZInsO 2010, 1287 ff (mit Anmerkung Stiller, aaO 2011, 87 f) abgedruckt ist, hat angenommen, die von der Beklagten vorgenommenen Verrechnungen im Bankkontokorrent seien kongruent und als Bargeschäft der Anfechtung entzogen. Anders liege es nur bei dem Betrag von 5.051,57 €, um den das Kontokorrent innerhalb der gesetzlichen Dreimonatsfrist insgesamt zurückgeführt worden sei. Dieser Hilfsanspruch sei mit der Klage aber nicht erhoben worden. Dagegen wendet sich die Revision mit Sach- und Verfahrensrügen. Mit Ausnahme des letztgenannten Punktes hat sie keinen Erfolg.

II.

5Mit zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht die Einstellung der Gutschriften in das Sparkassenkontokorrent und die Verrechnungen der Beklagten innerhalb des Kontokorrents nicht als nach § 131 Abs. 1 InsO inkongruent gewertet.

61. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die bankmäßige Verrechnung von Gutschriften im ungekündigten Kontokorrent mit Überziehungskredit insoweit kongruent, als die Bank erneute Verfügungen des Schuldners über diese Deckungsmasse zugelassen hat. Die Kongruenzfrage kann hierbei innerhalb des Anfechtungszeitraums für den gleichen Betrag nur einheitlich beantwortet werden (, BGHZ 150, 122, 133 letzter Absatz der Entscheidung; Beschluss vom - IX ZR 107/05, juris Rn. 9; Urteil vom - IX ZR 212/06, NZI 2008, 184 Rn. 17; zur Möglichkeit betragsmäßiger Abspaltungen siehe auch Kayser, FS Gero Fischer 2008 S. 267, 275). Demgegenüber führt die Verrechnung in kritischer Zeit eingehender Zahlungen, denen keine Belastungsbuchungen gegenüberstehen, bei ungekündigtem Überziehungskredit wegen der damit verbundenen Kredittilgung zu einer inkongruenten Deckung, weil die Erfüllung des Rückzahlungsanspruchs noch nicht verlangt werden kann (, NZI 2008, 175 Rn. 6; vom - IX ZR 140/08, NZI 2009, 436 Rn. 8 f.).

72. Von den genannten Grundsätzen geht auch die Revision aus. Sie beanstandet indes, als Anfechtungszeitraum im Sinne dieser Rechtsprechung sei entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht der gesetzliche Zeitrahmen der besonderen Insolvenzanfechtung zu verstehen, sondern die zeitlichen Grenzen der Anfechtungstatbestände des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO einerseits - der letzte Monat vor der Antragstellung und die Zeit danach - und der § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO andererseits - der zweite und dritte Monate vor dem Eröffnungsantrag. Das ist rechtlich nicht richtig.

83. Der Senat hat allerdings für die Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Prüfung der Gläubigerbenachteiligung und der Kongruenz der sie bewirkenden Kontokorrentverrechnungen auf den hier maßgebenden Handlungszeitraum - den letzten Monat vor der Antragstellung oder die Zeit danach - beschränkt ( aaO Rn. 17). Denn eine vorangegangene Rechtshandlung oder Gläubigerbenachteiligung ist für diesen Anfechtungstatbestand ohne Bedeutung. Werden Rechtshandlungen dagegen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 InsO angefochten, kann eine drohende Inkongruenz von Verrechnungen durch die Weiterentwicklung des Kontokorrents im letzten Monat vor der Antragstellung oder danach noch behoben werden. Eine Gläubigerbenachteiligung wäre nicht mehr gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3, § 143 Abs. 1 InsO wegen inkongruenter Deckung zu beseitigen, wenn das Kontokorrent zur Zeit der Kündigung oder der Verfahrenseröffnung einen ebenso hohen oder höheren Schuldsaldo aufgewiesen hätte wie zu Beginn des Anfechtungszeitraums. Bis dahin fehlt es für die Kongruenzprüfung an einem abgeschlossenen Gläubigerverhalten. Die Frage des Bargeschäfts nach § 142 InsO und der hierbei vorausgesetzte zeitliche Zusammenhang der Kontobewegungen spielt für die Kongruenzbeurteilung keine Rolle. Denn das Bargeschäft ist erst zu prüfen, wenn es auf die Gläubigerbenachteiligung einer kongruenten Deckung ankommt. Ein Analogieschluss, die zeitliche Deckung müsse sich in den Fällen des § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO genauso ergeben wie nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, widerspricht dem Sinn des Gesetzes.

9Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass die von Klage und Revision vertretene Gesetzesauslegung willkürlichen Ergebnissen Tür und Tor öffnen würde. Ebenso wie der höchste zwischenzeitliche Sollstand bei der besonderen Insolvenzanfechtung von Verrechnungen im Bankenkontokorrent innerhalb des Anfechtungszeitraums außer Betracht zu bleiben hat ( aaO Rn. 16 f.; Beschluss vom - IX ZR 29/07, juris Rn. 4), so gilt dies auch für den niedrigsten erreichten Zwischenstand.

104. Weil die Beklagte in Höhe von 63.185,33 € eine kongruente Deckung erlangt hat, ist die allein auf § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO gestützte Klage, Voraussetzungen des § 130 InsO sind nicht vorgetragen, in diesem Umfang nebst der darauf entfallenden Zinsen unbegründet.

III.

11Fehlerhaft ist das Berufungsurteil, soweit es die Klage darüber hinaus in vollem Umfang abgewiesen hat, weil der Kläger angeblich die inkongruente Kreditrückführung von 5.051,57 € innerhalb des Anfechtungszeitraums nicht geltend gemacht habe. Das Landgericht hat diese Hilfsbegründung als Hilfsanspruch auch wegen Verjährung nach § 146 InsO abgewiesen. Beides trifft nicht zu.

12Ein selbständig verjährender Hilfsanspruch in Höhe von 5.051,57 € liegt schon deshalb nicht vor, weil er nicht auf die Beseitigung einer anderen Gläubigerbenachteiligung gerichtet ist als die vom Kläger sonst erstrebte Verurteilung. Da insoweit die nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO zur Schlüssigkeit führenden Tatsachen vorgetragen sind, ist die Klage auch hierauf gestützt. In der Sache selbst ist der Rechtsstreit in diesem Umfang noch nicht spruchreif, weil Feststellungen zur streitigen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Anfechtungszeitraum fehlen.

Kayser                                            Raebel                                        Pape

                           Grupp                                         Möhring

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1985 Nr. 33
DB 2011 S. 1806 Nr. 32
NJW 2011 S. 6 Nr. 42
NWB-Eilnachricht Nr. 36/2011 S. 3008
StuB-Bilanzreport Nr. 20/2011 S. 807
WM 2011 S. 1523 Nr. 32
ZIP 2011 S. 1576 Nr. 33
ZIP 2011 S. 5 Nr. 32
FAAAD-88867